TE OGH 1988/9/6 10ObS183/88

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Veröffentlicht am 06.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellner (AG) und Karl Klein (AN) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz Z***, Pensionist, 9555 Glanegg, Maria Feicht 31, im Rekursverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei P***

DER A*** (Landesstelle Graz), Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vertreten durch Dr. Kurt Scheffenegger, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Februar 1988, GZ 7 Rs 1148/87-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 18. September 1987, GZ 34 Cgs 1056/87-13, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit der gegen den abweisenden Bescheid der beklagten Partei vom 15. September 1978 gerichteten Klage, begehrte der Kläger im Verfahren zu 8 C 131/78 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Kärnten in Klagenfurt die Verpflichtung der beklagten Partei zur Leistung des Hilflosenzuschusses. Mit Vergleich vom 11. Dezember 1978 verpflichtete sich die beklagte Partei zur Gewährung der begehrten Leistung an den Kläger ab 21. Juli 1978. Mit Bescheid vom 6. Februar 1987 setzte die beklagte Partei die Invaliditätspension des Klägers mit Wirkung ab 1. April 1987 um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag herab. Der Kläger begehrte die beklagte Partei zur Weitergewährung des Hilflosenzuschusses zu verpflichten. In seinem Zustand sei keine Besserung eingetreten, die Voraussetzungen für die Leistung seien nach wie vor gegeben.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab. Dabei legte es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger leidet an einer chronischen Nephritis mit dialysepflichtiger Niereninsuffizienz, sekundärer Anämie, sekundärem Hyperparatyraeoidismus, Hyperosthosen in der Hüfte und den Knien. Der Kläger fährt selbst mit seinem Auto um ca. 7.30 Uhr zum 16 km entfernten Dialyseinstitut nach Klagenfurt. Er trifft um 8.00 Uhr in Klagenfurt ein, um 8.30 Uhr beginnt die Dialyse und dauert bis ca. 13.30 Uhr. Danach hält er sich noch ca. 1 Stunde lang im Dialyseinstitut auf, um sich dort etwas zu erholen. Danach fährt er wieder nach Hause und ist gewöhnlich um 15.00 Uhr bis 15.30 Uhr zu Hause. Meist muß er sich dann sofort niederlegen, weil er sich sehr schwach fühlt, zumal er auch über eine Stiege gehen muß und dabei schwer Luft bekommt. Hin und wieder treten auch Krämpfe im Bauch auf. Fallweise kommt es vor, daß er sich niederlegt, ohne sich vorher auszuziehen. Schlaf ist eher selten, er fühlt sich einfach sehr unwohl. Solche Dialysen finden jeden Montag, Mittwoch und Freitag statt. Am Tag nach der Dialyse steht der Kläger um ca. 9.00 Uhr bzw. 9.30 Uhr auf, ißt fallweise etwas, manchmal auch nichts, je nach dem in welcher Verfassung er sich befindet. Wenn es ihm besser geht, steht er auf, zieht sich an und geht entweder spazieren oder fährt irgendwo hin. Auf diese Art verbringt er die dialysefreien Tage. Für sich kauft er gewöhnlich selbst ein, das Essen bereitet für ihn die Mutter zu. Den Kleiderkauf besorgt seine Schwägerin, er könnte dies aber auch selbst machen. Der Kläger fühlt sich jetzt mit drei Dialysen pro Woche insgesamt wohler als vorher mit zwei wöchentlichen Dialysen. Unmittelbar nach einer Dialyse wäre der Kläger nicht in der Lage, einen Ofen einzuheizen. Nach zweistündigem Ausruhen nach der Dialyse wäre er schon in der Lage im Herd nachzuheizen. Zum Zeitpunkt der Gewährung des Hilflosenzuschusses wurde beim Kläger eine chronische Glomerunlonephritis seit 1975 und eine völlige Niereninsuffizienz festgestellt. Der Kläger war bei zweimaliger Dialyse pro Woche bestenfalls einen Tag in der Woche imstande, lebensnotwendige Verrichtungen selbst und ohne fremde Hilfe durchzuführen, auch Auto zu fahren. Die übrige Zeit war er dazu nicht imstande. Der Kläger ist nun in der Lage, sich selbst mit Nahrungsmitteln zu versorgen, sich selbständig an- und auszuziehen, seine Wohnung sauber zu halten und auch mit den herkömmlichen Brennstoffen zu beheizen. Im Vergleich zum Zustandsbild vor Gewährung des Hilflosenzuschusses hat sich eine wesentliche Besserung ergeben. Durch die nunmehr dreimalige wöchentliche Dialyse hat sich das subjektive Befinden und auch die Leistungsfähigkeit des Klägers gegenüber der zweimaligen Dialyse pro Woche verbessert. In organischer Hinsicht hat sich der Zustand nicht geändert, er wird auch durch eine öftere Dialyse nicht verändert oder gebessert. Der Zustand verschlechtert sich eher im Laufe der Zeit.

