TE OGH 1988/7/5 10ObS189/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Eberhard Piso (Arbeitgeber) und Walter Hartl (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Josef D***, Beamter, 1220 Wien, Schickgasse 24/2/5, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** Ö*** B*** (B***), 1080 Wien, Josefstädter Straße 80, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen S 560,62 und Feststellung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. März 1988, GZ 33 Rs 236/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 29. September 1987, GZ 21 Cgs 1028/87-7, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an

das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Revisionskosten sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 2. Juni 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung unter Berufung auf die §§ 88 ff B-KUVG ab, weil keine der in der Anlage 1 des ASVG bezeichneten Berufskrankheiten vorliege. Der Kläger leide zwar seit 1980 an einer Bewegungseinschränkung der rechten und linken Hüfte, die durch seine langjährige Tätigkeit als Pilot des Österreichischen Bundesheeres, und zwar durch die bei Hubschraubern entstehenden Vibrationen, hervorgerufen worden sei. Diese Erkrankung scheine jedoch unter diesen Voraussetzungen nicht in der erwähnten Liste der Berufskrankheiten auf.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage vertrat der Kläger im wesentlichen die Rechtsansicht, daß es sich bei seinem Hüftleiden um eine in der LfdNr 20 der Liste der Berufskrankheiten genannte Erkrankung "durch Erschütterung bei der Arbeit mit Preßluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie zB Motorsägen) sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen" handle. Weil die beklagte Partei seine Berufskrankheit nicht anerkenne, habe sie von ihm entgegen § 96 Abs. 3 B-KUVG Behandlungsbeiträge von S 560,62 eingehoben, die der Kläger zurückverlangt. Zur Vermeidung weiterer Leistungsstreitigkeiten begehrt er weiters die Feststellung, daß er nicht verpflichtet ist, für künftige Behandlungen seines Hüftleidens (Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe) einen Behandlungsbeitrag an die beklagte Partei zu entrichten.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Sie gestand zu, daß die Hüftgelenksleiden des Klägers - medizinisch gesehen - auf seine langjährige Tätigkeit als Hubschrauberpilot zurückzuführen sind, vertrat aber die Rechtsansicht, daß Hubschrauber nicht zu den in der zitierten LfdNr der Berufskrankheitenliste genannten Werkzeugen und Maschinen gehören. Das Erstgericht gab der Klage statt, weil es sich der Rechtsansicht des Klägers anschloß.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das angefochtene Urteil durch Abweisung der Klage ab. Es sprach aus, daß der Wert des Gegenstandes seiner Entscheidung S 30.000,-- nicht übersteigt und daß die Revision nach § 46 Abs. 2 Z 1 ASGG zulässig sei. Die zweite Instanz teilte die Rechtsmeinung der beklagten Partei und verwies auf den im § 177 Abs. 2 ASVG (richtig wäre im vorliegenden Fall § 92 Abs. 3 B-KUVG) vorgesehene Möglichkeit, die Krankheit des Klägers im Einzelfall als Berufskrankheit festzustellen, welche Feststellung jedoch zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung bedürfe und deshalb aus verfassungsrechtlichen Gründen nur von der Versicherungsanstalt, nicht aber von den Arbeits- und Sozialgerichten vorgenommen werden könne.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs. 2 ASGG zulässige Revision ist iS des Eventualantrages berechtigt.

Die Erkrankungen, die vor Inkrafttreten des ASVG in Österreich als entschädigungspflichtige Berufskrankheiten zu gelten hatten, waren in der Anlage zur 3. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 16. Februar 1936 dRGBl. I 1117 idF der 4. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 29. Jänner 1943 dRGBl. I 85 aufgezählt. Die Vorschriften der

3. Berufskrankheitenverordnung wurden in Österreich gleichzeitig mit der Einführung der Reichsversicherungsordnung am 1. Jänner 1939 wirksam (599 BlgNR 7.GP 63). Die hier fragliche Bestimmung war in diesem Zeitpunkt als LfdNr 16 der Anlage enthalten und lautete "Erkrankungen der Muskeln, Knochen und Gelenke durch Arbeit mit Preßluftwerkzeugen". In der Fassung der zit 4. Verordnung lautete die Nr 16 der Anlage "Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Preßluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen". Diese Fassung wurde als LfdNr 20 der Anlage 1 unverändert in das ASVG übernommen. Nach der zur 3. Berufskrankheitenverordnung ergangenen Judikatur waren unter Preßluftwerkzeugen alle tragbaren, mit Preßluft angetriebenen Arbeitsgeräte zu verstehen; ein Werkzeug sei ein Hilfsmittel, das in und mit der Hand geführt werden müsse (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung II 58. Nachtrag 491 c I). Die weitere Fassung der

