Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 9.August 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Doblinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Werner H*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft, sowie über die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 26.Mai 1988, GZ 16 Vr 1.573/87-31, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Kramer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil - teilweise gemäß den §§ 344, 289, 290 Abs. 1 StPO - zur Gänze aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 27.November 1967 geborene Fleischergehilfe Werner H*** des Verbrechens des Totschlages nach dem § 76 StGB (1) und des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach liegt ihm zur Last, daß er am 17.Oktober 1987 in Hohenems sich in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen ließ, Klaus S*** durch Versetzen von mindestens fünf heftigen Schlägen mit einem 71 cm langen und 6 x 4 cm dicken Kantholz auf den Kopf zu töten (1), und dem Klaus S*** unter Ausnützung eines Zustands, der ihn hilflos machte, fremde bewegliche Sachen in einem 25.000 S nicht übersteigenden Wert, nämlich Bargeld in der Höhe von mindestens 10.000 S, mit dem Vorsatz wegnahm, sich oder einen Dritten durch Zueignung unrechtmäßig zu bereichern (2).
Der Schuldspruch beruht auf einem stimmeneinhelligen Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonformen Hauptfragen I nach Mord und III nach schwerem Raub verneinten und die Eventualfragen II nach Totschlag und IV nach schwerem Diebstahl bejahten.
Der Sache nach allein den Schuldspruch wegen Totschlages ficht die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an; den Strafausspruch bekämpft sie ebenso wie der Angeklagte mit Berufung.
Die Anklagebehörde rügt die ihrer Meinung nach zu Unrecht ins Fragenschema aufgenommene Eventualfrage II nach Totschlag, weshalb sich der öffentliche Ankläger in der Hauptverhandlung die Nichtigkeitsbeschwerde vorbehalten hatte (S 175, 176/III). Dem Standpunkt des Schwurgerichtshofes zufolge ergab sich aus der Verantwortung des Angeklagten und dem Gutachten des Sachverständigen für Psychiatrie und Neurologie Dr. S*** ein Tatsachenvorbringen, bei dessen Zutreffen eine Verurteilung nur wegen Totschlages indiziert war.
Die maßgebliche Darstellung des Angeklagten ging dahin, den 39-jährigen Klaus S*** schon drei oder vier Jahre gut gekannt und ungefähr einmal im Monat besucht zu haben. Außerdem hätten er und sein Freund Ronny B*** den S*** oft in Lokalen
getroffen und seien dann mit ihm zusammen gewesen. Er habe gewußt, daß S*** homosexuell veranlagt war. Es sei im Verlauf der harmonischen Bekanntschaft zu zwei Versuchen des S*** gekommen, mit ihm gleichgeschlechtliche Kontakte aufzunehmen, wobei ihm S*** auf einen Schenkel gegriffen und einmal auch einen Kuß angestrebt habe. Nach jeweiligen Hinweisen, daß er das nicht wolle, habe S*** die Annäherungen nicht mehr fortgesetzt. Er (H***) habe aber mit der Möglichkeit eines weiteren gleichgeschlechtlichen Verführungsversuches gerechnet und sich für diesen Fall vorgenommen, wiederum seine fehlende Bereitschaft zu solchen Handlungen zu erklären. In der Nacht der Tat sei er mit S*** zusammengetroffen, um sich mit ihm zu unterhalten. Auf Ersuchen des S***, ihm die seinem Vater gehörende Riedhütte zu zeigen, sei er dann mit ihm zu diesem Bauwerk gefahren. Dort habe S*** ihn mit der linken Hand an der Brust gehalten und mit der rechten Hand an den Geschlechtsteil gegriffen. Er habe S*** zurückgestoßen und aufgefordert, ein solches Verhalten zu unterlassen, jedoch habe dieser gelacht und wieder zugegriffen. Darauf habe er den S*** aus Ekel und Wut erschlagen. Der Sachverständige Dr. S*** gelangte im Zuge der Begutachtung der Zurechnungsfähigkeit des Täters in der Hauptverhandlung nach seiner einleitenden Bemerkung, das Tatmotiv aus einer medizinisch-psychologischen Sicht erörtern zu wollen, zu dem über die schriftlichen Gutachten (ON 9/I, ON 17/III) hinausreichenden Schluß, daß es sich bei der Tötung des Klaus S*** um eine Affekttat gehandelt habe, die durch massive Kränkung und Verletzung der Persönlichkeit und Männlichkeit des Angeklagten ausgelöst worden sei. Der Angeklagte habe aus Ekel, Wut, Angst und Panik gehandelt (S 171 f/III).
Rechtliche Beurteilung
Zutreffend wendet die Staatsanwaltschaft ein, daß auch dieses Beweisergebnis - wenn es als erwiesen angesehen wird - einer rechtlichen Beurteilung der Tat als Totschlag entgegensteht und daß daher vom Schwurgerichtshof die Eventualfrage zur Hauptfrage nach Mord nicht zu stellen war. Da die vorsätzliche Tötung eines Menschen nur dann dem Privilegierungstatbestand nach dem § 76 StGB unterliegt, wenn sich der Täter zu der Tat in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen ließ, hängt die Aufnahme einer Eventualfrage nach Totschlag in das Fragenprogramm zunächst von der dem Schwurgerichtshof obliegenden Lösung der Rechtsfrage ab, ob die vorgebrachten Tatsachen unter der Annahme ihrer Richtigkeit den behaupteten tiefgreifenden Affekt, in welchem der Täter gehandelt haben soll, auch allgemein begreiflich erscheinen lassen (Mayerhofer-Rieder, StPO2, ENr. 38 zu § 314). Wird durch eine dieser Bedingung nicht entsprechende Eventualfrage nach Totschlag den Geschwornen die nach dem Verfahrensergebnis nicht gerechtfertigte Möglichkeit eröffnet, auf dieses mit geringerer Strafe bedrohte Delikt auszuweichen, so liegt der Nichtigkeitsgrund nach dem § 345 Abs. 1 Z 6 StPO vor, der zum Nachteil des Angeklagten geltend gemacht werden kann, wenn erkennbar ist, daß der Verstoß einen die Mordanklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben vermochte (§ 345 Abs. 4 StPO). Die allgemeine Begreiflichkeit der vom Angeklagten behaupteten und vom Sachverständigen Dr. S*** bekundeten heftigen Gemütsbewegung anläßlich der Tötung des Klaus S*** ist auf Grundlage der Sachverhaltsdarstellung über die Tat zu verneinen. Bei der Prüfung dieser Voraussetzung des Tatbestandes nach dem § 76 StGB wird nämlich - unter Berücksichtigung aller Tatumstände und der psychologischen Zusammenhänge - ein objektiver Standpunkt wirksam. Um "allgemein begreiflich" zu sein, muß der für den spontanen Tatentschluß kausale Affekt des Täters derart entstanden sein, daß auch ein rechtstreuer Mensch von derselben geistigen und körperlichen Beschaffenheit sich vorstellen könnte, er geriete in der gegebenen Situation gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung. Demnach unterliegt zwar nicht die vorsätzliche Tötung eines Menschen in diesem Ausnahmezustand, wohl aber die konkrete Gemütsbewegung des Täters in ihrer gesamten, auch zum Zurückdrängen verstandesmäßiger Erwägungen und zur Überwindung starker sittlicher Hemmungen geeigneten Dimension, also einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit, in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß einer rechtsethischen Bewertung und muß sittlich allgemein verständlich sein (JBl. 1986, 261 ua).
Es liegt nun außerhalb der dargelegten Kriterien allgemeiner Begreiflichkeit, daß ein Mann, welcher in Kenntnis der gleichgeschlechtlichen Ambitionen eines guten Bekannten mit ihm jahrelang gesellschaftlichen Umgang gepflogen hatte, bei zwei Gelegenheiten dessen homosexuelle Berührungen problemlos abwehren konnte und der sich der Möglichkeit eines abermaligen Annäherungsversuches dieser Art bei vereinbarten Zusammentreffen bewußt war, anläßlich der tatsächlichen neuerlichen sexuellen Belästigung Gefühle der Wut und des Ekels in einem übergroßen, zur Überwindung selbst stärkster sittlicher Hemmungen ausreichenden Ausmaß entwickelt. Unter den gegebenen Umständen stellte der im allgemeinen Erwartungsbereich des Angeklagten gelegene, wenn auch im Vergleich zu früher etwas beharrlichere sexuelle Annäherungsversuch des Klaus S*** einen eher geringfügigen Anlaß dar, bei dem die objektive Verständlichkeit schon des Verlustes der Beherrschung überhaupt fragwürdig gewesen wäre, jedenfalls aber für die Entstehung eines tiefgreifenden, heftigen und daher den Täter hinreißenden Affektzustandes nicht in Anspruch genommen werden kann (siehe hiezu Moss im WK, Rz 44 zu § 76).
Die von der Staatsanwaltschaft gerügte Eventualfragestellung nach dem Verbrechen des Totschlages war aus diesem Grund verfehlt (§ 345 Abs. 1 Z 6 StPO) und geeignet, die Geschwornen bei ihrem Wahrspruch zu beirren und einen die Anklage beeinträchtigenden Einfluß auf die Entscheidung zu üben.
Unter Bezugnahme auf die von der Staatsanwaltschaft gegen die Rechtsbelehrung gerichtete Rüge (§ 345 Abs. 1 Z 8 StPO) sei der allgemeinen Bedeutung wegen noch beigefügt, daß die von der Anklagebehörde vermißte spezielle Erörterung, wonach Abscheu vor einer homosexuellen Annäherung keine Gemütsbewegung im Sinn des § 76 StGB bewirken können soll, für die gesetzmäßige Erfüllung der Belehrungspflicht nicht geboten war. Die Belehrung ist nämlich unabhängig vom konkreten Sachverhalt des zur Beurteilung stehenden Falles zu gestalten und hat eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale der den Fragegegenstand bildenden strafbaren Handlungen sowie eine Auslegung der in den Fragen vorkommenden Ausdrücke des Gesetzes zu enthalten (§ 321 Abs. 2 StPO), keineswegs aber die in ihrer denkbaren Vielfalt einer sachdienlichen Erfassung unzugänglichen Umstände zu bezeichnen, welche zur Verwirklichung eines Tatbestandselements nicht ausreichen würden.
Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof aber davon überzeugen, daß der unbekämpft gebliebene Schuldspruch wegen schweren Diebstahls (Punkt 2), und zwar die Annahme der Diebstahlsqualifikation nach dem § 128 Abs. 1 Z 1 StGB, infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem zum Nachteil des Angeklagten unterlaufenen und daher gemäß den §§ 290 Abs. 1, 344 StPO von Amts wegen zu berücksichtigenden Nichtigkeitsgrund der Z 12 des § 345 Abs. 1 StPO behaftet ist. Bei Ermittlung der Tragweite des diesem Schuldspruch zugrunde liegenden Wahrspruchs (Fragen III und IV) durch die gebotene prüfende Interpretation des Verdikts in seiner Gesamtheit unter Bedachtnahme auf den Inhalt der Anklageschrift sowie der gemäß dem § 331 Abs. 3 StPO aufgenommenen Niederschrift und unter Berücksichtigung der für die gewählte Diktion maßgebenden Verfahrensergebnisse (siehe hiezu SSt. 31/108, SSt. 44/13, EvBl. 1975/251, 9 Os 124/80, 11 Os 173/82) ist erkennbar, daß die Geschwornen mit der Bejahung der Eventualfrage IV einen vom Angeklagten erst nach dem Ableben des Klaus S*** verübten Gelddiebstahl festgestellt haben. Dies folgt insbesondere daraus, daß sogar in der vom Vorliegen eines Raubmordes ausgehenden Anklageschrift die Sachwegnahme durch den Angeklagten erst für einen Zeitpunkt nach Eintritt des Todes bei Klaus S*** behauptet wurde (S 132/III), insoweit in der Hauptverhandlung keine neuen Sachverhaltsumstände hervorkamen und die Geschwornen bei der Beantwortung ersichtlich der Schilderung des Angeklagten Rechnung trugen, wonach er die Gegenstände erst bei Durchführung des Entschlusses zur Beseitigung der Leiche ("Spurenverwischung") an sich genommen habe (S 160 f und 185/III).
Die Qualifikationsbestimmung des § 128 Abs. 1 Z 1 StGB über die strengere Strafbarkeit eines Diebstahls, der unter Ausnützung eines Zustandes des Bestohlenen, der ihn hilflos macht, begangen wird, ist jedoch auf eine Sachwegnahme nach Ableben des Sachinhabers nicht anwendbar, weil ein Verstorbener nicht mehr Gewahrsamsträger ist (EvBl. 1983/152). Soweit die Geschwornen demgegenüber trotz zutreffender Rechtsbelehrung (S 194 oben/III) im Tod des Klaus S*** einen tatbestandsmäßigen Zustand der Hilflosigkeit des Bestohlenen erblickten, war der Schwurgerichtshof bei der ihm zukommenden materiellrechtlichen Subsumtion des dem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts (siehe § 337 StPO) an diese Beurteilung nicht gebunden.
Damit wäre - wie die Generalprokuratur richtig
darlegte - jedenfalls die zum Nachteil des Angeklagten angenommene Qualifikation nach dem § 128 Abs. 1 Z 1 StGB aus dem Schuldspruch auszuklammern. Wegen des engen rechtlichen Zusammenhangs mit dem Grundtatbestand nach dem § 127 StGB - das Geld wurde nicht dem Klaus S***, sondern der Verlassenschaft entzogen - und im Hinblick auf den zeitlich und örtlich engen Zusammenhang mit der Tötungshandlung konnte auch dieser Teil des Wahrspruchs nicht aufrechterhalten werden (§ 349 Abs. 2 StPO) und es waren daher in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, teilweise aber auch gemäß den §§ 344, 289, 290 Abs. 1 StPO, der Wahrspruch der Geschwornen und das darauf beruhende Urteil zur Gänze aufzuheben und spruchgemäß die Verfahrenserneuerung anzuordnen. Auf diese auch den Strafausspruch umfassende kassatorische Entscheidung waren beide Parteien mit ihren Berufungen zu verweisen.
Anmerkung
E14775European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00091.88.0809.000Dokumentnummer
JJT_19880809_OGH0002_0110OS00091_8800000_000