TE OGH 1988/7/19 1Ob593/88

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Veröffentlicht am 19.07.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz G***, Pensionist, geboren am 6. Juni 1904 in Wien, Wien 2., Nestroygasse 9/4, vertreten durch Dr. Friedrich Grohs, Dr. Michael Goriany, Dr. Andreas Grohs, Dr. Wolfgang Hofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Adele G***, Pensionistin, geboren am 4. Juli 1922 in Wien, Wien 2., Nestroygasse 9/4, vertreten durch Dr. Walter Adam, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 2. Februar 1988, GZ 12 R 237/87-63, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 13. Juli 1987, GZ 11 Cg 120/84-55, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile, die österreichische Staatsbürger sind, schlossen am 5. Dezember 1970 die Ehe. Es handelt sich beiderseits um die zweite Ehe. Die ersten Ehen waren durch Scheidung aufgelöst worden.

Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Die Beklagte sei ablehnend gegen ihn eingestellt und erhebe gegen ihn aus unbegründetem, auf unseriösen Motiven beruhendem Mißtrauen ungerechtfertigte Vorwürfe. Sie kümmere sich nicht um ihn und vernachlässige ihn in gröblichster Weise. Er müsse sich das Essen selbst bereiten, seine Wäsche versorgen und die Wohnung instandhalten. Die Beklagte habe ihn aufgefordert, die Wohnung zu verlassen; sie beschimpfe und beleidige ihn, sie sei ungerecht und feindselig. Sie betrachte die Ehe nur mehr als finanzielle Absicherung. Sie lasse den Kläger nur jenen Teil des Schlafzimmers benützen, der kein Fenster habe. Der Kläger sei herz- und zuckerkrank, er benötige daher einen eigenen Wohnraum. Die Beklagte wendete ein, sie habe keine Eheverfehlungen gesetzt. Der Kläger lehne es ab, daß sie ihm das Essen bereite und die Wohnung instandhalte. Nur die Persönlichkeit des Klägers habe sich geändert. Sein Verhalten kränke sie, oft rede er tagelang nichts mit ihr. Dem Kläger stünde es frei, die ganze Wohnung zu benützen. Einen Mitschuldantrag stellte die Beklagte nicht. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es hielt die Aussage der Beklagten, sie habe keine schwere Eheverfehlungen begangen, für glaubwürdig.

