Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Herwig H***, kaufmännischer Angestellter, 1030 Wien, Schlachthausgasse 44/13, vertreten durch Dr. Helmut Meindl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Walter F***, kaufmännischer Angestellter, 3133 Traismauer, Wagram 96, 2.) Elfriede F***, kaufmännische Angestellte, ebendort, und 3.) I***
U***- UND S***-AG, 1010 Wien, Tegetthoffstraße 7,
alle vertreten durch Dr. Norbert Schöner, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 31.000 s.A., infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 25. Mai 1988, GZ 17 R 85/88-44, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 21. Dezember 1987, GZ 37 Cg 706/87-37, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben; das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Am 15.11.1985 ereignete sich in Wien 3. an der Kreuzung Kölblgasse-Jacquingasse ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker des PKWs KZ-Nr.W 248.235 sowie der Erstbeklagte als Lenker des von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKWs KZ-Nr. N 877.460 beteiligt waren. Der Kläger stellt Schadenersatzansprüche und behauptet eine Vorrangverletzung durch den Erstbeklagten.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, wendeten eine Gegenforderung ein und führten aus, das Alleinverschulden treffe den Kläger, der mit weitaus überhöhter Geschwindigkeit gegen das seit geraumer Zeit zum Stillstand gekommene Fahrzeug des Erstbeklagten gestoßen sei.
Das Erstgericht stellte die Klagsforderung mit S 19.000 als zu Recht bestehend, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und gab daher dem Klagebegehren mit S 19.000 s.A. statt, das Mehrbegehren von S 12.000 s.A. wurde abgewiesen.
Das Erstgericht legte seiner Entscheidung zusammengefaßt folgende wesentliche Feststellungen zugrunde: Zur Zeit des Unfalles war die Fahrbahn trocken, es herrschten gute Sichtverhältnisse. Der Erstbeklagte lenkte sein Fahrzeug auf der Kölblgasse und wollte auf der Kreuzung mit der Jacquingasse nach links abbiegen. Er hatte dabei das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" zu beachten. Die Kreuzung ist an sich übersichtlich, doch war dem Erstbeklagten die Sicht nach links durch einen vorschriftswidrig innerhalb der Fünf-Meter-Zone abgestellten LKW mit dem Kennzeichen N 83.578 verstellt. Dieser LKW war nur etwa einen Meter von der gedachten Verlängerung der linken Gehsteigkante der Kölblgasse (in Richtung Jacquingasse gesehen) entfernt. Der Kläger fuhr in der Jacquingasse, die eine Breite von etwas mehr als 10 m aufweist. Sie war rechtsseitig in Fahrtrichtung des Klagsfahrzeuges von der rechts einmündenden Kölblgasse - abgesehen vom genannten LKW - verparkt, auch linksseitig war eine durchgehende Verparkung vorhanden. Der Erstbeklagte fuhr wegen der Sichtbehinderung langsam in einem Zug in die Jacquingasse ein. Zu jenem Zeitpunkt, als dem Erstbeklagten die Sicht nach links möglich war, ereignete sich bereits die Kollision im Kreuzungsbereich mit dem Fahrzeug des Klägers, der vor der Kollision noch einen Linkszug durchführte. Die genaue Entfernung dieser Fahrzeuge zum Zeitpunkt des Beginnes des Linkszuges kann nicht festgestellt werden. Durch die Kollision kam es zu einem weiteren Kontakt zwischen dem Fahrzeug des Klägers und einem in der Jacquingasse linksseitig abgestellten PKW mit dem Kennzeichen S 154.904. Das Fahrzeug des Klägers besitzt ein Eigengewicht von 740 kg, jenes des Zweitbeklagten ein solches von 920 kg. Beide Fahrzeuge waren nur mit dem Lenker besetzt. Die Jacquingasse weist im Unfallbereich eine Neigung von ca 2 % auf. Aus der