Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof. Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria Johanna K***, Hausfrau, Vorau, Riegersbach Nr. 147, vertreten durch Dr. Othmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Norbert K***, Zimmerer, Lafnitz Nr. 104, vertreten durch Dr. Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25. Juli 1988, GZ 3 R 141/88-94, womit die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 9. März 1988, GZ 11 Cg 236/84-88, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Beklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Streitteile haben am 22. April 1965 vor dem Standesamt Pöllau die Ehe geschlossen. Die Klägerin begehrt die Scheidung dieser Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Der Beklagte, der zunächst durch den Rechtsanwalt Dr. Albert M. Sauer-Nordendorf vertreten war und seit 30. Juli 1985 durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt Dr. Michael Stern vertreten ist (ON 41), beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und erhob einen Mitverschuldensantrag (ON 20). In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 9. März 1988, an welcher der Beklagte selbst und ein Substitut seines Rechtsanwaltes teilnahmen, schlossen die Parteien einen Vergleich über Unterhaltsleistungen und Prozeßkosten; sodann zog der Beklagte seinen Mitschuldantrag zurück. Der Erstrichter verkündete daraufhin in Gegenwart der Parteien das Urteil auf Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Beide Parteien erklärten nach Rechtsmittelbelehrung, auf ein Rechtsmittel gegen das Urteil zu verzichten (ON 87). Dennoch erhob der Beklagte gegen dieses Urteil das Rechtsmittel der Berufung. Ein gültiger Verzicht auf die Berufung liege nicht vor, weil der Beklagte am 9. März 1988 wegen der infolge einer schweren chronifizierten endoreaktiven Depression erforderlichen Einnahme einer größeren Zahl von Medikamenten nicht prozeßfähig gewesen sei. Der Beklagtenvertreter habe der Teilnahme des Beklagten an der Verhandlung und den dabei vom Beklagten abgegebenen rechtlichen Erklärungen nur deshalb zugestimmt, weil ihm angedeutet worden sei, daß es bei einer noch längeren Prozeßdauer auf Grund des Zustandes des Beklagten zu nicht absehbaren Ausweitungen kommen könne; eine solche Entwicklung wäre aber für alle am Prozeß Beteiligten sehr nachteilig gewesen.
Die Klägerin beantragte, die Berufung als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben. Das Gericht zweiter Instanz wies die Berufung als unzulässig zurück. Der vom Beklagten und seinem Vertreter nach der Urteilsverkündung abgegebene Rechtsmittelverzicht sei eine Prozeßhandlung, die nicht der Annahme durch den Prozeßgegner bedürfe, grundsätzlich unwiderruflich sei und die davon betroffene Entscheidung in Rechtskraft erwachsen lasse. Die Behauptung des Beklagten, er sei im Zeitpunkt der Abgabe des Rechtsmittelverzichtes nicht prozeßfähig gewesen, könne - abgesehen davon, daß eine solche Tatsache auch nach der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung sehr zweifelhaft erscheine - deshalb nicht zum Erfolg führen, weil der Beklagte durch einen mit wirksamer Prozeßvollmacht ausgestatteten Rechtsanwalt, der gleichfalls den Rechtsmittelverzicht abgegeben habe, vertreten gewesen sei und eine allenfalls eingetretene Prozeßunfähigkeit des Beklagten diese Vollmacht nicht berührt habe (§ 35 Abs. 1 ZPO). Die Erklärung des Rechtsanwaltes sei unwidersprochen geblieben und rechtswirksam geworden; selbst ein allfälliger Irrtum über den Parteiwillen des Vertretenen bei Abgabe dieser Erklärung wäre wegen der Unwiderruflichkeit der Prozeßhandlung unbeachtlich.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Beklagten gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs ist nicht berechtigt.
Nach Ansicht des Beklagten müsse für eine prozeßunfähige Person in jedem Fall ein gesetzlicher Vertreter bestellt werden; das ergebe sich eindeutig aus § 35 Abs. 2 ZPO. Dem kann nicht gefolgt werden. Der Beklagte behauptet nicht, daß er schon bei der Bevollmächtigung seines jetzigen Vertreters nicht prozeßfähig gewesen sei; dafür gibt es auch - insbesondere im Hinblick auf die ärztliche Bestätigung vom 11. März 1988, wonach der Beklagte (erst) seit rund 2 Jahren an einer schweren Depression erkrankt sei - keine Anhaltspunkte. Nach § 35 Abs. 1 ZPO wird die Prozeßvollmacht durch den Verlust der Prozeßfähigkeit des Vollmachtgebers nicht aufgehoben; der Verlust der Geschäftsfähigkeit berührt sohin das Bestehen der vorher erteilten Prozeßvollmacht nicht (Fasching II 286 f; derselbe, LB 199 Rz 431; SZ 13/71; SZ 26/132; SZ 44/147; SZ 58/33 u.a.). Die mangelnde Prozeßfähigkeit - also die Unfähigkeit der Partei, selbständig vor Gericht zu verhandeln
(§ 1 ZPO) - hindert sie nicht, durch einen gesetzlichen Vertreter oder durch einen vor dem Verlust der Handlungsunfähigkeit gültig bestellten Vertreter vor Gericht als Partei zu handeln; nur die Erteilung der Vollmacht setzt auf der Seite der Partei deren Prozeßfähigkeit voraus. Die gültig erteilte Vollmacht berechtigt sodann den Prozeßbevollmächtigten, für die Partei zu handeln, auch wenn diese infolge später eingetretener Handlungsunfähigkeit nicht mehr fähig ist, selbst als Partei zu handeln (SZ 26/132 u.a.). Auf Grund der dem Beklagtenvertreter erteilten Prozeßvollmacht war dieser kraft Gesetzes unter anderem zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozeßhandlungen (§ 31 Abs. 1 Z 1 ZPO) - also auch zur Abgabe des Rechtsmittelverzichtes - sowie zum Abschluß von Vergleichen über den Gegenstand des Rechtsstreites (§ 31 Abs. 1 Z 2 ZPO) ermächtigt. War aber der Beklagte auf Grund der wirksamen Bevollmächtigung seines Rechtsanwaltes im Verfahren vertreten, so bedurfte er in diesem keines gesetzlichen Vertreters (§ 477 Abs. 1 Z 5 ZPO); zu einem Vorgehen nach §§ 6 und 6a ZPO bestand und besteht daher kein Anlaß (SZ 58/33 u.a.). Aus § 35 Abs. 2 ZPO folgt lediglich, daß ein - allenfalls bestellter - gesetzlicher Vertreter jederzeit die Prozeßvollmacht des Beklagtenvertreters widerrufen könnte.
Da der vom Beklagtenvertreter erklärte Rechtsmittelverzicht sohin wirksam war, mußte das Gericht zweiter Instanz die Berufung als unzulässig zurückweisen (§ 472 Abs. 1 ZPO); dem Revisionsrekurs konnte daher kein Erfolg beschieden sein.
Der Ausspruch über die Rekurskosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.
Anmerkung
E15422European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0040OB00586.88.0927.000Dokumentnummer
JJT_19880927_OGH0002_0040OB00586_8800000_000