Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ulrike W***, Handelsvertreterin, Graz, Stiegenweg 8, vertreten durch Dr. Teja H. Kapsch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Heinrich K***, Unternehmer, Stainz, Fabrikstraße 196, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in Graz, wegen Rechnungslegung und Leistung (Streitwert S 60.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 22. April 1988, GZ 6 R 74/88-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 27. Jänner 1988, GZ 8 Cg 164/87-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war für den Beklagten als selbständige Handelsvertreterin tätig. Mit der Behauptung, der Beklagte habe entgegen einer bestehenden Vereinbarung während der Vertragsdauer eine andere Person mit der Vertretung betraut, verlangt sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr eine Aufstellung hinsichtlich sämtlicher Verkaufsabschlüsse von Produkten, für die der Klägerin ein Provisionsanspruch auf Grund ihres Vertrages zusteht, für den Zeitraum 1. März bis 31. Dezember 1984 zu erstellen, die Vollständigkeit dieser Aufstellung zu beeiden und ihr Einsicht in die bezughabenden Geschäftsunterlagen zu gewähren sowie ihn schuldig zu erkennen, ihr die sich auf Grund der Rechnungslegung ergebende Provision zu zahlen, wobei sich der Beklagte von dieser Verpflichtung durch Zahlung von S 60.000,-- samt Anhang befreien könne.
Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren mit der Begründung abgewiesen, zur Ermittlung seines Provisionsanspruches stehe dem Handelsvertreter die Klage nach Art. XLII EGZPO nicht zu. Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt, und die Revision für zulässig erklärt.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Klägerin gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin kann selbst nicht bestreiten, daß die Judikatur seit Jahrzehnten einheitlich die Rechtsansicht vertritt, dem Handelsvertreter stünden gemäß § 15 HVG ausreichende Möglichkeiten zur Feststellung seines Provisionsanspruches zur Verfügung, weshalb zur Ermittlung dieses Anspruches die Zulassung einer Klage nach Art. XLII EGZPO nicht gerechtfertigt sei (EvBl 1977/4, EvBl 1974/70, SZ 26/25 ua.). Richtig ist, daß Jabornegg (Handelsvertreterrecht und Maklerrecht, 392 f) den gegenteiligen Standpunkt vertritt, wobei er sich auf jene Stellen beruft, die auch die Klägerin in ihrer Revision anführt. Allerdings deckt nur ein Teil dieser Stellen die aufgezeigte Rechtsansicht. So behandelt zum Beispiel Holzhammer (Zivilprozeßrecht 182) nur ganz allgemein die Stufenklage, ohne auf den speziellen Fall der Provisionsforderung des Handelsvertreters einzugehen. Das gleiche gilt für die Entscheidung SZ 38/129. In der SZ 23/190 wird ein Anspruch des Handelsvertreters auf Eidesleistung verneint, wobei ausdrücklich ausgeführt wird, daß das Anwendungsfeld des Art. XLII EGZPO möglichst begrenzt werden müsse. Hämmerle-Wünsch (HGB I3, 297) spricht nur von der nachträglichen Nennung des Klagsbetrages, ohne sich mit dem Problem der Stufenklage selbst auseinanderzusetzen. Es verbleibt also als eindeutiger Beleg für die Rechtsansicht der Klägerin ausschließlich die erwähnte Stelle bei Jabornegg.
Nach neuerlicher Überprüfung der Frage schließt sich der erkennende Senat der nunmehr ständigen Judikatur seit Ende des letzten Krieges an. Es darf nicht übersehen werden, daß Art. XLII EGZPO eine Ausnahme von dem Grundsatz der Bestimmtheit eines Klagebegehrens bildet. Eine solche Ausnahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn dem Kläger keine andere Möglichkeit zur Eruierung der Höhe seiner Forderung zur Verfügung steht. Gibt ihm dagegen das Gesetz eine andere ausreichende Möglichkeit in die Hand, so ist es nicht gerechtfertigt, auf das aus dem Rahmen der allgemeinen Grundsätze der ZPO fallende Institut des Art. XLII EGZPO zurückzugreifen. In einem solchen Fall ist nämlich der ausnahmsweise geschaffene Notbehelf nicht mehr erforderlich.
Durch § 15 HVG wird dem Handelsvertreter die Möglichkeit gegeben, geeignete Schritte zur Feststellung der Höhe seiner Provision zu unternehmen. Daß sich diese Möglichkeiten nicht zur Gänze mit dem Inhalt des Art. XLII EGZPO decken und daß unter Umständen die in der letztgenannten Bestimmung vorgesehenen Schritte für den Kläger etwas günstiger zu handhaben sind, spielt hiebei keine Rolle. Entscheidend ist nur, daß durch die Bestimmung des § 15 HVG die Gefahr für den Handelsvertreter, keinerlei Anhaltspunkte für die Höhe seiner Forderung zu erlangen, beseitigt worden ist. Dieser Umstand läßt aber ein Hilfsmittel, wie es Art. XLII EGZPO bietet, als entbehrlich erscheinen.
Aus dem Wortlaut des § 15 HVG kann nichts gegenteiliges entnommen werden. Der Ausdruck "auch vor dem Prozesse" kann im gesamten Zusammenhang des § 15 Abs 2 HVG nur dahin verstanden werden, daß die Möglichkeit der Erlangung eines Buchauszuges bereits vor Einleitung eines Prozesses besteht, nicht jedoch dahin, daß damit die Möglichkeit eines Vorgehens nach § 15 HVG neben anderen gerichtlichen Schritten geschaffen werden sollte.
Der erkennende Senat tritt daher der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes bei. Ob eine andere rechtliche Konsequenz zu ziehen wäre, wenn die Möglichkeiten nach § 15 HVG aus Gründen nicht zielführend wären, die nicht beim Handelsvertreter liegen (etwa weil sein Partner keine Bücher führt), muß nicht erörtert werden, weil derartiges hier nicht behauptet worden ist.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E14892European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00614.88.0630.000Dokumentnummer
JJT_19880630_OGH0002_0070OB00614_8800000_000