TE OGH 1988/9/22 13Os75/88

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Veröffentlicht am 22.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22.September 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller (Berichterstatter), Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Manquet als Schriftführers in der Strafsache gegen Irfan Ö*** wegen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 22. März 1988, GZ 20 t Vr 10.313/87-90, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Kodek, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Klingsbigl zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Den beiderseitigen Berufungen wird nicht Folge gegeben. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 20.Oktober 1965 geborene Irfan Ö*** ist auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB schuldig erkannt worden. Darnach hat er sich am 24. September 1987 in Wien in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung dazu hinreißen lassen, Noel DE L*** durch drei Messerstiche gegen dessen Brustkorb (vorsätzlich) zu töten. Die Geschwornen hatten die anklagekonform auf das Verbrechen des Mordes gerichtete Hauptfrage 1 (I) einstimmig verneint und die Eventualfrage 1 (II) nach Totschlag im Stimmenverhältnis 5 zu 3 bejaht. Die weiteren Eventualfragen 2 und 3 (III und IV) nach absichtlicher schwerer Körperverletzung und Körperverletzung, jeweils mit Todesfolge, sind folgerichtig unbeantwortet geblieben. Die Zusatzfragen 1 bis 4 (V, VI, VIII und IX) nach Notwehr, Notwehrüberschreitung im asthenischen Affekt, Putativnotwehr und Putativnotwehrüberschreitung im asthenischen Affekt sind stimmeneinhellig verneint worden, sodaß die weiteren Eventualfragen 4 und 5 (VII und X) nach fahrlässiger Tötung entfielen.

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Als Nichtigkeit begründende Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z. 6) rügt der Beschwerdeführer das Unterbleiben einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit. Eine solche Frage war aber nach dem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung, hier also nach der Verantwortung des Angeklagten oder nach

dem - Zurechnungsunfähigkeit ausschließenden - Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. G*** nicht indiziert. Der Angeklagte hat zwar eine Beeinträchtigung seiner Aktionsfähigkeit zufolge der ihm vom später Getöteten zugefügten Stichwunde am Rücken behauptet, worauf sich die in der Beschwerde zitierten Äußerungen bezogen, mit keinem Wort aber eine Beeinträchtigung seiner Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit zur Zeit der Tat behauptet. Eindeutig ist auch das Gutachten, dessen der wissenschaftlichen Übung entsprechenden, in der Beschwerde zitierten Formulierungen keineswegs Hinweise auf eine Zurechnungsunfähigkeit darstellen. Die vom Sachverständigen für möglich gehaltene Affektkrise führte zur Bejahung der Eventualfrage nach Totschlag durch die Geschwornen (vgl Niederschrift im Beilagenumschlag zu ON. 89) und war nur als Minderung, nicht als Aufhebung der Zurechnungsfähigkeit zu verstehen. Ebensowenig war eine Zusatzfrage nach entschuldigendem Notstand indiziert, denn ein solcher, die Zumutbarkeit eines rechtmäßigen Verhaltens ausschließender Zustand lag weder nach der Verantwortung des Angeklagten vor noch wäre er aus einem Versuch des Angeklagten, den später Getöteten gemäß § 86 Abs 2 StPO anzuhalten, um ihn der Polizei zu übergeben, ableitbar gewesen. Eine Ausübung dieses Anhalterechts stellt zwar einen Rechtfertigungsgrund dar, der sich aber niemals auf vorsätzliche (!) Tötungshandlungen erstrecken kann. Soweit der Beschwerdeführer unter diesem Nichtigkeitsgrund (Z. 6) als Verstoß gegen § 317 StPO den im Fragenschema zu X enthaltenen Hinweis rügt, daß die "Eventualfrage 5 bei Bejahung der Zusatzfrage 4 zu beantworten ist" (S. 5 der Fragen), wird kein Verstoß gegen die in § 345 Abs 1 Z. 6 zitierten Vorschriften geltend gemacht. Nach § 317 StPO sind die an die Geschwornen zu richtenden Fragen so zu fassen, daß sie sich mit Ja oder Nein beantworten lassen, entscheidet ferner der Schwurgerichtshof über die Zusammenfassung von Tatsachen in einer Frage und die Reihenfolge der Fragen und sind Zusatz- und Eventualfragen als solche ausdrücklich zu bezeichnen. Das Verhältnis der einzelnen Fragen zueinander darzulegen ist hingegen Aufgabe der Rechtsbelehrung (§ 321 Abs 2 StPO). Aus praktischen Gründen ist es freilich zum Gerichtsgebrauch geworden, den Laienrichtern nicht nur mittels der Reihenfolge der Fragen (§ 317 StPO), sondern bereits durch Hinweise in der Abfassung der Fragen auf deren Verhältnis zueinander eine Richtlinie für die sachgerechte und vollständige Fragebeantwortung zu geben; das ist vom Gesetz nicht verboten (vgl. Melnizky, Strafrechtliche Probleme der Gegenwart 1973 S. 147). Die Rechtsbelehrung bekämpft der Beschwerdeführer (Z. 8) in mehreren Punkten als unrichtig, soweit sie das Verhältnis der Fragen zueinander betrifft. Hiezu ist zunächst grundsätzlich festzuhalten, daß der Nichtigkeitsgrund der Z. 8 zwar nicht unter den relativen Nichtigkeitsgründen aufscheint (§ 345 Abs 3 und 4 StPO). Dessen ungeachtet setzt aber, wie prinzipiell für jedes Rechtsmittel, die erfolgreiche Geltendmachung auch dieses Nichtigkeitsgrunds ein Beschwer des Rechtsmittelwerbers voraus. Die unrichtige Rechtsbelehrung zu einer gar nicht indizierten Zusatzfrage ist folgerichtig unerheblich (vgl. EvBl 1983/18).

