TE OGH 1988/10/19 14Os142/88

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Veröffentlicht am 19.10.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 19.Oktober 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Knob als Schriftführerin in der Strafsache gegen Paul H*** wegen des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs. 2, 85 Z 2 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 31. Mai 1988, GZ 10 Vr 2917/87-39, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

1. Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen des Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs. 1 StGB (Punkt 2 a des Urteilssatzes) sowie demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung zurückverwiesen.

2. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten zurückgewiesen.

3. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die zu Punkt 1 getroffene Entscheidung verwiesen.

4. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem oben näher bezeichneten Urteil wurde der 33jährige Paul H*** (zu 1.) des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 (Abs. 2), 85 Z 2 StGB, (zu 2 a) des Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs. 1 StGB und (zu 2 b) des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er - zusammengefaßt wiedergegeben - am 3.Juni 1987 in Kalsdorf seiner Ehefrau Rosemarie H*** mit Mißhandlungsvorsatz eine im Urteil näher beschriebene tiefe Schnittverletzung zugefügt, die für immer eine auffallende Verunstaltung der Genannten sowie eine erhebliche Verstümmelung der rechten Hand bewirkte, indem er aus Wut im Zuge des Entreißens eines Messers dieses mit der Schneide in Richtung der Finger seiner Ehefrau richtete und mit großer Heftigkeit fingerwärts zog und wobei er um die Möglichkeit der Deliktsverwirklichung wußte (1), am 6. Februar 1988 in Feldkirchen bei Graz sich den Eintritt in die Wohnstätte des Franz S*** durch Aufbrechen der Wohnungstür erzwungen, wodurch ein Schaden in unbekannter, 25.000 S nicht übersteigender Höhe entstand (2 a) und durch die vorerwähnte Handlung eine fremde Sache, nämlich die Wohnungseingangstür des Franz S***, beschädigt (2 b).

Den Schuldspruch wegen Körperverletzung bekämpft der Angeklagte aus den Z 4, 5, 5 a und 10 des § 281 Abs. 1 StPO, den wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung allein aus der Z 5 a der genannten Gesetzesstelle.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner Verfahrensrüge (Z 4) wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Abweisung von vier Beweisanträgen, die er in der Hauptverhandlung am 31.Mai 1988 (vgl. S 189 f) gestellt hatte; dies jedoch zu Unrecht.

In Ansehung des Begehrens, den Arzt, der Rosemarie H*** im Krankenhaus operiert hatte, zum Beweis dafür zu vernehmen, "daß die Verletzung so ausgebildet war, daß eine Selbstverletzung auch möglich ist und daß die ersichtliche hufeisenförmige Ausbildung der Verletzung nicht vom Unfall her stammt, sondern erst von der Operation", ist davon auszugehen, daß der medizinische Sachverständige Dr. L*** die vom Angeklagten ins Treffen geführte Selbstverletzungsversion - seine Frau habe in den geöffneten Geschirrspüler gegriffen und sich dabei an einem senkrecht stehenden Fleischmesser oder dergleichen die Handverletzung zugezogen - schwergewichtig wegen der Art und des Verlaufes der Wunde - tiefgreifende, senkrecht zur Längsachse des Arms verlaufende Schnittverletzung bis an den Knochen heran - ausschloß (vgl. S 188 f) und daß diese grundlegende Tatsache in der Krankengeschichte (vgl. S 47 ff, insbesondere S 50) insofern volle Deckung findet, als dort von einer "tiefen, quer zum mittleren Unterarm verlaufenden Schnittwunde, die bis an den Unterarmknochen heranreicht" die Rede ist und dabei hervorgehoben wird, daß sämtliche Gebiete der Volarseite glatt durchtrennt sind. Hält man hinzu, daß nach dem Wortlaut des Beweisthemas ("... daß eine Selbstverletzung auch möglich ist ...") durch den beantragten Zeugen lediglich die Möglichkeit einer Selbstbeschädigung dargetan, nicht aber Fremdverschulden ausgeschlossen werden sollte und daß im übrigen nach dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen die hufeisenförmige Ausbildung der Verletzung mit der Frage, ob ein Schnitt (quer über den Unterarm) oder Stiche (parallel zur Längsachse des Unterarms) erfolgten, überhaupt nicht zusammenhängt, sondern dadurch bloß Richtung (fingerwärts) und Neigungswinkel (schräg und nicht senkrecht zur Oberfläche des Arms) der Wunde determiniert werden, wurde dieses Beweisbegehren zu Recht abgelehnt. Verteidigungsrechte des Angeklagten wurden durch das bekämpfte Zwischenerkenntnis somit nicht beeinträchtigt.

