Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof.Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Forsthuber als Schriftführer, in der Strafsache gegen Gerhard P*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Wiener Neustadt vom 14. März 1988, GZ 12 a Vr 125/88-46, sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen die Beschlüsse des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Wiener Neustadt vom 14. März 1988, ON 47 und 48, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer und des Verteidigers Dr. Stern, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden
1. der Wahrspruch der Geschwornen, der zur Hauptfrage unberührt bleibt, zu den Zusatzfragen I und II; ferner
2. das im Schuldspruch (Pkt A) auch darauf beruhende, im Freispruch (Pkt B) gleichfalls aufrecht bleibende angefochtene Urteil in diesem Schuldspruch und im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Vorhaftanrechnung, jedoch unter Aufrechterhaltung des Ausspruches über die privatrechtlichen Ansprüche); sowie demzufolge
3. die Beschlüsse vom 14.März 1988, ON 47 und 48, aufgehoben; die Sache wird zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen, welches den unberührt gebliebenen Wahrspruch zur Hauptfrage der Entscheidung mit zugrunde zu legen haben wird.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung und mit seiner Beschwerde wird der Angeklagte darauf verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem insoweit auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden - auch (B) einen Teilfreispruch (§ 311 Abs. 1 iVm § 259 Z 2 StPO) enthaltenden - angefochtenen Urteil wurde Gerhard P*** (A) des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er am 22.August 1987 in Wöllersdorf Helmut S*** vorsätzlich zu töten versuchte, indem er ihm mittels eines Fixiermessers mit ca. 15 cm langer Klinge wahllos zahlreiche Stiche gegen die Brust sowie gegen den Bauch und ins Gesicht versetzte.
Die Geschwornen hatten die (anklagekonforme) Hauptfrage (1) bejaht und dementsprechend Eventualfragen (2) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs. 1 StGB) sowie (3) nach schwerer Körperverletzung (§§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 StGB) unbeantwortet gelassen; die ihnen zu diesen Schuldfragen vorgelegten Zusatzfragen (4) nach Notwehr oder entschuldigender Notwehrüberschreitung (§ 3 StGB) und (5) nach Putativnotwehr oder entschuldigender Putativnotwehrüberschreitung (§ 8 StGB) waren von ihnen verneint worden, sodaß auch eine (für den Fall der Bejahung gestellte) weitere Eventualfrage (6) nach fahrlässiger Körperverletzung durch (fahrlässige) Notwehr- oder Putativnotwehrüberschreitung (§ 88 Abs. 1 und Abs. 4 zweiter Fall StGB) unbeantwortet blieb.
Rechtliche Beurteilung
Der auf § 345 Abs. 1 Z 5, 6, 8 und 10a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen den Schuldspruch kommt teilweise Berechtigung zu.
Nicht zielführend ist die gegen den Wahrspruch zur Hauptfrage gerichtete Instruktionsrüge (Z 8) des Beschwerdeführers, mit der die den Geschwornen erteilte Rechtsbelehrung zur Eventualfrage nach absichtlicher schwerer Körperverletzung bemängelt wird. Dazu ist ihm entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Rechtsansicht wohl einzuräumen, daß die gerügte Belehrung tatsächlich insofern verfehlt war, als der Schwurgerichtshof den Begriff "Absicht" (§ 5 Abs. 2 StGB) uneingeschränkt, also insbesondere ohne eine gegenüber den Kriterien der "Wissentlichkeit" (§ 5 Abs. 3 StGB) differenzierende Erläuterung, ja sogar ohne Wiedergabe der ihn betreffenden (deskriptiven und deshalb im allgemeinen keiner näheren Erklärung bedürftigen) Legaldefinition, einem (auf das Zufügen der schweren Folge gerichteten) "direkten Vorsatz" gleichsetzte (S 300, 295).
"Absicht" ist aber von "Wissentlichkeit" streng zu unterscheiden; auch ein "Begleitwissen" reicht zur Annahme absichtlichen Handelns nicht aus (idS 10 Os 184/83, 12 Os 23/84 ua). Die kommentarlose Gleichsetzung des Begriffes "Absicht" mit einem "direkten Vorsatz", worunter selbst nach allgemeinem Sprachverständnis durchaus auch ein wissentliches Handeln verstanden werden kann, konnte daher - ganz abgesehen von der dogmatischen Unrichtigkeit der Belehrung, bei der verkannt wird, daß es sich beim "direkten Vorsatz" (im Gegensatz zum "dolus indirectus" nach Art der §§ 1 letzter Halbsatz, 140, 152 StG) um den alle drei Erscheinungsformen des Vorsatzes nach geltendem Recht (§ 5 Abs. 1 zweiter Halbsatz, Abs. 2 und Abs. 3 StGB) umfassenden Oberbegriff (§ 5 Abs. 1 erster Halbsatz StGB) handelt (idS 10 Os 168/83 ua) - die Laienrichter zu der irrigen Annahme führen, das Verbrechen nach § 87 Abs. 1 StGB könne auch (bloß) wissentlich begangen werden. Die darnach dem Schwurgerichtshof in der Tat unterlaufene Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung hatte jedoch deswegen keine Nichtigkeit des damit bekämpften Wahrspruchs (und aus jenem Grund auch des darauf beruhenden angefochtenen Urteils) zur Folge, weil sich mit Bezug auf die Beantwortung einer Hauptfrage ein derartiger Mangel, der die Bejahung einer zugehörigen Eventualfrage erleichtert, generell niemals zum Nachteil des Angeklagten auswirken kann (vgl. EvBl. 1983/18, 15 Os 135/87 ua).
