Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Xenia B***, geboren am 25. Oktober 1983, infolge Revisionsrekurses der Mutter Dr.Helga B***, Fachärztin, Klagenfurt, Troppauer Straße 7, vertreten durch Dr.Franz M. Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 6. Juni 1988, GZ 1 R 285/88-34, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 8.April 1988, GZ 4 P 54/87-27, abgeändert wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Unfang der Besuchsrechtsregelung aufgehoben und dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung über das Besuchsrecht des Vaters aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Eltern der Minderjährigen leben nicht bloß vorübergehend getrennt. Die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und mj. Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte und Pflichten stehen aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des Rekursgerichtes der Mutter zu.
Das Erstgericht regelte das Recht auf persönlichen Verkehr des Vaters mit dem Kind dahin, daß der Vater berechtigt ist, die Minderjährige an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat in der Zeit von 14 bis 18 Uhr zu besuchen. Sollte der Vater das Besuchsrecht nicht binnen einer Stunde ab Besuchsbeginn ausüben, werde angenommen, daß er für diesen Tag auf sein Besuchsrecht verzichte. Das Erstgericht ordnete ferner an, daß die ersten vier Besuche im Beisein der Mutter zu erfolgen haben.
Nach den Feststellungen des Erstgerichtes lebt die Minderjährige seit ihrer Geburt infolge Berufstätigkeit beider Eltern im Hause der mütterlichen Großmutter, die auch die Pflege der Minderjährigen besorgt. Solange die häusliche Gemeinschaft zwischen den Eltern aufrecht war, hatte der Vater Kontakt zur Minderjährigen. Es entwickelte sich zwischen beiden eine normale Vater-Kind-Beziehung. Seit Juni 1987 finden zwischen dem Vater und der Minderjährigen keinerlei Kontakte statt. Zwischen den Eltern bestehen aufgrund des anhängigen Scheidungsverfahrens große persönliche Spannungen. Die Mutter stimmt einem Besuch des Vaters nur in der Wohnung der Großmutter zu und ist nicht bereit, das Kind dem Vater allein zu überlassen. Der Vater hat aus seiner Vorehe eine Tochter, die am 3. Juli 1979 geborene Desiree. Infolge von Schwierigkeiten bei Ausübung seines Besuchsrechtes - Fahren mit der Minderjährigen Desiree im Cabriolet bei offenem Verdeck, Alkoholkonsum der Minderjährigen anläßlich eines Besuches beim Vater - wurde die Ausübung des Besuchsrechtes des Vaters zur mj. Desiree dahin beschränkt, daß dieses Recht im Beisein der väterlichen Großmutter auszuüben ist. Seit dem Tode der Mutter der mj. Desiree stehen die elterlichen Rechte, ausgenommen die Vermögensverwaltung, dem Vater zu. Die mj. Desiree lebt im Haushalt der mütterlichen Großeltern. Zwischen ihr und dem Vater finden zu den Wochenenden, aber auch während der Woche Zusammenkünfte statt. Nicht festgestellt werden könne, daß die Beziehung zwischen dem Vater und der mj. Desiree eine Gefahr für die psychische oder physische Entwicklung des Kindes darstellten. Weiters könne nicht festgestellt werden, daß der Vater sexuell-abartig veranlagt sei.
Die mj. Xenia ist ein kontaktfreudiges, normal entwickeltes Kind, das auch den Wunsch hat, den Vater zu sehen. Es könne nicht festgestellt werden, daß durch die Kontakte des Vaters zur Minderjährigen deren psychische oder physische Integrität verletzt werde.
Nach der Auffassung des Erstgerichtes komme eine Beschränkung des Besuchsrechtes eines Elternteiles nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe in Betracht, wenn etwa die psychische oder physische Integrität des Kindes gefährdet wäre. Im vorliegenden Fall hätte die Mutter bloß abstrakte Befürchtungen für das Wohl des Kindes, ohne daß konkrete Umstände dies rechtfertigten. Die Ausübung des Besuchsrechtes könne daher nicht auf die Wohnung der mütterlichen Großmutter beschränkt werden. Infolge der fast einjährigen Unterbrechung der Kontakte zwischen dem Vater und dem Kind sei jedoch das Besuchsrecht an den ersten vier Besuchstagen im Beisein der Mutter auszuüben, um im Interesse der Minderjährigen eine behutsame Wiederannäherung an den Vater zu erreichen. Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß der Vater berechtigt sei, das Kind an jedem ersten Freitag im Monat in der Zeit von 14.30 Uhr bis 18.30 Uhr und an jedem dritten Sonntag im Monat in der Zeit von 10 bis 18 Uhr zu sich zu nehmen. Die Aussprüche des Erstgerichtes über den angenommenen Verzicht auf das Besuchsrecht und die Ausübung des Besuchsrechtes in Gegenwart der Mutter wurden vom Rekursgericht beseitigt. Das Rekursgericht teilte im wesentlichen die Auffassung des Erstgerichtes. Zu den Behauptungen der Mutter, der Vater habe sich mit seiner Tochter aus erster Ehe, als diese noch ein Kleinkind gewesen sei, in der Badewanne vergnügt, wobei sich die Genitalbereiche zumindest berührt hätten und der Vater sei von seiner ersten Ehefrau als Kinderschänder bezeichnet worden, führte das Rekursgericht aus, daß diese Vorwürfe einer realen Grundlage entbehrten. Ein gemeinsames Bad von Vater und Kleinkind, auch wenn dieses in erster Linie und nicht ausschließlich einem Reinigungsbedürfnis diene, sei normal und könne ohne weitere Anhaltspunkte nicht dahin gedeutet werden, daß es dem Vater um sexuelle Kontakte mit seiner Tochter gehe. Die Ursache der einmaligen Alkoholisierung der mj. Desiree sei ungeklärt geblieben. Es seien keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, daß der Vater den Alkoholkonsum der Minderjährigen geduldet habe. Das Besuchsrecht sei daher dem Vater ohne jede Einschränkung zu gewähren.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs der Mutter ist berechtigt.
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß oberster Grundsatz jeder Besuchsrechtsregelung das Wohl des Kindes ist (EFSlg. 51.147 mwN). Beizupflichten ist den Vorinstanzen auch darin, daß eine Überwachung des Umganges des besuchsberechtigten Elternteiles mit dem Kind oder eine Beschränkung der Ausübung des Besuchsrechts auf den Wohnbereich des Kindes oder durch die Gegenwart Dritter wegen des Zweckes des Besuchsrechtes im Regelfall abzulehnen ist (EFSlg. 45.745 mwN). Eine solche Beschränkung kommt nur dann in Betracht, wenn konkrete Umstände eine mißbräuchliche Ausübung des Besuchsrechtes, insbesondere eine Gefährdung der psychischen oder physischen Integrität des Kindes besorgen lassen (EFSlg. 45.746, 45.766 f ua). Es ist auch die Ansicht des Rekursgerichtes zu billigen, daß die Mitnahme der Minderjährigen zu gesellschaftlichen Ereignissen, die ihrer Art und Dauer nach dem Alter des Kindes entsprechen, solche Besorgnisse nicht rechtfertigen. Desgleichen kann aus dem Alkoholkonsum der mj. Desiree anläßlich der Teilnahme an einer Kinderparty im Rahmen der Besuchsrechtsausübung durch den Vater keine Besorgnis abgeleitet werden. Es handelte sich um einen einmaligen Vorfall und dem Vater konnte, wie sich aus dem Pflegschaftsakt über die mj. Desiree (4 P 40/87 des Erstgerichtes) ergibt, eine Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht nicht angelastet werden. Auch die Fahrt mit der mj. Desiree im offenen Cabriolet, bei dem sich das Kind eine Erkältung zuzog, stellt einen einmaligen Vorfall dar und es liegen keine Anhaltspunkte für eine Wiederholung vor.
Die Mutter hat jedoch zur Begründung ihres Antrages auf Beschränkung der Ausübung des Besuchsrechtes auf den Wohnort der Minderjährigen unter anderem auch vorgebracht, daß der Vater anläßlich eines Besuches der mj. Desiree diese mit dem 10jährigen Neffen des Vaters im Kinderzimmer schlafen ließ, wobei der Neffe die Minderjährige unsittlich belästigt habe. Die mj. Desiree habe sich bei den Besuchen beim Vater regelmäßig entkleiden und mit dem Vater in die Badewanne steigen müssen. Während des Bades seien vom Vater sonderbare Spielereien initiiert worden und der Vater habe das Kind so motiviert, daß es regelmäßig an den Besuchstagen zu ihm ins Bett gekommen sei. Die Mutter der mj. Desiree habe den Vater als Kinderschänder bezeichnet (AS 57 f). Die Mutter hat für diese Behauptungen auch Beweise angeboten und ihr Vorbringen im Rekurs (ON 31, AS 342 zweiter Absatz) zulässigerweise (vgl. EFSlg. 52.617, 39.662) ergänzt. Das Erstgericht hat den Vater zu den Vorwürfen nicht eingehend befragt und die von der Mutter angebotenen Auskunftspersonen nicht vernommen. Schon mit Rücksicht auf den im Pflegschaftsverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz hätte das Erstgericht alle entscheidungswesentlichen Umstände von Amts wegen zu untersuchen gehabt (vgl. EFSlg. 46.955 und die dort zitierte Literatur). Solange das Erstgericht nicht alle verfügbaren Erkenntnisquellen darüber ausgeschöpft hatte, ob das Wohl des Kindes durch ein uneingeschränktes Besuchsrecht des Vaters nicht doch gefährdet ist, hätte es eine Entscheidung nicht treffen dürfen (vgl. EFSlg. 46.955). Das Erstgericht wird daher die benannten Auskunftspersonen (AS 57 und 58) und den Vater eingehend zu befragen haben. Ob auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten ist, hängt vom Ergebnis der ergänzenden Ermittlungen ab und bleibt daher dem pflichtgemäßen Ermessen des Erstgerichtes anheimgestellt.
Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.
Anmerkung
E15227European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00633.88.0922.000Dokumentnummer
JJT_19880922_OGH0002_0070OB00633_8800000_000