Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Roman Merth und Dr. Friedrich Kaiser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ing. Philipp Heinrich K***, Baubiologe, Adliswil, Stiegstraße 39, Schweiz, vertreten durch Dr. Hans Paternioner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Margarethe R***, Pensionistin, Klagenfurt, Bozenergasse 6, vertreten durch Dr. Manfred Haslinglehner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Räumung einer Wohnung (Interesse 12.000 S), infolge Rekurses beider Parteien gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9. Juni 1988, GZ 7 Ra 21/88-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 23. September 1987, GZ 32 Cga 1009/87-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Beiden Rekursen wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.290,68 S bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 571,88 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Alleininhaber der prot. Firma Philipp K***, Leder- und Riemenfabrik in Klagenfurt (im folgenden: Firma K***) und Eigentümer des Hauses Klagenfurt, Bozenergasse 6. In diesem Haus befinden sich Wohnungen für Arbeitnehmer der Firma K***. Eine dieser Wohnungen wird seit Dezember 1970 von der Beklagten, die seit 4. März 1954 Arbeitnehmerin der Firma K*** war, bewohnt. Wegen der Stillegung des Betriebes der Firma K*** wurde das Arbeitsverhältnis der Beklagten vom Kläger zum 31. März 1984 gekündigt. Der Kläger begehrt die Räumung der Wohnung. Die Beklagte habe in einer von ihr unterzeichneten Erklärung zur Kenntnis genommen, daß ihr das Recht auf Benützung dieser Dienstwohnung nur für die Dauer ihres Arbeitsverhältnisses bei der Firma eingeräumt worden sei und daß das Recht auf Benützung der Dienstwohnung mit dem Erlöschen des Arbeitsverhältnisses ende. Die Beklagte habe sich verpflichtet, die Dienstwohnung bei Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei der Firma K***, gleichgültig aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis enden sollte, sofort zu räumen. Mit Erklärung vom 7. April 1972 habe die Beklagte zur Kenntnis genommen, daß sie bis zu ihrem Lebensende in der von ihr benützten Werkswohnung bleiben könne, wenn sie bis zur Erreichung der Rente in dem Betrieb der Firma K*** verbleiben sollte. Die Beklagte sei nach dem Inhalt eines zwischen der Firma K*** und ihren Arbeitnehmern vereinbarten Sozialplanes verpflichtet gewesen, innerhalb von 12 Monaten nach ihrem Ausscheiden die Dienstwohnung zu räumen und in geräumtem Zustand zu übergeben. Sie habe dies nicht getan und sich auf die Erklärung vom 7. April 1972 berufen. Die danach einsetzenden Ermittlungen hätten ergeben, daß die Voraussetzungen von der Beklagten nicht erfüllt worden seien. Die Beklagte sei mit 31. März 1984 aus den Diensten der Firma K*** ausgeschieden. Sie sei daher nicht, wie dies im Schreiben vom 7. April 1972 zur Bedingung gemacht worden sei, bis zur Erreichung der "Rente" im Beschäftigungsverhältnis zur Firma K*** geblieben. Demnach sei die zugesagte Verlängerung bis zum Lebensende nicht wirksam geworden und gelte die ursprünglich abgegebene Erklärung der Beklagten, wonach sie mit dem Erlöschen des Arbeitsverhältnisses zur Räumung der Wohnung unter Berücksichtigung des Räumungsaufschubes nach dem Sozialplan 1984 verpflichtet sei. Die Beklagte habe die Invaliditätspension erst mit 1. November 1984 erhalten. Im Zeitpunkt der Lösung des Arbeitsverhältnisses sei bei ihr der Versicherungsfall der dauernden Invalidität noch nicht eingetreten gewesen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe am 7. April 1972 mit dem Rechtsvorgänger des Klägers vereinbart, daß sie bis zum Lebensende in der gegenständlichen Wohnung verbleiben könne, wenn sie bis zur Erreichung der Rente bei der Firma K*** beschäftigt sei. Im Hinblick auf diese Vereinbarung habe der Ehegatte der Beklagten eine von ihm angekaufte Eigentumswohnung wieder verkauft. Die Beklagte sei bis 31. März 1984 im Betrieb des Klägers beschäftigt gewesen. Ab 2. April 1984 bis einschließlich 28. Oktober 1984 sei sie arbeitslos gewesen. Ab 1. November 1984 beziehe sie eine Invaliditätspension. Sie sei nach Betriebsstillegung bei keinem anderen Arbeitgeber beschäftigt gewesen. Für die Beklagte gelte die gegenüber dem Sozialplan günstigere Vereinbarung vom 7. April 1972.