Vorliegend waren die Zusatzfragen 3 und 4 nach Putativnotwehr und deren Überschreitung (VIII und IX) und demgemäß auch die Eventualfrage 5 (X) nicht indiziert. Es ist nämlich überhaupt nicht ersichtlich, aus welchem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung der Schwurgerichtshof die Möglichkeit ableitete, der Angeklagte hätte angesichts des flüchtenden, gestürzten Tatopfers sich einem von diesem gegen ihn geführten rechtswidrigen Angriff ausgesetzt gesehen. Eine Benachteiligung des Angeklagten durch den richtigen Hinweis der Rechtsbelehrung (S. 13, Ende des ersten Absatzes), daß eine Bejahung der Zusatzfrage 3 zum Freispruch führe, ist begrifflich ausgeschlossen.

Der Hinweis im Fragenschema, die Eventualfrage 5 (X) wäre nur bei Bejahung der Hauptfrage 1 (I) oder der Eventualfragen 1, 2 oder 3 (II, III oder IV), der Verneinung der Zusatzfragen 1, 2 und 3 (V, VI und VIII) und der Bejahung der Zusatzfrage 4 (IX) zu beantworten, woraus folgt, daß sie bei Bejahung der Zusatzfrage 3 (VIII: Putativnotwehr) nicht zu beantworten war, ist nach dem vorliegenden Fragenschema nicht irreführend, wie der Beschwerdeführer meint, sondern richtig. Eine Frage nach fahrlässiger Tötung durch auf Fahrlässigkeit beruhender irrtümlicher Annahme eines rechtfertigenden (Notwehr-)Sachverhalts (§ 8, zweiter Satz, StGB) wurde gar nicht gestellt. Eine Sachverhaltsvariante, daß ein Irrtum des Angeklagten über den rechtfertigenden Sachverhalt (Notwehr), wenn er überhaupt vorlag, auf einer Fahrlässigkeitsschuld beruhte, war nach der Auffassung des Schwurgerichtshofs offensichtlich nicht anzunehmen. Angesichts der schon dargelegten Überflüssigkeit der Zusatzfrage nach Putativnotwehr erübrigen sich dazu weitere Ausführungen. Desgleichen ist eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen unter I 2 lit c entbehrlich.

