Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Hon.Prof. Dr. Gottfried Winkler (Arbeitgeber) und Dr. Felix Joklik (Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert M***, Bahnhofstraße 30a, 4614 Marchtrenk, vertreten durch Dr. Maximilian und Dr. Friedrich Wilhelm Ganzert, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert
Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Mai 1988, GZ 12 Rs 24/88-19, womit das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. November 1987, GZ 25 Cgs 1142/87-13, aufgehoben wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger betreibt als selbständiger technischer Zeichner ein Büro in Marchtrenk. Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalles am 23. Jänner 1987 war er Mitglied der zuständigen Kammer der gewerblichen Wirtschaft.
Der Kläger bezog das Büro in Marchtrenk, Bahnhofstraße 30 a im Oktober 1986. Er wollte alte Büroeinrichtungsgegenstände den neuen Räumlichkeiten anpassen bzw. überhaupt neue Einrichtungsgegenstände herstellen. Dies machte er in der Werkstätte seiner Schwiegermutter in Schleißheim-Blindenmarkt 19. Am 23. Jänner 1987 war er mit der Ausbesserung und Wiederherstellung des Inventars für sein neues Büro beschäftigt. Als er zu diesem Zweck gerade Holzleisten fräsen wollte, wurde eine Leiste weggeschleudert und der Kläger geriet mit der linken Hand in die Fräsmaschine. Dabei erlitt er eine subtotale Amputation des Zeigefingerendgliedes und eine subtotale Amputation des Mittelfingerendgliedes links. Der Heilungsverlauf nach der Operation war komplikationslos, die Arbeitsfähigkeit ab 16. Februar 1987 wieder gegeben.
Das Erstgericht stellte fest, daß das Begehren des Klägers, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm eine vorläufige Versehrtenrente von 20 % der Vollrente im gesetzlichen Ausmaß für den Zeitraum vom 23. März 1987 bis 30. September 1987 zu zahlen, dem Grunde nach zu Recht bestehe und trug der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von 500 S monatlich auf.
Aus dem Sachverhalt folgerte es rechtlich, der Unfall des Klägers sei als Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs. 1 ASVG zu beurteilen. Als Betriebstätigkeiten seien alle Tätigkeiten anzusehen, die in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stünden. Dieser Zusammenhang sei zu bejahen, wenn die Tätigkeit, die zum Unfall geführt habe, den Zwecken des Betriebes zu dienen unmittelbar oder mittelbar bestimmt sei. Dies sei hier der Fall, weil für den Betrieb eines Büros für technisches Zeichnen das Vorhandensein einer zweckmäßigen Büroeinrichtung unbedingt erforderlich sei.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei ab 23. März 1987 mit 20 % für die Dauer von 6 Monaten einzuschätzen.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf und sprach aus, daß das Verfahren erst nach Rechtskraft des Beschlusses fortzusetzen sei.
Die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes sei zutreffend. Der Unfallversicherungsschutz dürfe nicht auf die durch die Gewerbeberechtigung abgesteckte berufliche Kernarbeit begrenzt werden, entscheidend sei vielmehr, ob die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet habe, in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stehe. Dies sei zu bejahen, wenn die Tätigkeit, die Anlaß zum Unfall gegeben habe, dem Zweck des Betriebes unmittelbar oder mittelbar gedient habe und nicht betriebsfremde Zwecke maßgeblich gewesen seien. Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Ausübung der Erwerbstätigkeit und dem Unfallereignis sei hier gegeben.
Da jedoch der Zeitraum des Rentenzuspruches durch das Beweisverfahren nicht gedeckt und dieses in diesem Punkt noch ergänzungsbedürftig sei, sei das Aufhebungsbegehren der beklagten Partei berechtigt.
In ihrem Rekurs macht die beklagte Partei unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die Entscheidung des Berufungsgerichtes im Sinne einer Klageabweisung abzuändern. Die klagende Partei beantragte in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Dem Rekurs kommt keine Berechtigung zu.
