TE OGH 1988/9/15 8Ob632/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.09.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Sebastian G***, geboren am 4. September 1977, vertreten durch dessen Mutter Heike G***, Angestellte, 5084 Großgmain, Untersbergstraße 96, diese vertreten durch Dr. Manfred Jokesch, Rechtsanwalt in Salzburg, infolge Revisionsrekurses des Vaters Peter G***, Einrichtungsberater, 5121 Lochen Nr. 64, dieser vertreten durch Dr. Robert Eder, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Rekursgerichtes vom 24. Juni 1988, GZ R 238/88-99, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 1. Juni 1988, GZ P 101/83-89, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Eltern des minderjährigen Sebastian G*** leben seit Ostern 1982 dauernd getrennt. Mit Vergleich vom 13. April 1983 (ON 23) kamen die Eltern dieses Kindes überein, daß die elterlichen Rechte und Pflichten (§ 144 ABGB) künftig dem Vater Peter G*** zustehen sollten. Der Mutter Heike G*** wurde ein Besuchsrecht eingeräumt. Dieser Vergleich wurde niemals ausdrücklich pflegschaftsbehördlich genehmigt, doch sowohl vom Bezirksgericht Salzburg als auch später von dem die Zuständigkeit übernommen habenden Bezirksgericht Mattighofen als genehmigt behandelt (ON 25 und 27). Die Ehe der Eltern wurde am 17. September 1984 geschieden. Die Mutter zog ihren am 13. Jänner 1984 beim Erstgericht eingebrachten Antrag, ihr die elterlichen Rechte und Pflichten zu übertragen (ON 29), mit Schreiben vom 11. Juli 1987 zurück (ON 76). Am 11. Mai 1988 beantragte die Mutter unter anderem die Übertragung der elterlichen Rechte auf sie und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung des Inhaltes, daß ihr Pflege und Erziehung sowie gesetzliche Vertretung bis zur Rechtskraft der beantragten Entscheidung vorläufig übertragen würden. Sie begründete dies damit, der Vater habe das Kind mißhandelt, worüber in der Schule ein Protokoll aufgenommen wurde. Das Kind sei nicht mehr bereit, nach dem Besuch bei der Mutter zum Vater zurückzukehren (ON 78). Der Vater beantragte Abweisung des Begehrens der Mutter mit der Begründung, diese intrigiere gegen ihn und habe auch das Kind aufgehetzt. Er habe dem Kind höchstens hin und wieder eine verdiente Ohrfeige oder einen oder zwei Schläge auf das Gesäß gegeben (ON 81). Das Erstgericht sprach aus, daß in Abänderung des Vergleiches vom 13. April 1983 der minderjährige Sebastian G*** nunmehr "bei der Mutter Heike G*** zu verbleiben habe; der Kindesmutter stehen die Rechte des § 144 ABGB zu; dies bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Kindesmutter, ihr die Rechte des § 144 ABGB zu übertragen."

Das Erstgericht stellt hiezu folgenden Sachverhalt fest:

Laut Bericht der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, die einen Hausbesuch bei Heike G*** vornahm, fühlt sich Sebastian G*** bei der Kindesmutter wirklich wohl und ist nicht zu einer Rückkehr zum Vater zu bewegen. Nach dem Bericht der Schulleitung Lochen kam Sebastian G*** am 10. Mai 1988 sichtlich verstört, verweint und etwas verspätet in die Schule. Der Schulleiter und die Lehrerin führten deshalb ein ausführliches Gespräch mit ihm. Dabei teilte Sebastian G*** mit, daß er von seinem Vater geschlagen worden sei. Dabei blieb er auch nach der Ermahnung des Direktors, daß er die Wahrheit sagen müsse. Er fügte hinzu, daß er zum Tisch gestoßen geworden sei. Eine leichte Verletzung am linken Schienbein war tatsächlich sichtbar. Bei dieser Befragung teilte Sebastian G*** mit, daß er von seinem Vater des öfteren durch Tritte gegen die Beine, Ohrfeigen, Stöße, Insbettwerfen und Schläge schlecht behandelt werde. Vor Gericht gab Sebastian G*** unmißverständlich an, daß er nicht mehr zum Vater zurückkehre, sondern bei der Mutter bleiben wolle. Auch dem Richter gegenüber gab er an, öfters vom Vater geschlagen und bei den Haaren gezogen geworden zu sein. Der Vater habe ihm auch Bücher auf den Kopf geschlagen oder Stöße versetzt. Zu seinem Halbbruder Guido (der bei Heike G*** wohnt) habe er ein gutes Verhältnis. Sebastian G*** machte bei seiner gerichtlichen Vernehmung einen ungezwungenen Eindruck und redete "frei aus sich heraus". Eine Verstellung des Buben war nicht festzustellen. Nicht unbegründet befürchtet der Bub, daß der noch schlimmeres zu erwarten habe, wenn er zum Vater zurückkehren müsse. Mit der gewaltsamen Wegnahme des Kindes von der Mutter wäre, weil dadurch der Wille des Kindes gebrochen werden müßte, die Gefahr eines schweren seelischen Schadens für Sebastian verbunden. Die Mutter kann sich ihre Arbeit als Sozialarbeiterin so einteilen, daß sie zu Hause bleiben kann, wenn auch Sebastian zu Hause ist. Wenn sie an jedem siebenten Tag von 8 Uhr bis 9 Uhr des darauffolgenden Tages wegen auswärtigen Dienstes nicht zu Hause sein kann, so kümmert sich während dieser Zeit sein siebzehnjähriger Halbbruder um ihn.

