Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Juli 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Lachner, Dr. Brustbauer (Berichterstatter) und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hanglberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gert E*** wegen des Verbrechens der versuchten Nötigung zum Beischlaf nach §§ 15, 202 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengerichts vom 11.April 1988, GZ 36 Vr 1537/87-18, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines ordnungsgemäß geladenen Verteidigers Dr. Pescoller, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkannt;
Gert E*** ist schuldig, er hat am 26.März 1987 in Innsbruck Angelika H*** durch Versetzen von zwei kräftigen Ohrfeigen am Körper mißhandelt und hiebei fahrlässig verletzt, sodaß sie Prellungen im Gesicht, eine kleine blutende Rißquetschwunde an der Innenseite der Oberlippe und eine Halswirbelsäulendistorsion erlitt und aus der Nase blutete.
Er hat hiedurch das Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB begangen und wird hiefür nach dieser Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt.
Der Tagessatz wird mit 150 S bestimmt. Für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe wird eine Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen festgesetzt.
Gemäß §§ 389, 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz zur Last.
Text
Gründe:
Gert E*** wurde von der Anklage, am 26.März 1987 in Innsbruck Angelika H*** mit Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen gegen Gesicht und Kopf, sowie durch gefährliche Drohung, nämlich durch Ankündigung weiterer Schläge, zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen getrachtet und hiedurch das Verbrechen der versuchten Nötigung zum Beischlaf nach §§ 15, 202 Abs 1 StGB begangen zu haben, gemäß § 259 Z. 3 StPO freigesprochen. Nach den mit der Verantwortung des Angeklagten sich deckenden Urteilsfeststellungen kam es zwischen ihm und H*** in der Nacht zum 26. März 1987 zu einer zunächst wörtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf H*** zu schreien begann. Der Aufforderung des Angeklagten, sie solle ruhig sein, weil er ihr sonst eine "kleben" müsse, erwiderte H***, daß ihr der Angeklagte keine "schmieren" werde. Daraufhin gab E*** der Angelika H*** zwei feste Ohrfeigen, wodurch diese die im Spruch umschriebenen Verletzungen erlitt.
Den Vorsatz des Angeklagten, H*** durch diese Gewalttätigkeiten sowie durch Androhung weiterer Schläge zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen, erachtete das Schöffengericht nicht als erwiesen. Es vertrat in rechtlicher Hinsicht den Standpunkt, daß trotz der Mißhandlung und der dadurch herbeigeführten Verletzung ein Schuldspruch nach § 83 StGB nicht ergehen könne, weil dieses tätliche Vorgehen des Angeklagten aus einem ganz anderen Grund erfolgt sei als die Anklage angenommen habe. Mangels einer Alternativanklage in Richtung Körperverletzung sei für einen solchen Schuldspruch kein Raum mehr.
Rechtliche Beurteilung
Diese Rechtsansicht bekämpft zu Recht die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerde aus § 281 Abs 1 Z. 9 lit. a StPO. An die in der Anklageschrift enthaltene rechtliche Beurteilung des dort wiedergegebenen Sachverhalts ist das Gericht nicht gebunden (§§ 262, 267 StPO). Es hat vielmehr das Urteil nach eigener rechtlicher Überzeugung zu schöpfen; dies auch dann, wenn die von der Anklage abweichende rechtliche Beurteilung sich nur in Verbindung mit erst in der Hauptverhandlung hervorgetretenen Umständen ergibt (§ 262 StPO). Gegenstand der Anklage ist somit nur der dort umschriebene Sachverhalt, wie er aus der Anklageerzählung hervorgeht, nicht aber dessen rechtliche Wertung.
Ob Identität von Anklage- und Urteilstat vorliegt, kann am verläßlichsten an Hand einer Prüfung, ob die Taten ohne Verletzung des Grundsatzes der materiellen Rechtskraft (ne bis in idem) Gegenstand zweier Anklagen oder Schuldsprüche sein könnten, beantwortet werden. Vorliegend ergibt eine solche Prüfung, daß der Entfall des dem Angeklagten von der Staatsanwaltschaft unterstellten Vorsatzes, H*** durch Versetzen der Ohrfeigen zum außerehelichen Beischlaf zu nötigen, an der Identität der vom Erstgericht festgestellten Tätlichkeit mit dem der Anklage zugrundegelegten Ereignis nichts ändert; denn ein anklagekonformer Schuldspruch wegen des mit Gewalt begangenen Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf hätte die leichte Körperverletzung konsumiert (Pallin im WK RN 13 zu § 202 StGB) und hätte eine spätere Verfolgung des Vergehens nach § 83 StGB gehindert.
Die rechtliche Untersuchung des vom Erstgericht unbedenklich, weil der Einlassung des Angeklagten folgend festgestellten Urteilssachverhalts ergibt, daß alle objektiven und subjektiven Merkmale des Vergehens der Körperverletzung wenigstens in der Begehungsweise des zweiten Absatzes des § 83 StGB erfüllt sind. Da einerseits die Schuld des Täters nicht gering ist und andererseits die Tat durchaus beachtliche Folgen hatte (s. § 42 Z. 1 und 2 StGB), war nach Aufhebung des nichtigen (Z. 9 lit. a) Freispruchs gemäß § 288 Abs 2 Z. 3 StPO sofort mit einem Schuldspruch nach § 83 Abs 2 StGB vorzugehen.
Bei der Strafzumessung fallen nur Milderungsgründe ins Gewicht, nämlich das zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis des Angeklagten und sein bisher ordentlicher Lebenswandel, mit dem die vorliegende Tat im auffallenden Widerspruch steht.
Die ausgesprochene Geldstrafe und deren Tagessatzzahl ist schuldangemessen (§ 32 Abs 1 StGB). Die Höhe des Tagessatzes entspricht gemäß § 19 Abs 2 StGB den persönlichen Verhältnissen (Sorgepflicht für ein außereheliches Kind, kein Vermögen) und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Monatsverdienst ca. 11.500 S) des Rechtsbrechers.
Anmerkung
E14547European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00063.88.0721.000Dokumentnummer
JJT_19880721_OGH0002_0130OS00063_8800000_000