Auch aus den Akten resultierende erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschwornen zur Hauptfrage festgestellten entscheidenden Tatsachen (Z 10a) vermag der Angeklagte mit seinen darauf abzielenden, seinen Tötungsvorsatz leugnenden Einwänden nicht zu erwecken.
Mit Recht hingegen erblickt er eine Verletzung von Vorschriften über die Fragestellung darin, daß den Geschwornen keine Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit wegen einer zur Tatzeit bei ihm vorgelegenen, durch seine Alkoholisierung bedingt gewesenen tiefgreifenden Bewußtseinsstörung (§ 11 StGB) sowie keine Eventualfrage nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand der vollen Berauschung (§ 287 StGB) vorgelegt wurde (Z 6). Der von der Gendarmerie zur Feststellung des Grades seiner Alkoholisierung beigezogene Gemeindearzt Dr. W*** hat ihn etwa zwei Stunden nach der Tat (zusätzlich zur Blutabnahme) klinisch untersucht, dabei unter anderem einen schwankenden Gang, eine träge Pupillenreaktion sowie eine lallende Sprache festgestellt und aus diesen (selbst wahrgenommenen) Symptomen sowie aus seinen Angaben über seinen vorausgegangenen Alkoholkonsum die ärztliche Beurteilung "vollberauscht" abgeleitet (S 97).
Jene Beurteilung hielt er in der Hauptverhandlung mit dem Bemerken, daß er schon sehr viele Alkoholisierte untersucht habe, daß er im Vorjahr etwa 40 derartige Untersuchungen vorgenommen und schon eine gewisse Praxis habe, sowie ferner, daß er in einem Gasthaus aufgewachsen sei und auch von dort her eine gewisse Erfahrung mitgebracht habe, ausdrücklich aufrecht (S 251 f). Auch der mit den Erhebungen befaßt gewesene Gendarmeriebezirksinspektor H*** hat (unter anderem) bestätigt, daß der Beschwerdeführer keine richtige Sprache gehabt sowie eher geschwankt habe und ihm beim Eintreffen am Tatort als "sehr stark alkoholisiert" vorgekommen sei (S 273 f).
Daß sich der Schwurgerichtshof - der erst vor kurzem eingehend und nachdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß den zur Beurteilung der Tatfrage allein kompetenten Laienrichtern keine für ihr Verdikt möglicherweise bedeutsamen Faktoren entzogen werden dürfen (10 Os 11/86) - der auf Grund dieses Tatsachen-Vorbringens in der Hauptverhandlung evidenten Verpflichtung entzog, den Geschwornen zu den Schuldfragen jeweils auch Zusatzfragen (§ 313 StPO) nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) sowie (durch hier nicht erörterungsbedürftige weitere Verfahrensergebnisse indizierte) Eventualfragen (§ 314 Abs. 1 StPO) nach Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) vorzulegen, ist schlechthin unverständlich, zumal wenn man bedenkt, daß klinischen Beurteilungen des Alkoholisierungsgrades durch von den Sicherheitsbehörden zu eben jenem Zweck beigezogene Ärzte (auf amtlichen Formblättern) nach allgemeiner forensischer Erfahrung in zahllosen Fällen entscheidende (positive oder negative) Bedeutung beigemessen wird.
Der aufgezeigte eklatante Mangel (Z 6) betrifft zwar im Hinblick darauf, daß die Zurechnungsunfähigkeit ein vorsätzliches Handeln nicht ausschließt (vgl. SSt 55/15 uva), nach Lage des Falles nicht den Wahrspruch zur Hauptfrage, wohl aber berührt er angesichts einer möglichen Relevanz dieser Frage für die Beantwortung der Zusatzfragen in Richtung Putativnotwehr oder Putativnotwehrexzeß das dazu ergangene Verdikt.
Dementsprechend war der Wahrspruch der Geschwornen zur Hauptfrage unter Verwerfung des dagegen remonstrierenden Teiles der Nichtigkeitsbeschwerde aufrechtzuerhalten (§ 349 Abs. 2 StPO), zu den Zusatzfragen I und II hingegen ebenso wie der (auch) darauf beruhende angefochtene Schuldspruch in teilweiser Stattgebung jenes Rechtsmittels unter Anordnung der Verfahrenserneuerung in erster Instanz im dadurch erforderlichen Umfang aufzuheben, ohne daß es einer Erörterung des weiteren Beschwerdevorbringens bedarf. Gleiches gilt für die bekämpften Widerrufsbeschlüsse (§ 494 a StPO) ON 47 und 48, denen durch die Aufhebung des Schuldspruches der Boden entzogen ist, wogegen die schon im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot nicht mehr behebbare Verweisung des Privatbeteiligten auf den Zivilrechtsweg unberührt bleibt. Mit seiner Berufung und mit seiner Beschwerde gegen die bezeichneten Beschlüsse war der Angeklagte darauf zu verweisen. Im zweiten Rechtsgang wird der aufrecht bleibende Wahrspruch zur Hauptfrage der Entscheidung mit zugrunde zu legen
und - entsprechendes Tatsachenvorbringen in der zu erneuernden Hauptverhandlung vorausgesetzt - den bisherigen Zusatz- und Eventualfragen 4 bis 6 eine Zusatzfrage in Richtung § 11 StGB sowie eine Eventualfrage in Richtung § 287 StGB vorzuordnen sein.
Anmerkung
E14572European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00071.88.0628.000Dokumentnummer
JJT_19880628_OGH0002_0150OS00071_8800000_000