Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann (AG) und Karl Klein (AN) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosa K***, Klausgasse 7, 5730 Mittersill, vertreten durch Dr. Michael Lackner, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Jänner 1988, GZ 12 Rs 1111/87-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 11. März 1987, GZ 36 Cgs 18/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 6. Juni 1986 wurde der klagenden Partei eine Witwenpension nach dem am 19. März 1986 verstorbenen Alfred K*** zuerkannt, wobei der Berechnung der Pension die von Alfred K*** zwischen 13. Oktober 1948 und 27. November 1961 in Rumänien und die vom 19. August 1964 bis 19. März 1986 in Österreich erworbenen Versicherungszeiten zugrundegelegt wurden, nicht aber die in Rumänien erworbenen Zeiten vom 1. Dezember 1961 bis 31. Juli 1964.
Nur gegen die Nichtberücksichtigung der in Rumänien erworbenen Versicherungszeiten vom 1. Dezember 1961 bis 31. Juli 1964 richtet sich die vorliegende Klage.
Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der klagenden Partei eine Witwenpension entsprechend dem durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheid zu gewähren und wies das Mehrbegehren, auch die von Alfred K*** zwischen dem 1. Dezember 1961 und 31. Juli 1964 zurückgelegten Versicherungszeiten als Beitragszeiten in der Österreichischen Pensionsversicherung anzuerkennen, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Die in Rumänien geborene Klägerin hat am 8. November 1955 den ebenfalls in Rumänien geborenen Alfred Martin K*** geheiratet. Die Familie K*** gehörte der deutschen Volksgruppe in Siebenbürgen an. Der Vater von Alfred Martin K*** ließ sich im Jahre 1946 in Mittersill nieder. Mit Bescheid vom 13. Jänner 1951 wurde ihm von der Salzburger Landesregierung ebenso wie seinen ehelichen Kindern Alfred Martin und Rosa K*** die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Alfred Martin K*** besaß bis zur Zurücklegung der rumänischen Staatsbürgerschaft am 14. August 1964 die österreichische und die rumänische Staatsangehörigkeit. Die Klägerin erwarb die österreichische Staatsbürgerschaft mit der Eheschließung, sie legte die rumänische Staatsangehörigkeit am 14. August 1964 zurück.
Alfred Martin K*** arbeitete vom 13. Oktober 1948 bis 10. August 1964 mit Ausnahme der Zeit der Ableistung des Präsenzdienstes vom 18. August 1954 bis 23. Dezember 1956 in Rumänien als Hilfsmonteur und Schlosser, ab 10. Februar 1959 bis 10. August 1964 war er im landwirtschaftlichen Staatskollektiv Cristian tätig.
Alfred Martin K*** stellte ab 1958 wiederholt Ausreiseansuchen nach Österreich zur Familienzusammenführung mit seinem Vater Alfred K***. Österreich hatte seine Einreise bewilligt. Nach drei in den Jahren 1958, 1960 und 1962 von den rumänischen Behörden abgelehnten Ausreiseansuchen erhielt er auf Grund eines im Jahr 1963 gestellten Ausreiseantrages im Jahr 1964 die Bewilligung zur Ausreise nach Österreich mit seiner Frau und den beiden Kindern. Am 16. August 1964 reiste die Familie K*** nach Österreich ein. Vom 19. August 1964 bis zu seinem Tod am 19. März 1986 arbeitete Alfred Martin K*** als Maschinenbaumeister in Mittersill.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, nach dem A*** seien nur Versicherungszeiten, die vor dem Stichtag 27. November 1961 in Rentenversicherungen anderer Staaten erworben worden seien, in der Österreichischen Pensionsversicherung zu berücksichtigen. Für eine Anerkennung der zwischen dem 1. Dezember 1961 und 31. Juli 1964 in Rumänien erworbenen Versicherungszeiten fehle eine gesetzliche Grundlage.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin, in welcher eine Unterbrechung des Verfahrens und die Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Fristsetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 lit. a ARÜG beantragt wird, keine Folge. Es erachtete die genannte gesetzliche Bestimmung für verfassungsrechtlich unbedenklich und billigte die - im übrigen nicht bekämpfte - Rechtsansicht des Erstgerichtes.
In ihrer Revision wiederholt die klagende Partei lediglich erneut ihre verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die nach ihrer Ansicht willkürlich getroffene Fristsetzung des § 1 Abs. 1 Z 1 lit. a ARÜG welche den durch das ARÜG begünstigten Personenkreis ungleich behandle.