Entbehrlich war es auch - wie das Erstgericht zutreffend erkannte - den vom Angeklagten beantragten Strafakt zum Beweis dafür beizuschaffen, daß seine Ehefrau ihn schon einmal wegen Körperverletzung falsch beschuldigt habe; denn es wurde auf der Grundlage eines entsprechenden Zugeständnisses der Rosemarie H*** (vgl. S 63 und 178) eine diesbezügliche Verurteilung der Zeugin ohnehin unterstellt (vgl. S 191) und demnach bei der Gesamtwürdigung ihrer Aussage mitberücksichtigt. Da Analoges auch mit Bezug auf die zwei restlichen Beweisanträge gilt - Einvernahme des Bürgermeisters der Gemeinde Kalsdorf darüber, daß die Zeugin H*** nach dem Vorfall ihm gegenüber erklärte, sie habe sich die Verletzung selbst zugezogen und Vernehmung des Scheidungsrichters zum Beweis dafür, daß im Zuge des Scheidungsverfahrens kein Wort von einer Verursachung der Verletzung durch den Angeklagten gesprochen wurde - konnten auch diese Anträge sanktionslos abgewiesen werden, zumal es aktenkundig ist, daß Rosemarie H*** auch gegenüber der Rettungsmannschaft und dem diensthabenden Arzt auf der Klinik einen Unfall vorgeschützt und ihren Ehemann nicht belastet hatte (vgl. etwa S 62). Abgesehen von all dem konnten die zuletzt angeführten Beweisanträge aber schon deshalb vom Ansatz her nicht zielführend sein, weil - wie oben dargetan - eine fahrlässige Selbstverletzung auf Grund des medizinischen Befundes ausscheidet und nicht einmal der Beschwerdeführer unter Beweis zu stellen trachtete, seine Gattin habe sich die (muskel-, sehnen- und nervendurchtrennende) Schnittverletzung vorsätzlich zugefügt.

In der auf die Z 5 und 5 a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Tatsachenrüge werden keine formalen Begründungsmängel in der Bedeutung des erstangeführten Nichtigkeitsgrundes dargetan und keine Umstände angeführt, die geeignet wären, die zum Verletzungsdelikt getroffenen Tatsachenfeststellungen in Zweifel zu setzen. Im einzelnen ist der Mängelrüge zu entgegnen, daß ihre sich mit der inneren Tatseite des Angeklagten befassenden Ausführungen einzelne Urteilspassagen aus dem gegebenen Kontext lösen und damit ihres Sinnes berauben, der nur aus dem Zusammenhalt (§ 258 StPO) erschließbar ist. So wird etwa - der Beschwerde zuwider - auf Seite 3 des Urteils nicht (bloß) festgestellt, daß der Beschwerdeführer seiner Frau das Messer entreißen wollte und daß bei diesem Vorgang auch die Schnittwunde entstanden sei, sondern - überdies - konstatiert, daß der Angeklagte "bei diesem Vorgang" - also beim Entreißen des Messers - die Schneide des Messers in Richtung der Finger der Rosemarie H*** "gerichtet" und relativ flach mit großer Heftigkeit fingerwärts "gezogen" hat, mit welchen Tätigkeitsworten ersichtlich keine zufällig ablaufenden Handlungen beschrieben werden. Zudem wird ausdrücklich konstatiert (US 5 f), der Angeklagte habe "in der Absicht", seine Gattin am Körper zu mißhandeln, diese an der Bluse erfaßt und ihr das Messer aus der rechten Hand gerissen, wobei er ihr die inkriminierten schweren Verletzungen zufügte und um die Möglichkeit der Deliktsverwirklichung wußte, was gleichfalls erkennen läßt, daß nach den tatrichterlichen Annahmen das Gesamtverhalten des Angeklagten gegenüber seiner Gattin von Mißhandlungsvorsatz umfaßt war. Aus der Tatsache, daß der Angeklagte in Wut geraten war, aus der Beschaffenheit der Verletzung, aus den Angaben der Verletzten und endlich daraus, daß der Beschwerdeführer gegenüber der Zeugin Rosemarie S*** erklärt hatte, es tue ihm leid, daß alles passiert sei, es sei eine Reflexhandlung gewesen, konnte das Schöffengericht den denkrichtigen und mit der Lebenserfahrung übereinstimmenden Schluß ziehen, daß die inkriminierte Schnittverletzung im Zuge der vorsätzlichen Mißhandlung der Rosemarie H*** durch den Angeklagten bewirkt wurde. Das Erstgericht hat die Tat des Angeklagten nicht nach § 83 Abs. 1 StGB oder nach § 87 StGB beurteilt. Nach § 83 Abs. 2 (§ 85) StGB reicht aber Mißhandlungsvorsatz aus, wenn durch die Mißhandlung eine der im § 83 Abs. 2 (§ 85) StGB genannten Folgen fahrlässig (§§ 6, 7 Abs. 2 StGB) herbeigeführt wird und der Eintritt der schweren Tatfolgen im Rahmen adäquater Vorhersehbarkeit lag (Leukauf-Steininger Kommentar2 RN 33 zu § 7, RN 9, 11 zu § 83). Daß aber beim Entreißen eines Messers eine schwere Verletzung - wie im vorliegenden Fall - eintreten kann, war auch für den Angeklagten vorhersehbar. Daß der medizinische Sachverständige als mögliche Entstehungsursache der Verletzung darlegte, daß beim Versuch, das Messer zu entwinden, die Schneide "zufällig" in Richtung Unterarm gezogen wurde (S 188), steht der Annahme fahrlässiger Zufügung dieser Verletzung nicht entgegen.

Nur der Vollständigkeit halber sei abschließend zu den Beschwerdeausführungen bemerkt, daß keineswegs "alle Zeugen" bestätigten, die Verletzte hätte von Anfang an immer gesagt, daß es sich um einen Unfall bzw. um eine Selbstverletzung gehandelt habe. Vielmehr deponierte Margarethe R*** am 23.Juli 1987 vor der Gendarmerie (vgl. S 13), sie habe am 28.Juni 1987 bei einer Streiterei von Paul H*** gehört, daß er Rosemarie H. die Verletzung zugefügt hatte und erklärte die genannte Zeugin in der Hauptverhandlung am 22.September 1987 (siehe S 36) Rosemarie H. habe ihr fernmündlich gesagt, daß sie vom Beschuldigten verletzt worden sei. Sie - R*** - habe gehört, wie der Angeklagte zu seiner Frau sagte, daß es ihm leid tue und wenn sie wolle, mache er auch eine Selbstanzeige bei der Gendarmerie. In der Hauptverhandlung vom 6. November 1987 gab die Zeugin Rosemarie S*** (vgl. S 60) an, der Angeklagte habe ihr gegenüber geäußert, er wisse nicht, wie die Tat passiert sei, es sei eine Reflexhandlung gewesen, und in der Hauptverhandlung am 31.Mai 1988 schließlich wiederholte Margarethe R***, die Verletzte habe ihr bei einem Besuch im Krankenhaus gesagt, ihr Mann habe "das gemacht", wogegen einzig der Zeuge Udo S*** deponierte (S 182), Rosemarie H*** habe erklärt, daß "es" ihr beim Abwaschen passiert sei.

Die in der Rechtsrüge (Z 10) aufgestellte Behauptung, aus den tatrichterlichen Feststellungen lasse sich nur eine fahrlässige Körperverletzung ableiten, übergeht die oben wiedergegebenen, den Mißhandlungsvorsatz des Angeklagten während des Gesamtgeschehens betreffenden Urteilskonstatierungen. Damit wird aber der relevierte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund, der ein Festhalten an dem von der Tatsacheninstanz festgestellten Sachverhalt erfordert, nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht.

Seinen Schuldspruch wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung bekämpft der Angeklagte ausschließlich aus der Z 5 a des § 281 Abs. 1 StPO; auch dies jedoch ohne Erfolg. Denn seine weitgehend unsubstantiierten Darlegungen sind keineswegs geeignet, Bedenken gegen die tatrichterliche Feststellung zu erwecken, er habe am 6.Februar 1988 vorsätzlich die Tür zur Wohnung des Franz S*** aufgebrochen und dadurch an der Tür einen 25.000 S nicht übersteigenden Schaden verursacht.

In Ansehung des Verbrechens der Körperverletzung und des Vergehens der Sachbeschädigung war somit die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten teils als offenbar unbegründet nach § 285 d Abs. 1 Z 2 StPO, teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt nach der Z 1 dieser Gesetzesstelle in Verbindung mit § 285 a Z 2 StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Mit Bezug auf den Schuldspruch wegen des Vergehens des Hausfriedensbruches nach § 109 Abs. 1 StGB hat sich der Oberste Gerichtshof jedoch aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten davon überzeugt, daß das Urteil insoweit mit einer von Amts wegen wahrzunehmenden Nichtigkeit nach der Z 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO behaftet ist, als es Feststellungen darüber vermissen läßt, ob sich in der Wohnung zum Tatzeitpunkt zumindest eine Person befand; ist doch Hausfriedensbruch an einem unbewohnten Haus bzw. an einer leerstehenden Wohnung begrifflich unmöglich, weil es zum Wesen dieses Deliktes gehört, daß durch Gewalt gegen Personen oder Sachen oder durch Drohung mit solcher Gewalt der gegen das Eindringen bzw. gegen den Eintritt anderer gerichtete Willen des das Hausrecht Ausübenden gebeugt, der Eintritt bzw. das Eindringen erzwungen wird (vgl. LSK 1977/330 und Leukauf-Steininger StGB2 RN 12 zu § 109). Da es dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist, diesen Mangel zu sanieren, war gemäß §§ 290 Abs. 1, 285 e StPO der betreffende Schuldspruch aufzuheben.

Diese Maßnahme zog auch eine Beseitigung des gesamten Strafausspruches nach sich, womit die Berufung des Angeklagten gegenstandslos wird.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Anmerkung

E15610

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00142.88.1019.000

Dokumentnummer

JJT_19881019_OGH0002_0140OS00142_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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