Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mathias H***, Schüler, Binsenfeldstraße 6 a, 6890 Lustenau, vertreten durch Dr. Otmar Simma, Dr. Alfons Simma und Dr. Ekkehard Bechtold, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagten Parteien 1) Friedrich S***, Landwirt, Gutenbergstraße 12, 6890 Lustenau, und 2) Z*** K*** Versicherungen-AG, Schwarzenbergplatz 15, 1015 Wien, beide vertreten durch Dr. Josef Spiegel und Dr. Martin Spiegel, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen S 261.105,93 s.A. und Feststellung (S 100.000,--), Revisionsstreitwert S 80.943,13, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 24. September 1987, GZ 2 R 145/87-15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 30. Dezember 1986, GZ 10 Cg 145/86-11, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben,
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.668,18 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 424,38, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 20. Dezember 1984 ereignete sich gegen 17,30 Uhr auf der Lustenauerstraße (B 204) bei Km 2,9 (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker des Kleinmotorrades mit dem Kennzeichen V 290.539 und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des Traktors mit dem Kennzeichen V 98.135, der einen unbeleuchteten nicht zum Verkehr zugelassenen Anhänger zog, beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der Erstbeklagte fuhr mit seinem Traktor in Richtung Lustenau. Der Kläger fuhr mit dem von ihm gelenkten Kleinmotorrad in gleicher Richtung und fuhr dabei auf den unbeleuchteten Anhänger des Traktors auf. Dabei wurde der Kläger verletzt und das von ihm gelenkte Kleinmotorrad beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde gegen den Erstbeklagten zu U 430/85 des Bezirksgerichtes Dornbirn ein Strafverfahren eingeleitet; er wurde rechtskräftig gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall zuletzt (ON 10 S 59) die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 261.105,93 sA; überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand (der Zweitbeklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages) für zwei Drittel seiner künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Der Höhe nach ist das Leistungsbegehren des Klägers nicht mehr strittig; auch sein Feststellungsinteresse ist unbestritten. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen auf die Behauptung, daß ihn zwar selbst ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, daß aber dem Erstbeklagten ein mit zwei Dritteln zu bewertendes Verschulden anzulasten sei. Der Anhänger am Traktor des Erstbeklagten sei unbeleuchtet gewesen, weshalb der Kläger im Hinblick auf die herrschende Dunkelheit von rückwärts auf den Anhänger aufgefahren sei.
Die Beklagten wendeten dem Grunde nach ein, daß den Kläger das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Der Anhänger am Traktor des Erstbeklagten sei zwar rückwärts nicht beleuchtet gewesen, doch seien dort Rückstrahler angebracht gewesen, was nach den gesetzlichen Bestimmungen ausreichend gewesen sei. Der Kläger hätte bei entsprechender Aufmerksamkeit den Anhänger wahrnehmen müssen, weil am Traktor rechts hinten ein rot leuchtendes Rücklicht angebracht gewesen sei. Überdies sei am Zugfahrzeug links hinten die beleuchtete rot umrandete Kennzeichentafel sichtbar gewesen, was der Kläger aus einer Entfernung von 50 m wahrnehmen hätte müssen. Infolge seiner mangelnden Aufmerksamkeit wäre der Kläger auch bei Beleuchtung des Anhängers in gleicher Weise von rückwärts aufgefahren.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 223.770,-- sA und gab dem Feststellungsbegehren des Klägers statt; sein auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 37.333,-- sA gerichtetes Leistungsmehrbegehren wies es ab. Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Zur Unfallszeit fuhr der Erstbeklagte mit seinem Traktor, der einen nicht zum Verkehr zugelassenen landwirtschaftlichen Anhänger zog, mit einer Geschwindigkeit von ca. 25 km/h auf der Lustenauerstraße von Dornbirn in Richtung Lustenau. Es war bereits dunkel. Bei dem vom Erstbeklagten mitgeführten Anhänger handelte es sich um ein landwirtschaftliches Transportgerät mit einer Länge von 3,19 m und einer Breite von 1,82 m. Die vordere Bordwand war 1,26 m über der Fahrbahn; die hintere Bordwand war nicht montiert. Der Anhänger war beladen; der höchste Punkt des Ladegutes erreichte die Höhe der seitlichen Bordwand. Die Ladefläche des Anhängers befand sich ca. 82 cm über der Fahrbahn. Rückwärts waren zwei dreieckige Rückstrahler angebracht, die sich 43 cm über der Fahrbahn befanden, also ca. 50 cm unterhalb der Ladefläche montiert waren. Ob diese Rückstrahler im Zeitpunkt des Unfalles gereinigt waren und wie groß ihre Leuchtwirkung war, kann nicht festgestellt werden. Der Anhänger wies keinerlei Begrenzungs- oder Schlußleuchten auf; auch die 10 km/h-Tafel war nicht angebracht. Der Beklagte besitzt zwar für den Anhänger eine Lichtstange; er führte sie aber am Unfallstag nicht mit.
