Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 28.September 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger (Berichterstatter), Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Toth als Schriftführerin in der Strafsache gegen Rosmarie F*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Jugendschöffengerichts vom 23. Februar 1989, GZ. 11 Vr 1245/88-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Jerabek, der Angeklagten, ihres gesetzlichen Vertreters Josef F*** und des Verteidigers Dr. Gradischnig zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Die am 18.März 1971 geborene Rosemarie (richtig: Rosmarie, siehe S. 209) F*** wurde von der Anklage der Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB. und der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4, erster Fall, StGB., gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Die Anklagebehörde hatte ihr vorgeworfen, sie habe am 27.Juni 1988 auf der Drautal-Bundesstraße B 100 bei Straßenkilometer 80,2 in Gröfelhof als Lenkerin eines Fahrrads durch unvorsichtiges Fahren, insbesondere dadurch, daß sie ihr beabsichtigtes Linksabbiegemanöver weder durch vorschriftsmäßiges Einordnen zur Fahrbahnmitte noch durch ein rechtzeitiges Handzeichen anzeigte, es überdies unterließ, sich unmittelbar vor dem Linksabbiegen durch Zurückschauen zu vergewissern, daß sie keinen nachkommenden Verkehrsteilnehmer behindere, wodurch es zuerst zur Kollision zwischen ihr und dem nachkommenden, vom gesondert Verfolgten Franz Josef W*** gelenkten Personenkraftwagen kam, Franz Josef W*** infolge der Kollision die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und schleudernd den nächsten, vorschriftsmäßig am äußersten Fahrbahnrand entgegenkommenden Fahrradlenker Bernhard M*** und schließlich den den rechten Fahrbahnrand in Richtung Dellach/Drau einhaltenden Radfahrer Dr. Gerold G*** niederstieß, fahrlässig den Tod des Bernhard M***, eine schwere Verletzung des Dr. Gerold G*** und eine leichte Verletzung des Franz Josef W*** herbeigeführt. Das Erstgericht stellte demgegenüber fest, daß die Angeklagte etwa 35 m vor der späteren Unfallstelle zurückblickte und dabei das Fahrzeug des Zeugen W*** wahrnahm, das zu diesem Zeitpunkt etwa 370 m entfernt war. Die Angeklagte wollte nach links einbiegen, gab mit der linken Hand ein Zeichen, ordnete sich im Bereich der Leitlinie parallel zur Fahrbahnachse ein und legte sodann in dieser Position eine Strecke von ca. 32 m zurück, wobei sie während dieser Fahrt die Lenkstange wieder mit beiden Händen hielt und den Gegenverkehr beobachtete. Sodann bog sie - ohne nochmals nach rückwärts zu blicken - nach links ab. Der mit einer Geschwindigkeit von mindestens 130 km/h nachkommende PKW-Lenker W*** reagierte etwa 65 m vor der späteren Unfallstelle und der zu diesem Zeitpunkt in der Fah17ahnmitte und in einer Entfernung von etwa 52 m fahrenden Angeklagten dadurch, daß er bremste und sein Fahrzeug nach links verriß. Zu diesem Zeitpunkt hatte er den in gleicher Richtung fahrenden Radfahrer Dr. G***, nicht aber den Gegenverkehr (bestehend aus dem später getöteten Radfahrer M*** und dem Kraftwagen des Gerhard B***) wahrgenommen. In der Folge kam der Wagen W*** ins Schleudern und kollidierte mit der zu diesem Zeitpunkt bereits nach links abbiegenden Angeklagten und sodann mit den beiden anderen Radfahrern.
Den Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 5 und 9 lit. a StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Die Mängelrüge (Z. 5) wendet sich gegen die Annahme des Erstgerichts, daß der Zeuge W*** nicht wegen einer plötzlichen Fahrtrichtungsänderung der Angeklagten, sondern deshalb sein Fahrzeug nach links verriß, weil er infolge des sich in seiner Fahrtrichtung bewegenden Radfahrers Dr. G*** nicht rechts an der Angeklagten vorbeifahren konnte. Die Beschwerdeführerin bezeichnet die dieser Schlußfolgerung zugrundeliegende Feststellung, daß der Zeuge W*** zu dem Zeitpunkt, als er die Bremsen betätigte und sein Fahrzeug nach links verriß, den Gegenverkehr nicht gesehen hat, wohl aber den in gleicher Richtung etwa 15 m östlich der späteren Unfallstelle ungefähr 50 cm vom rechten Fahrbahnrand entfernt fahrenden Dr. G***, als unzureichend begründet und als durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht gedeckt; hat doch der Zeuge W*** deponiert, er könne auf die Frage, ob er Dr. G*** gesehen habe, keine Angaben machen (S. 233).
Rechtliche Beurteilung
Indes ist die Rüge nicht im Recht.
