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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der G, geboren 1967, vertreten durch Dr. Michael Göbel, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 2. September 2002, Zl. SD 333/02, betreffend Versagung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 2. September 2002 traf die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (die belangte Behörde) folgenden Ausspruch:
"Die Bundespolizeidirektion Wien, Fremdenpolizeiliches Büro, hat mit Bescheid vom 03.04.2002, Zahl (....(, den Antrag der ruandischen Staatsangehörigen Grace Masozera, 18.04.1967 geboren, vom 13.11.2001 auf Ausstellung eines Fremdenpasses gemäß § 76 Abs. 1 Z. 3 des Fremdengesetzes, BGBl. I Nr. 75/1997, abgewiesen.
Der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG mit der Maßgabe bestätigt, dass sich die Abweisung auf die Bestimmung des § 76 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 stützt."
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der von der Beschwerdeführerin, die am 1. Oktober 1995 über Wien-Schwechat eingereist sei, am 3. Juli 1996 beim Bundesasylamt gestellte Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. August 1996 abgewiesen worden sei und sie erstmals ab dem 28. August 1996 von dieser Behörde mit der Begründung, dass ihr eine Rückkehr in ihr Heimland auf Grund der dort herrschenden Situation nicht zugemutet werden könnte und eine Abschiebung daher unmöglich wäre, eine befristete Aufenthaltsberechtigung für Österreich erhalten habe. Zuletzt habe sie vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 25. Oktober 2001 gemäß § 15 Asylgesetz 1997 eine bis zum 25. Oktober 2004 befristete Aufenthaltsberechtigung erhalten.
Den gegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Fremdenpasses habe die Beschwerdeführerin auf § 76 Abs. 1 Z. 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG gestützt und diesbezüglich ausgeführt, dass sie seit 4. Dezember 1999 die Ehegattin des Konventionsflüchtlings K. wäre, der seit über zehn Jahren in Österreich lebte und bei einem namentlich genannten Unternehmen aufrecht beschäftigt wäre. Auch die beiden in Österreich wohnhaften gemeinsamen Kinder wären Konventionsflüchtlinge.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin lägen bei ihr die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Sichtvermerkes nicht vor, zumal § 24 FrG im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 leg. cit. zu sehen sei und die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die letztgenannte Bestimmung nicht im Besitz eines dafür erforderlichen gültigen Reisedokumentes sei. Im Übrigen habe die Beschwerdeführerin, die mit einem vom 6. September 1994 bis zum 5. September 1999 gültigen ruandischen Reisepass in das Bundesgebiet eingereist sei, bislang nicht nachgewiesen, dass sie nicht in der Lage wäre, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen. Die Erstbehörde sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. nicht vorlägen.
Da nicht ersichtlich sei und von der Beschwerdeführerin zudem nicht behauptet worden sei, dass sie unter einen anderen in § 76 Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Personenkreis fiele, könne für sie kein Fremdenpass ausgestellt werden. Von daher gesehen sei nicht weiter zu prüfen gewesen, ob die Ausstellung eines Fremdenpasses im Hinblick auf ihre Person im positiven Interesse der Republik Österreich - hiebei sei ein besonders restriktiver Maßstab anzulegen - gelegen wäre.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Abs. 1 des mit "Ausstellung von Fremdenpässen" überschriebenen § 76 FrG hat folgenden Wortlaut:
"§ 76. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für
1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;
2. ausländische Staatsangehörige, die zum unbefristeten Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;
3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels gegeben sind;
4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;
5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt."
2. Die Beschwerde bringt vor, die Annahme der belangten Behörde, dass die Beschwerdeführerin kein ausreichendes Vorbringen erstattet und keinen Nachweis erbracht habe, dass sie keinen Reisepass aus Ruanda habe beschaffen können und die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels vorlägen, sei aktenwidrig. Bei Würdigung der vorliegenden Beweise - so ein fünfjähriges Bemühen um einen Reisepass aus Ruanda und keine Antwort aus dem weltweit bekannten Krisengebiet - liege es auf der Hand, dass die genannten Voraussetzungen vorlägen. Die belangte Behörde habe ihrer Verpflichtung zu amtswegigen Ermittlungen verletzt, was umso schwerer wiege, als die Beschwerdeführerin keine Möglichkeiten gehabt habe, Beweismaterial zu sammeln. Die fehlende Einholung von Auskünften offizieller Stellen aus Ruanda könne profunde behördliche Nachforschungen keineswegs ersetzen. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, weil die belangte Behörde die glaubwürdigen Aussagen der Beschwerdeführerin und die Berichte von und über Amnesty International sowie von der Botschaft und den Stellen in Ruanda unberücksichtigt gelassen habe. Weiters lägen die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels vor.
3. Mit diesem auf den Tatbestand des § 76 Abs. 1 Z. 3 FrG abstellenden Vorbringen zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
3.1. Den im bekämpften Bescheid getroffenen Feststellungen zufolge begründete die Beschwerdeführerin ihren Antrag vom 13. November 2001 auf Ausstellung eines Fremdenpasses (u.a.) damit, dass sie seit 4. Dezember 1999 Ehegattin des Konventionsflüchtlings K. sei und dieser seit über zehn Jahren in Österreich lebe und aufrecht beschäftigt sei. Ferner stellte die belangte Behörde (u.a.) fest, dass die Beschwerdeführerin am 1. Oktober 1995 in Österreich eingereist sei und ihr erstmals vom Bundesasylamt ab dem 28. August 1996, zuletzt am 25. Oktober 2001 mit Gültigkeit bis 25. Oktober 2004, eine befristete Aufenthaltsberechtigung für Österreich erteilt worden sei und sie nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes sei. Weiters vertrat die belangte Behörde die Auffassung, die Beschwerdeführerin habe bislang nicht nachgewiesen, dass sie nicht in der Lage wäre, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen.