Am Zugfahrzeug war links hinten 1,47 m über der Fahrbahn eine Kennzeichenleuchte angebracht, die in ihrem oberen Teil nach rückwärts rot leuchtete. Auf der rechten hinteren Seite des Traktors befand sich 1,20 m über der Fahrbahn ein rot leuchtendes Rücklicht. Der Abstand zwischen den beiden Lichtern betrug 1,35 m, der Abstand zwischen der Rückseite des Traktors und der vorderen Bordwand des Anhängers 91 cm. Zwischen den Rückleuchten des Traktors und der unbeleuchteten Rückseite des Anhängers betrug der Abstand sohin 4,10 m.
Der Kläger fuhr mit seinem Kleinmotorrad, an dem er das Abblendlicht eingeschaltet hatte, mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h auf der Lustenauerstraße in Richtung Lustenau. Er trug einen Visierhelm und sah eine Strecke von 10 bis 15 m ein. In der Folge prallte er, ohne das Licht des Traktors gesehen zu haben, gegen den Anhänger, den er erst im letzten
Moment - Sekundenbruchteile vor dem Aufprall - wahrgenommen hatte. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der Erstbeklagte die Bestimmungen der §§ 60 Abs 3 und 73 Abs 1 StVO verletzt habe. Der Beweis, daß bei einer ordnungsgemäß angebrachten Beleuchtung des Anhängers der Unfall in gleicher Weise erfolgt wäre, sei nicht erbracht worden. Der Kläger habe durch einen Mangel an Aufmerksamkeit den Unfall mitverschuldet. Eine Abwägung dieser Umstände rechtfertige eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Erstbeklagten.
Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, dem Kläger den Betrag von S 167.829,40 sA zu bezahlen und daß es dem Feststellungsbegehren des Klägers in Ansehung der Hälfte seiner künftigen Schäden aus diesem Verkehrsunfall stattgab. Das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 93.276,53 sA gerichtete Leistungsmehrbegehren des Klägers und sein Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 15.000,-- und der Wert des Streitgegenstandes, über den es insgesamt entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt.
Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, landwirtschaftliche Anhänger mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 10 km/h, die von einer Zugmaschine gezogen würden, seien als Fuhrwerke im Sinne des § 2 Abs 1 Z 21 StVO anzusehen. Für die Beleuchtung eines solchen Fahrzeuges gelte die allgemeine Vorschrift des § 60 Abs 3 StVO. Die Art der Beleuchtung sei im § 73 Abs 1 StVO geregelt. Danach seien zwei Lampen zu verwenden, die nach vorne weiß und nach hinten rot zu leuchten hätten. Die Lichter müßten deutlich erkennbar sein und die Breite des Fahrzeuges erkennen lassen. Diese Bestimmung stelle eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB dar, deren Schutzzweck auch darin bestehe, anderen Straßenbenützern das Fuhrwerk erkennbar zu machen und ihnen das richtige Einschätzen der Länge und Breite des Fahrzeuges zu ermöglichen. Es sei daher unzweifelhaft, daß ein solches Fuhrwerk und somit auch ein landwirtschaftlicher Anhänger rückwärts mit rot leuchtenden Lampen ausgestattet sein müsse, weil andernfalls der Schutzzweck der genannten Norm nicht erreicht werden könne, was sich zwi`gend aus dem letzten Satz des § 73 Abs 1 StVO ergebe.
Das Berufungsgericht halte eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 für gerechtfertigt, zumal den Kläger eine sehr erhebliche Verletzung der Aufmerksamkeitspflicht treffe. Er sei mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 60 km/h gefahren, obwohl er (zufolge seines Abblendlichtes) nur eine Strecke von 10 bis 15 m eingesehen habe; dadurch habe er die Vorschrift des § 20 Abs 1 StVO verletzt. Er habe auch das Licht des Traktors erst Sekundenbruchteile vor dem Anprall wahrgenommen, obwohl er bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit das rot leuchtende Rücklicht des Traktors, das sich an der rechten Rückseite desselben 1,20 m über dem Boden befunden habe, wahrnehmen hätte müssen.