Das Erstgericht wies die Klage ab und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Anläßlich der Überlassung der Dienstwohnung wurde zwischen der Beklagten und dem damaligen Inhaber der Firma K***, Dipl.Ing. Karl K***, unter anderem vereinbart, daß der Beklagten das Recht auf Benützung dieser Dienstwohnung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses eingeräumt werde. Daraufhin verkaufte der Ehemann der Beklagten im Jahre 1971 die von ihm erworbene Eigentumswohnung.
Im April 1972 trafen die Beklagte und Dipl.Ing. Karl K*** folgende Vereinbarung: "Wir nehmen Bezug auf die gestrige Besprechung und halten schriftlich fest, daß Sie bis zum Lebensende in der von Ihnen benützten Werkswohnung bleiben können, wenn Sie bis zur Erreichung der Rente in unserem Betrieb verbleiben. Sollte dies der Fall sein, gilt dieses Entgegenkommen auch für den Gatten von Frau R***. Weitere Personen können dies nicht beanspruchen." Im Frühjahr 1983 teilte die Firma K*** den Benützern der Werkswohnungen über Anfrage eines Arbeitnehmers mit, daß, sollte es zu einer Betriebsauflösung kommen, die Wohnungen den Pensionisten und ihren Ehepartnern nicht gekündigt werden würden, wenn sie bis zur Pensionierung bei der Firma beschäftigt seien. Die Beklagte unterfertigte dieses Schreiben zum Zeichen ihres Einverständnisses. Anfang Jänner 1984 verständigte die Leitung der Firma K*** die Arbeitnehmer von der mit 31. März 1984 in Aussicht genommenen Betriebsstillegung. Da sich der Kläger und der Arbeiterbetriebsrat der Firma K*** nicht über einen im Zuge der Stillegung abzuschließenden Sozialplan einigten, kam es zu einem Schlichtungsverfahren vor dem Einigungsamt Klagenfurt. Mit Entscheidung vom 13. März 1984 verfügte die Schlichtungsstelle, daß jedem Arbeiter, der eine Dienstwohnung benützt, ein Benützungsrecht für 6 Monate ab Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingeräumt werde; sollte der betreffende Arbeiter innerhalb dieser Frist einen anderen Arbeitsplatz noch nicht gefunden haben, werde dieses Benützungsrecht um weitere 3 Monate, jedoch längstens auf 12 Monate verlängert. Die mit den Pensionisten bestehenden Benützungsvereinbarungen sollten unberührt bleiben. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß Punkt 7 des als Betriebsvereinbarung geltenden, von der Schlichtungsstelle beschlossenen Sozialplanes dahin auszulegen sei, daß als "Pensionisten" auch Arbeiter zu gelten hätten, die im Jahre 1984 anläßlich der Betriebsstillegung, ohne bei einer anderen Firma gearbeitet zu haben, in Pension gingen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 30.000 S übersteige. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Sozialplan selbst nicht zu entnehmen sei, wer als "Pensionist" zu gelten habe. Dies sei nach den früheren Vereinbarungen zu beurteilen, auf die der Sozialplan verweise. Das Erstgericht habe dies verkannt und das seinerzeit unter den Vertragspartnern herrschende Verständnis des Begriffes "bis zur Erreichung der Rente im Betrieb verbleiben" nicht festgestellt.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diesen Beschluß von beiden Parteien erhobenen Rekurse sind berechtigt.
Dem Berufungsgericht ist zunächst darin beizupflichten, daß dem Beschluß der Schlichtungsstelle lediglich eine Verweisung auf frühere mit Pensionisten bestehende Wohnungsbenützungsvereinbarungen zu entnehmen und daher unmittelbar für die Lösung des vorliegenden Falles nichts zu gewinnen ist, zumal der Vorschlag des Arbeiterbetriebsrates, ein lebenslängliches Wohnrecht für die Pensionisten - einschließlich der Arbeiter, welche im Jahre 1984, ohne in einer anderen Firma gearbeitet zu haben, in Pension gehen - festzulegen, von der Schlichtungsstelle nicht übernommen wurde. Im übrigen können Betriebsvereinbarungen bestehende Einzelvereinbarungen nur insoweit verdrängen, als sie für den Arbeitnehmer günstiger sind (siehe ZAS 1986, 56; Strasser in Floretta-Strasser Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz Anm. 3.1.3 zu § 31).
