TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/27 2005/01/0401

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Veröffentlicht am 27.09.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §37;
AVG §66 Abs4;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde der ZS in W, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juni 2005, Zl. 249.424/0-III/09/04, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Türkei, reiste im Juni 2003 mit einem österreichischen Visum in das Bundesgebiet ein und beantragte im September 2003 Asyl. Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 7. April 2004 begründete sie ihren Antrag im Wesentlichen mit Furcht vor den Brüdern ihres geschiedenen, inzwischen verstorbenen ersten Ehemannes. Von diesen werde sie belästigt und beschimpft. Es handle sich um Alkoholiker und man wisse "ja nie, was ein Alkoholiker macht". Außerdem wolle die Beschwerdeführerin bei ihrem seit 15 Jahren in Österreich lebenden (zweiten) Ehemann sein. Eine Anzeige gegen die Brüder ihres ersten Mannes habe sie in der Türkei nicht erstattet, denn sie wolle "keinen Streit".

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 14. April 2004 den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.).

Diesen Bescheid stützte das Bundesasylamt - ungeachtet des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin angab, der türkischen Volksgruppe anzugehören, und keine Verfolgung wegen ihrer politischen Gesinnung geltend machte - u.a. auf seitenlange Ausführungen über die Verfassung und die politischen Verhältnisse in der Türkei, im Besonderen über die Lage der Kurden. Unter der Zwischenüberschrift "Aktuelle Entwicklungen" wurden Vorkommnisse des Jahres 2002 dargestellt. Abschließend wurden - offenbar in wörtlicher Übernahme von Zeitungsberichten des Jahres 2002 - Feststellungen über eine "Ausweitung der Bürgerrechte" getroffen ("Nachdem am Freitag die Abschaffung der Todesstrafe beschlossen worden war, schien es, als sei ein Damm gebrochen ... Auch aus Brüssel war Lob zu hören").

In einem Abschnitt "Zu den Feststellungen" wurde ausgeführt, "bezüglich der von der ho Behörde getätigten Feststellungen" sei "festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind". Der nachfolgende Abschnitt "Beweiswürdigung" beschränkte sich auf den Satz, der rechtlichen Würdigung würden die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund zugrunde gelegt.

In rechtlicher Hinsicht verwies das Bundesasylamt die Beschwerdeführerin (auf den letzten vier Seiten der insgesamt 15 Seiten langen Ausführungen) u.a. auf das Fehlen eines Konventionsgrundes und auf die vom Bundesasylamt angenommene Möglichkeit, in der Türkei gegenüber der behaupteten Bedrohung staatlichen Schutz in Anspruch zu nehmen.

In ihrer acht Seiten langen Berufung gegen diesen Bescheid äußerte sich die Beschwerdeführerin - abgesehen von offenkundig nicht zur Sache gehörenden Bemerkungen und Zitaten ohne erkennbaren Fallbezug - über "extreme Spannungen" in ihrer Heimatregion, die Massenemigration der Männer, die Schutzlosigkeit der zurückgelassenen Frauen und Kinder, angebliche Gerüchte über ein unmoralisches Leben der Männer im Ausland und schließlich einsetzende "Belästigungen von uns jungen Frauen". In Bezug auf ihren vor dem Bundesasylamt geltend gemachten Fluchtgrund behauptete sie nun auch, die Brüder ihres verstorbenen ersten Mannes hätten ihr "Prügel angetragen". Darüber hinaus gab sie - ohne nähere Erklärung - an, sie sei "aus Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen" geflohen. In den Ausführungen zur Bekämpfung von Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides wurde u.a. behauptet, die Beschwerdeführerin würde im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei "sicherlich festgenommen werden und liefe jedenfalls Gefahr, unmenschlicher Behandlung oder Strafe unterworfen zu werden".

Mit Spruchpunkt 1. des angefochtenen, ohne Durchführung der beantragten Berufungsverhandlung erlassenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG ab. Mit Spruchpunkt 2. stellte sie gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Türkei fest.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Begründung des angefochtenen Bescheides beginnt mit einer Darstellung des Verfahrensganges, in der zur Berufung nur ausgeführt wird, sie sei fristgerecht erhoben worden.

Es folgen abstrakte Rechtsausführungen, in denen u.a. auf die Voraussetzungen der Asylgewährung bei Staatenlosen eingegangen wird.

Daran schließen sich folgende fallbezogene Ausführungen der belangten Behörde:

"Das Bundesasylamt hat in der Begründung des Bescheides vom 14.4.2004, Zahl: 03 27.595-BAW, die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Der unabhängige Bundesasylsenat als Berufungsbehörde schließt sich den diesbezüglichen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid in beiden Spruchpunkten an und erhebt diese zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden."

Diese Form der Erledigung der Berufung, auf deren Inhalt in der Begründung des angefochtenen Bescheides mit keinem Wort eingegangen wird, kommt im Ergebnis der Inanspruchnahme eines - der belangten Behörde im Gesetz nicht eingeräumten - Ablehnungsrechtes gleich. Die Berufung war weder inhaltsleer noch bloß wiederholend, sodass die belangte Behörde - sei es auch nur kurz und allenfalls unter Abstandnahme von der beantragten Verhandlung - darauf einzugehen gehabt hätte. Es ist nicht Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes, dies nachzuholen und an Stelle der belangten Behörde in einem Erkenntnis oder in einem Beschluss über die Ablehnung der Beschwerde erstmals darzulegen, ob die Argumente in der Berufung stichhältig sind und, gegebenenfalls, warum dies nicht zutrifft.

Da der Verwaltungsgerichtshof nicht erkennen kann, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung - in Bezug auf die Behauptungen in der Berufung - als maßgeblich zugrunde gelegt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.

Wien, am 27. September 2005

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung VerfahrensmangelInhalt der Berufungsentscheidung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2005010401.X00

Im RIS seit

28.10.2005

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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