TE OGH 1988/9/29 7Ob29/88

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Veröffentlicht am 29.09.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei WIENER S*** W*** Versicherungsanstalt, Wien 2., Obere Donaustraße 53, vertreten durch Dr. Werner Brandstetter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Franz L***, Pensionist, Wien 17., Andergasse 20 A/8/2, vertreten durch Dr. Heinrich Keller und Dr. Rainer Cuscoleca, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 100.000,-- s. A., infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10. Februar 1988, GZ 18 R 274/87-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 15. Juli 1987, GZ 51 Cg 745/86-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.535,95 (darin S 321,45 an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 9.243,80 (darin S 385,80 an Umsatzsteuer und S 5.000,-- an Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte verursachte am 19.5.1984 als Lenker eines PKWs einen Verkehrsunfall, bei dem eine Fußgängerin verletzt und ein geparkter PKW beschädigt wurden.

Mit der vorliegenden Regreßklage begehrt die klagende Partei als Haftpflichtversicherer des Beklagten die Zahlung von S 100.000,-- und bringt vor, der Beklagte habe sich im Unfallszeitpunkt in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden. Die klagende Partei, die an die Unfallgeschädigten Leistungen von mehr als S 100.000,-- erbracht habe, sei daher dem Beklagten gegenüber nach den Bestimmungen der AKHB bis zur Höhe des Klagebetrages leistungsfrei.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage, da sein Blutalkoholgehalt zum Unfallszeitpunkt 0,8 %o nicht erreicht habe und ihm eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht nachgewiesen worden sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt und traf - nach Einsicht in den Akt 7 a E Vr 2951/85, Hv 1859/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien - folgende Feststellungen:

Der Beklagte wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12.4.1985 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1, 4, erster Fall, StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Bei der Strafbemessung wurde als erschwerend unter anderem die erhebliche Alkoholisierung des Beklagten angenommen.

In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, der Haftpflichtversicherer könne gemäß Art.6 Abs 2 lit b AKHB seine Leistungsfreiheit dann geltend machen, wenn der Lenker im Zeitpunkt des Schadensereignisses sich in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand iS des § 5 Abs 1 oder 8 StVO 1960 befunden habe. Die Leistungsfreiheit dürfe allerdings nur geltend gemacht werden, wenn der Lenker im Zusammenhang mit dem Schadensereignis durch rechtskräftige Entscheidung eines Strafgerichts oder rechtskräftigen Bescheid einer Verwaltungsbehörde schuldig erkannt worden sei und im Spruch oder in der Begründung dieser Entscheidung der angeführte Umstand festgestellt werde. Werde ein Blutalkoholgehalt von 0,8 %o erreicht oder überschritten, sei der Gegenbeweis fehlender Beeinträchtigung nicht möglich. Im vorliegenden Fall habe der dem Strafverfahren beigezogene gerichtsmedizinische Sachverständige nicht ausschließen können, daß die Alkoholisierung des Beklagten um einige hundertstel Promille unter dem Wert von 0,8 %o geblieben sei. Ein durch Alkohol beeinträchtigter Zustand des Kraftfahrers sei jedoch ohne Rücksicht auf die Höhe seines Blutalkoholspiegels immer dann anzunehmen, wenn sich der Lenker infolge seines Alkoholgenusses nicht in der Verfassung befinde, sein Fahrzeug zu beherrschen. Daß dem so gewesen sei, habe das Strafgericht in seinen Entscheidungsgründen deutlich zum Ausdruck gebracht.

Das Berufungsgericht wies die Klage ab und sprach aus, daß die Revision zulässig sei. Es sei zwar nicht erforderlich, daß die strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Feststellung der Alkoholisierung im Spruch des Erkenntnisses enthalten sei. Die Bestrafung müsse nicht wegen einer solchen Fahruntüchtigkeit erfolgt sein. Es genüge eine aus anderen Gründen erfolgte Bestrafung wegen des vom Versicherten herbeigeführten Unfalls, soferne nur aus dem Spruch oder aus den Gründen die Alkoholbeeinträchtigung hervorgehe. Doch müsse nach Art.6 Abs 2 lit b AKHB eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iS des § 5 Abs 1 oder 8 StVO 1960 festgestellt werden. Aus der Anführung einer erheblichen Alkoholisierung bei den Strafbemessungsgründen könne nicht die Feststellung der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iS des § 5 Abs 1 StVO entnommen werden. Die klagende Partei könne daher Leistungsfreiheit nach Art.6 Abs 2 lit b AKHB nicht in Anspruch nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Art.6 Abs 2 lit b der AKHB bestimmt es als eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers iS des § 6 Abs 2 VersVG, daß der Lenker sich nicht in einem durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigten Zustand iS des § 5 Abs 1 oder 8 StVO 1960 befindet, wobei dieser Umstand in dem rechtskräftigen Erkenntnis eines Strafgerichtes oder einer Verwaltungsbehörde festgestellt werden muß. Nach § 5 Abs 1 StVO darf, wer sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befindet, ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen. Bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o und darüber gilt der Zustand einer Person als von Alkohol beeinträchtigt.

