TE OGH 1988/9/22 13Os72/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.September 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführers in der Strafsache gegen Johann N*** wegen des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung sowie über die Beschwerde des Angeklagten gegen das Urteil und den Beschluß des Kreisgerichts Wels als Schöffengerichts vom 2.Mai 1988, GZ. 16 Vr 664/87-62, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Wasserbauer, und der Verteidigerin Dr. Oehlzand, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

1. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben und es werden das angefochtene Urteil im Schuldspruch I 2 b sowie im Strafausspruch (einschließlich der Entscheidung über die Anrechnung der Vorhaft) gleichwie der gemäß § 494 a StPO. ergangene Widerrufsbeschluß aufgehoben.

2.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

3.

Gemäß § 290 Abs. 1 StPO. wird das angefochtene Urteil in den Schuldsprüchen I 1, I 2 a, II 1 und 2 sowie III 1 und 2 aufgehoben.

              4.              Im Umfang der zu 1 und 3 ausgesprochenen Urteilsaufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

              5.              Mit seiner Berufung und der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß wird der Angeklagte hierauf verwiesen.

Text

Gründe:

Der am 10.September 1957 geborene, zuletzt beschäftigungslose Johann N*** wurde des Verbrechens der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB. (II 1) sowie der Vergehen der teils vollendeten, teils versuchten Nötigung nach §§ 105 Abs. 1, 15 StGB. (III 2 und I 1), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB. (II 2 und III 1), der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs. 1 StGB. (II 3), der teils vollendeten, teils versuchten Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 15 StGB. (I 2 a und b) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB. (II 4) schuldig erkannt. Darnach hat er

am 4.Mai 1987 in Stadl-Paura

Birgit N*** durch gefährliche Drohung, nämlich durch die wiederholten Äußerungen "wennst bis morgen deinen Dreck nicht aus meiner Wohnung geräumt hast, dann zertret' ich dich" zur Verbringung ihrer persönlichen Fahrnisse zu nötigen versucht (I 1), Cäcilia N*** durch gewaltsames Erfassen am Nacken, was mehrere Kratz- und Schürfwunden zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt (I 2 a),

Tina W*** durch wuchtiges Aufreißen einer Wohnungseingangstür, wodurch dieses Kleinkind von der Tür getroffen und zur Seite geschleudert wurde, vorsätzlich am Körper zu verletzen getrachtet (I 2 b),

am 9.Juni 1987 in Haag am Hausruck

Brigitte B*** durch Gewalt und gefährliche Drohung, indem er sie auf ein Bett stieß, sich auf ihre Oberschenkel setzte und äußerte, daß er ihr die Kleider herunterreißen werde und er ihr seinen Willen immer aufzwingen könne, zum außerehelichen Beischlaf genötigt (II 1),

Brigitte B*** gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er mit einem Messer vor ihrem Kopf und Hals "herumfuchtelte", sich äußerte, "daß dies gerade das richtige Werkzeug für sie und die anderen und es auch scharf geschliffen sei, daß das Messer genau dorthin treffe, wo er es haben wolle", wobei er das Messer wurfbereit bei der Klinge in der Hand hielt und schließlich "daß er mit diesem Messer alle fertigmachen werde, wenn er seinen Sohn nicht bekomme" oder "daß sie alle dran seien, wenn das mit dem Buben nicht hinhaue" (II 2),

Brigitte B*** zwischen etwa 4,30 Uhr und 6,00 Uhr oder 6,30 Uhr in ihrer Wohnung widerrechtlich gefangen gehalten (II 3), eine fremde Sache, nämlich einen Fensterriegel zum Vorhaus des Josef S*** durch Ausreißen beschädigt (II 4),

zwischen 21.September 1987 und 19.Jänner 1988 (in Stadl-Paura) Brigitte N*** (früher B***)

gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er wiederholt ein Messer derart in ihre Richtung warf, daß dieses vor ihren Füßen im Fußboden oder neben ihr in der Mauer stecken blieb, ihr sein Messer mit den Worten an die Brust ansetzte, daß sie nicht berechtigt sei, zu leben, ihr ein Fleischmesser vor die Füße schleuderte, welches dann im Fußboden stecken blieb und sich wiederholt äußerte, daß er sie aufschlitzen und ihr den Schädel abschneiden werde (III 1) und