Endlage des Fahrzeuges der Zweitbeklagten wurde die Geschwindigkeit dieses Fahrzeuges mit 13,7 km/h ermittelt. Das Fahrzeug des Klägers rollte zuerst ungebremst, nur mit der Motorbremswirkung bis zur leichten Kollision mit dem PKW S 154.904. Nach dem leichten Streifstoß mit diesem zuletztgenannten PKW setzte die volle Bremswirkung des Fahrzeuges ein. Laut Polizeiskizze war die längere Blockierspur 8,7 m lang. Unter der Berücksichtigung des örtlichen Straßengefälles von 2 % ergibt sich die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers nach dem zweiten Stoß mit ca. 44,5 km/h. Der Streifstoß am PKW S 154.904 ergab nur eine Abbremsung von 0,8 km/h, so daß das Fahrzeug des Klägers vor dem Sekundärstoß (die Streiflänge wurde mit ca. 1 m und die Reibung der Fahrzeuge mit 0,3 angenommen) mit 45,3 km/h fuhr. Zwischen der Primär- und der Sekundärkollision liegt eine Distanz von ca. 9 m. Die Abbremsung mit der Motorbremswirkung (1 m/sec2 Verzögerung) beträgt nur 2,5 km/h. Unter diesen Prämissen betrug die Auslaufgeschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers nach dem Primärstoß 47 km/h. Da dieses Fahrzeug vor der Kollision keine Bremsspuren gezeichnet hat und nach den Angaben des Klägers dieser keine Bremshandlungen vor der Kollision mehr setzen konnte, ist die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges vor der Kollision gleichzeitig auch die Geschwindigkeit, die es unmittelbar vor der Kollision eingehalten hatte. Die Auslaufgeschwindigkeit ergab, daß die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers nach dem Stoß 47 km/h betragen hat. Die Geschwindigkeit des Fahrzeuges der Zweitbeklagten betrug nach dem Stoß ca. 13,7 km/h. Aus der Polizeiskizze ist die Endlage beider Fahrzeuge nach dem Stoß ersichtlich. Es ist auch die vermutliche Kollisionsposition angegeben, so daß man die Lage der Fahrzeuge im Kollisionszeitpunkt annähernd rekonstruieren kann. Die Berechnung wurde für drei verschiedene Auslaufwinkel des Fahrzeuges der Zweitbeklagten durchgeführt, bis die Kontrolle mit Hilfe des Drallsatzes optimal war. Aus dieser Berechnung ergibt sich, daß die Einlaufgeschwindigkeit des Fahrzeuges des Klägers 66,4 bis 69,5 km/h betragen hat. Die Einlaufgeschwindigkeit des Fahrzeuges der Zweitbeklagten und somit die Geschwindigkeit vor dem Stoß lag zwischen 7,1 km/h bis 11,2 km/h. Dieses Fahrzeug war von der ersten Sichtmöglichkeit durch den Kläger bis zur Kollision 2,5 m weit entfernt. Dabei wird berücksichtigt, daß von der Vorderkante des Fahrzeuges der Zweitbeklagten ausgegangen wird. Für diesen Weg benötigt das Fahrzeug bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 13,7 km/h eine Zeit von 0,65 Sekunden. Bei Annahme einer Geschwindigkeit von 50 km/h für das Fahrzeug des Klägers legte dieses in einer Zeit von 0,65 Sekunden einen Weg von 9 m zurück. Bei 65 km/h legt das Fahrzeug in der Zeit von 0,65 Sekunden einen Weg von 11,7 m zurück. Bei 50 km/h beträgt der Reaktionsweg 13,8 m, der Reaktionsweg bei 65 km/h beträgt rund 18 m. Es wird als Reaktionszeit grundsätzlich 1 Sekunde angenommen, und zwar inklusive der Bremsschwellzeit. Der Anhalteweg bei einer Geschwindigkeit von 13,7 km/h und einer Verzögerung von 6 m/sec2 beträgt 4,6 m. Unter der Annahme, daß eine Geschwindigkeit von 50 km/h durch das Fahrzeug des Klägers eingehalten und die Geschwindigkeit des Fahrzeuges der Zweitbeklagten beibehalten worden wäre, wäre ein Kontakt in der Mitte dieses Fahrzeuges erfolgt, und somit wären die Kollisionsfolgen voraussichtlich größer gewesen. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig wegen der Verletzung des Vorranges des Klägers verurteilt.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß den Erstbeklagten mit Rücksicht auf seine Vorrangverletzung das Alleinverschulden an dem Unfall treffe. Die vom Kläger eingehaltene Fahrgeschwindigkeit zwischen 66,4 und 69,5 km/h stelle wohl eine Verletzung des § 20 Abs 2 StVO dar, doch mangle es am Rechtswidrigkeitszusammenhang, da eine geringere Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h (die nach den örtlichen Verhältnissen durchaus relativ zulässig sei) die Unfallfolgen nur vergrößert hätte, geschweige denn, daß dadurch der Unfall vermieden oder seine Folgen verringert worden wären.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die Forderung des Klägers mit S 14.250,- als zu Recht, die Gegenforderung der Beklagten bis zur Höhe der Klagsforderung ebenfalls zu Recht bestehend erkannt und daher das Klagebegehren abgewiesen wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei; es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes über die Geschwindigkeit des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges und die Position dieses Fahrzeuges bei erster Wahrnehmung durch den Kläger. Unbekämpft seien die Feststellungen, daß der Erstbeklagte in einem Zug ohne anzuhalten in die Kreuzung einfuhr sowie, daß der Kläger bis zur Kollision mit dem Unfallsgegner nicht bremste, zwischen dieser Kollision und dem Anstoß am geparkten Fahrzeug lediglich die Motorbremse betätigte und erst dann eine volle Bremsung einsetzte. Auch seine Geschwindigkeit von 66,4 bis 69,5 km/h sei unbekämpft. Das Berufungsgericht gelangte jedoch zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Bei den vom Sachverständigen und vom Erstgericht festgestellten Mindest- und Höchstgeschwindigkeiten sei ein Mittelwert zu bilden, so daß von einer Einfahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten von rund 9 km/h und einer solchen des Klägers von rund 68 km/h auszugehen sei. Bei diesen Geschwindigkeiten habe der Erstbeklagte 2,5 m von der ersten Sichtposition bis zur Kollision in einer Sekunde zurückgelegt, in der gleichen Sekunde der Kläger 18,89 m. Der Kläger, der unbestritten gegen die Schutznorm des § 20 StVO verstoßen habe, habe den Nachweis zu erbringen versucht, daß auch ohne Verstoß gegen diese Schutznorm, nämlich bei Einhaltung von lediglich 50 km/h der Unfall in gleicher Weise abgelaufen wäre. Dieser Nachweis sei nicht gelungen; bei der Überprüfung der Kausalität sei stets von sämtlichen unveränderten Unfallspositionen auszugehen und lediglich die Geschwindigkeit zu variieren. Dies bedeute, daß der hypothetische Unfallsablauf unter der Voraussetzung zu überprüfen sei, daß bei sonst unveränderten Werten der Kläger in der gleichen Position der ersten Sicht, nämlich 18,89 m vor der Kollisionsstelle, nicht mit 68, sondern lediglich mit 50 km/h gefahren wäre. Billige man dem Kläger eine Reaktionszeit von einer Sekunde zu, so habe er mit 50 km/h in dieser Zeit 13,89 m zurückgelegt, danach hätte eine Vollbremsung einsetzen können. Der Kläger hätte daher bei rechtzeitiger Reaktion und einer Geschwindigkeit von nur 50 km/h eine Vollbremsung über 5 m durchführen und dabei die Geschwindigkeit von 50 km/h wesentlich herabsetzen können. Im Unterschied zum tatsächlichen Unfallsablauf, bei der das Fahrzeug des Klägers im Kollisionszeitpunkt 68 km/h einhielt, wäre daher ohne Verstoß gegen die Schutznorm eine Kollisionsgeschwindigkeit von unter 50 km/h eingehalten worden, was grundsätzlich geeignet sei, die Unfallsfolgen wesentlich geringer zu halten. In gleicher Weise sei die Kausalität zu bejahen, wenn man die