4. Berufskrankheitenverordnung war jedoch mit einer Anwendung der Vorschrift nur auf tragbare Gegenstände nicht mehr vereinbar. Die Vorschrift war seither nicht mehr auf mit der Hand zu führende Werkzeuge beschränkt, sondern erfaßte auch gleichartig wirkende stationäre Maschinen (Brackmann aaO; Bauer, Die 4. Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten AN 1943, 133). Eine Einschränkung dahin, daß sich die geschützte Person außerhalb der Maschine befinden müßte, von der die Beeinträchtigung ausgeht, ließ sich und läßt sich aus der Bestimmung nicht ableiten, sofern nur die Einwirkung auf den Menschen in einer Weise auftritt, die gleichartig wirkt wie die Erschütterung durch ein Preßluftwerkzeug. Weil die Gleichartigkeit der Wirkung mit Preßluftwerkzeugen als Voraussetzung für die Qualifikation einer Erkrankung als Berufskrankheit nach dieser Bestimmung vorausgesetzt wurde, wurde die konkrete Beeinträchtigung auch immer mit der Wirkung von Druckluftwerkzeugen verglichen und insbesondere die für Druckluftwerkzeuge charakteristische hohe Schlagzahl und die hievon ausgehende Beeinträchtigung als Kriterium herangezogen (so auch Brackmann aaO 491 c II). Zu den Preßluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen wie Anklopfmaschinen wurden nur Geräte gezählt, bei denen Druckluft und ähnliche Energien zum Antrieb verwendet wurden und der Antrieb in der Längsrichtung in stoßender Form mit einer bestimmten hohen Frequenz der Schlagzahlen erfolgte, wobei der diese Geräte bedienende Arbeiter nur die Richtung, nicht aber die Kraft und die Frequenz der Stöße beeinflussen konnte (SVSlg. 6802, 16.277 a = 18.189). Auf diese Grundsätze berief sich auch die Entscheidung SSV 19/74. Durch Art V Z 27 der 33. ASVGNov BGBl 1978/684 erhielt die LfdNr 20 der Anlage 1 zum ASVG mit Wirkung vom 1. Jänner 1979 die nunmehrige Fassung: "Erkrankungen durch Erschütterung bei der Arbeit mit Preßluftwerkzeugen und gleichartig wirkenden Werkzeugen und Maschinen (wie zB Motorsägen) sowie durch Arbeit an Anklopfmaschinen". Die Gesetzesmaterialien führten dazu aus, daß der österreichische Landarbeiterkammertag angeregt habe, die sogenannte Weißfingerkrankheit, ds vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, in die Liste der Berufskrankheiten aufzunehmen. In der Begründung dieser Anregung sei darauf hingewiesen worden, daß diese Erkrankung aufgrund der bei Untersuchungen von Waldarbeitern in der Bundesrepublik Deutschland gewonnenen Erkenntnisse mit Wirkung ab 1. Jänner 1977 vom deutschen Gesetzgeber in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sei. In seiner Stellungnahme zu dieser Anregung habe das Zentral-Arbeitsinspektorat vom arbeitsmedizinischen Standpunkt darauf hingewiesen, daß die in Rede stehenden Tätigkeiten im Rahmen des ASVG ebenfalls unter besonderen Versicherungsschutz gestellt werden sollten. In diesem Zusammenhang habe das Zentral-Arbeitsinspektorat auch auf die geltende Bestimmung der Z 20 der Anlage 1 hingewiesen und dazu ausgeführt, daß es sich bei Erkrankungen nach dieser Ziffer wohl überwiegend um Gelenks- und Knochenveränderungen handle, doch würden dabei oft auch begleitende Durchblutungsstörungen im Bereich der Finger beobachtet. Die Häufigkeit solcher Begleiterscheinungen werde im Schrifttum zum Teil unterschiedlich angegeben. Zufolge der sehr kleinen Zahl von Erkrankungen nach Z 20 lägen diesbezüglich zu wenig inländische Erfahrungen vor. Nach den ausländischen Publikationen sei es insbesonders von der Frequenz der Schwingungen abhängig, ob sich Schäden an den Gelenken manifestieren oder Gefäßreaktionen im Fingerbereich verursacht würden. Bei höheren Frequenzen würden meist nur Durchblutungsstörungen vermerkt. Die Weißfingerkrankheit solle daher in der Form als entschädigungspflichtige Berufskrankheit berücksichtigt werden, daß die bereits geltende Z 20 der Anlage 1 zum ASVG ergänzt werde. Durch diese Ergänzung werde ausdrücklich festgelegt, daß die Motorsägen den als "gleichwertig wirkenden Maschinen und Werkzeugen" zuzurechnen seien (1084 BlgNR 14.GP 54). Die Gesetzesmaterialien weisen also darauf hin, daß mit der Neufassung ein relativ enger Regelungszweck verfolgt wurde. Dies kommt aber im Gesetzeswortlaut nicht zum Ausdruck. In der Bundesrepublik Deutschland wurde dem Verlangen nach Einbeziehung der Weißfingerkrankheit in die Liste der Berufskrankheiten durch Einfügung der Nr 2104 der Liste der Berufskrankheiten durch die