Rechtliche Beurteilung
Der erkennende Senat vermag sich der Argumentation der Revisionswerberin nicht anzuschließen und hat gegen die Verfassungsmäßigkeit der Fristsetzung in der genannten gesetzlichen Bestimmung keine Bedenken.
Eine Differenzierung ist dann sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen (aus Unterschieden im Tatsächlichen) erfolgt (VfSlg. 2088, 3754, 4140, 4392). Der Gesetzgeber ist demnach durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg. 2956, 5727). Wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechenden unterschiedlichen Regelungen führen (VfSlg. 8217, 8806). Nur unterschiedliche Regelungen, die nicht in entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen eine Grundlage haben, sind gleichheitswidrig (VfSlg. 7947, 8600), wobei unter der Sachlichkeit einer Regelung nicht eine "Zweckmäßigkeit" oder "Gerechtigkeit" zu verstehen ist (VfSlg. 4711). Es ist zulässig, von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (VfSlg. 5318). Es ist dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip abzugehen, soferne nur die betreffende Regelung in sich sachlich begründet ist (VfSlg. 7040, 7705 ua).
Die Revisionswerberin hat in ihren Rechtsmittelschriften selbst ausführlich die Entstehungsgeschichte des ARÜG bis zu seiner letzten Ausformung in der Fassung des BG vom 5. April 1962 BGBl. 114 dargelegt, welches durch das zwischen Österreich und der Bundesrepublik Deutschland getroffene Abkommen, in welchem die Bundesrepublik Deutschland einen erheblichen Teil der dadurch entstandenen und neu entstehenden, durch keinerlei Beitragsleistungen gedeckten Lasten übernahm, erst möglich wurde. Durch das ARÜG sollten die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges mit seinen vielen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen auf österreichische und deutsche Staatsbürger sowie auf Volksdeutsche (Personen deutscher Sprachzugehörigkeit) auf dem Gebiet der Renten- und Unfallversicherung gemildert werden. Auch die Revisionswerberin gesteht zu, daß die Anrechnung ausländischer Versicherungszeiten - ohne Vereinbarung mit dem betreffenden anderen Staat und ohne jede Gegenseitigkeit - ein "Benefiz" für die dadurch Begünstigten darstellt. Wie eingangs dargelegt, ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, von einem einmal gewählten Ordnungsprinzip abzugehen und auch für die dadurch Betroffenen ungünstigere Normen zu erlassen, oder wie hier besondere Begünstigungen zu befristen. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, steht dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum insoferne zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist und es sind gerade im Sozialversicherungsbereich Stichtagsregelungen in Anpassung an die wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten unvermeidlich, mögen sie auch in Einzelfällen Härten mit sich bringen. Gerade wenn es, wie beim ARÜG, um die Milderung der Kriegsauswirkungen geht, ist die Festsetzung eines Endpunktes für nur bestimmte Personengruppen gewährte Begünstigungen geradezu geboten, weil vielmehr eine unbeschränkte Weitergewährung solcher Begünstigungen gegenüber anderen im Staatsgebiet wohnenden Personen, welche für den Erwerb von Anwartschaften auf Versicherungsleistungen an die Versicherungsträger auch Beiträge zu zahlen haben, gleichheitswidrig sein könnte. Die Beschränkung der Anrechnungsmöglichkeit ausländischer Versicherungszeiten durch die Stichtagsregelung ist daher nicht als gleichheitswidrig zu betrachten.
Auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung in der Behandlung jenes Personenkreises des § 2 ARÜG, dem die Begünstigungen des § 1 leg cit zugutekommen, liegt nicht vor, da der Stichtag 27. November 1961 gleichermaßen für alle vom ARÜG erfaßten Personen ohne Ausnahme gilt. Gerade durch die Bestimmungen des § 2 Abs 1 lit b und c hat der Gesetzgeber dafür Sorge getragen, daß auch jene Personen, die unverschuldet erst nach dem Stichtag nach Österreich kommen konnten, auch in den Genuß der einheitlich geregelten Anrechnungsvorschrift gelangen. Daß sich diese auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalles - also nur aus Unterschieden im Tatsächlichen - unterschiedlich auswirken können und müssen, liegt auf der Hand und erscheint nicht verfassungswidrig. Für eine Vorgangsweise nach Art 140 Abs 1 B-VG sieht der Oberste Gerichtshof daher keine Veranlassung.
Der Revision war somit ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
Anmerkung
E15298European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00103.88.0906.000Dokumentnummer
JJT_19880906_OGH0002_010OBS00103_8800000_000