TE OGH 1988/9/7 14Os116/88

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Veröffentlicht am 07.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7.September 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Lachner, Dr. Kuch sowie Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Andrea S*** wegen des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 5.Mai 1988, GZ 11 e Vr 705/87-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen wird der Akt gemäß § 285 i StPO nF dem Oberlandesgericht Wien zugemittelt.

Gemäß § 390 a StPO fallen der Angeklagten die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die jetzt 28-jährige Bedienerin Andrea S*** des Verbrechens der Tötung eines Kindes bei der Geburt nach § 79 StGB schuldig erkannt. Darnach hat sie am 11.September 1987 in Oberrohrbach als Mutter während der Geburt ihre neugeborenen Kinder, nämlich einen (3,4 kg schweren) Knaben und ein (2,6 kg schweres) Mädchen, vorsätzlich getötet, indem sie diese in den Brennraum ihres Zentralheizungsofens steckte und dort ein Feuer entfachte, sodaß die Kinder verbrannten.

Rechtliche Beurteilung

Die Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Z 5, 5 a, 9 lit a und b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die jedoch teils offenbar unbegründet, teils nicht den Prozeßgesetzen entsprechend ausgeführt ist. Dem in der Mängelrüge (Z 5) erhobenen Einwand eines Widerspruchs, den die Beschwerdeführerin darin erblickt, daß das Erstgericht das Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. D*** einerseits als schlüssig und unbedenklich bezeichne, ihm aber andererseits nur teilweise folge, ist zunächst ganz allgemein zu erwidern, daß die hier relevierte Frage, ob (auch) das weibliche Kind lebend geboren wurde, vom Gericht eigenständig auf Grund aller Ergebnisse des Beweisverfahrens zu entscheiden ist, ohne daß es dabei an Expertisen von Sachverständigen gebunden wäre. Es hat jedoch alle bezüglichen, in der Hauptverhandlung - sei es unmittelbar, sei es durch Verlesung von Aktenstücken - vorgekommenen Verfahrensergebnisse zu berücksichtigen und im Urteil darzulegen, aus welchen Erwägungen es zu der die Feststellungen tragenden Überzeugung gelangte. Der Sachverständige hat dabei dem Gericht lediglich die für die Sachverhaltsfeststellungen erforderlichen Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Die Würdigung und Beurteilung der Beweisergebnisse - einschließlich von Sachverständigengutachten - obliegen dem Gericht.

Vorliegend trifft es zwar zu, daß der genannte Sachverständige Dr. D*** auf Grund des erhobenen Befunds den Verbrennungstod des lebend geborenen weiblichen Kindes nicht mit Sicherheit nachweisen konnte, weil er eine Todesursache "aus innerem Grund" nicht auszuschließen vermochte (S 312). Das Erstgericht stützte jedoch seine Annahme, daß die Angeklagte von der Geburt zweier Kinder Kenntnis hatte, daß beide Kinder, und zwar auch das in Rede stehende Mädchen, lebend geboren und von der Angeklagten durch das im Zentralheizungsofen entfachte Feuer getötet wurden, auf die von der Angeklagten, die schon eine Geburt hinter sich hatte und demzufolge mit dem Geburtsvorgang vertraut war, geschilderten Kindesbewegungen wie auch ihre eigene Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, ferner auf das Gewicht der beiden Kinder, auf den Umstand, daß von der Angeklagten beide Nabelschnüre mit einem schneidenden Werkzeug durchtrennt wurden, aber auch darauf, daß vom Sachverständigen weder am Gehirn noch am Mutterkuchen irgendwelche krankhaften Veränderungen festgestellt werden konnten (US 6 iVm S 312). Solcherart hat sich das Erstgericht im Ergebnis mit dem Gutachten des genannten Sachverständigen, der im übrigen keinerlei Anzeichen für eine Totgeburt des Mädchens aufzeigen konnte, gar nicht in Widerspruch gesetzt, sondern lediglich über das Sachverständigengutachten hinaus (weitere) denkrichtige Schlüsse gezogen, welche es auf Grund der Erfahrungen des täglichen Lebens auch ohne Beiziehung eines ärztlichen Sachverständigen hätte ziehen können.

Wenn die Beschwerde in diesem Zusammenhang meint, der "Zustand des Gehirns" des Mädchens sei laut dem vom Sachverständigen Dr. D*** erhobenen Befund (S 239) nicht mehr beurteilbar gewesen, so übersieht sie, daß der Sachverständige in seinem in der Hauptverhandlung ergänzten Gutachten hiezu ausgeführt hat, daß die Gehirne (der beiden Kinder) durch Hitzeeinwirkung zwar weitgehend verändert waren, daß aber eine Blutung, die man ohne weiteres erkennen würde, nicht vorhanden war (S 312). Die Frage aber, ob die beiden Kinder unmittelbar nach der Geburt geschrieen haben, ließ das Gericht ohnedies offen; die in diesem Zusammenhang im Urteil verwendete Formulierung "mit größter Wahrscheinlichkeit" (US 4) läßt nämlich erkennen, daß die Tatrichter letztlich nicht vollständig davon überzeugt waren, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Die von den Tatrichtern auf die zuvor genannten Prämissen gestützte und damit mängelfrei begründete Feststellung, wonach die beiden Neugeborenen gelebt haben (US 6), indiziert, daß beide Kinder auch geatmet haben.

Die Verantwortung der Angeklagten, sie habe angenommen, daß es sich nur um ein Kind handelte, das sie für tot gehalten habe, wurde vom Erstgericht, dem Beschwerdevorbringen zuwider, ohnedies gewürdigt (US 7), jedoch aus den bereits dargelegten Erwägungen für widerlegt erachtet (US 8). Ihre dagegen erhobenen Einwendungen erschöpfen sich - nach Art einer Schuldberufung - in der Erörterung des Wertes der vorliegenden Beweise sowie in einer Kritik an der Bedeutung, die das Schöffengericht den einzelnen Verfahrensergebnissen beimaß. Damit wird jedoch nur unzulässig und deshalb unbeachtlich die Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz in Zweifel gezogen. Gleiches gilt für den Einwand, der vom Erstgericht nach der Tat angenommene Blutverlust müsse bereits vor der Tat eingetreten sein. Denn die Beschwerde übergeht dabei, daß das Schöffengericht gestützt auf die in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. G*** und Dr. K*** zur Überzeugung gelangte, daß die Handlungsweise der Angeklagten - wie übrigens auch unmittelbar nach der Tat - "in den kritischen Augenblicken zielgerichtet und konsequent" war (US 7 f iVm S 319). Wenn sich aber die Beschwerdeführerin gegen die Urteilspassage wendet, wonach sie "auf das Gericht einen gefühlskalten Eindruck" machte, genügt der Hinweis, daß eine insoweit vom Erstgericht vorgenommene Beurteilung der Persönlichkeit der Angeklagten - die zudem eine Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit selbst nicht behauptet - für das Erkenntnis in der Schuldfrage und damit für die Unterstellung der Tat unter das Gesetz nicht entscheidend ist, sondern erst bei der Straffrage zum Tragen kommt.

Dies gilt gleichermaßen für den von der Beschwerde darin erblickten Widerspruch, daß die Angeklagte nach den zunächst getroffenen Feststellungen den Tötungsvorsatz erst unmittelbar nach der Geburt faßte (US 4), während an anderer Stelle des Urteils, insbesondere bei Aufzählung der Strafzumessungsgründe (US 8, 9), von einer Planung der Tat bereits vor der Geburt die Rede ist. Nach eingehender Prüfung der auch unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 a des § 281 Abs 1 StPO vorgebrachten Einwände und des Akteninhaltes gelangte der Oberste Gerichtshof zur Überzeugung, daß sich gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrundegelegten entscheidenden Tatsachen keine erhebliche Bedenken ergeben.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a und b) hinwieder, mit welcher in Ansehung des weiblichen Kindes zum einen das Vorliegen eines absolut untauglichen Versuchs mit dem Hinweis eingewendet wird, daß "nicht mit Sicherheit festgestellt werden konnte, ob auch das weibliche Kind zum Zeitpunkt der Geburt lebte", und zum anderen ins Treffen geführt wird, die Beschwerdeführerin hätte "immer nur von der Geburt eines Kindes gesprochen", so daß ihr "jedenfalls nur bedingter Tötungsvorsatz hinsichtlich eines Kindes angelastet werden könne", insoweit habe sie jedoch "die Handlung, die tatsächlich zum Tod eines Kindes führte", in einem entschuldbaren (gemeint ersichtlich den Vorsatz ausschließenden) Irrtum durchgeführt, weil sie das Kind für tot gehalten habe, übergeht jene Urteilsfeststellungen, wonach das Mädchen gelebt hat und beide Kinder lebensfähig waren (US 4, 6) wie auch, daß die Angeklagte es "(zumindest) ernstlich für möglich hielt, daß es sich um lebende Zwillingskinder handelte" und "nun" - sich mit dem folgenden Erfolg abfindend - den Vorsatz faßte, die neugeborenen Kinder zu töten. Die Rechtsrüge hält demnach nicht am gesamten Urteilssachverhalt fest und entbehrt somit der porzeßordnungsgemäßen Ausführung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher teils gemäß § 285 d Abs 1 Z 2 StPO, teils gemäß der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Die übrigen Entscheidungen gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

Anmerkung

E15138

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00116.88.0907.000

Dokumentnummer

JJT_19880907_OGH0002_0140OS00116_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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