TE OGH 1988/6/30 12Os47/88

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Veröffentlicht am 30.06.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 30. Juni 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Forsthuber als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Peter K*** wegen des Vergehens nach § 102 Abs. 1 Z 2 KartG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. September 1987, GZ 12 b Vr 13.940/84-28, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Der Angeklagte Dr. Peter K*** wurde mit dem angefochtenen Urteil des Vergehens nach § 102 Abs. 1 Z 2 KartG schuldig erkannt. Darnach hat er als Geschäftsführer der E*** L*** GmbH in der Zeit von Anfang März 1984 bis Ende September 1984 in Wien vorsätzlich ein Kartell der in § 1 Abs. 1 Z 4 KartG bezeichneten Art durchgeführt, bevor es in das Kartellregister eingetragen worden ist, indem er dem Inhaber der Parfümerie "N***", Gerhard H***, mit dem die E*** L*** GmbH einen Depotvertrag geschlossen hatte, durch die Übermittlung einer Liste mit Endverkaufspreisen die Einhaltung bestimmter Preise empfahl, wodurch im gemeinsamen Interesse eine Beschränkung des Wettbewerbs bei den Preisen bewirkt werden sollte, und er zur Durchsetzung dieses Zweckes wirtschaftlichen Druck ausübte, indem er Gerhard H*** eine Liefersperre androhte und die genannte Parfümerie tatsächlich nicht bzw. nur mit einem Teil der bestellten Waren belieferte.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil aus den Gründen der Z 5, 5 a, 9 lit. a und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist berechtigt.

Zutreffend macht der Beschwerdeführer nämlich Feststellungsmängel (Z 9 lit. a) geltend, welche die verläßliche Prüfung der Rechtsfrage verhindern, ob sich die ihm angelastete Tat auf ein Bagatellkartell bezog, dessen gänzliche oder teilweise Durchführung vorliegendenfalls nur dann (nach § 102 Abs. 1 Z 1 KartG) strafbar wäre, wenn dies entgegen einer vorläufigen Untersagung durch das Kartellgericht erfolgte.

Bagatellkartelle sind solche Kartelle, die im Zeitpunkt ihres Zustandekommens an der Versorgung des gesamten inländischen Marktes mit Waren (Leistungen) zur Befriedigung desselben Bedarfes unter den gegebenen Marktverhältnissen einen Anteil von weniger als 5 % (§ 2 Abs. 1 Z 1 KartG) und von weniger als 25 % an der Versorgung eines allfälligen örtlichen Teilmarktes (Z 2) haben. Bei der Prüfung, welche Waren der Befriedigung desselben Bedarfes dienen (vgl. § 41 KartG), ist auf den örtlich, zeitlich und sachlich relevanten Markt für solche Waren abzustellen, wie sie Gegenstand des Kartells sind, d. h. also nicht für alle Waren, die von den zusammengeschlossenen Unternehmen überhaupt umgesetzt werden (Leukauf-Steininger Nebengesetze2 § 1 KartG Anm. C; Mayerhofer-Rieder Nebenstrafrecht2 § 2 KartG Anm. 1). Der Normzweck spricht für eine im Zweifel enge Abgrenzung des relevanten Marktes, denn nur sie stellt sicher, daß lediglich solche Wettbewerbsbeschränkungen als Bagatellkartelle qualifiziert werden, deren Auswirkungen auf die Marktpartner tatsächlich gering sind (Koppensteiner Wettbewerbsrecht 137, 138). In örtlicher Hinsicht ist der Markt im Falle der (hier allein aktuellen) Z 1 des § 2 Abs. 1 KartG bereits durch das Gesetz abgegrenzt ("... des gesamten inländischen Marktes ..."). In zeitlicher Hinsicht ist auf die Zeit der Durchführung des Kartells Bezug zu nehmen und auf jene Zeiteinheit abzustellen, für welche die Versorgung des Marktes in dem in Betracht kommenden Bereich üblicherweise erfaßt wird (vgl. Dittrich in ÖBl. 1973, 102). Bei Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes ist zu prüfen, welche Waren (Leistungen) aus der Sicht der jeweiligen Marktgegenseite (beim vorliegenden - den Einzelhandel

