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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1984, vertreten durch Dr. Erich Jungwirth, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Trautsongasse 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Dezember 2004, Zl. 236.140/9-IV/44/04, betreffend Zurückweisung eines Wiedereinsetzungsantrages in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Indien, stellte am 3. März 2003 einen Asylantrag. Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 15. Juni 2004 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien für zulässig; weiters wurde der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 19. Juni 2004 durch Hinterlegung beim Postamt 1200 Wien zugestellt, von diesem Postamt in der Folge aber an das Bundesasylamt als "nicht behoben" zurückgestellt.
Am 28. Juni 2004 langte beim Bundesasylamt eine mit 21. Juni 2004 datierte, an D.K., Flughafensozialdienst, erteilte Vollmacht des Beschwerdeführers ein, wonach jener bevollmächtigt wurde, ihn - unter anderem - "in allen Rechtssachen nach dem Asylgesetz ... vor allen Behörden und auch außerhalb derselben zu vertreten" und "Zustellungen aller Art anzunehmen".
Mit Schriftsatz vom 1. Juli 2004 erhob der Beschwerdeführer eine von ihm persönlich unterschriebene Berufung gegen den (seinen Asylantrag abweisenden) Bescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juni 2004, die am selben Tag mittels Telefax an die Bundespolizeidirektion Salzburg, Fremdenpolizei, übermittelt wurde. Einen Hinweis auf eine allfällige Kündigung der erwähnten Vollmacht enthält dieser Berufungsschriftsatz nicht. Mit Telefax vom 9. Juli 2004 wurde die Berufung von der Bundespolizeidirektion Salzburg zuständigkeitshalber an das Bundesasylamt weitergeleitet.
In der Folge hielt die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit einem an ihn persönlich adressierten Schreiben vom 21. Juli 2004 vor, dass die Berufungsfrist am Samstag, 19. Juni 2004, begonnen und daher am Montag, 5. Juli 2004, geendet habe; die am 9. Juli 2004 beim Bundesasylamt eingelangte Berufung erscheine daher als verspätet. Dieses Schreiben wurde nach Zustellversuchen am 23. und 26. Juli 2004 hinterlegt (Beginn der Abholfrist am 27. Juli 2004) und blieb unbehoben. Am 27. Juli 2004 bestätigte der Beschwerdeführer aber vor der belangten Behörde die "Übernahme der Kopie des mir als Rsa-Sendung zugestellten Schreibens betreffend Parteiengehör zur Rechtzeitigkeit der Berufung".
Mit einem an den unabhängigen Bundesasylsenat (belangte Behörde) gerichteten - offensichtlich durch einen Berater des Flughafensozialdienstes verfassten - Schriftsatz vom 2. August 2004 teilte der Beschwerdeführer mit, er nehme zum Vorhalt laut dem Schreiben der belangten Behörde "vom 21.7.2004 (zug. 26.7.04)" dahingehend Stellung, dass er an D.K., Flughafensozialdienst, Vollmacht für die Vertretung in seinem Asylverfahren erteilt habe; von diesem sei die Berufung - fristgerecht - an die (unzuständige) Behörde (Bundespolizeidirektion Salzburg) abgesandt worden. Von einem solchen Fehler eines Mitarbeiters der Beratungsstelle Flughafensozialdienst habe er nicht ausgehen können. Es sei aber auch der Bundespolizeidirektion Salzburg vorzuwerfen, dass diese den bei ihr vier Tage vor dem Ablauf der Berufungsfrist eingelangten Schriftsatz erst vier Tage nach Ende der Berufungsfrist an die zuständige Behörde weitergeleitet habe. Er habe davon ausgehen können, dass die "fristgerecht eingebrachte Berufung an die zuständige Behörde zugestellt wird". Er beantragte, die Berufung "als fristgerecht anzusehen" und ihm in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.
Mit Schreiben der belangten Behörde vom 11. August 2004 wurde eine Kopie dieser Stellungnahme vom 2. August 2004 dem Bundesasylamt übermittelt, wo sie am 13. August 2004 einlangte.
In der Folge wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 16. August 2004 - ohne die Entscheidung des Bundesasylamtes über den Wiedereinsetzungsantrag abzuwarten - die Berufung gegen den Asylbescheid des Bundesasylamtes vom 15. Juni 2004 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.
Das Bundesasylamt wies schließlich mit Bescheid vom 7. Oktober 2004 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 2. August 2004 gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde dieser Berufung des Beschwerdeführers "keine Folge gegeben und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 2. August 2004 gemäß § 71 Abs. 2 AVG als verspätet zurückgewiesen". Begründend führte die belangte Behörde aus, die zweiwöchige Frist gemäß § 71 Abs. 2 AVG für die Einbringung des Wiedereinsetzungsantrages habe "unstrittig" spätestens am 10. August 2004 geendet. Der Wiedereinsetzungsantrag sei am 2. August 2004 zur Post gegeben worden, allerdings an die "falsche" Behörde, nämlich den unabhängigen Bundesasylsenat (die belangte Behörde) gerichtet gewesen, wo er am 4. August 2004 eingelangt sei. Nach Weiterleitung durch die belangte Behörde am 11. August 2004 sei der Wiedereinsetzungsantrag am 13. August 2004, somit nach Ablauf der Frist gemäß § 71 Abs. 2 AVG, beim Bundesasylamt als zuständiger Behörde eingelangt.
Über die Beschwerde gegen diesen Bescheid hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 71 Abs. 1 AVG (idF BGBl. I Nr. 158/1998) ist u. a. gegen die Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn
"1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig sei."
Nach § 71 Abs. 2 AVG muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, bei der Behörde, bei der die Berufung einzubringen war (§ 71 Abs. 4 AVG), gestellt werden.
Im vorliegenden Fall bestand das "Hindernis" in einem Irrtum des Mitarbeiters des Flughafensozialdienstes, der die vom Beschwerdeführer unterschriebene Berufung gegen dessen Asylbescheid nicht an das Bundesasylamt, sondern an eine unzuständige Behörde abgesandt hat, von wo der Schriftsatz erst nach Ablauf der Berufungsfrist an das Bundesasylamt weitergeleitet wurde. Auf diesen Irrtum wurde der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall mit dem an ihn persönlich adressierten Schreiben vom 21. Juli 2004 (Vorhalt der Verspätung der Berufung) hingewiesen. Von diesem Schreiben, das am 26. Juli 2004 (mit Beginn der Abholfrist am 27. Juli 2004) hinterlegt worden war, folgte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer am 27. Juli 2004 eine Kopie aus.
Das Schreiben der belangten Behörde vom 21. Juli 2004 wäre jedoch im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt am 28. Juni 2004 die Vollmachtserteilung an D.K. bekannt gegeben hatte, nicht an den Beschwerdeführer persönlich, sondern an dessen ausgewiesenen Vertreter zuzustellen gewesen. Dass der Beschwerdeführer seine Berufung vom 1. Juli 2004 selbst unterschrieben und ohne Hinweis auf das Vertretungsverhältnis eingebracht hatte, berechtigte die Behörde nämlich noch nicht zur Annahme, dass die Vollmacht gekündigt worden sei (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 250, E 69c zu § 10 AVG zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
Unabhängig davon, ob die (wahrscheinlich erfolgte) Übergabe der Kopie des Verspätungsvorhaltes an den bevollmächtigten Vertreter eine Heilung der unwirksamen Zustellung gemäß § 7 ZustG bewirken konnte, ist jedenfalls mit Kenntnis dieses Schreibens durch den Vertreter des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall vom "Wegfall des Hindernisses" im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG auszugehen, sodass die Wiedereinsetzungsfrist im Zeitpunkt dieser Kenntnis zu laufen begann (vgl. zum Fristbeginn gemäß § 71 Abs. 2 AVG die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. März 1990, Zl. 90/03/0030, vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0409, vom 26. Juli 2002, Zl. 99/02/0314, und vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0410; siehe weiters die Erkenntnisse vom 16. Mai 2002, Zl. 2002/20/0215, 0216, und - zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 46 Abs. 3 VwGG - die Beschlüsse vom 3. Juli 2002, Zl. 2002/08/0167, sowie vom 14. Jänner 2003, Zl. 2002/01/0429, und das zur Wiedereinsetzung gemäß §§ 146 ff ZPO ergangene Urteil des OGH vom 15. April 1993, 10 ObS 64/93 (SZ 66/51), sowie Gitschthaler in Rechberger, Kommentar zur ZPO2 (2000) Rz 7 zu § 149 ZPO, mwN).
Darüber, wann die Kopie des Schreibens dem Vertreter des Beschwerdeführers übergeben wurde, hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen. Im Hinblick auf den - offensichtlich durch einen Berater des Flughafensozialdienstes verfassten - Wiedereinsetzungsantrag vom 2. August 2004 ist die Mitteilung über die verspätete Berufungserhebung aber spätestens an diesem Tag dem Flughafensozialdienst (und damit wahrscheinlich auch dem dort tätigen Vertreter des Beschwerdeführers) bekannt geworden. Setzt man den "Wegfall des Hindernisses", mit dem die Wiedereinsetzungsfrist zu laufen begann, erst mit diesem Tag an, so wäre der - gemäß § 71 Abs. 4 AVG richtigerweise beim Bundesasylamt und nicht bei der belangten Behörde einzubringende - Wiedereinsetzungsantrag nicht als verspätet zurückzuweisen gewesen, weil ihn die belangte Behörde diesfalls - obwohl sie sich damit eine Woche Zeit ließ - noch innerhalb der vierzehntägigen Frist des § 71 Abs. 2 AVG (mit dem Schreiben vom 11. August 2004) an das Bundesasylamt weitergeleitet hätte.
Dass dem Beschwerdeführer selbst - durch den unrichtig an ihn statt an seinen ausgewiesenen Vertreter zugestellten Verspätungsvorhalt - schon früher bekannt wurde, dass die Berufung verspätet eingebracht worden war, schadet diesem nicht. Gitschthaler (in Rechberger, Kommentar zur ZPO2 (2000) Rz 6 zu § 149 ZPO) führt zwar aus, die Wiedereinsetzungsfrist beginne auch dann zu laufen, wenn sich zwar nicht beim Parteienvertreter, wohl aber beim Wiedereinsetzungswerber selbst der Irrtum aufkläre. Bei den von ihm als Beleg zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 11902, 11706 und 11959) war jedoch für die beiden zuerst zitierten Beschlüsse entscheidungswesentlich, dass die Wiedereinsetzungsanträge verspätet gestellt wurden, weil dem Beschwerdeführervertreter schon bei der "Endredaktion" bzw. beim Diktat der (verspätet eingebrachten) Beschwerde die Fristversäumung hätte auffallen können; nur der Beschluss vom 27. Februar 1989, VfSlg. 11959, betraf insofern eine Kenntniserlangung von der Fristversäumnis durch die Partei selbst, als diese als Kanzleibediensteter des Rechtsfreundes den entsprechenden Mängelbehebungsauftrag des Verfassungsgerichtshofes selbst bearbeitet hatte und dabei erkennen hätte müssen, dass der vom Anwalt im Kalender vermerkte (End-) Termin für die Einbringung der Verfassungsgerichtshofbeschwerde der Partei nicht sechs, sondern etwa zehn Wochen nach dem Tag der Zustellung gelegen und daher eine Beschwerdeerhebung im Sinne der Terminvormerkung verspätet gewesen sei. Mit einem Fall wie jenem, der dem zuletzt erwähnten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes zugrunde liegt, ist der hier zu beurteilende Sachverhalt aber nicht vergleichbar. Der beschwerdeführende Asylwerber hatte einem Mitarbeiter einer Hilfsorganisation Vollmacht erteilt und durfte daher damit rechnen, dass für das Verfahren wesentliche Schriftstücke an seinen Vertreter zugestellt werden würden. Im Fall der fehlerhaften Zustellung des Verspätungsvorhaltes an den Asylwerber selbst statt an dessen ausgewiesenen Vertreter kann grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass bereits dadurch der "Wegfall des Hindernisses" im Sinne des § 71 Abs. 2 AVG eintritt.
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde, hätte sie sich mit dem Zeitpunkt der Kenntnis der Versäumung des Rechtsmittels durch den Vertreter des Beschwerdeführers auseinander gesetzt, zum Ergebnis gelangt wäre, dass über den Wiedereinsetzungsantrag inhaltlich hätte entschieden werden müssen (siehe für diesen Fall zur Möglichkeit der Bewilligung einer Wiedereinsetzung, wenn ein Rechtsmittel bei einer unzuständigen Behörde eingebracht und von dieser erst nach einiger Zeit gemäß § 6 AVG weitergeleitet wurde, etwa den hg. Beschluss vom 20. November 2002, Zl. 2002/08/0134, mwN).
Da die belangte Behörde nicht beachtet hat, dass der Verspätungsvorhalt nicht dem Beschwerdeführer selbst, sondern dessen ausgewiesenem Vertreter zuzustellen war und ausgehend davon der Sachverhalt zur Beurteilung des Beginns der Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 71 Abs. 2 AVG der Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. September 2005
Schlagworte
Ende Vertretungsbefugnis Vertretungsbefugnis Inhalt Umfang RechtsmittelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2005200088.X00Im RIS seit
08.11.2005