Entscheidend ist daher die Auslegung der in die zwischen der Beklagten und ihrem Arbeitgeber am 7. April 1972 getroffene, der Beklagten ein lebenslängliches Benützungsrecht zusichernde Individualvereinbarung aufgenommenen Bedingung "wenn Sie bis zur Erreichung der Rente in unserem Betrieb verbleiben". Wenn auch im Rahmen der Vertragsauslegung die individuelle Sonderbedeutung einer Willenserklärung vorrangig ist (vgl. Rummel in Rummel ABGB Rz 5 zu § 914), darf nicht übersehen werden, daß keine der Parteien Tatsachen behauptet hat, aus denen eine am Empfängerhorizont orientierte individuelle, vom Wortlaut der schriftlichen Zusage abweichende Sonderbedeutung (Parteienabsicht) dieser Klausel zu entnehmen sei. Da die Beklagte ihr Recht zur Weiterbenützung der Wohnung vor allem aus der Vereinbarung vom 7. April 1972 ableitete und der Kläger darauf mit einer lediglich am Wortlaut der Vereinbarung orientierten Stellungnahme entgegnete, war das Erstgericht entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Ansicht nicht zur Erforschung eines allenfalls vom Wortlaut der Erklärung abweichenden Parteiwillens verpflichtet.
Geht man daher davon aus, daß eine vom Wortlaut der Erklärung abweichende Parteiabsicht mangels entsprechenden Parteienvorbringens zu Recht nicht festgestellt wurde, dann bildet die Auslegung der gegenständlichen Urkunde eine im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu lösende Rechtsfrage (siehe Rummel in Rummel ABGB Rz 13 zu § 886 sowie Rz 14 zu § 914; Fasching ZPR Rz 1926, jeweils mwH). Dabei ist in erster Linie auf den Zweck der Vereinbarung abzustellen (vgl. Rummel aaO Rz 4 zu § 914) und auch auf die beide Vertragspartner treffenden Nebenpflichten - hier Treue- und Fürsorgepflicht - Bedacht zu nehmen.
Die Zusicherung der Benützung der Dienstwohnung über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus hatte - ebenso wie etwa die Zusicherung einer Betriebspension - den Zweck, die Betriebstreue des Arbeitnehmers zu honorieren und ihn damit an den Betrieb zu binden, wobei dem Wortlaut der Bedingung "wenn Sie bis zur Erreichung der Rente in unserem Betrieb verbleiben", zu entnehmen ist, daß ein Erlöschen der Anwartschaft vor allem für den Fall vorgesehen war, daß die Lösung des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitnehmer ausgehen sollte. Mit dem Zweck dieser Regelung wäre nun eine Auslegung nicht in Einklang zu bringen, die es dem Arbeitgeber ermöglichen würde, die zugesicherte und auch Entgelt für die bisher geleisteten Dienste und die Betriebstreue darstellende Anwartschaft auf die lebenslängliche Benützung der Dienstwohnung durch Ausübung des ihm zukommenden einseitigen Gestaltungsrechtes der Kündigung unmittelbar vor Eintritt der aufschiebenden, vom Willen des Arbeitnehmers unabhängigen Bedingung für den Erwerb des unverfallbaren Rechtes zum Erlöschen zu bringen. Berücksichtigt man weiters, daß etwa eine vorzeitige Pensionierung nach § 253 a Abs. 1 ASVG voraussetzt, daß der Arbeitnehmer in den letzten 15 Monaten vor der Pensionierung zumindest 12 Monate arbeitslos war, dann darf gerade im Fall einer durch betriebliche Gründe bedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber die Vereinbarung nicht dahin ausgelegt werden, daß der Anspruch auf die Dienstwohnung nur dann gewahrt ist, wenn die Pension unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anfällt. Eine am Zweck der Regelung orientierte und den gesetzlichen Voraussetzungen für die als Bedingung für den Anfall des lebenslänglichen Nutzungsrechtes genannte Pensionierung des Arbeitnehmers Rechnung tragende Auslegung gelangt daher zu dem Ergebnis, daß im Falle einer arbeitgeberseitigen, betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses der nach der Vereinbarung für den Anfall des lebenslänglichen Wohnrechtes geforderte zeitliche Zusammenhang zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Pensionierung auch dann gegeben ist, wenn zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Anfall der Pension das im § 253 a Abs. 1 ASVG für die vorzeitige Alterspension geforderte Mindestausmaß nicht wesentlich überschreitende Zeiten der Arbeitslosigkeit liegen. Da die Klägerin somit die Voraussetzungen für den Erwerb des lebenslänglichen Benützungsrechtes an der gegenständlichen Wohnung erfüllt hat, erweist sich das Räumungsbegehren des Klägers, wie das Erstgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, als unberechtigt. Den Rekursen war daher Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen (§ 519 Abs. 2 letzter Satz ZPO). Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, wobei darauf Bedacht genommen wurde, daß die klagende Partei einen Erfolg nur in formeller Hinsicht erzielt hat.
Anmerkung
E16061European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:009OBA00252.88.1024.000Dokumentnummer
JJT_19881024_OGH0002_009OBA00252_8800000_000