mitumfassenden - Zusammenschluß sohin aus der Sicht des Verbrauchers) mit den Kartellwaren (-leistungen) austauschbar sind; mit anderen Worten: welche Ausweichmöglichkeiten (außerhalb des Kartells) zur Verfügung stehen (Koppensteiner aaO 138, 139, 142). Unterschiede, die gegen die Austauschbarkeit sprechen, können zwar nicht nur in Verwendungszweck, Eigenschaften und Preis der Ware selbst (Koppensteiner aaO 138 f), sondern auch in Nebenumständen gelegen sein (ÖBl. 1974, 49). Entscheidend ist jedoch - sowohl in Ansehung von Nebenumständen als auch von)Unterschieden materieller Natur - ob es sich um für eine differenzierte Bedarfsdeckung charakteristische Verschiedenheiten (ÖBl. 1974, 143), sohin um solche handelt, die typischerweise (ÖBl. 1974, 49) der Nutzung von Ausweichmöglichkeiten durch die Marktgegenseite entgegenstehen. Grundsätzlich zutreffend ist daher der Einwand des Beschwerdeführers, das Erstgericht habe die Feststellung des Marktanteils der E*** L*** GmbH nicht auf jene Waren beschränkt, auf welche sich das angenommene Kartell bezogen habe. Tatsächlich ging das Erstgericht von einem 5 % übersteigenden Marktanteil dieser Gesellschaft in Ansehung von Waren aus, "wie sie Gegenstand der von der Gesellschaft abgeschlossenen Depotverträge sind" (US 6 oben), wobei es - dem Gutachten (§ 111 KartG) des Österreichischen Arbeiterkammertages folgend (US 21, 22 iVm ON 16) - den gesamten inländischen Markt für "Feinkosmetik" berücksichtigte, d.i. (lt. S 339/I) hochpreisige, nur in Parfümerien erhältliche Kosmetikware (im Gegensatz zur niederpreisigen, auch in Supermärkten abgegebenen "Konsumkosmetik"). Hiebei ließ es allerdings außer acht, daß der Depotvertrag des Gerhard H*** nach den Urteilsfeststellungen (US 6) lediglich das E*** L*** Duftprogramm betraf (vgl. S 79/I), und daß durch Androhung und teilweise Durchführung einer Liefersperre nur der Verkauf der Produkte aus diesem Programm in der Parfümerie des Genannten unter den empfohlenen Endverkaufspreisen verhindert werden sollte (US 7 erster und zweiter Abs.). Ein darüber hinaus gehendes Vorhaben des Angeklagten, durch die gegenständlichen Tathandlungen auch die Einhaltung der Preisempfehlungen hinsichtlich anderer - nicht zum "Duftprogramm" zählender - Waren der E*** L*** GmbH durchzusetzen, wurde im Urteil nicht festgestellt.

Der sachlich relevante Markt erfaßt daher zwar nicht allein - der Beschwerdeauffassung zuwider - solche Kosmetika, welche mit den einzelnen von Gerhard H*** vergeblich nachbestellten E*** L***-Produkten austauschbar sind, betrifft aber doch jedenfalls nur solche Waren, deren Austauschbarkeit mit den vom Teildepotvertrag umfaßten Erzeugnissen des E*** L***-Duftprogramms zu bejahen ist. Die Aktenlage deutet darauf hin, daß zumindest ein wesentlicher Sektor des der Marktanteilsberechnung zugrunde gelegten gesamten Feinkosmetikangebots, nämlich die "dekorative Kosmetik" (vgl. S 67 bis 71/I) von diesem Teildepotvertrag überhaupt nicht betroffen war (zum Gegenstand des "Duftprogramms" siehe S 73 bis 75/I). In diesem Falle wäre bei Prüfung des Marktanteils der E*** L*** GmbH von einem wenigstens um diesen Sektor eingeschränkten Inlandsmarkt auszugehen.

Auch aus einem weiteren vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grund sind die bisherigen Feststellungen hinsichtlich des spezifischen Marktanteils keine ausreichende Grundlage für die rechtliche Beurteilung, ob ein Bagatellkartell vorliegt. Die vom Erstgericht (und dem Österreichischen Arbeiterkammertag) getroffene Unterscheidung zwischen Märkten für Feinkosmetik einerseits und für Konsumkosmetik andererseits beruht nur auf Verschiedenheiten im Preisniveau und im Vertrieb. Allein aus dem Bestand solcher Unterschiede kann aber noch nicht abgeleitet werden, daß die Angebote an Feinkosmetik und an Konsumkosmetik nicht der Befriedigung desselben inländischen Bedarfes dienen (für den Bereich der Europäischen Gemeinschaften ersah deren Kommission zufolge Entscheidung vom 17. Dezember 1986, GRUR Int. 1987, 236 trotz insoweit vergleichbarer Rechtslage - dazu Koppensteiner aaO, 138 - keine Grundlage für eine Aufteilung des Kosmetikmarktes nach solchen Kriterien als gegeben). Insoweit bedarf es zusätzlicher Feststellungen über die durchschnittliche Größenordnung der Preisunterschiede und über die Erheblichkeit dieser Preisdifferenzen sowie über die Relevanz der Verschiedenheit der Vertriebsformen für die Bedarfsdeckung aus typischer Verbrauchersicht (insbesondere im Hinblick auf allenfalls damit verbundene Unterschiede in der den Konsumenten gebotenen individuellen Beratung). Solche Feststellungen hätten aufgrund der bisherigen Verfahrensergebnisse gar nicht getroffen werden können; erschöpfte sich doch das Gutachten des Österreichischen Arbeiterkammertages (ON 16) auf die Hervorhebung des bloßen Bestandes der beiden oberwähnten Unterschiede, wogegen jenes der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft (ON 15) die Frage des Marktanteils überhaupt unerwähnt ließ, ohne daß diese Unterlassung vom Gericht zum Anlaß genommen worden wäre, eine entsprechende Ergänzung des Gutachtens aufzutragen. Schon wegen der dargelegten Feststellungsmängel zeigt sich, daß die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, weshalb das angefochtene Urteil in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285 e StPO zur Gänze aufzuheben und ein zweiter Rechtsgang anzuordnen war, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte. Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht die Frage des relevanten Marktanteils (§ 2 Abs. 1 Z 1 KartG) nach den aufgezeigten Kriterien durch Einholung eingehender Gutachten der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft und des Österreichischen Arbeiterkammertages (§ 111 KartG) vorab zu klären haben.

Durch die Kassierung des gesamten Urteils ist die Berufung des Angeklagten gegenstandslos.

Anmerkung

E15106

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00047.88.0630.000

Dokumentnummer

JJT_19880630_OGH0002_0120OS00047_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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