Das Gericht erachtete die Darstellung der Angeklagten über ihre Fahrweise unmittelbar vor dem Unfall als glaubwürdig. Es räumte zwar ein, daß das Ausweichmanöver des Zeugen W*** nach links für die Richtigkeit seiner Aussage spräche, die Angeklagte sei plötzlich von der rechten Fahrbahnseite nachnlinks abgebogen; denn bei der von der Angeklagten geschilderten Fahrweise - danach fuhr sie zum Zeitpunkt der Reaktion bereits parallel zur Fahrbahnmitte - hätte der Zeuge W*** keine Ursache für eine solche Reaktion gehabt, wäre doch anscheinend Platz gewesen, um rechts von ihr vorbeizufahren. Nach Ansicht der Tatrichter war dies dem Zeugen W*** aber deshalb nicht möglich, weil der Radfahrer Dr. G*** zu dem Zeitpunkt, als W*** reagierte, bereits in dessen Sichtfeld und in einer Position war, die ihn daran hinderte, die Angeklagte rechts zu überholen. Diese Überlegung stützte das Gericht auf die Ergebnisse des Ortsaugenscheins, die Berechnungen des Sachverständigen Ing. R*** (der eine Sichtmöglichkeit W*** auf Dr. G*** nicht ausschloß: S. 238) und auf die Tatsache, daß Dr. G*** in gleicher Richtung fuhr und in der Folge vom Fahrzeug des W*** erfaßt wurde. Hingegen hegte das Gericht gegen die Richtigkeit der Aussage des Zeugen W*** schon deshalb Bedenken, weil dieser infolge der weit überhöhten Geschwindigkeit seines Fahrzeugs als "Hauptschuldiger" am Zustandekommen des Unfalls zu bezeichnen sei. Damit konnte das Gericht aber im Rahmen seiner Beweiswürdigung denkrichtig zu der Schlußfolgerung gelangen, daß die Schilderung der Angeklagten über ihr Verhalten vor dem Unfall der Wahrheit entspricht. Die Annahme, daß W*** den Gegenverkehr nicht wahrgenommen hat, ergibt sich schlüssig aus den angeführten Urteilsüberlegungen, ohne daß dies - dem Beschwerdevorbringen zuwider - einer näheren Erörterung bedurfte.
Unbegründet ist auch der Vorwurf der Mängelrüge, das Erstgericht habe die für die Richtigkeit der Darstellung des Zeugen W*** sprechenden Zeit-Weg-Berechnungen des Sachverständigen Ing. R*** nicht gewürdigt. Die von diesem gewählte Formulierung, ein Zeitvergleich spräche "eher für die Variante des Zeugen W***" (S. 179, S. 234), schließt die Möglichkeit eines der Darstellung der Angeklagten entsprechenden Geschehensablaufs keineswegs aus. Dem erkennenden Gericht blieb es sohin unbenommen, in freier Beweiswürdigung unter Berücksichtigung des durch die Vernehmung der Unfallbeteiligten an Ort und Stelle gewonnenen unmittelbaren Eindrucks der nach dem Sachverständigengutachten keineswegs ausgeschlossenen, sondern nur weniger wahrscheinlichen Geschehensvariante den Vorzug zu geben.
In der Rechtsrüge (Z. 9 lit. a) bringt die Anklagebehörde vor, daß sich aus der Entscheidung nicht entnehmen lasse, ob die Einmündung in die Gemeindestraße für einen ortsunkundigen Kraftfahrer so rechtzeitig erkennbar war, daß er mit einem Einbiegemanöver rechnen mußte; war dies nicht der Fall, dann hätte die Angeklagte das Handzeichen bis unmittelbar vor dem Einbiegen geben und sich vor diesem Manöver neuerlich davon überzeugen müssen, ob ein Abbiegen gefahrlos möglich ist.
Der Staatsanwaltschaft ist zwar zuzugeben, daß in Ausnahmsfällen, wenn nach den Umständen mit dem Entstehen einer unklaren Verkehrslage, insbes. damit zu rechnen ist, daß die nachfolgenden Verkehrsteilnehmer nicht ausreichend erkennen können, daß und wo nach links abgebogen werden soll, die Notwendigkeit bestehen kann, sich unmittelbar vor dem Abbiegen noch einmal zu vergewissern, daß dies ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geschehen könne (ZVR. 1972/150, ZVR. 1981/79 u.v.a.). Ein solcher Ausnahmsfall wird dann angenommen, wenn der Linkseinbieger in einen unbedeutenden, erst im letzten Augenblick erkennbaren Seitenweg (ZVR. 1978/300 u.a.) oder in einen schwer erkennbaren Feldweg einbiegen will (2 Ob 69/79), ferner bei einer Zufahrt zu einer jenseits des linken Fahrbahnrands gelegenen Landfläche (ZVR. 1981/79) oder wenn die Stelle des Linksabbiegens nicht wie auf einer Straßenkreuzung ohne weiteres klar ist (ZVR. 1982/301 u.a.). Ein solcher Ausnahmsfall, der eine besondere Sorgfalt im Sinn der dargestellten Judikatur verlangt hätte, liegt hier aber nicht vor. Nach den Urteilsfeststellungen handelt es sich um eine Straßenkreuzung, und zwar um die Kreuzung der Drautal-Bundesstraße B 100 mit der Gemeindestraße Irschen in Richtung Neu-Göfelhof (S. 142). Aus der im Akt erliegenden Skizze der Unfallstelle und aus den Lichtbildern der Gendarmerieanzeige (die zur Beurteilung herangezogen werden kann: SSt. 21/30) ergibt sich, daß die Einmündung der Gemeindestraße auch für einen ortsunkundigen Kraftfahrer bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit hinreichend erkennbar war.
Daß schließlich ein Handzeichen während des ganzen Einbiegevorgangs und auch während einer längeren Fahrt in der Fahrbahnmitte gegeben werden müsse, verlangt weder die Straßenverkehrsordnung noch die Rechtsprechung (ZVR. 1969/55 u.a.). Allerdings wäre die Angeklagte verpflichtet gewesen, rechtzeitig vor dem Linkseinbiegen neuerlich ein Handzeichen zu geben ("Änderung der Fahrtrichtung": § 11 Abs. 2 StVO.; dazu abermals ZVR. 1969/55 S. 44 linke Spalte). Allein die Annahme, daß ein solches vorschriftsmäßiges Verhalten der Angeklagten noch unfallverhindernd gewesen wäre, läßt die Aktenlage nicht zu.
Es ist daher auch die Rechtsrüge unbegründet.
Anmerkung
E18781European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0130OS00067.89.0928.000Dokumentnummer
JJT_19880928_OGH0002_0130OS00067_8900000_000