Die weiteren Beschwerdeausführungen zu Z. 8 unter I 2 lit a und b beinhalten lediglich eine Stilkritik. Die verkürzte Formulierung (S. 11) der Rechtsbelehrung konnte die Geschwornen im Hinblick auf die richtige und klare Belehrung im Fragenschema über die Notwendigkeit der Beantwortung der Eventualfragen 2 und 3 (III und IV) nicht beirren. Die Vertauschung der Bindeworte "und" gegen "oder" auf Seite 12 der Rechtsbelehrung stimmt mit dem Sprachgebrauch überein, dem in Aufzählungen gebrauchten Bindewort "oder" eine kumulative und nicht eine alternative Bedeutung zuzumessen, wie es auch die Geschwornen ersichtlich getan haben. Der vom Beschwerdeführer unter I 2 lit d kritisierte Satz auf Seite 13 der Rechtsbelehrung schließlich stellt im Zusammenhang nur die belanglose Überleitung zu der im folgenden Satz gegebenen Information über die rechtliche Folge einer Bejahung der Eventualfrage 4 (VII) dar. Die urgierte vollständige Belehrung, wann die Eventualfrage 4 (VII) zu beantworten sei, wurde nämlich schon - zutreffend - auf Seite 12 gegeben. Was schließlich die Rüge I 2 lit f anlangt, so ist eine Belehrung über die möglichen Unrechtsfolgen im § 321 Abs 2 StPO nicht vorgesehen, sondern der gemeinsamen Beratung des Schwurgerichtshofs und der Geschwornen über die Strafe vorbehalten (SSt. 23/80, vorletzter Absatz, u.a.). Der Fall des § 316 StPO aber ist hier nicht gegeben.

Liegt somit der Nichtigkeitsgrund der Z. 8 nicht vor, so kann auch nicht von einem nur daraus abgeleiteten Verstoß gegen Art. 6 Abs 1 MRK die Rede sein.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Über den Angeklagten wurde nach § 76 StGB eine Freiheitsstrafe von acht Jahren verhängt. Dabei waren erschwerend dessen einschlägige Vorstrafen in der Bundesrepublik Deutschland, mildernd, daß der Angeklagte vor seiner Tat durch sein späteres Opfer selbst verletzt worden war. Eigens hervorgekehrt wurde allerdings, daß er in seiner Verantwortung keine Reue erkennen ließ (II. Band S. 131). Gegen den Strafausspruch wenden sich die Berufungen beider Prozeßparteien; die Anklagebehörde begehrt eine schuldangemessene Erhöhung der Freiheitsstrafe, der Angeklagte strebt deren Herabsetzung unter Anwendung des § 41 StGB und deren bedingte, allenfalls teilbedingte Nachsicht an.

Beiden Berufungen bleibt ein Erfolg versagt.

Die Freiheitsstrafe wurde innerhalb des von fünf bis zu zehn Jahren reichenden Strafrahmens des § 76 StGB geschöpft. Mit dem Hinweis der Staatsanwaltschaft auf "die die Anwendung des § 39 StGB möglicherweise rechtfertigenden" Vorstrafen bleibt die Frage, ob die Voraussetzungen für eine außerordentliche Strafschärfung hier vorlägen, offen. Sie kann indes auf sich beruhen, weil auch die Anklagebehörde offenbar eine das Höchstmaß des gesetzlichen Strafrahmens überschreitende Sanktion gar nicht im Auge hat. Mit acht Jahren aber ist die Freiheitsstrafe in deutlichem Abstand von der gesetzlichen Untergrenze hinreichend streng bemessen. Andererseits versagt das Berufungsvorbringen des Angeklagten, weil seine eigene Verletzung, sein (das 21.Lebensjahr zur Tatzeit immerhin um fast ein Jahr übersteigendes) Alter und die allenfalls in seiner Volkszugehörigkeit wurzelnde, von derjenigen der Durchschnittsbevölkerung hierzulande abweichende Reaktionsweise, wie das Absehen von der gesetzlichen Höchststrafe zeigt, ausreichend berücksichtigt wurden. Ein beachtenswerter Beitrag des Berufungswerbers zur Wahrheitsfindung und eine freiwillige Abstandnahme von einer realistisch einzuschätzenden Fluchtmöglichkeit sind aber in den Akten nicht erkennbar. Weder die außerordentliche Strafmilderung noch eine auch nur teilbedingte Nachsicht der Strafe könnten hier, wo ein Menschenleben sinnlos ausgelöscht wurde, auf das Verständnis der Rechtsgemeinschaft zählen.

Anmerkung

E15117

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00075.88.0922.000

Dokumentnummer

JJT_19880922_OGH0002_0130OS00075_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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