Das Erstgericht erachtete daher die Erlassung der beantragten einstweiligen Vorkehrung im Interesse des Wohles des Kindes für angebracht.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß bestätigte das Rekursgericht diese Entscheidung mit der Maßgabe, daß sie wie folgt zu lauten habe:

"Entgegen dem am 13. April 1983 vor dem Bezirksgericht Salzburg abgeschlossenen Vergleich (ON 23) über die Zuteilung der elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des minderjährigen Sebastian G*** an den Vater Peter G*** wird vorläufig pflegschaftsbehördlich genehmigt, daß der minderjährige Sebastian bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den von der Mutter Heike G*** gestellten Antrag, ihr die elterlichen Rechte und Pflichten nach § 144 ABGB zu übertragen, bei der Mutter Heike G*** verbleibt."

Entgegen der Ansicht des Rekurswerbers seien die Voraussetzungen für eine dringende Entscheidung im Wege einer grundsätzlich zulässigen einstweiligen Verfügung gegeben. Es sei wegen der nicht bloß einmaligen Mißhandlung des Kindes durch den Vater eine akute Gefährdung des Kindes gegeben. Allerdings sei - im Gegensatz zur erstgerichtlichen Diktion des Spruches - der vorläufige Charakter der Entscheidung, die sich nur auf den derzeitigen Verbleib des Kindes beziehe, unmißverständlich zum Ausdruck zu bringen. Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, diesen Beschluß ersatzlos aufzuheben. Der Vater meint, es handle sich um ein ordentliches Rechtsmittel, weil die Beschlüsse der Vorinstanzen nicht gleichlautend seien; die vorläufige Anordnung über die Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten an die Mutter verletze das Kindeswohl, weil keine zwingende Notwendigkeit für eine solche Maßnahme bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Gegen der vom Rechtsmittelwerber vertretenen Ansicht handelt es sich um einen nach § 16 AußStrG zu beurteilenden sogenannten außerordentlichen Revisionsrekurs. Das Erstgericht übertrug sämtliche elterlichen Rechte - insoweit sogar über den Antrag der Mutter, die als vorläufige Maßnahme nur die Übertragung der Pflege und Erziehung sowie der gesetzlichen Vertretung begehrt hatte, hinausgehend - vorläufig (bis zur Entscheidung über den Antrag auf endgültige Übertragung der elterlichen Rechte) an die Mutter Heike G***. Das Rekursgericht hingegen bestätigte nur den vorläufigen Verbleib des Kindes bei der Mutter, d. h. die vorläufige Übertragung der Pflege und Erziehung. Die begehrte vorläufige Übertragung auch der gesetzlichen Vertretung gilt daher als abgewiesen, doch blieb der Beschluß der zweiten Instanz insoweit unangefochten. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist daher nur die vorläufige Übertragung der Pflege und Erziehung dieses Kindes auf die Mutter. Insoweit liegen gleichlautende Entscheidungen vor, so daß dagegen der Revisionsrekurs nur gemäß § 16 AußStrG zulässig ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit des vorliegenden Revisionsrekurses wäre daher die offenbare Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Entscheidung (Aktenwidrigkeit und Nullität, wofür nach der Aktenlage kein Anhaltspunkt besteht, wurden nicht geltend gemacht).

Eine vorläufige Anordnung über die Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten verletzt das Kindeswohl, wenn nicht eine zwingende Notwendigkeit zu einer solchen Maßnahme bestand. Verletzung des Kindeswohles aber bedeutet offenbare Gesetzwidrigkeit der Entscheidung und könnte daher auch noch im Verfahren über einen außerordentlichen Revisionsrekurs wahrgenommen werden. Insoweit beruft sich der Rechtsmittelwerber zutreffend auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. Oktober 1986, 1 Ob 627/86 (SZ 59/160). In Anbetracht der von den Vorinstanzen festgestellten und zu mißbilligenden Handlungen des Vaters gegen die körperliche Integrität des Kindes und der nicht zuletzt auch dadurch bewirkten psychische Notlage des Kindes, daß es unter keinen

Umständen - jedenfalls derzeit - zum Vater zurückkehren will, erscheint es nicht dem Wohl des Kindes widersprechend und daher nicht offenkundig gesetzwidrig, wenn die Vorinstanzen den vorläufigen Verbleib des Kindes bei der Mutter billigten. Der in diesem Verfahren festgestellte Sachverhalt unterscheidet sich wesentlich von demjenigen, welcher der vom Rechtsmittelwerber angeführten, in SZ 59/160 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zugrunde lag. Dort war weder ein gewalttätiges Vorgehen des anderen Elternteiles noch eine derart weitgehende Abneigung des Kindes gegen den zunächst berechtigten Elternteil festgestellt worden.

Der Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Anmerkung

E15490

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00632.88.0915.000

Dokumentnummer

JJT_19880915_OGH0002_0080OB00632_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten