TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/27 2003/18/0245

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Veröffentlicht am 27.09.2005
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Index

19/05 Menschenrechte;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §35 Abs2;
FrG 1997 §35 Abs3;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
MRK Art8 Abs2;
StGB §127;
StGB §128 Abs1 Z4;
StGB §130;
StGB §70;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des R, geboren 1978, vertreten durch Dr. Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 30. Juli 2003, Zl. SD 258/03, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 30. Juli 2003 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und § 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein befristetes Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Mai 1992 nach Österreich eingereist. Er habe bis 3. April 1998 Aufenthaltsbewilligungen und zuletzt am 25. Mai 1998 eine unbefristete Niederlassungsbewilligung erhalten.

Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 1. Oktober 2002 ist er gemäß § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4 und § 130 (zweiter Satz) StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, davon 18 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Zeitraum von Juni 2000 bis Juli 2001 in mehreren Angriffen acht LKW-Reifen im Gesamtwert von EUR 2.325,52 sowie im Zeitraum von 18. bis 19. September 2001 mit einem Mittäter 70 LKW-Reifen im Gesamtwert von EUR 17.296,13 gewerbsmäßig gestohlen habe.

Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt. Das dieser Verurteilung zu Grunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich im Grund des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - als gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer lebe seit elf Jahren in Österreich und verfüge hier über familiäre Beziehungen zu seiner Ehefrau und seinem eineinhalbjährigen Sohn. Daher sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG auszugehen. Dessen ungeachtet sei die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums Dritter - dringend geboten. Die gewerbsmäßige Tatbegehung verdeutliche, dass der Beschwerdeführer nicht gewillt sei, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten strafrechtlichen Normen seines Gastlandes einzuhalten. Unter diesem Blickwinkel sei auch seine durchgehende Erwerbstätigkeit zu relativieren, die überdies durch einen permanenten Arbeitgeberwechsel gekennzeichnet sei.

Im Rahmen der gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1992 Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen, dass einer daraus ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt worden sei. Die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers müssten gegenüber den - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen an der Verhinderung der Eigentumskriminalität in den Hintergrund treten. Die Auswirkungen der vorliegenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Den Kontakt zu seiner Familie könne der Beschwerdeführer auch vom Ausland aus - wenn auch eingeschränkt - insofern aufrechterhalten, als er von dieser dort besucht werden könne. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig.

Die aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen der §§ 35 und 38 FrG stünden der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen. Unter dem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" sei der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer vor Eintritt der für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände - im Zeitraum Juni 2000 bis Juli 2001 - weniger als zehn Jahre im Bundesgebiet niedergelassen gewesen sei, hätten ihm schon deshalb die Bestimmungen des § 35 Abs. 3 FrG nicht zugute kommen können.

Da die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG im selben Sinn zu verstehen sei und der Beschwerdeführer zum danach relevanten Zeitpunkt noch nicht seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet gehabt habe, erfülle er auch nicht die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz, sodass § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG dem vorliegenden Aufenthaltsverbot nicht entgegenstehe.

Im Hinblick auf Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftat sowie angesichts der wiederholten und gewerbsmäßigen Tatbegehung könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens auch unter Berücksichtigung seiner familiären Situation nicht in Kauf genommen werden.

Vor Ablauf des für das Aufenthaltsverbot festgesetzten Zeitraumes könne in Anbetracht der vom Beschwerdeführer gesetzten Straftaten ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt seiner Person im Bundesgebiet, nicht erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen "Verletzung subjektiver öffentlicher Rechte" aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittene rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, bestehen gegen diese Beurteilung keine Bedenken.

2. Nach den unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 1. Oktober 2002 gemäß § 127, § 128 Abs. 1 Z. 4 und § 130 zweiter Satz StGB wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Diebstahles zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Jahren, davon 18 Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt. Diesem Urteil liegt der Diebstahl von insgesamt 78 LKW-Reifen zu Grunde, wobei der Beschwerdeführer im Zeitraum Juni 2000 bis Juli 2001 - also über 13 Monate hinweg - in mehreren Angriffen acht LKW-Reifen im Gesamtwert von EUR 2.325,52 gestohlen hat. In der Zeit von 18. bis 19. September 2001 hat er dann unter Zuhilfenahme eines Mittäters weitere 70 LKW-Reifen im Gesamtwert von EUR 17.296,13 erbeutet. Der Beschwerdeführer hat die Intensität seines strafbaren Verhaltens zuletzt stark gesteigert. Darüber hinaus hat er diese Diebstähle gewerbsmäßig begangen. Gerade die in der gewerbsmäßigen Tatbegehung gelegene Tendenz des Fremden, sich durch die wiederkehrende Begehung einer strafbaren Handlung eine fortlaufende Einnahme zu sichern, stellt für sich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit dar (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2005, Zl. 2002/18/0289). Durch sein schwer wiegendes Fehlverhalten hat der Beschwerdeführer dem großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität zuwidergehandelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2004, Zl. 2000/18/0224, mwN).

Vor diesem Hintergrund begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers, das erkennende Gericht sei davon ausgegangen, dass er durch die Verbüßung von "lediglich einem Viertel" der ansonst bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten werden könne, ist für seinen Standpunkt nichts gewonnen, weil die Fremdenpolizeibehörden bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eine fremdenrechtliche Prognose zu stellen haben und an die gerichtlichen Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung oder einer bedingten Strafnachsicht nicht gebunden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 99/18/0419, mwN).

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde den langjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und seine Bindungen zu seiner Ehefrau und seinem Kind sowie seine durchgehende Erwerbstätigkeit berücksichtigt. Zutreffend hat sie einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff in sein Privat- und Familienleben angenommen. Wenn die belangte Behörde angesichts des dargestellten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers dennoch die Erlassung dieser Maßnahme im Licht des § 37 Abs. 1 FrG für zulässig, weil dringend geboten, erachtet hat, so ist dies in Ansehung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Rechte anderer nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Unter Zugrundelegung dieses maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorgenommenen Abwägung als unbedenklich. Wenngleich die für einen Verbleib in Österreich sprechenden persönlichen Interessen beträchtlich sind, kommt diesen jedenfalls kein größeres Gewicht zu als dem durch sein Fehlverhalten (vgl. II.2.) nachhaltig gefährdeten Allgemeininteresse.

Die Auffassung der belangten Behörde, dass § 37 Abs. 1 und 2 FrG der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehe, begegnet daher keinen Bedenken.

Dem Vorbringen betreffend fehlende Beziehungen zu seinem Heimatland ist entgegenzuhalten, dass durch § 37 FrG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs nicht gewährleistet wird und mit einem Aufenthaltsverbot nicht darüber abgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. aus der hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 27. Juni 2001, Zl. 2000/18/0038). Im Übrigen ist seinem Vorbringen zu entgegnen, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er nicht von seiner Familie ins Ausland begleitet oder nicht zumindest ein, wenn auch eingeschränkter Kontakt zwischen ihm und seiner Familie durch Besuche im Ausland aufrechterhalten werden könnte. Abgesehen davon müssen jedoch die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden.

4. Letztlich vermag der Beschwerdeführer mit seinem Hinweis, dass er seit elf Jahren in Österreich lebe, auch im Licht des § 38 FrG nichts zu gewinnen.

Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 oder 2 FrG wegen des maßgeblichen Sachverhalts unzulässig wäre. Eine Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG ist (u.a.) in den Fällen des § 35 FrG unzulässig. Nach der hg. Rechtsprechung ist unter dem Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts" im Sinn des § 35 Abs. 2 FrG der Zeitpunkt vor Eintritt des ersten der in ihrer Gesamtheit für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Umstände zu verstehen, wobei es sich beim "maßgeblichen Sachverhalt" im Fall eines auf strafbaren Handlungen gegründeten Aufenthaltsverbotes nicht um die Verurteilungen bzw. die Bestrafungen, sondern um das zu Grunde liegende Fehlverhalten handelt.

Der Beschwerdeführer war bei Verwirklichung des ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstandes (hier: der Diebstahl von LKW-Reifen im Zeitraum Juni 2000 bis Juli 2001) noch nicht zehn Jahre in Österreich aufhältig. Daher kann für ihn die Regelung des § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 3 FrG nicht zum Tragen kommen. Da der weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers - wie bereits dargestellt - angesichts des seiner Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhaltens die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet, erweist sich das Aufenthaltsverbot gemäß § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 2 FrG als zulässig.

Die Aufenthaltsverbot-Verbotsgründe des § 38 Abs. 1 Z. 3 bzw. Z. 4 FrG liegen nicht vor, weil der im Alter von 14 Jahren nach Österreich gekommene Beschwerdeführer weder im Zeitpunkt der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte (Z. 3) noch von klein auf im Inland aufgewachsen ist (Z. 4).

5. Für die belangte Behörde bestand auch keine Veranlassung von dem ihr gemäß § 36 Abs. 1 FrG bei der Verhängung eines Aufenthaltsverbotes zukommenden Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen, sind doch weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.

6. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 27. September 2005

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003180245.X00

Im RIS seit

11.11.2005

Zuletzt aktualisiert am

07.12.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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