Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Oktober 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Stefan D*** wegen des Vergehens der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 21.Juli 1988, GZ 8 a Vr 2574/88-40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches in den Freisprüchen unberührt bleibt, im übrigen zur Gänze aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte hierauf verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem schöffengerichtlichen Urteil, das auch unangefochtene Freisprüche enthält, wurde Stefan D*** der Vergehen zu I) der Förderung gewerbsmäßiger Unzucht nach § 215 StGB, zu II) der Zuhälterei nach § 216 Abs. 2 StGB,
zu III) der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie
zu IV) der Entziehung eines Minderjährigen aus der Macht des Erziehungsberechtigten nach § 195 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Darnach hat er im Zeitraum Februar bis Anfang März 1988 in Wien
I) Manuela B*** dadurch der gewerbsmäßigen Unzucht
zugeführt, daß er ihr die Bedingungen der Ausübung der Unzucht vorschrieb, nämlich, daß sie ein Präservativ zu verwenden, wo sie auf Kunden zu warten und wieviel sie zu verlangen habe,
II) mit dem Vorsatz, aus der gewerbsmäßigen Unzucht der Manuela B*** sich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, diese ausgebeutet,
III) Manuela B*** wiederholt durch Versetzen von Schlägen sowie durch Androhung von Schlägen, falls sie nicht auf den "Strich" ginge, sohin durch Gewalt und gefährliche Drohung, zu einer Handlung, nämlich der Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht genötigt sowie
IV) dadurch, daß er der am 1.April 1970 geborenen Manuela B***, sohin einer minderjährigen Person, in der von ihr benützten Wohnung in Wien 20., Engerthstraße Unterkunft gewährte, dieser dazu Hilfe geleistet, sich der Macht der erziehungsberechtigten Mutter Eva B*** zu entziehen. Die Schuldsprüche ficht der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde aus § 281 Abs. 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO an. Schon der Verfahrensrüge (Z 4) kommt Berechtigung zu. In der Hauptverhandlung am 21.Juli 1988 (S 247) hat der Angeklagte unter anderem die (neuerliche) Ladung des (mehrmals nicht erschienenen) Zeugen Dragan P*** zum Beweis dafür beantragt, daß Manuela B*** im Lokal (des Vladimir L***) nicht geschlagen worden sei, dieses Lokal aus eigenem freien Willen verlassen habe und in der Zeit vom 12.Februar bis Anfang März 1988 in diesem Lokal gewesen sei:
Das Schöffengericht wies diesen Antrag mit Zwischenerkenntnis gemäß § 238 Abs. 1 StPO ab, weil, wie es zur Begründung ausführte, die Aussage des P*** im Hinblick auf die Anwesenheit der B*** im Lokal unter anderem deswegen entbehrlich erscheine, weil sowohl der Angeklagte, als auch die Zeugin B*** ihre grundsätzliche Anwesenheit im Lokal übereinstimmend bestätigten (S 247). Im Urteil (US 14 f) wird diese Begründung noch dahin ergänzt, daß aus einer Aussage des beantragten Zeugen nichts zu gewinnen wäre; Dragan P*** hätte nach Aussage der Manuela B*** beobachtet, wie ihr vom Angeklagten im Lokal des L*** Schläge versetzt worden seien, hätte jedoch beigefügt, er habe Angst vor der Ablegung einer Aussage; tatsächlich sei er zwei Zeugenvorladungen nicht nachgekommen; er habe der Zeugin B*** telefonisch mitgeteilt, er wolle damit nichts zu tun haben. Zufolge dieses Hinweises der Zeugin B*** könne "einer jetzt nur durch Zwangsmittel zu erwirkenden Aussage des Dragan P*** kein eigenständiger Beweiswert bzw Beweistauglichkeit beigelegt werden. Nachdem dieser ursprünglich von der Anzeigerin selbst zum Beweis der Richtigkeit ihrer Aussage reklamiert worden war, wäre nun bei einer gegebenenfalls das Beweisthema doch stützenden Aussage eine hiefür maßgebliche Verängstigung des Zeugen keineswegs auszuschließen."