Der Versicherer hat den objektiven Tatbestand der Obliegenheitsverletzung zu beweisen (Prölss/Martin, VVG23, Anm.14 zu § 6; Petrasch in ZVR 1985, 73): Er hat also zu beweisen, daß die Fahrtüchtigkeit des Lenkers durch Alkohol beeinträchtigt war. Eine derartige Beeinträchtigung ist bei einem Blutalkoholgehalt von 0,8 %o jedenfalls anzunehmen (§ 5 Abs 1 StVO: "Gilt als beeinträchtigt"). Ein Gegenbeweis fehlender Beeinträchtigung ist in diesem Fall nicht möglich (Petrasch aaO 73 f mwN).

Die strafgerichtliche Verurteilung des Beklagten wurde im vorliegenden Fall in einem Protokolls- und Urteilsvermerk festgehalten. Ein solcher Vermerk enthält gemäß § 458 Abs 2 Z 1 StPO keine Entscheidungsgründe wie eine Urteilsausfertigung, sondern lediglich - im Falle einer Verurteilung - die für die Strafbemessung maßgebenden Umstände in Schlagworten (§ 458 Abs 2 Z 2 StPO). Auch die Angabe aber, welche Erschwerungs- und Milderungsumstände das Gericht gefunden hat, bildet einen Teil der Entscheidungsgründe, die eine Urteilsausfertigung gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO zu enthalten hat. Erfolgte daher eine Bestrafung wegen des vom Versicherten herbeigeführten Unfalls und wurde die Ausfertigung des Urteils entsprechend der Fakultativbestimmung des § 458 Abs 2 StPO ("..... können das Protokoll..... und die Ausfertigung des Urteils.....ersetzt werden") durch einen Vermerk ersetzt, sind auch die in diesem enthaltenen, für die Strafbemessung maßgebenden Umstände als "Begründung" der Entscheidung iS des Art.6 Abs 2 lit b der AKHB anzusehen.

Nicht maßgebend sein kann entgegen der vom Berufungsgericht zitierten - insoweit vereinzelt gebliebenen - Entscheidung VersR 1984, 671, mit welchen Worten der Umstand, daß der Lenker sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden hat, in der Entscheidung eines Strafgerichtes (oder im Bescheid einer Verwaltungsbehörde) "festgestellt" wird. Hält der Strafrichter bei den Gründen für die Strafzumessung eine "erhebliche Alkoholisierung" fest, ist dies nicht anders zu werten als die Feststellung einer Beeinträchtigung durch Alkohol. Es ist daher davon auszugehen, daß sowohl in der Entscheidung des Strafgerichtes als auch in der Entscheidung des Erstrichters festgestellt wurde, daß sich der Beklagte zur Zeit des Schadensereignisses in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand iS des § 5 Abs 1 StVO befunden und damit gegen die Obliegenheit nach Art.6 Abs 2 lit b der AKHB verstoßen hat. Es ist keine Frage, daß dem Beklagten in dem gegenständlichen Verfahren die Möglichkeit offengestanden wäre, unter Beweis zu stellen, daß er ungeachtet der bestehenden, 0,8 %o jedoch nicht erreichenden (so daß die Fiktion des § 5 Abs 1, zweiter Satz, StVO nicht Platz greift) Alkoholisierung fahrtüchtig war: Wie bereits dargelegt wurde, muß die Feststellung eines durch Alkohol beeinträchtigten Zustandes, um eine Leistungsfreiheit des Versicherers zu begründen, sowohl in der Entscheidung des Strafgerichtes, als auch in jener des Zivilrichters erfolgen. Der Beklagte hat sich jedoch zum Beweis dafür, daß er durch Alkohol nicht beeinträchtigt und daher auch nicht fahruntüchtig gewesen sei, allein auf den Strafakt berufen. Aus diesem aber geht, wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, eine mangelnde Beeinträchtigung des Beklagten durch Alkohol keineswegs hervor (vgl. auch AS 15 und 35 des Strafaktes).

Mit Recht hat daher das Erstgericht dem Klagebegehren stattgegeben, so daß seine Entscheidung in Abänderung des angefochtenen Urteils wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E16277

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00029.88.0929.000

Dokumentnummer

JJT_19880929_OGH0002_0070OB00029_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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