3.2. Die belangte Behörde hat sich nicht mit dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren (vgl. die Stellungnahme vom 28. Dezember 2001 und die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid) erstatteten Vorbringen auseinander gesetzt, dass die ruandische Botschaft keine Dokumente für ruandische Flüchtlinge und abgewiesene Asylwerber ausstelle, und keine diesbezüglichen Ermittlungen durchgeführt. Zur Vornahme von derartigen Ermittlungen - so etwa durch eine Anfrage bei der ruandischen Botschaft oder durch die Erteilung eines Auftrages an die Beschwerdeführerin, die (allfällige) Stellung eines Antrages auf Ausstellung eines Reisepasses an die ruandische Botschaft und die (allfällige) Abweisung dieses Antrages unter Beweis zu stellen - wäre die belangte Behörde jedoch auf Grund ihrer Verpflichtung nach § 39 Abs. 2 AVG, von sich aus für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und Erhebungen, die zur Klärung des Sachverhalts benötigt werden, durchzuführen (vgl. dazu etwa die in Hauer/Leukauf, Verwaltungsverfahren6, zu § 39 Abs. 2 AVG E 1a ff zitierte hg. Judikatur), gehalten gewesen.
Im Hinblick darauf belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel, dem aus folgenden Gründen Relevanz zukommt: Sollte sich auf Grund der Ergänzung des Ermittlungsverfahrens im vorgenannten Sinn ergeben, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich - wie von ihr behauptet - nicht in der Lage sei, sich ein ruandisches Reisedokument zu beschaffen, so wäre der Tatbestand gemäß § 76 Abs. 1 Z. 3 FrG dann erfüllt, wenn bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels gegeben wären und darüber hinaus die vorrangige - für die Verwirklichung jedes einzelnen der in den Z. 1 bis 5 des § 76 Abs. 1 leg. cit. umschriebenen Tatbestände wesentliche - Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses, dass dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen sei, verwirklicht wäre.
In Bezug auf die letztgenannte Tatbestandsvoraussetzung ("Interesse der Republik") nahm die belangte Behörde keine Beurteilung vor.
Was die Frage, ob die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels erfülle, anlangt, so vertrat die belangte Behörde die Auffassung, dies sei im Hinblick auf § 24 iVm § 8 Abs. 1 FrG schon deshalb zu verneinen, weil die Beschwerdeführerin nicht im Besitz eines dafür erforderlichen gültigen Reisedokumentes sei.
Mit dieser Auffassung verkannte die belangte Behörde das Gesetz. Wenn auch § 8 Abs. 1 erster Satz FrG bestimmt, dass Aufenthaltstitel Fremden auf Antrag erteilt werden können, sofern (u.a.) diese ein gültiges Reisedokument besitzen, und die Beschwerdeführerin über kein gültiges Reisedokument verfügt, so hieße es, der Regelung des § 76 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. einen sinnwidrigen Inhalt zu unterstellen, wollte man den Besitz eines Reisedokuments als Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses annehmen, ergibt sich doch aus den einzelnen Tatbeständen des § 76 Abs. 1 leg. cit., dass nur Fremden, die kein gültiges Reisedokument besitzen, unter den in dieser Gesetzesbestimmung angeführten weiteren Voraussetzungen ein Fremdenpass ausgestellt werden kann. Auf dem Boden der von der belangten Behörde vertretenen Auffassung gäbe es keinen Fall, in dem es zur Ausstellung eines Fremdenpasses nach der - im vorliegenden Fall relevanten - Bestimmung des § 76 Abs. 1 Z. 3 leg. cit. kommen könnte, und wäre dieser Bestimmung jeder Anwendungsbereich entzogen. In einem Fall - wie dem vorliegenden - , in dem der Fremde über kein gültiges Reisedokument verfügt und deshalb den Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses gestellt hat, ist somit der Besitz eines gültigen Reisedokumentes nicht Voraussetzung für die Bewilligung dieses Antrages.
3.3. In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde es unterlassen, sich damit auseinander zu setzen, ob die (sonstigen) Voraussetzungen für die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltstitels an die Beschwerdeführerin gegeben sind und die Ausstellung des Fremdenpasses an sie im Hinblick auf ihre Person im Interesse der Republik gelegen wäre (vgl. § 76 Abs. 1 Z. 3 FrG), sowie die für diese Beurteilung erforderlichen Feststellungen zu treffen.
4. Der angefochtene Bescheid erweist sich demnach seinem Inhalt nach als rechtswidrig, sodass er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 13. Oktober 2005
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Verfahrensmangel Verfahrensbestimmungen Verfahrensbestimmungen Amtswegigkeit des Verfahrens Mitwirkungspflicht ManuduktionspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2002180260.X00Im RIS seit
07.11.2005