Rechtliche Beurteilung
Vorauszuschicken ist, daß sich der Angeklagte in keinem der vier Schuldspruchfakten für schuldig bekannt hat, weil er das Vorliegen des inkriminierten Sachverhaltes zur Gänze bestritt; diese Verantwortung erachtete das Schöffengericht durch die Aussagen der Zeugin Manuela B*** für widerlegt. Dieser Zeugin erkannte es Glaubwürdigkeit zu, weil in den drei Hauptverhandlungen ausreichend Gelegenheit bestand, den persönlichen Eindruck zwischen ihr und dem Angeklagten abzuwägen. Dieser Einschätzung maß das Erstgericht deswegen besondere Bedeutung bei, weil Manuela B*** erstmals in der Hauptverhandlung vorbrachte, sich für die Dauer von fünf Tagen (während des inkriminierten Zeitraumes) im Cafe L*** (ersichtlich damit gemeint das Lokal des Vladimir L***) aufgehalten und während dieses Zeitraums keinen Kontakt zum Angeklagten gehabt zu haben. Vorweg ist ferner festzuhalten, daß die Tatzeit laut Urteilsspruch (Zeitraum Februar bis Anfang März 1988) in den Gründen (US 11 Mitte) auf "Mitte Februar bis Anfang März" eingeschränkt wird. Durch die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme wurden Verteidigungsrechte tatsächlich verkürzt.
Die vom Beweisantrag erfaßten Beweisthemen sind für den Sachausgang keineswegs unentscheidend. Sollte es gelingen, den Zeugen P*** vor Gericht stellig zu machen - immerhin ist dieser am 30. Juni 1988, wenngleich verspätet, auf Grund einer Zeugenladung bei Gericht erschienen (S 220) - und sollte dieser Zeuge bekunden, nicht gesehen zu haben, daß Manuela B*** im Lokal geschlagen worden wäre, würde sich daraus ein Gegensatz zur Aussage der Zeugin B*** auf S 201 ergeben: "Über Befragen des Vorsitzenden, ob sie der Angeklagte im Lokal auch geschlagen hat, gibt die Zeugin (Manuela B***) an: Ja, das hat der Dragan P*** gesehen", ebenso zur sinngemäß gleichlautenden Aussage dieser Zeugin auf S 141 f. Die Würdigung, allenfalls Aufklärung dieser Widersprüche könnte für die Gewichtung der Angaben der Zeugin B*** von Relevanz sein. Ohne den Zeugen P*** gesehen und gehört zu haben, durfte das Gericht nicht von vornherein Mutmaßungen über den Beweiswert von dessen allenfalls in der Zukunft erst abzulegender Aussage anstellen. Indem das Schöffengericht (wie eingangs wiedergegeben) dem Wahrheitsgehalt einer allfälligen - im Sinn des erwähnten Beweisthemas erfolgten - Aussage des Zeugen P*** ersichtlich von vornherein die Glaubwürdigkeit absprach, hat es vorgreifend Beweise zum Nachteil des Angeklagten gewürdigt und damit gegen Grundsätze verstoßen, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist. Die Verfahrensrüge bezieht sich ausdrücklich lediglich auf die Schuldsprüche in den Fakten I bis III. Der Schuldspruch im Faktum IV steht aber bei Bedacht auf Tatzeit, Thema des gegenständlichen Beweisantrages und Verantwortung des Beschwerdeführers in engem Zusammenhang mit den zuerst genannten Schuldsprüchen, sodaß die Kassierung des gesamten Urteils geboten ist (§ 289 StPO). Die aufgezeigten Verfahrensmängel lassen die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung unumgänglich erscheinen. Es erübrigt sich daher auf die weiteren, in der Nichtigkeitsbeschwerde relevierten Punkte einzugehen. Vielmehr war diesem Rechtsmittel gemäß § 285 e StPO schon in nichtöffentlicher Sitzung Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung
E15645European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0150OS00132.88.1018.000Dokumentnummer
JJT_19881018_OGH0002_0150OS00132_8800000_000