Abwehrmöglichkeiten des Erstbeklagten beurteile, die dadurch wesentlich vergrößert worden wären, daß der Kläger die Entfernung von 18,89 m nicht mit 68 km/h und damit in einer Sekunde zurückgelegt hätte, sondern lediglich mit 50 km/h und damit in 1,36 Sekunden. Damit wäre es ihm möglich gewesen, die Anstoßgeschwindigkeit seines Fahrzeuges zumindest herabzusetzen und damit auch den seitlichen Impuls gegen das Fahrzeug des Klägers zu verringern. Wenn sich das Erstgericht bei der Feststellung der Unfallsfolgen bei Einhaltung von lediglich 50 km/h auf die Ausführungen des Sachverständigen berufe, so seien diese lediglich in Form einer Vermutung gehalten ("wäre die Kollision wahrscheinlich mit ernsteren Folgen gewesen", "die Folgen wären voraussichtlich größer gewesen"). Der Sachverständige komme zu diesem Ergebnis auch lediglich dadurch, daß der Kontakt anders, nämlich in der Mitte des Fahrzeuges erfolgt wäre. Damit sei aber dem Kläger der Entlastungsbeweis, wonach auch bei Einhaltung von 50 km/h die Unfallsfolgen gleich gewesen wären, noch nicht gelungen. Dies zeige schon der Unterschied der Kollisionsgeschwindigkeiten von 68 km/h bzw. unter 50 km/h einerseits und der wesentlich geringere seitliche Impuls durch das Fahrzeug des Erstbeklagten. Völlig offengeblieben sei, ob auch bei Einhaltung der geringeren Geschwindigkeit die weiteren Folgen, nämlich das Abkommen des Klägers nach links und der Kontakt mit einem geparkten Fahrzeug in gleicher Weise stattgefunden hätte oder ob dies für den Kläger im Hinblick auf die beidseitig geringeren Geschwindigkeiten vermeidbar gewesen wäre. Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes sei daher die Geschwindigkeitsüberschreitung kausal und bei der Verschuldensteilung zu berücksichtigen. Nach der ständigen Rechtsprechung wiege die Vorrangverletzung schwerer als andere Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung: Hiebei sei im vorliegenden Falle insbesonders zu bedenken, daß der Erstbeklagte trotz starker Sichtbehinderung nicht schrittweise in die bevorrangte Fahrbahn eingefahren sei, sondern mit der doch beträchtlichen Geschwindigkeit von 9 km/h in einem Zuge, ohne anzuhalten. Bei der Gegenüberstellung der wechselseitigen Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung sei das Mitverschulden des Klägers mit einem Viertel auszumessen. Die Höhe der Klagsforderung mit S 19.000 sei unbekämpft, drei Viertel derselben betragen somit S 14.250. Den Sachschaden am Fahrzeug der Zweitbeklagten habe das Erstgericht mit S 60.000 festgestellt, ein Viertel davon betrage somit S 15.000. Da diese Gegenforderung bereits die Klagsforderung übersteige, habe es keiner weiteren Feststellungen darüber bedurft, ob auch die weiters eingewendeten An- und Abmeldespesen von S 1.500 zu Recht bestehen. Die Revision sei nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO nicht zuzulassen gewesen, da das Berufungsgericht in der einzigen zu lösenden Rechtsfrage der ständigen und einheitlichen Judikatur des Obersten Gerichtshofes gefolgt sei.
Rechtliche Beurteilung
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die ao. Revision des Klägers mit dem Antrag, die Revision zuzulassen, das Urteil des Berufungsgerichtes aufzuheben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen, allenfalls das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne der Klagsstattgebung abzuändern.
Das Revisionsgericht hat den Beklagten gemäß § 508 a Abs 2 ZPO die Erstattung einer Revisionsbeantwortung freigestellt. Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, allenfalls dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.
Zur Zulässigkeit der Revision hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Soweit die Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung darauf hinweisen, daß der abändernde Teil des Beschwerdegegenstandes S 15.000,- nicht übersteigt, kann ihnen allerdings nicht gefolgt werden. Das Erstgericht hat die Klagsforderung mit S 19.000 als zu Recht, die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend erkannt und dem Kläger S 19.000 s.A. zugesprochen; das Mehrbegehren von S 12.000 wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht hat infolge Berufung der Beklagten, in der Abänderung im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung beantragt worden war, die Klagsforderung mit S 14.500 als zu Recht, die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung ebenfalls zu Recht bestehend erkannt und das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen. Der Beschwerdegegenstand, über den das Berufungsgericht im abändernden Sinn entschieden hat, übersteigt daher an Geld S 15.000; da der Kläger in seiner Revision die Abänderung des Urteiles des Berufungsgerichtes im Sinne der Stattgebung der Klage beantragt, steht die Bestimmung des § 502 Abs 2 Z 2 ZPO der Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht entgegen.
Der Kläger führt zur Begründung der Zulässigkeit seiner außerordentlichen Revision unter anderem aus, daß das Berufungsgericht ohne Verfahrensergänzung von den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens ohne Beiziehung eines weiteren Sachverständigen abgegangen sei, technische Ergebnisse der Entscheidung zugrundegelegt habe, ohne daß diese aus dem bisherigen Beweisverfahren entnommen werden könnten, und unter Negierung der Ergebnisse des Sachverständigengutachtens nunmehr davon ausgehe, daß bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h die Unfallsfolgen wesentlich geringer gewesen wären. Diese Ausführungen basierten offenkundig auf der Annahme des Berufungsgerichtes, daß infolge theoretischer Bremsmöglichkeit des Erstbeklagten dessen Anstoßgeschwindigkeit gegen das Fahrzeug des Klägers minimal geringer gewesen wäre, weiters, daß infolge Bremsmöglichkeit des Klägers die Geschwindigkeit im Unfallszeitpunkt geringer gewesen wäre, ohne jedoch dabei auf die vom Sachverständigen richtigerweise angenommene fiktive Unfallkonfiguration in diesem Falle Bedacht zu nehmen.
Mit diesen Ausführungen erhebt der Kläger gegenüber dem Berufungsgericht den Vorwurf einer Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes. Gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ist eine nicht schon nach § 502 Abs 2 und 3 ZPO unzulässige und nicht schon nach § 502 Abs 4 Z 1 oder Abs 5 ZPO jedenfalls zulässige Revision auch zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des Verfahrensrechtes abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt. Mit der Aufnahme des Verfahrensrechts neben dem materiellen Recht in den § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sollte gewährleistet werden, daß nicht nur das Verfahrensrecht auch im Zulassungsbereich weiterentwickelt und konkreter ausgelegt werden kann, sondern auch Verfahrensfehler der zweiten Instanz von erheblicher Bedeutung der Prüfung durch den Obersten Gerichtshof unterliegen und damit die Einzelfallgerechtigkeit hinreichend gewahrt bleibt (AB 1337 BlgNR 15. GP 19). Angefochten werden kann damit - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - eine Entscheidung der zweiten Instanz nicht nur wegen Nichtigkeit (§ 503 Abs 1 Z 1 ZPO; vgl. Fasching, Zivilprozeßrecht Rdz 1891) und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (§ 503 Abs 1 Z 4 ZPO), sondern auch wegen Vorliegens erheblicher Verfahrensmängel (§ 503 Abs 1 Z 2 ZPO; AB 1337 BlgNR 15.GP 20), wenn die Rechtseinheit oder die Rechtssicherheit gefährdet ist. Erhebliche Bedeutung kommt einer Entscheidung jedenfalls dann zu, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechts auf dem Spiel stehen. Zu den tragenden Grundsätzen des Verfahrensrechts gehört (im Rahmen der gesetzlichen Einschränkungen) der Unmittelbarkeitsgrundsatz. Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die im Urteil der ersten Instanz festgestellten Ergebnisse der Verhandlung und Beweisführung zugrunde zu legen, soweit diese nicht durch die Berufungsverhandlung selbst eine Berichtigung erfahren haben (§ 498 Abs 1 ZPO). Will das Berufungsgericht von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes in Wahrnehmung einer entsprechenden Beweisrüge der Berufung abgehen, muß es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholen (SZ 53/117; EvBl 1978/194; EvBl 1974/72; SZ 23/112 uva; Fasching, Komm.IV 308) oder das Protokoll über die Beweisaufnahme in erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281 a ZPO verlesen. Eine Verletzung dieses Grundsatzes stellt eine erhebliche Verletzung einer Rechtsvorschrift des Verfahrensrechts dar, die der Wahrung der Rechtssicherheit dient (Fasching, Zivilprozeßrecht, Rdz 679). Eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes liegt auch vor, wenn das Berufungsgericht seine rechtliche Beurteilung unter Abweichung von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes ohne Durchführung einer Beweiswiederholung trifft (SZ 57/142 ua).
Das Erstgericht hat aufgrund des Gutachtens des Kraftfahrzeugsachverständigen festgestellt, daß unter der Annahme, daß das Fahrzeug des Klägers eine Geschwindigkeit von 50 km/h eingehalten hätte und die Geschwindigkeit des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges beibehalten worden wäre, der Kontakt in der Mitte dieses Fahrzeuges erfolgt und somit die Kollisionsfolgen voraussichtlich größer gewesen wären. Aufgrund dieser Feststellungen hat das Erstgericht den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit durch den Kläger und den Unfallsfolgen verneint, da auch bei Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 50 km/h durch den Kläger die Unfallsfolgen vergrößert worden wären, geschweige denn der Unfall hätte verhindert werden können.
Die Beklagten haben in ihrer Berufung unter anderem auch die Feststellung des Erstgerichtes bekämpft, daß bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h durch den Kläger der Unfall nicht verhindert worden wäre, vielmehr die Unfallsfolgen vergrößert worden wären. Bei dieser aufgrund des Sachverständigengutachtens vom Erstgericht getroffenen Feststellung handelt es sich um dem Tatsachenbereich angehörende Schlußfolgerungen.
Dem Berufungsgericht oblag es, im Hinblick auf die erhobene Rüge und die ihr zuzuordnenden Berufungsausführungen diese erstgerichtliche, in Form einer tatsächlichen Schlußfolgerung getroffene Tatsachenfeststellung zu überprüfen. Daß diese erstgerichtliche Tatsachenfeststellung mit den Gesetzen der Logik und der Erfahrung eindeutig in Widerspruch stünde, kann nicht gesagt werden. Nur unter dieser Voraussetzung hätte das Berufungsgericht aber im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung von ihr abgehen dürfen (RZ 1967, 105; Arb 7588 ua). Das Ziehen von bestimmten Schlüssen im Tatsachenbereich gehört grundsätzlich zur Beweiswürdigung, von welcher das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung, auch nicht mit der Begründung, es handle sich lediglich um in Form einer Vermutung gehaltene Ausführungen des Sachverständigen, abweichen darf (vgl. SZ 48/120, SZ 57/121 und 142 ua). Der Revisionswerber hat diesen berufungsgerichtlichen Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz ausdrücklich geltend gemacht. Die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens ist daher wahrzunehmen und muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen, weil die Abweichung von den erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen hier für die Entscheidung des Falles von ausschlaggebender Bedeutung ist. Ungeachtet des für das Revisionsgericht gemäß § 508 a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruches des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 3 ZPO war die außerordentliche Revision daher gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig und auch berechtigt, so daß wie im Spruch zu entscheiden war. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Berufungsgericht die erstgerichtliche Feststellung, daß bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 50 km/h durch den Kläger der Kontakt in der Mitte des vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuges erfolgt und damit die Kollisionsfolgen größer gewesen wären, durch Wiederholung der erforderlichen Beweise zu überprüfen und sodann neuerlich über die Berufung zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E16164European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00134.88.1025.000Dokumentnummer
JJT_19881025_OGH0002_0020OB00134_8800000_000