Dem Erstbeklagten falle neben der Verletzung der Vorschriften des § 73 Abs 1 und 3 StVO die einleitende Fahrlässigkeit zur Last. Unter diesen Umständen sei eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 1 vorzunehmen.
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, "das angefochtene Urteil im Sinne einer Haftungsaufteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten des Klägers dahin abzuändern, daß dem Leistungsbegehren lediglich mit einem Betrag von S 111.886,27 sA stattgegeben und die Haftung der beklagten Parteien für lediglich ein Drittel der zukünftigen unfallskausalen Schäden des Klägers festgestellt wird; dies bei Einschränkung der Haftung der zweitbeklagten Partei der Höhe nach mit der Versicherungssumme betreffend den Traktor V 98.135"; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig; sachlich ist sie aber nicht berechtigt. Die Beklagten stellen mit ihren Revisionsausführungen gar nicht in Abrede, daß der vom Traktor des Erstbeklagten gezogene Anhänger nicht den gesetzlichen Vorschriften entsprechend beleuchtet war; sie versuchen aber darzutun, daß dem Fehlverhalten des Erstbeklagten geringeres Gewicht zukomme als dem des Klägers und daß daher eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers vorzunehmen sei.
Dem kann nicht gefolgt werden.
Die Vorinstanzen sind zutreffend davon ausgegangen, daß nicht zum Verkehr zugelassene landwirtschaftliche Anhänger mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 10 km/h (§ 62 Abs 1 Z 1 KDV), die im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebes von Zugmaschinen gezogen werden, den Beleuchtungsvorschriften der §§ 60 Abs 3 und 73 Abs 1 StVO (§ 62 Abs 2 und § 57 Abs 3 KDV) unterliegen (Dittrich-Stolzlechner, StVO3 II Rz 4 zu § 73 und die dort angeführte Judikatur). Es handelt sich hier um Schutzvorschriften im Sinne des § 1311 ABGB, denen für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zukommt (Dittrich-Stolzlechner aaO Rz 13 zu § 60 und die dort angeführte Judikatur). Eine nähere Erörterung der von den Beklagten in ihrer Rechtsrüge aufgeworfenen Frage, an welchen Stellen des Anhängers die im § 73 Abs 1 StVO vorgeschriebenen beiden Lampen anzubringen gewesen wären, kann unterbleiben. An dem vom Traktor des Erstbeklagten gezogenen Anhänger waren solche Lampen nach den Feststellungen der Vorinstanzen überhaupt nicht angebracht. Durch die Beleuchtung des Zugfahrzeuges wird die vorgeschriebene Beleuchtung des Anhängers in keiner Weise ersetzt und die durch das Ziehen eines unbeleuchteten Anhängers geschaffene Gefahrenlage keinesfalls entscheidend entschärft. Der Nachweis, daß sich der Unfall in gleicher Weise ereignet hätte, wenn der Erstbeklagte den von ihm verwendeten Anhänger ordnungsgemäß beleuchtet hätte, wurde nicht erbracht.
Auch der Kläger hat Verkehrsvorschriften, denen für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zukommt, verletzt, wenn er nach den Feststellungen der Vorinstanzen das aus § 20 Abs 1 StVO abzuleitende Gebot des Fahrens auf Sicht übertrat (siehe dazu Dittrich-Stolzlechner, StVO3 I § 20 Anm. 44 und die dort angeführte Judikatur) und der vor ihm gegebenen Verkehrslage nicht die erforderliche Aufmerksamkeit zuwendete.
Im Ergebnis sind somit sowohl dem Kläger als auch dem Erstbeklagten Verstöße gegen Schutzvorschriften, denen für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zukommt, anzulasten. Zieht man in Betracht, daß der Erstbeklagte durch die Unterlassung der vorschriftsgemäßen Beleuchtung des von seinem Traktor gezogenen Anhängers eine äußerst gefahrenträchtige Situation herbeigeführt und das den Unfall einleitende Fehlverhalten gesetzt hat, dann können sich nach den Umständen des hier vorliegenden Falles die Beklagten durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 nicht für beschwert erachten.
Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E14614European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00026.88.0628.000Dokumentnummer
JJT_19880628_OGH0002_0020OB00026_8800000_000