TE Vwgh Erkenntnis 2005/9/29 2003/20/0228

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Veröffentlicht am 29.09.2005
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1979, vertreten durch Dr. Peter Balogh, Rechtsanwalts KEG in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 58/12A, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. April 2003, Zl. 233.059/1-V/15/02, betreffend §§ 6 Z 3 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (Feststellung nach § 8 AsylG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Liberia, wurde am 10. Oktober 2002 im Bundesgebiet aufgegriffen und gab am 11. Oktober 2002 vor dem GÜP Harmanschlag an, am Vortag mit dem Flugzeug von Liberia nach Österreich gereist zu sein. Er habe Liberia verlassen, weil dort Krieg herrsche. Während einer Bildungsreise seien er und seine Studienkollegen gefangen genommen und misshandelt worden. Mit Hilfe eines UN-Beamten sei ihm die Flucht gelungen und er wolle nun in Österreich um Asyl ansuchen.

Am 4. November 2002 wurde der Beschwerdeführer zu seinem Asylantrag vor dem Bundesasylamt einvernommen. Er erklärte, liberianischer Staatsangehöriger zu sein und in Monrovia gelebt zu haben. Von dort sei er mit dem Schiff nach Österreich gereist. Er wolle nach Liberia nicht zurückkehren, weil er dort sterben würde. Seine Mutter sei getötet worden, als er zehn Jahr alt gewesen sei, sein Vater sei vor zwei Jahren getötet worden. Sein Vater sei ein "Rebelle" gewesen, wahrscheinlich wolle die Regierung "uns" töten. Welcher Rebellengruppe sein Vater angehört habe, konnte der Beschwerdeführer nicht angeben. Ebenso wenig vermochte er etwa Fragen nach seiner Stammeszugehörigkeit, den in Monrovia (mit Ausnahme von Englisch) gesprochenen Sprachen und grundlegenden geografischen Gegebenheiten in dieser Stadt zu beantworten.

Mit Bescheid vom 7. November 2002 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers deshalb gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Liberia zulässig sei. Begründend führte die Behörde - nach wörtlicher Wiedergabe der mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschriften - aus, der Beschwerdeführer sei nicht Staatsangehöriger von Liberia. Sein Vorbringen sei "absolut" unglaubwürdig und könne daher der Entscheidung als Sachverhalt nicht zu Grunde gelegt werden. Es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer unter Vortäuschung der liberianischen Staatsbürgerschaft in Österreich das Asylverfahren zum Zwecke der Legalisierung des Aufenthaltes missbrauchen wolle. Der Beschwerdeführer habe über Liberia nichts gewusst, was darauf schließen ließe, dass er sein bisheriges Leben dort verbracht hätte. Über Stämme, Sprachen oder geografische Gegebenheiten in der angeblichen Heimatstadt Monrovia habe er "absolut" nichts zu berichten gewusst und er habe auch über Vorhalt der wichtigsten Stämme und Sprachen von Liberia damit nichts anfangen können. Es sei jedoch davon auszugehen, dass Liberianer sehr wohl wüssten, welchem Stamm sie angehören, welche Sprache sie sprechen, und dass Englisch nicht die einzige Sprache sei, die ein Liberianer beherrsche. Auf Grund des "absolut" mangelhaften Wissens über Liberia sei auszuschließen, dass er tatsächlich aus diesem Staat komme. Demzufolge sei auch den (auf Liberia bezogenen) Fluchtgründen keine Glaubwürdigkeit zu schenken.

Den Ausspruch nach § 8 AsylG begründete das Bundesasylamt - nach allgemeinen Rechtsausführungen - fallbezogen lediglich damit, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht glaubhaft gemacht habe, weshalb nicht vom Vorliegen einer Gefahr "im Sinne des § 57 FrG" ausgegangen werden könne. Auch aus der allgemeinen Lage in seinem (angeblichen) Heimatland allein ergebe sich eine solche Gefährdung nicht. Die Behörde gelange deshalb zur Ansicht, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer laufe im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr, in Liberia einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung "wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Verfahrensmängeln", in der er lediglich ausführte, entgegen der Ansicht des Bundesasylamtes die Voraussetzungen für die Asylgewährung zu erfüllen, weil ihm in seinem Heimatland Verfolgung drohe.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde - ohne Durchführung einer beantragten Berufungsverhandlung - die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und stellte "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 des Fremdengesetzes" fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Liberia zulässig sei (Spruchpunkt II.). In der Begründung beschränkte sie sich nach gekürzter Wiedergabe des Verfahrensverlaufes und der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen auf den Verweis, die erstinstanzliche Behörde habe in der Begründung ihres Bescheides die Ergebnisse des durchgeführten Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Die belangte Behörde schließe sich den Ausführungen des Bundesasylamtes zu beiden Spruchpunkten vollinhaltlich an und erhebe diese zum Inhalt ihres Bescheides. Von einer mündlichen Verhandlung habe Abstand genommen werden können, da der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung, in der keine neuen, konkreten Tatsachenbehauptungen aufgestellt worden seien, ausreichend geklärt erscheine.

Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 6 AsylG in der hier noch maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG-Novelle 2003) sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Z 3 dieser Bestimmung der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht.

Es kann der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie - im Wege der Verweisung auf die erstinstanzliche Entscheidung - im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Gesetzesstelle als gegeben ansah. Gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde führt die Beschwerde lediglich die mangelnde Bildung des Beschwerdeführers und angebliche Verständigungsschwierigkeiten bei seiner Einvernahme ins Treffen. Für letztere finden sich im Akt jedoch keine Anhaltspunkte. Mangelnde Bildung vermag im Übrigen die gravierenden Wissenslücken des Beschwerdeführers in Alltagsangelegenheiten (etwa über seine Stammeszugehörigkeit, die in Monrovia mit Ausnahme von Englisch gesprochenen Sprachen, oder einfache geografische Gegebenheiten im unmittelbaren Nahebereich zu seiner angeblichen Wohnadresse) nicht zu erklären. Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher eine Unschlüssigkeit in der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht zu erkennen und hegt vor dem Hintergrund der erwähnten fehlenden Kenntnisse des Beschwerdeführers sowie der Ungereimtheiten in seiner Erzählung keine Bedenken gegen die von der belangten Behörde übernommene Ansicht des Bundesasylamtes, es sei "auszuschließen", dass der Beschwerdeführer aus Liberia komme und es sei daher auch sein auf diesen Staat bezogenes Fluchtvorbringen im Sinne des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich tatsachenwidrig. Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen die Versagung von Asyl richtet (Spruchpunkt I.), gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Gegen den Ausspruch nach § 8 AsylG (ebenfalls in der maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) wendet die Beschwerde zunächst ein, die Behörde habe festgestellt, dass Liberia nicht das Herkunftsland des Beschwerdeführers sei, weshalb die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in diesen Staat nicht zulässig sei. Es entspricht jedoch der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der obgenannten Gesetzesbestimmung, dass sich die Feststellung gemäß § 8 AsylG bei Asylwerbern, die ihren wahren Herkunftsstaat verheimlichen, auf den (bloß) behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen hat (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0561, und aus jüngerer Zeit vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0410) und die Behörde diesen daher auch bei ihrer (inhaltlichen) Prüfung der Voraussetzungen für einen allfälligen Refoulementschutz zugrunde legen muss (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2000/20/0131).

Ungeachtet dessen erweist sich die Beschwerde insoweit als berechtigt, als sie vorbringt, Liberia sei ein Land, von dem aufgrund der allgemeinen Lage davon auszugehen sei, "dass Verfolgungsgefahr" bestehe. Das Bundesasylamt, auf dessen diesbezügliche Ausführungen die belangte Behörde verwies, führte in diesem Zusammenhang lediglich aus, aus der allgemeinen Lage in Liberia allein ergebe sich eine Gefährdung des Beschwerdeführers nicht, ohne diese Einschätzung in irgendeiner Weise zu begründen und durch nachvollziehbare Feststellungen über die Situation in Liberia zu belegen. Derartiges wäre jedoch im Hinblick auf den notorischen langjährigen Bürgerkrieg in diesem Staat erforderlich gewesen (vgl. etwa den Amnesty International Report 2002 vom 28. Mai 2002). Schon wegen dieser Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Bescheides hätte sich die belangte Behörde nicht mit einem bloßen Verweis auf dessen Begründung begnügen dürfen, sondern es hätte ergänzender Erhebungen insbesondere zur Sicherheitslage in Liberia und entsprechender Feststellungen dazu bedurft.

Eine solche Vorgangsweise wäre - ungeachtet der bisherigen Ausführungen - umso mehr angebracht gewesen, als der Bürgerkrieg in den Monaten zwischen der erstinstanzlichen Entscheidung (am 7. November 2002) und der Erlassung des angefochtenen Bescheides (im April 2003) eine dramatische Eskalation erfuhr, die im Juli 2003 zur Empfehlung des UNHCR führte, Abschiebungen nach Liberia vorerst völlig auszusetzen (vgl. dazu die UNHCR-Position zur Behandlung von Schutzgesuchen liberianischer Staatsangehöriger vom 28. Juli 2003; zur Indizwirkung derartiger Empfehlungen etwa zuletzt das hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2003/01/0436, mwN). Diese Entwicklung war - wie sich etwa anhand der Medienberichte von Februar bis März 2003 nachvollziehen lässt - auch schon im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde absehbar und hätte in ihre Überlegungen betreffend den Refoulementschutz des Beschwerdeführers auf nachvollziehbare Weise Eingang finden müssen.

Der angefochtene Bescheid war deshalb in seinem die Entscheidung nach § 8 AsylG betreffenden Spruchpunkt II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. September 2005

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2003200228.X00

Im RIS seit

08.02.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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