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25/01 Strafprozess;Norm
AVG §56;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des MA in L, vertreten durch Mag. Alexander Wolkerstorfer, Rechtsanwalt in 4522 Sierning, Neustraße 9, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 12. April 2002, Zl. Gem/(Stb)-408562/15-2002-Mah, betreffend Wiederaufnahme eines Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahrens und Abweisung eines Antrages auf Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der 1961 geborene und aus Afghanistan stammende Beschwerdeführer befindet sich seit 1996 in Österreich. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Jänner 2001 wurde ihm mit Wirksamkeit vom 12. Jänner 2001 gemäß § 10 Abs. 4 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) - ihm war schon 1996 Asyl gewährt worden - die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen.
Im November 2001 erlangte die belangte Behörde davon Kenntnis, dass der Beschwerdeführer mit - rechtskräftigem - Urteil des Landesgerichtes Linz vom 6. April 2001 wegen des Verbrechens nach § 209 StGB (im Hinblick auf Tathandlungen im Zeitraum Sommer 2000 bis Anfang Jänner 2001) zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten verurteilt worden war.
Die belangte Behörde leitete ein Wiederaufnahmeverfahren ein und sprach schließlich unter Spruchpunkt 1. ihres Bescheides vom 12. April 2002 aus, dass das Staatsbürgerschaftsverleihungsverfahren des Beschwerdeführers gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z 2 AVG von Amts wegen mit der Wirkung wieder aufgenommen werde, dass es in den Stand vor Erlassung des Staatsbürgerschaftsbescheides am 12. Jänner 2001 zurückversetzt wird. Zu Spruchpunkt 2. des genannten Bescheides wies sie den Antrag des Beschwerdeführers auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 StbG ab.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - nach Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde - erwogen:
Die belangte Behörde hat die Wiederaufnahme des Verleihungsverfahrens auf den Grund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG gestützt. Gemäß dieser Bestimmung (iVm § 69 Abs. 3 leg. cit.) kann die Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens von Amts wegen verfügt werden, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Die belangte Behörde erachtete die Tatbestandsvoraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG als erfüllt, weil es sich bei den dem oben erwähnten Urteil des Landesgerichtes Linz zugrunde liegenden Tathandlungen des Beschwerdeführers um "neu hervorgekommene Tatsachen" handle, weil sie an der Nichtbeachtung dieser Tatsachen im seinerzeitigen Verleihungsverfahren kein Verschulden treffe und weil in Kenntnis der Straftaten des Beschwerdeführers - schon im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Z 2 StbG (demnach bildet es ein Verleihungshindernis, wenn ein Fremder durch ein inländisches oder unter bestimmten Voraussetzungen durch ein ausländisches Gericht wegen einer oder mehrerer Vorsatztaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden ist) - ein den Verleihungsantrag des Beschwerdeführers abweisender Bescheid erlassen worden wäre.
In der gegenständlichen Beschwerde wird nur das letztgenannte Tatbestandselement in Abrede gestellt; zum Zeitpunkt der Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer sei dieser weder rechtskräftig verurteilt gewesen, noch sei gegen ihn ein Strafverfahren geführt worden. Am 12. Jänner 2001 habe damit kein Verleihungshindernis bestanden, weshalb "unter Berücksichtigung dieser Tatsachen" voraussichtlich kein anders lautender Bescheid herbeigeführt worden wäre.
Entgegen diesem Vorbringen kommt es nicht darauf an, ob bereits zum 12. Jänner 2001 (Erlassung des Verleihungsbescheides) ein anders lautender Bescheid hätte ergehen können. Maßgeblich ist vielmehr, ob die neue Tatsache überhaupt (wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt) ein voraussichtlich anderes Ergebnis erbracht hätte. Das ergibt sich schon daraus, dass § 69 Abs. 1 Z 2 AVG neben neuen Tatsachen auch neue Beweismittel als Anlass für eine Wiederaufnahme in Frage kommen lässt, neue Beweismittel (unter der Annahme, sie wären schon im wieder aufzunehmenden Verfahren zur Verfügung gestanden) aber durchaus typisch ein über den seinerzeitigen Bescheiderlassungszeitpunkt hinaus gehendes Ermittlungsverfahren hätten notwendig machen können. Im Übrigen ist klarzustellen, dass eine Wiederaufnahme nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG keine Gewissheit darüber voraussetzt, dass die Entscheidung im wieder aufzunehmenden Verfahren anders gelautet hätte. Für die Bewilligung oder Verfügung der Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens genügt es, dass diese Voraussetzung mit einiger Wahrscheinlichkeit zutrifft. Ob sie tatsächlich vorliegt, ist erst in dem wieder aufgenommenen Verfahren zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2002, Zl. 2001/21/0031). Ein in diesem Sinn wahrscheinlich anders lautendes Ergebnis ließ sich aber im vorliegenden Fall angesichts der dem Urteil des Landesgerichtes Linz zugrunde liegenden Tathandlungen deshalb prognostizieren, weil die belangte Behörde bei deren Kenntnis gemäß § 84 Abs. 1 StPO zur Anzeige an eine Staatsanwaltschaft oder Sicherheitsbehörde verpflichtet gewesen wäre und diese Anzeige vermutlich die Einleitung eines gerichtlichen Strafverfahrens zur Folge gehabt hätte. Von daher war zumindest im Grunde des § 10 Abs. 1 Z 4 StbG mit einem anderen Verfahrensergebnis zu rechnen, weil es gemäß dieser Bestimmung (ua.) ein Verleihungshindernis bildet, wenn gegen einen Fremden wegen des Verdachtes einer mit Freiheitsstrafe bedrohten Vorsatztat bei einem inländischen Gericht ein Strafverfahren anhängig (dazu vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0135) ist. Der belangten Behörde kann damit nicht entgegengetreten werden, wenn sie neben den anderen, ohnehin unstrittigen Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG auch jene des "voraussichtlich anders lautenden Bescheides" als gegeben erachtete.
Nach dem Gesagten erweist sich die verfügte Wiederaufnahme als rechtmäßig. Im wieder aufgenommenen Verfahren hatte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf die im Entscheidungszeitpunkt gegebene Sach- und Rechtslage zu erkennen, weshalb nunmehr das dargestellte Verleihungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z 2 StbG eine Verleihung der Staatsbürgerschaft an den Beschwerdeführer ausschloss. Das stellt auch der Beschwerdeführer nicht in Frage. Seine Beschwerde war daher insgesamt gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. September 2005
Schlagworte
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002010206.X00Im RIS seit
28.10.2005Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008