TE OGH 1988/6/29 14Os189/87 (14Os190/87)

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Veröffentlicht am 29.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.Juni 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Forsthuber als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr.Friedrich Wilhelm K*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 15.Juni 1987, AZ Jv 7762-17d/87, und des Oberlandesgerichtes Wien (als Beschwerdegericht) vom 15.Oktober 1987, AZ 25 Bs 239/87, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Knob, und des Verteidigers Dr. Weh, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Dr.Friedrich Wilhelm K*** wurde mit dem Urteil eines Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Korneuburg vom 18. Dezember 1984, GZ 10 Vr 949/82-570, im Schuldspruch bestätigt mit Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2.Juli 1986, GZ 9 Os 76/85-27, des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Vergehens nach § 36 Abs. 1 lit a WaffG schuldig erkannt. Am 3.November 1986, eingelangt bei Gericht am 19.November 1986, beantragte der Verurteilte die Wiederaufnahme dieses Strafverfahrens (ON 1015), wobei er dies (vgl auch die Ergänzung des Antrages mit Schriftsatz ON 1020) unter anderem damit begründete, daß zwei Mitglieder des Schwurgerichtshofes im erstinstanzlichen Verfahren, nämlich die Richter Dr.R*** und Dr.F***, vom Richteramt in der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen seien, weil sie im Zuge der (ergänzten) Voruntersuchung als stimmführende Mitglieder an Ratskammerentscheidungen mitgewirkt hätten (vgl S 43 ff und 60 ff/Bd XXII).

Mit Beschluß vom 5.Mai 1987 wies das Kreisgericht Korneuburg diesen Wiederaufnahmsantrag ab (ON 1046). Dagegen erhob der Verurteilte rechtzeitig Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien (ON 1057); unter einem lehnte er den - inzwischen zum Richter des Oberlandesgerichtes ernannten und jenem oberlandesgerichtlichen Senat, der nach der Geschäftsverteilung zur Entscheidung über die Beschwerde berufen ist, angehörenden - Richter Dr.R*** im wesentlichen mit der Begründung als befangen ab, es komme einem Judizieren in eigener Sache gleich, wenn der Genannte (nunmehr) als Rechtsmittelrichter die Frage (mit-)beurteilt, ob seine behauptete Ausgeschlossenheit von der Mitwirkung an der Hauptverhandlung im erstinstanzlichen Verfahren einen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstelle.

Diesem Ablehnungsantrag gab der (gemäß § 74 Abs. 1 StPO zur Entscheidung zuständige) Präsident des Oberlandesgerichtes Wien mit (im Akt 10 Vr 949/82 des Kreisgerichtes Korneuburg nicht erliegenden) Beschluß vom 15.Juni 1987, AZ Jv 7762-17d/87, nicht Folge, weil der Umstand, daß Dr.R*** einmal an einer Entscheidung der Ratskammer über die Haftfrage in dieser Strafsache mitgewirkt und sodann den Vorsitz in der Hauptverhandlung geführt hat, weder einen Ausschließungsgrund gemäß § 69 StPO noch einen tauglichen Grund bilde, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Die dagegen erhobene Beschwerde des Antragstellers wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 2.September 1987, GZ 14 Os 111/87-7, als unzulässig zurück.

Mit Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 15.Oktober 1987, AZ 25 Bs 239/87 (= ON 1086), wurde sodann der Beschwerde des Verurteilten gegen die Abweisung seines Wiederaufnahmsantrages nicht Folge gegeben; diese Entscheidung erging unter Mitwirkung des Richters des Oberlandesgerichtes Dr.R***.

Rechtliche Beurteilung

Nach Auffassung der Generalprokuratur verletzen der Beschluß des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien vom 15.Juni 1987, AZ Jv 7762-17d/87, und der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. Oktober 1987, AZ 25 Bs 239/87, das Gesetz in der Bestimmung des § 69 bzw § 72 StPO. Zur Begründung wird hiezu in der deshalb gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde ausgeführt:

"Nach § 69 Z 1 und 2 StPO sind Mitglieder von Gerichten höherer Instanzen, insbesondere auch von der Verhandlung über alle Strafsachen, in denen sie als Untersuchungsrichter tätig waren, sowie von der Verhandlung über Rechtsmittel gegen alle Entscheidungen ausgeschlossen, bei denen sie selbst in einer unteren Instanz an der Abstimmung teilgenommen haben. Der diesen Bestimmungen innewohnende Grundgedanke zielt offensichtlich darauf ab, die Mitwirkung eines Richters im Rechtsmittelverfahren zu verhindern, der an einer Strafsache schon in einem früheren Verfahrensstadium in einem Maße beteiligt war, das ihm eine Meinungsbildung über die Schuld des Angeklagten ermöglichte und daher seine Unvoreingenommenheit beeinträchtigen könnte. Gegen diesen Grundgedanken wurde im vorliegenden Fall verstoßen. Dr.R*** war Vorsitzender des Schwurgerichtshofes in erster Instanz. Wäre er als Untersuchungsrichter tätig gewesen, bestünde an seiner Ausschließung kein Zweifel (§ 69 Z 1 StPO). Gegen eine solche scheint nur der Wortlaut des § 69 Z 2 StPO zu sprechen. Denn an der (Abstimmung über die) Entscheidung über die Abweisung des Wiederaufnahmsantrages des Dr.K*** (die im Beschwerdeverfahren in zweiter Instanz zu behandeln war) hatte Dr.R*** tatsächlich nicht teilgenommen. Da aber § 69 StPO einerseits nur eine beispielsweise Aufzählung von Ausschließungsgründen enthält (arg:

"insbesondere auch"; SSt 31/123; Bertel2 RN 163) und § 69 Z 2 StPO andererseits nicht wörtlich auszulegen ist (vgl Lohsing-Serini 128), muß im Hinblick auf die (über die Tätigkeit eines Untersuchungsrichters im Sinne des § 69 Z 1 StPO sogar hinausgehende) Beteiligung des Richters des Oberlandesgerichtes Wien Dr.R*** als Vorsitzender des Schwurgerichtshofes im erstinstanzlichen Verfahren auch bei der vorliegenden Fallgestaltung dessen Ausschließung angenommen werden. Dies umso mehr, als der im Rechtsmittelverfahren zu behandelnde Wiederaufnahmsantrag - wie bereits erwähnt - ua damit begründet worden war, Dr.R*** sei vom Richteramt in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen, sodaß dessen Mitwirkung an der Beschwerdeentscheidung tatsächlich einem Judizieren in eigener Sache gleichkam. Zumindest aber lag in bezug auf den Richter des Oberlandesgerichtes Wien Dr.R*** ein Ablehnungsgrund im Sinne des § 72 StPO vor, der nicht bloß bei einer tatsächlichen Befangenheit des Richters angenommen werden muß, sondern bereits beim Anschein einer Befangenheit gegeben ist (Foregger-Serini StPO3 Erl I zu § 72; Bertel2 RN 164). Ein solcher Anschein ergibt sich jedenfalls daraus, daß im Wiederaufnahmsverfahren die Frage der eigenen Ausschließung des Dr.R*** von der Hauptverhandlung releviert worden war und daß Dr.R*** hierüber im Beschwerdeverfahren (mit-)zuentscheiden hatte. Darauf, ob vom Verurteilten mit dem bezüglichen Vorbringen auch der Sache nach ein gesetzlicher Wiederaufnahmsgrund geltend gemacht worden war, kommt es im gegebenen Zusammenhang nicht an."

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

Was zunächst die reklamierte Verletzung der Vorschrift des § 69 StPO betrifft, so ist daran festzuhalten, daß die im Gesetz normierten Ausschließungsgründe taxativ aufgezählt sind (vgl Roeder Lehrbuch2 62; ebenso Lohsing-Serini 126 und Foregger-Serini StPO3 109; idS bereits KH 933); eine Ausdehnung auf andere als die in den §§ 67 ff StPO ausdrücklich angeführten Gründe im Wege der Analogie kommt im Hinblick auf die Konzeption dieser Bestimmungen, die eine planwidrige Gesetzeslücke nicht erkennen läßt, nicht in Betracht (aM Bertel Strafprozeßrecht2 RN 163). Das gilt insbesondere (auch) für § 69 StPO, weil die darin enthaltene Formulierung "insbesondere auch" nur zum Ausdruck bringt, daß neben den besonderen Ausschließungsgründen für Richter in höherer Instanz auch die allgemeinen Ausschließungsgründe, vor allem jene des § 68 StPO, gelten (so treffend Foregger-Serini aaO 110 unter Bezugnahme auf SSt 31/123 = EvBl 1961/165 = RZ 1961, 83). Daß § 69 Z 2 StPO hinwieder nur von Richtern spricht, die in einer unteren Instanz "an der Abstimmung teilgenommen haben", aber gleichermaßen auch für Einzelrichter (des Gerichtshofes oder des Bezirksgerichtes) gilt, ist Ergebnis teleologischer Auslegung und nicht einer Lückenschließung durch Analogie; daraus kann somit ebenfalls für die in der Nichtigkeitsbeschwerde vertretene Rechtsansicht nichts gewonnen werden.

Demnach war Richter Dr.R*** bei der vorliegenden

Fallgestaltung von der Mitwirkung an der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 15.Oktober 1987, AZ 25 Bs 239/87, weder nach dem Wortlaut noch nach der ratio des Gesetzes ausgeschlossen. Nicht beigepflichtet werden kann aber auch der weiteren Rüge der Generalprokuratur, wonach durch die Verweigerung der Ablehnung des genannten Richters des Oberlandesgerichtes wegen Befangenheit gegen die Bestimmung des § 72 StPO verstoßen worden sei. Das Wesen der Befangenheit besteht in der Hemmung einer unparteiischen Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive, für deren Vorliegen zureichende Umstände glaubhaft gemacht werden müssen. Richtig ist, daß grundsätzlich schon der Anschein einer solchen Befangenheit genügt und das Vorliegen einer tatsächlichen Befangenheit nicht erforderlich ist. Aber auch ein derartiger Anschein setzt voraus, daß konkrete Umstände dargetan werden, die geeignet erscheinen, aus der Sicht eines objektiven Beurteilers die volle Unbefangenheit des betreffenden Richters aus persönlichen Gründen in Zweifel zu ziehen; daß sich gegebenenfalls die Rechtsansicht des Richters mit jener der Partei nicht deckt, reicht hiefür nicht aus (vgl JBl 1954, 286; EvBl 1973/326). Solche persönlichen Gründe, die auch nur den Anschein erwecken könnten, Richter Dr.R*** würde sich bei der - nicht eine Tatfrage, sondern (bei insoweit klarer Rechtslage) ausschließlich die gesetzlichen Voraussetzungen der Wiederaufnahme eines Strafverfahrens betreffenden - Entscheidung als Mitglied des über die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg vom 5.Mai 1987 erkennenden oberlandesgerichtlichen Senates von anderen als sachlichen, nämlich gesetzwidrigen Erwägungen leiten lassen, wurden aber im Ablehnungsantrag nicht dargetan. Die geäußerte bloße subjektive Besorgnis des Antragstellers, Richter Dr.R*** könnte allein deshalb (gesetzwidrig) für eine abweisliche Erledigung der Beschwerde votieren, weil ihm im Wiederaufnahmsantrag im gegebenen Zusammenhang eine Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Vorwurf gemacht wird, reicht nicht aus, um bei einem objektiven Beurteiler auch nur den Anschein einer Befangenheit dieses Richters bei der Beschwerdeentscheidung zu erwecken. Hiezu hätte es vielmehr der Dartuung zusätzlicher, auf die Person des abgelehnten Richters bezogener Umstände bedurft. Somit liegt auch ein Verstoß gegen die Bestimmung des § 72 StPO nicht vor, weshalb die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verwerfen war.

Anmerkung

E15622

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00189.87.0629.000

Dokumentnummer

JJT_19880629_OGH0002_0140OS00189_8700000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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