Das Berufungsgericht gab nach Beweiswiederholung der Berufung des Klägers Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Ehe der Streitteile aus dem Verschulden der Beklagten schied. Es stellte fest: Die Beziehung der Streitteile sei nur zu Beginn der Ehe harmonisch verlaufen. Spätestens nach der Pensionierung des Klägers vor über zehn Jahren seien Spannungen aufgetreten, die vornehmlich auf das weitgehende Fehlen gemeinsamer Interessen und auf die mangelnde Bereitschaft der Beklagten zur gemeinsamen Freizeitgestaltung mit dem naturverbundenen Kläger zurückzuführen seien. Diese Spannungen hätten zu einer allmählichen Entfremdung geführt. Der Kläger sei dem nicht wirksam entgegengetreten, sondern habe sich darauf beschränkt, offene Konflikte hintanzuhalten. Das sei nicht immer gelungen. Meinungsverschiedenheiten in alltäglichen Angelegenheiten führten zu Auseinandersetzungen, im Zug derer Aggressionen der Beklagten wider den Kläger zutage getreten seien, die sich in sachlich nicht gerechtfertigten Vorwürfen und Kränkungen dokumentiert hätten. Der ungünstige Verlauf der Ehe habe den Kläger veranlaßt, seine Sterbeversicherung bei der Ingenieurkammer umzuwidmen. Die Versicherungssumme sollte nicht, wie zunächst angeordnet, der Beklagten, sondern der in den USA lebenden Tochter des Klägers aus erster Ehe zufließen. Ohne die Beklagte hievon verständigt zu haben, habe der Kläger Anfang 1982 ein Schreiben an die Ingenieurkammer gerichtet, in dem er die entsprechende Verfügung getroffen habe. Im November 1982 habe die Beklagte unter den Papieren des Klägers eine Durchschrift dieses Schreibens gefunden. Sie habe den Kläger zur Rede gestellt, der jedoch den Standpunkt vertreten habe, er lasse sich in seiner Entscheidungsfreiheit nicht einengen. Jeder könne disponieren, wie er wolle. Schwer gekränkt habe die Beklagte darauf die ehelichen Beziehungen zum Kläger vollständig abgebrochen. Sie habe nicht mehr für ihn gekocht, seine Wäsche nicht mehr versorgt und begonnen, ihre eigenen Wege zu gehen. Hierunter habe der damals nahezu 80jährige Kläger zwar gelitten, aber nichts unternommen, weil er hoffte, es werde sich schließlich ein modus vivendi finden lassen. Er habe ein ruhiges Zusammenleben mit der Beklagten angestrebt, das ihm, anders als bisher, auch eine ungestörte Wahrnehmung seiner Interessen (Literatur, ernste Musik) ermöglichen sollte. Während es die Beklagte nach Auffinden der Durchschrift des Schreibens an die Ingenieurkammer und der hiedurch ausgelösten Auseinandersetzung zunächst zeitweise abgelehnt habe, mit dem Kläger auch nur zu sprechen, habe sie in weiterer Folge ihr Verhalten grundlegend geändert. Sie habe immer wieder Zwistigkeiten vom Zaum gebrochen, im Zuge derer sie den Kläger der Unehrenhaftigkeit bezichtigt und ihn u.a. mit dem Ausdruck "charakterloses Schwein" beschimpft habe. Vor allem habe sie bewußt sein Bedürfnis nach einer friedlichen einvernehmlichen Gestaltung der Ehe negiert. Seinem Wunsch, sich einen eingeschränkten Freiraum innerhalb der Wohnung zu verschaffen, habe sie sich konsequent widersetzt. Obwohl das Wohnzimmer nicht regelmäßig benutzt worden sei, habe sie dem Kläger nicht gestattet, sich in dieses zurückzuziehen, sondern habe darauf bestanden, daß er im Schlafzimmer verbleibe. Dieses Zimmer sei mittlerweile durch eine Schrankwand zweigeteilt worden; dem Kläger sei nur der dem Fenster abgekehrte deutlich kleinere Teil des Raumes zur Verfügung gestanden, der überdies der Beklagten als Durchgang zur Küche gedient habe. Obgleich sich auch im Wohnzimmer ein Fernsehgerät befunden habe, habe die Beklagte ohne Rücksicht auf den Kläger bis spät abends im Schlafzimmer ferngesehen und Radio gehört und auf diese Art gewollt dem ausgeprägten, wohl auch altersbedingten Ruhebedürfnis des Klägers entgegengewirkt. Sie habe geflissentlich verhindert, daß sich der Kläger auch nur vorübergehend im Wohnzimmer aufhalte. So habe sie dem Kläger die Benützung des ganzen Wohnzimmertisches unter Berufung auf ihr Hälfteeigentum an diesem untersagt. Diese häuslichen Verhältnisse hätten zu einer allmählichen psychischen und nervlichen Zermürbung des Klägers geführt. Er habe seinerseits gereizt reagiert und begonnen, seinen wirtschaftlichen Interessen größere Bedeutung zuzumessen, womit ein Verhalten einhergegangen sei, das die ungünstige Entwicklung der Beziehung noch beschleunigt habe. Als die Beklagte schließlich Scheidungsabsichten geäußert habe, habe der Kläger dennoch betroffen und überdies verängstigt reagiert. Er sei der Beklagten in einer gewissen Weise noch immer emotionell verbunden und habe sich gescheut, ein endgültiges Scheitern seiner Ehe einzugestehen; er habe gefürchtet, eine Scheidung werde für ihn schwerwiegende finanzielle Folgen haben. Eine einvernehmliche Auflösung der Ehe habe er daher abgelehnt. Die Spannungen hätten weiter zugenommen, die Beklagte habe ihr feindseliges Verhalten fortgesetzt. Sie habe dem Kläger auch weiterhin das auf gemeinsames Wohnen beschränkte Eheleben auf die bereits beschriebene Weise verleidet und auch kein Hehl daraus gemacht, daß sie an der Ehe nur mehr aus Versorgungsgründen festhalte. 80jährig habe sich der Kläger schließlich entschlossen, die Scheidungsklage einzubringen. Nachdem er von der Abweisung seines Scheidungsbegehrens durch das Erstgericht erfahren habe, habe er nochmals den Versuch unternommen, doch noch eine Wende zum Besseren herbeizuführen. So habe er der damals erkrankten Beklagten seines Beistandes versichert und habe sich intensiv um ihre Genesung gekümmert. Wieder gesundet habe die Beklagte jedoch ihr feindseliges Verhalten fortgesetzt. Nach wie vor stehe der Kläger der Beklagten nicht etwa gehässig gegenüber, sondern suche in der Scheidung seiner Ehe erkennbar nur einen Ausweg aus einer Situation, der er seelisch und nervlich nicht mehr gewachsen sei. In rechtlicher Würdigung sei davon auszugehen, daß es der Beklagten bereits vor 1982 an der ehelichen Gesinnung gemangelt habe und sie durch ihr interesseloses Verhalten dem Kläger gegenüber die Ehekrise eingeleitet habe. Ihre weitere Vorgangsweise ab 1982, die nicht bloß als adäquate Reaktion auf die Enttäuschung im Zusammenhang mit der Sterbeversicherung gesehen werden könne, stellten fortgesetzte schwere Eheverfehlungen dar, die eine unheilbare Zerrüttung der Ehe nach sich gezogen hätten. Die Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe nach § 49 EheG lägen demnach vor. Ob allenfalls auch dem Kläger ein Beitrag zum Scheitern der Ehe zuzurechnen sei, könne dahingestellt bleiben, da die Beklagte einen Mitschuldeinwand nicht erhoben habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist nicht berechtigt.

Die gerügte Aktenwidrigkeit und die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegen, wie der Oberste Gerichtshof prüfte (§ 510 Abs 3 ZPO), nicht vor.

Auch die Rechtsrüge versagt. Die Beklagte läßt die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Ehe sei unheilbar zerrüttet, unbekämpft. Sie meint, die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen reichten nicht aus, um dem Scheidungsbegehren stattzugeben; der Kläger habe selbst Eheverfehlungen gesetzt, so daß das Scheidungsbegehren in Würdigung aller Umstände sittlich nicht gerechtfertigt sei.

Das vom Berufungsgericht festgestellte jahrelang andauernde Verhalten der Beklagten verstieß schwer gegen die ihr obliegende Pflicht zum Beistand und zur anständigen Begegnung (§ 90 ABGB) und führte zur Zerrüttung der Ehe. Ob der Kläger selbst Eheverfehlungen gesetzt hat, kann, da die Beklagte einen Mitschuldantrag nicht stellte, dahingestellt bleiben. Keinesfalls reichten allfällige Eheverfehlungen des Klägers aus, seinem Scheidungsbegehren die sittliche Rechtfertigung zu entziehen. Nach § 49 zweiter Satz EheG kann, wer selbst Eheverfehlungen begangen hat, dann nicht die Scheidung begehren, wenn nach der Art seiner Verfehlung, insbesondere wegen des Zusammenhanges der Verfehlung des anderen Ehegatten mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt ist. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre mangelt es dann an der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens, wenn dem beklagten Ehegatten zwar eine schwere Eheverfehlung zur Last liegt, die zur Zerrüttung der Ehe führte oder dazu beitrug, diese Verfehlung jedoch erst durch schuldhaftes Verhalten des Klägers hervorgerufen wurde oder ein Zusammenhang zwischen der Verfehlung des Klägers mit dem Verhalten der Beklagten besteht und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe das Begehren auf Scheidung der Ehe wegen dieses Zusammenhanges nicht als zulässig erkannt werden könnte oder wenn selbst ohne solchen Zusammenhang der beiderseitigen Eheverfehlungen Verfehlungen des Klägers unverhältnismäßig schwerer wiegen (EFSlg. 51.607, 48.772, 46.182, 43.639; SZ 38/181 uva; Schwind, Eherecht2 215; Pichler in Rummel, ABGB Rz 5, 6 zu § 49 EheG). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die der Beklagten zur Last gelegte Eheverfehlungen waren nicht etwa eine einmalige Reaktion auf die Kenntnis von der Umwidmung des Sterbegeldes. Ihr Verhalten erstreckte sich vielmehr über Jahre. Es trifft auch nicht zu, daß unter Würdigung aller Umstände allfällige Eheverfehlungen des Klägers, dem liebloses Verhalten und die Beklagte kränkende Kleinlichkeiten in alltäglichen Dingen vorgeworfen werden könnten, unverhältnismäßig schwerer wiegen als die ihrerseits festgestellten Eheverfehlungen und aus diesem Grunde seinem Scheidungsbegehren die sittliche Rechtfertigung fehlte. Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E14811

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0010OB00593.88.0719.000

Dokumentnummer

JJT_19880719_OGH0002_0010OB00593_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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