durch gefährliche Drohung, nämlich durch die Äußerungen, daß er sie abstechen werde, wenn sie den Gendarmen sage, daß er da sei, zur Unterlassung der Bekanntgabe seines Aufenthalts genötigt (III 2). Gemäß § 494 a StPO. widerrief das Erstgericht die bedingte Nachsicht der mit Urteil des Bezirksgerichts Lambach vom 12. Dezember 1985, AZ. U 561/85, über Johann N*** verhängten Freiheitsstrafe.

Mit seiner auf § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a und b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft der Angeklagte das Urteil in den Punkten I 1, I 2 a und b sowie II 3 und 4.

Der Einwand, im Faktum I 1 habe seine Schwester Birgit N*** die Ermächtigung zur Strafverfolgung zurückgezogen (Z. 9 lit. b), geht ins Leere, weil dem Beschwerdeführer insoweit nicht, wie er behauptet, das Vergehen nach § 107 StGB., sondern das Offizialdelikt nach § 105 StGB. zur Last liegt.

Rechtliche Beurteilung

Die prozeßordnungsgemäße Darstellung eines materiellen Nichtigkeitsgrunds erfordert den Vergleich der Urteilsfeststellungen mit dem Gesetz und den daraus abzuleitenden Vorwurf unrichtiger Rechtsfindung. Die gegen die Fakten II 3 und 4 des Schuldspruchs gerichtete Rechtsrüge (Z. 9 lit. a) entspricht diesen Anforderungen nicht. Der sinngemäß eine vorsätzliche Freiheitsentziehung bestreitende, aktenwidrig auf die Zeugenaussage der Brigitte N*** (S. 358) gestützte Einwand negiert die eindeutigen Feststellungen des Schöffengerichts, wonach die Genannte vom Rechtsmittelwerber am Verlassen ihrer Wohnung vorsätzlich gehindert wurde (S. 380, 387). Desgleichen übergehen die eine Beschädigung der Fensterverriegelung verneinenden Beschwerdeausführungen die gegenteiligen Urteilsannahmen (S. 378, 387).

Soweit die Fakten I 2 a und b sowie II 4 als nicht strafwürdige Taten (§ 42 StGB.) reklamiert werden, geht die Rüge (Z. 9 lit. b) fehl. Dem Nichtigkeitswerber werden diesbezüglich die Vergehen der Körperverletzung und der Sachbeschädigung angelastet. Er ist bis jetzt nicht weniger als fünfzehnmal gerichtlich abgestraft worden; allein zwölf dieser Verurteilungen ergingen (auch) wegen strafbarer Handlungen, die auf der verwerflichen Charaktereigenschaft der Gewalttätigkeit und sonach auf der gleichen schädlichen Neigung (§ 71 StGB.) wie die Vergehen nach §§ 83 Abs. 1 und 125 StGB. beruhen. So besehen erübrigt sich schon aus dem Grund des § 42 Z. 3 StGB. (Spezialprävention) jede weitere Erörterung des beanspruchten Strafausschließungsgrunds.

Der zum Faktum I 2 a weiters vorgebrachte Beschwerdeeinwand, die Verletzungen der Cäcilia N*** seien wegen ihrer Geringfügigkeit nicht tatbildlich im Sinn des § 83 StGB., erweist sich als unzutreffend, weil die der Genannten im Nackenbereich zugefügten Kratz- und Schürfwunden als nicht ganz unerhebliche, dem Verletzungsbegriff des § 83 StGB. genügende Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zu beurteilen sind (Kienapfel BT I2 Rz. 6; NRsp 1988/66 u.a.m.). Demnach hat das Erstgericht die objektive Tatseite des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB. irrtumsfrei bejaht.