Hiezu führte das Erstgericht aus, daß Hilflosigkeit bestehe, wenn der Pensionist sowohl im Bereich der Wartung - im Bereich der persönlichen Pflege - wie auch im Bereich der Hilfe - im sachlichen Lebensbereich - fremder Unterstützung bedürfe. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Dialysepatient ständig der Wartung und Hilfe bedürfe, sei auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen. Beim Kläger bestehe kein ständiges Wartungs- und Pflegebedürfnis. Er fahre mit dem Auto selbst zur Dialyse, könne an den dialysefreien Tagen selbständig alle lebensnotwendigen Verrichtungen uneingeschränkt vornehmen und sei hiezu auch an Dialysetagen in eingeschränktem Maß imstande. Die Voraussetzungen für die begehrte Leistung bestünden nach eingetretener Besserung nicht mehr. Das Berufungsgericht hob über Berufung des Klägers dieses Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurück. Voraussetzung für die Entziehung einer Leistung - hier des Hilflosenzuschusses - sei eine Änderung des Zustandes die es mit sich bringe, daß die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr vorhanden seien, daß also der Versicherte die Verrichtungen des täglichen Lebens, zu denen er früher der ständigen Wartung und Hilfe bedurft habe, wieder allein ausführen könne. Im Zustand des Klägers sei wohl eine Besserung eingetreten, allerdings sei ungeprüft geblieben, ob diese Besserung dazu geführt habe, daß die Anspruchsvoraussetzungen weggefallen seien. Erforderlich sei zu überprüfen, welche der dauernd wiederkehrenden lebensnotwendigen Verrichtungen, die nicht allgemein von dritten Personen besorgt würden, sondern die auch nicht eingeschränkte Personen gewöhnlich selbst erledigen, der Kläger in welchen Zeiträumen selbst auszuführen imstande sei, und ob die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Klägers üblicherweise aufzuwendenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch seien, wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Untergerichten eine Entscheidung in der Sache selbst aufzutragen; hilfsweise wird der Antrag gestellt, in der Sache selbst zu entscheiden und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die klagende Partei hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung von den Grundsätzen der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses ausgegangen ist. Die Entziehung der Leistung sei mit Bescheid vom 6. Februar 1987 per 1. April 1987 und damit zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, in der die Grundsätze über die Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses vom Höchstgericht erstmals dargelegt worden sei, ergangen. Die Rechtssache sei daher ausgehend von der früher bestandenen Judikatur des Oberlandesgerichtes Wien zu beurteilen.

Diesen Ausführungen kann nicht beigetreten werden.

Voraussetzung für die Entziehung einer Leistung - hier des Hilflosenzuschusses - ist, daß gegenüber dem für die Gewährung maßgeblichen Zeitpunkt eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Wesentlich und damit rechtlich bedeutend, ist eine Änderung dann, wenn sie eine Besserung des zuvor bestandenen geistigen oder körperlichen Zustandes mit sich bringt, die zur Folge hat, daß Verrichtungen, die zum Gewährungszeitpunkt ausgeschlossen waren, nunmehr möglich sind. Die bloße Änderung der Rechtsprechung könnte ohne daß eine Änderung im gesundheitlichen Zustand bzw. hinsichtlich der Fähigkeit, die Verrichtungen des täglichen Lebens zu besorgen, eingetreten ist, die Voraussetzungen für die Entziehung nicht herstellen. Haben sich jedoch im tatsächlichen Bereich durch eine Besserung des Gesundheitszustandes oder - wie hier - durch eine Änderung der Behandlungsmethode Änderungen ergeben, die den Leistungswerber in vermehrtem Maß instandsetzen, die Verrichtungen seines Lebensbereiches selbständig zu besorgen, so ist, ausgehend vom Gesetz und der vom Gericht gefundenen Interpretation, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistung auch ausgehend vom nunmehrigen Zustand bestehen. Eine Bindung an eine allenfalls zu einem früheren Zeitpunkt bestandene Judikatur besteht nicht, zumal Urteile der Zivilgerichte ganz allgemein über den Einzelfall hinaus keine bindende Wirkung und rechtsschaffende Kraft haben (Fasching ZPR 1491). Daran ändert der Umstand nichts, daß der Bescheid der beklagten Partei bereits vor Änderung der Rechtsprechung ergangen ist.

Bei seinen Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Gewährung des Hilflosenzuschusses folgte das Berufungsgericht der Judikatur des Obersten Gerichtshofes (SSV-NF 1/46). Diesen Ausführungen, die die Revision nicht bekämpft, ist beizutreten. Wenn das Berufungsgericht, ausgehend von dieser Rechtsansicht, das Verfahren für ergänzungsbedürftig erachtete, so unterliegt dies nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

Anmerkung

E15283

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00183.88.0906.000

Dokumentnummer

JJT_19880906_OGH0002_010OBS00183_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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