Arbeitsunfälle sind gemäß § 175 Abs. 1 ASVG Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Der Versicherungsschutz von selbständig Erwerbstätigen wird durch die Kammermitgliedschaft erworben, er erstreckt sich daher auf Tätigkeiten, die in örtlichem, zeitlichem und ursächlichem Zusammenhang mit dem Gewerbebetrieb stehen, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind bei Selbständigen als Ausübung der Erwerbstätigkeit aber nicht nur Handlungen heranzuziehen, die die im Gewerbeschein umschriebene berufliche Ausführung betreffen, sondern alle jene Tätigkeiten, die unmittelbar der Aufrechterhaltung, Förderung und Abwicklung der selbständigen Existenz dienen. Es ist nach objektiven Gesichtspunkten zu prüfen, ob sich die Tätigkeit als zur Aufrechterhaltung, Förderung oder Abwicklung der selbständigen Existenz darstellt und ob sie vom Handelnden subjektiv auch in dieser Intention entfaltet wurde (Tomandl, System, 279). Beides trifft hier zu. Eine zweckmäßige, den beruflichen Notwendigkeiten angepaßte Büroausstattung ist Voraussetzung für die Abwicklung der selbständigen Existenz.
Das Argument der beklagten Partei, aus den besonderen Bestimmungen des § 175 Abs. 3 ASVG für die bäuerliche Unfallversicherung ergebe sich, daß der Gesetzgeber den Versicherungsschutz für Gewerbetreibende auf "spezifisch-betriebliche Tätigkeiten" einschränken wollte, vermag nicht zu überzeugen, denn in § 175 Abs. 3 ASVG wurden für den bäuerlichen Bereich vor allem Tätigkeiten in den Versicherungsschutz einbezogen, die ohne Sonderbestimmung dem eigenwirtschaftlichen Bereich zugerechnet werden müßten (unter bestimmten Voraussetzungen Arbeiten im Haushalt, Nachbarschaftshilfe für einen anderen landwirtschaftlichen Betrieb). Neu- und Umbauten von Gebäuden durch den bäuerlichen Unternehmer selbst kommen aber gerade im landwirtschaftlichen Bereich sehr häufig vor. Diese Regelung sollte der Abgrenzung der Zuständigkeit in der Unfallversicherung dienen (404 BlgNR 13.GP 94) und stellt daher eine Sonderregelung dar. Auch der Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 15. Juli 1987, 9 Ob S 8,9/87 (= SSV-NF 1/14) vermag den Standpunkt der beklagten Partei nicht zu stützen. In dieser Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof die oben dargelegten Grundsätze für die Zuordnung einer Tätigkeit als betriebliche Tätigkeit in gleicher Weise dargestellt und ausgeführt, daß der Versicherungsschutz nur für Unfälle besteht, die sich im Zusammenhang mit jenem Betrieb ereignen, für den die Gewerbeberechtigung erteilt wurde, nicht aber generell für alle gewerblichen Tätigkeiten, die mit dem Betrieb, der die Grundlage der Kammermitgliedschaft bildet, nicht im Zusammenhang stehen und unberechtigt entfaltet werden (konkret: für einen anderen Betrieb, für den noch keine Gewerbeberechtigung erteilt war). In Streitsachen nach dem GSVG müssen gemäß § 12 (3) zweiter Halbsatz ASGG alle fachkundigen Laienrichter dem Kreis der Arbeitgeber angehören (SSV-NF 1/51). Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung bildet den Nichtigkeitsgrund des § 477 (1) ZPO (SSV-NF 1/31). Gegen diese Vorschrift hat das Erstgericht verstoßen. Dieser Verstoß ist zwar im vorliegenden Fall geheilt, weil die Parteien durch qualifizierte Personen im Sinne des § 40 Abs. 1 ASGG vertreten waren (§ 37 Abs. 1 ASGG iVm § 260 Abs. 4 ZPO), das Erstgericht wird jedoch bei seiner neuerlichen Entscheidung auf die gehörige Zusammensetzung des Senates zu achten haben. Dem Rekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf § 2 Abs. 1 ASGG iVm § 52 ZPO.
Anmerkung
E15844European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00210.88.1011.000Dokumentnummer
JJT_19881011_OGH0002_010OBS00210_8800000_000