Berechtigung kommt der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten jedoch insoweit zu, als hinsichtlich des Schuldspruchs I 2 b ein Feststellungsmangel zur subjektiven Tatseite geltend gemacht wird. Kann doch den Entscheidungsgründen nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnommen werden, ob dem wuchtigen Aufreißen der Tür ein Verletzungsvorsatz (§ 83 Abs. 1 StGB.) in bezug auf das nahe der Tür befindliche Kleinkind Tina W*** zugrundelag (S. 378, 386). Eine solche Klarstellung ist aber deshalb geboten, weil nach den Verfahrensergebnissen, insbesondere nach der ein Mißgeschick behauptenden Verantwortung des Angeklagten (S. 232), auch Fahrlässigkeit denkbar wäre. Indes würde ein Schuldspruch wegen § 83 Abs. 2 StGB. die Feststellung voraussetzen, daß der Beschwerdeführer die Tina W*** wenigstens bedingt (§ 5 Abs. 1 StGB.) mißhandeln wollte.

Der sohin zutreffend gerügte, einer abschließenden Beurteilung entgegenstehende Konstatierungsmangel macht eine Aufhebung des betreffenden Schuldspruchs unvermeidbar.

Aus Anlaß der Beschwerde hat der Oberste Gerichtshof gemäß § 290 Abs. 1 StPO. von Amts wegen wahrgenommen, daß das Urteil auch in den Schuldsprüchen I 1, I 2 a, II 1 und 2 sowie III 1 und 2 mit vom Nichtigkeitswerber nicht gerügten Feststellungsmängeln zur subjektiven Tatseite behaftet ist.

So kann den sich in der undifferenzierten Behauptung vorsätzlicher Begehung erschöpfenden Gründen (S. 383, 387) zunächst nicht entnommen werden, daß der Vorsatz des Täters auch dessen Kenntnis umfaßte, durch Einsatz der (festgestellten) Nötigungsmittel eine Willensbeugung bei den bedrohten Frauen zu erzwingen (I 1, III 2). Ebensowenig hat das Erstgericht hinsichtlich der Fakten II 2 und III 1 zur entscheidungswesentlichen Tatfrage, ob mit dem Verhalten des Angeklagten auch die (im § 107 Abs. 1 StGB. geforderte) Absicht (§ 5 Abs. 2 StGB.), die Bedrohten in Furcht und Unruhe zu versetzen, verbunden war, Stellung bezogen und Feststellungen getroffen.

In subjektiver Hinsicht ist zur Verwirklichung des Tatbestands der Nötigung zum Beischlaf nach § 202 Abs. 1 StGB. erforderlich, daß der Tätervorsatz auf die Beugung des einem außerehelichen Beischlaf entgegenstehenden Willens der Frau gerichtet ist, sodaß diese letztlich, ohne wehr- oder bewußtlos zu sein, aber immerhin als Folge der Gewalttätigkeit oder Drohung in den außerehelichen Beischlaf einwilligt (Leukauf-Steininger2 RN. 10 und Pallin im WK Rz. 12, jeweils zu § 202 StGB.). Eindeutige Feststellungen in dieser Richtung, aber auch dahin, daß dem Beschwerdeführer die Ernstlichkeit des widerstrebenden Willens des Opfers (II 1) bewußt war, hat das Gericht unterlassen. Solche wären deswegen erforderlich gewesen, weil sich der Rechtsmittelwerber stets auf die Einwilligung der Brigitte B*** zum Beischlaf berufen hat (S. 41 a verso, 201, 232, 337).

Schließlich läßt das Urteil im Zusammenhang mit dem Schuldspruch wegen Körperverletzung der Cäcilia N*** (I 2 a)

jegliche - begründeten - Feststellungen dahin vermissen, daß das Vorgehen des Nichtigkeitswerbers vom Vorsatz, seine Mutter zu verletzen, begleitet gewesen ist (S. 377 f., 385 f.). Die aufgezeigten Feststellungsmängel lassen eine verläßliche Beurteilung des inkriminierten Sachverhalts nicht zu, weshalb die Kassierung der Schuldsprüche in dem davon betroffenen Umfang und die Anordnung der Verfahrenserneuerung in erster Instanz nicht zu umgehen ist.

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde gegen den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (§ 494 a StPO.) war Johann N*** auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E15328

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00072.88.0922.000

Dokumentnummer

JJT_19880922_OGH0002_0130OS00072_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten