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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des I, geboren 1987, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. Juli 2005, Zl. SD 141/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. Juli 2005 wurde gegen den Beschwerdeführer, angeblich ein nigerianischer Staatsangehöriger, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer, dessen Identität und Nationalität auf Grund fehlender Dokumente nicht nachgewiesen sei, sei seinen unbestätigten Angaben zufolge am 8. März 2001 unter Umgehung der Grenzkontrolle in einem LKW versteckt in das Bundesgebiet gelangt und habe am selben Tag beim Bundesasylamt einen Asylantrag gestellt, welcher mit Bescheid vom 31. August 2001 unter gleichzeitiger Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei, gemäß § 7 Asylgesetz 1997 - AsylG abgewiesen worden sei. Auf Grund der dagegen eingebrachten Berufung sei das Asylverfahren derzeit beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig.
Der Beschwerdeführer, der seit 18. Juni 2002 im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG sei, sei erstmals am 11. September 2002 vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 (erster Fall) Suchtmittelgesetz - SMG und nach § 27 Abs. 1 leg. cit. zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Den Entscheidungsgründen des in Rechtskraft erwachsenen Urteils sei zu entnehmen, dass er im Zeitraum von ca. zwei Monaten bis 16. August 2002 zumindest 18 Gramm Heroin und Kokain mit nicht mehr feststellbarem Reinheitsgehalt in mehrfachen Angriffen an zwei Suchtgiftabnehmer verkauft habe. Dabei habe er in der Absicht gehandelt, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Zudem habe er im selben Zeitraum Cannabis, Heroin und Kokain zum Zweck des Eigenkonsums erworben und besessen.
Diese Verurteilung habe den Beschwerdeführer nicht davon abhalten können, unmittelbar danach erneut einschlägig straffällig zu werden. Am 3. Februar 2003 sei er vom Jugendgerichtshof Wien wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z. 2 (erster Fall) SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe nicht nur im Zeitraum von Frühjahr 2002 bis 16. August 2002, sondern auch von Mitte September 2002 bis 1. Jänner 2003 (sohin unmittelbar nach seiner ersten Verurteilung) in zahlreichen Angriffen in Wien und Niederösterreich insgesamt ca. 46 Gramm Heroin/Kokain und ca. 34 Gramm Heroin und ca. 9 Gramm Kokain an fünf Suchtgiftabnehmer verkauft. Auch dabei habe er in gewerbsmäßiger Absicht gehandelt.
Auf Grund dieser einschlägigen Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.
Angesichts des den Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf die der Suchtgiftkriminalität innewohnende und von ihm auf Grund des besonders raschen Rückfalles auch augenscheinlich dargelegte Wiederholungsgefahr lägen (auch) die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 FrG - vorbehaltlich der §§ 37 und 38 leg. cit. - vor; dies insbesondere auch deshalb, weil der seit der Tatbegehung verstrichene Zeitraum von nicht einmal zwei Jahren viel zu kurz sei, um von einem Wegfall oder auch nur einer entscheidungswesentlichen Reduzierung der von ihm ausgehenden Gefährdung ausgehen zu können, zumal die Anhaltung in Gerichtshaft nicht als Zeit des Wohlverhaltens gewertet werden könne. An dieser Beurteilung könne auch der Hinweis des Beschwerdeführers, dass es sich um Jugendstraftaten gehandelt hätte und er vorzeitig am 27. Mai 2003 aus der Haft entlassen worden wäre, nichts ändern; dies deshalb, weil die Fremdenpolizeibehörden bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes an die gerichtlichen Erwägungen im Rahmen der Strafbemessung nicht gebunden seien und die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes allein nach fremdenrechtlichen Kriterien zu beurteilen hätten.
Der Beschwerdeführer sei ledig und habe keine Sorgepflichten. Er besuche eine Sporthauptschule in Wien, sei im Prüfungsstadium zur Erlangung eines Hauptschulabschlusses und habe bereits Prüfungen in acht Gegenständen positiv abgelegt. Weiters mache er geltend, dass er seit seiner Entlassung ein besonderes Naheverhältnis zur Familie St. aufgebaut hätte, in deren Haus er seine Wochenenden verbrächte und mit der er in engem Kontakt stünde.
Auch wenn man auf Grund dieser Umstände und des noch anhängigen Asylverfahrens - während dessen dem Beschwerdeführer eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG zukomme - unter weiterer Bedachtnahme auf den mehrjährigen inländischen Aufenthalt von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privatleben ausgehe, sei dessen ungeachtet die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 37 FrG zu bejahen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, hier:
zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Gesundheit, dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine positive Verhaltensprognose sei schon allein im Hinblick auf die mehrfache gewerbsmäßige Tatbegehung und den besonders raschen Rückfall nicht möglich.
Eine nach § 37 Abs. 2 FrG gebotene Interessenabwägung müsse zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Seine persönlichen Interessen erführen im Hinblick darauf, dass die für das Ausmaß jeglicher Integration wesentliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten deutlich beeinträchtigt werde, eine weitere Minderung. Jedenfalls hätten seine privaten Interessen gegenüber dem hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität in den Hintergrund zu treten.
Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG sei nicht gegeben gewesen.
Im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten und die damit verbundene Wiederholungsgefahr könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zukommenden Ermessens Abstand genommen werden. Das anhängige Asylverfahren stelle einen solchen besonders berücksichtigungswürdigen Grund nicht dar, zumal sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nach den Bestimmungen des AsylG als zulässig erweise und eine Durchsetzung desselben gemäß § 21 Abs. 1 leg. cit. bis zum Abschluss des Asylverfahrens ohnedies nicht möglich sei.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so könne in Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers unter Bedachtnahme auf dessen private Situation und dessen (angebliches) jugendliches Alter ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des nunmehr - in Abänderung der von der Erstbehörde bestimmten unbefristeten Dauer - festgesetzten Zeitraumes von zehn Jahren erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde zu den beiden strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet deren - unbekämpfte -
Auffassung, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, keinen Bedenken.
2. Diesen Feststellungen zufolge liegt den genannten Verurteilungen zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von ca. zwei Monaten bis 16. August 2002 zumindest 18 Gramm Heroin und Kokain mit nicht mehr feststellbarem Reinheitsgehalt in mehrfachen Angriffen an zwei Suchtgiftabnehmer verkauft hat, wobei er in der Absicht, sich dadurch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, somit gewerbsmäßig (vgl. § 70 StGB), gehandelt hat. Zudem hat er im selben Zeitraum Cannabis, Heroin und Kokain zum Zweck des Eigenkonsums erworben und besessen. Weiters verkaufte er auch zuvor seit Frühjahr 2002 und, nach dem 16. August 2002, von Mitte September 2002 bis 1. Jänner 2003 in zahlreichen Angriffen in Wien und Niederösterreich insgesamt ca. 89 Gramm Heroin und Kokain an fünf Suchtgiftabnehmer, wobei er gewerbsmäßig handelte. Er setzte somit sein strafbares Verhalten bereits wenige Tage nach seiner ersten Verurteilung am 11. September 2002 fort, obwohl über ihn eine (bedingte) Freiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden war. In Anbetracht dieses Gesamtfehlverhaltens, vor allem des raschen Rückfalls des Beschwerdeführers und der Gewerbsmäßigkeit seines Handelns, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.
Entgegen der von der Beschwerde vertretenen Ansicht, die vorbringt, dass der Beschwerdeführer am 27. Mai 2003 aus der Strafhaft vorzeitig entlassen worden sei und daher die von der belangten Behörde getroffene Annahme der Dauer seines Wohlverhaltens von "nicht einmal zwei Jahren" (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) unrichtig sei, ist auch ein Zeitraum von rund zwei Jahren und zwei Monaten des von ihm behaupteten Wohlverhaltens in Anbetracht seines wiederholten gewerbsmäßigen Fehlverhaltens zu kurz, um von einem Wegfall oder einer doch entscheidungserheblichen Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen zu können. Gerade die schnelle Rückfälligkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2002 hat bestätigt, dass - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgeführt hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. November 2004, Zl. 2004/18/0310, mwN) - die Wiederholungsgefahr bei der Suchtgiftkriminalität besonders groß ist. Dass der Beschwerdeführer diese wiederholten Straftaten jeweils als Jugendlicher verübt hat, ändert nichts an der oben angeführten, ihn betreffenden Gefährdungsprognose. Auch ist nicht zu erkennen, inwieweit es in Anbetracht des von der Beschwerde vorgebrachten Umstandes, dass er vom Don Bosco-Flüchtlingswerk betreut werde und die Wochenenden bei der Familie St. verbringe, als unwahrscheinlich angesehen werden müsse, dass er neuerlich straffällig werde, zumal selbst eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mehreren Monaten ihn nicht davon abhalten konnte, binnen weniger Tage danach in einschlägiger Weise Straftaten zu verüben.
3. Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 37 Abs. 1 und 2 FrG hat die belangte Behörde berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seit seiner illegalen Einreise am 8. März 2001, somit im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides seit rund vier Jahren und vier Monaten, in Österreich aufhältig war, eine Sporthauptschule in Wien besucht und - seit der von ihm ins Treffen geführten vorzeitigen Entlassung aus der Haft am 27. Mai 2003 - ein Naheverhältnis zur Familie St. aufgebaut hat, bei der er seine Wochenenden verbringt. Das Gewicht der aus der Dauer seines inländischen Aufenthalts resultierenden privaten Interessen wird jedoch dadurch relativiert, dass er sich nur auf Grund einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG rechtmäßig in Österreich aufhält. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten.
In Anbetracht der genannten privaten Interessen hat die belangte Behörde zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG angenommen. Ebenso zutreffend hat sie jedoch auch - unter Bedachtnahme auf diese privaten Interessen - die Ansicht vertreten, dass die Erlassung dieser Maßnahme zur Erreichung von in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (zur Verhinderung weiterer strafbaren Handlungen und zum Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei.
Diesen privaten Interessen des Beschwerdeführers steht die oben genannte, aus seinen einschlägigen gewerbsmäßig verübten Straftaten nach dem SMG resultierende große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Bei Abwägung dieser gegenläufigen Interessen kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers jedenfalls nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme - selbst wenn der Beschwerdeführer eine Nahebeziehung zur Familie St. aufgebaut hat und nicht nur von dieser und dem Don Bosco-Flüchtlingswerk betreut wird, sondern auch von öffentlicher Seite durch den Fonds Soziales Wien unterstützt werden sollte - nicht als rechtswidrig erkannt werden. Von daher ist auch die Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte zum Nachweis "der hohen sozialen Integration in Österreich, insbesondere der innigen, familiären Bindung" zur Familie St. zwei näher genannte Personen vernehmen müssen, nicht zielführend.
4. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. September 2005
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005180570.X00Im RIS seit
19.10.2005