7. Berufskrankheitenverordnung vom 8. Dezember 1976 dBGBl I 3329 Rechnung getragen. Diese Ergänzung der Berufskrankheitenverordnung begrenzt durch die Fassung "vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein könnten", den Anwendungsbereich sehr eng. Die Österreichische Gesetzgebung ging einen anderen Weg. Mit der beispielsweisen Erwähnung der Motorsägen als gleichartig wirkenden Maschinen oder Werkzeuge wurde der Anwendungsbereich der Nr 20 der Anlage 1 zum ASVG erweitert. Vibrationen an einer Motorsäge treten als Folge einer rotierenden Bewegung auf. Durch die nur beispielsweise Nennung der Motorsägen brachte der Gesetzgeber zum Ausdruck, daß er auch diese Art der Beeinträchtigung als gleichartig im Sinn dieser Bestimmung anerkannte. Damit ist aber seit der

33. ASVGNov der engen Interpretation, daß dieser LfdNr nur Geräte unterstellt werden können, bei denen Druckluft und ähnliche Energien zum Antrieb verwendet werden und der Antrieb in der Längsrichtung in stoßender Form erfolgt, der Boden entzogen. Die LfdNr 20 kann daher nicht in dem von der beklagten Partei gewünschten und vom Berufungsgericht vermeinten einschränkenden Sinn verstanden werden. Sie ist nicht mehr ausschließlich auf Fälle anwendbar, in denen Erschütterungen durch hammerschlagähnliche, hin- und hergehende Bewegungen mit hoher Frequenz verursacht werden. Vibrationen hoher Frequenz - das Beispiel der Motorsägen spricht dafür, daß der Gesetzgeber weiterhin hochfrequente Erschütterungen im Auge hatte - sind den in dieser LfdNr genannten Einwirkungen auch dann zuzuzählen, wenn sie durch rotierende Bewegungen hervorgerufen werden. Auch bei einem Hubschrauber kann es es sich daher grundsätzlich um eine Maschine in diesem Sinn handeln (so schon Oberster Gerichtshof 12. April 1988 10 Ob S 43/88). Ob die für das Hüftleiden des Klägers ursächlichen Erschütterungen bei seiner Arbeit mit Hubschraubern an Intensität und Frequenz den Erschütterungen bei der Arbeit mit den in der LfdNr 20 genannten Werkzeugen und Maschinen gleichzustellen sind, muß allerdings noch erörtert und festgestellt werden. Nur wenn dies bejaht wird, kann die genannte Krankheit als Berufskrankheit iS des § 92 Abs. 1 B-KUVG gelten.

Nach dem gemäß § 513 ZPO auch im Revisionsverfahren anzuwendenden § 496 Abs. 1 Z 3 ZPO waren daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

§ 92 Abs. 3 B-KUVG kann im vorliegenden Fall schon deshalb nicht angewendet werden, weil das Hüftleiden des Klägers durch die Erschütterungen bei der Arbeit mit Hubschraubern, aber weder ausschließlich noch überwiegend durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen entstanden ist. Die Meinung des Berufungsgerichtes, eine Einschränkung auf durch "Stoffe oder Strahlen" hervorgerufene Krankheiten wäre wohl nicht beabsichtigt gewesen, es sollten auch durch "sonstige Einwirkungen" entstandene Leiden erfaßt werden, widerspricht nicht nur dem Wortlaut der zit Bestimmung, sondern auch der historischen Auslegung. Der in der RV zur 32. ASVGNov 181 BlgNR 14.GP im vergleichbaren § 177 Abs. 2 ASVG vorgesehene Ausdruck "durch die Verwendung schädigender Stoffe oder schädigende sonstige Einwirkungen" wurde nämlich auf Antrag des Ausschusses, "um Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden", durch den Ausdruck "durch die Verwendung schädigender Stoffe oder Strahlen" ersetzt (388 BlgNR 14.GP). Aus der RV ergibt sich eindeutig, daß diese nur Schädigungen, die durch Stoffe oder Strahlen entstehen, erfassen wollte und daß mit den "schädigenden sonstigen Einwirkungen" nur solche durch "nichtstoffliche" Strahlen umschrieben werden sollten. Dies wird in der vom Ausschuß beantragten, Gesetz gewordenen Fassung ausdrücklich gesagt. Dadurch sollte eine nach der Fassung der RV mögliche Auslegung iS des vom Berufungsgericht gefundenen Ergebnisses verhindert werden. Auf die Kritik des Revisionswerbers an der vom erkennenden Senat erstmals in der E 22. September 1987 10 Ob S 80/87 SSV-NF 1/30 vertretenen, in der schon zitierten E 10 Ob S 43/88 wiederholten Rechtsmeinung, daß die Feststellung einer Krankheit als Berufskrankheit iS des § 177 Abs. 2 ASVG oder des § 92 Abs. 3 B-KUVG durch die Arbeits- und Sozialgerichte nicht möglich ist, mußte daher nicht weiter eingegangen werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs. 1 ZPO.

Anmerkung

E14757

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00189.88.0705.000

Dokumentnummer

JJT_19880705_OGH0002_010OBS00189_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten