Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Robert Renner (Arbeitgeber) und Dipl.Ing. Herbert Ehrlich (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helene S***, 4040 Linz, Freistädterstraße 56, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A***
U***, 1200 Wien, Adalbert Stifter-Straße 65,
vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Witwenrente und Bestattungskostenbeitrages, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Feber 1988, GZ 13 Rs 1152/87-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 2. September 1987, GZ 13 Cgs 1122/87-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.188 bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 13.Mai 1987 lehnte die beklagte Partei den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Witwenrente und Bestattungskostenbeitrag ab, weil das Ableben ihres Ehemannes aus Anlaß des Ereignisses vom 2.April 1987 nicht auf einen Unfall zurückzuführen sei.
Das Erstgericht stellte mit Urteil fest, daß die Klägerin aus Anlaß des tödlichen Unfalles, den ihr Ehemann Josef S*** am 2. April 1987 erlitten hat, Anspruch auf Gewährung des Bestattungskostenbeitrages und ab 3.April 1987 Anspruch auf Gewährung der Witwenrente im gesetzlichen Ausmaß hat und trug der beklagten Partei vorläufige Leistungen auf.
Es traf folgende Feststellungen:
Am 2.April 1987 gegen 13,15 Uhr bekam der Ehemann der Klägerin, Josef S***, der als Autokranfahrer bei der Firma E*** Gesellschaft mbH beschäfigt war, von seinem Arbeitgeber den Auftrag, einen Kran zum Steinbruch der Firma F*** Gesellschaft mbH in Windhaag bei Freistadt zu bringen. In Riemetschlag blieb Josef S*** mit seinem Schwerfahrzeug auf der schneeglatten Fahrbahn hängen. Deswegen machte er sich zu dem noch etwa 2 km entfernten Steinbruch auf den Weg, um dort die Abschleppung des Kranwagens zu veranlassen. Der ungeräumte Güterweg war schwer zu begehen, da er etwa 15 bis 20 cm mit Schneematsch bedeckt war. Es schneite stark, die Temperatur betrug minus 1 Grad. Etwa 100 m vor Erreichen des Steinbruches erlitt Josef S*** einen Herzhinterwandinfarkt der zum plötzlichen Tod führte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte bei ihm eine geringfügige Koronarsklerose bestanden.
Der Unfall mit dem Kranwagen und der beschwerliche Fußmarsch bei widrigsten äußeren Bedingungen bedeuteten für Josef S*** eine außergewöhnliche Streßsituation und Belastung. Dadurch allein wurde der Herzinfarkt zwar nicht ausgelöst. Die besondere Streßsituation bewirkte aber, daß der kardiogene Schock, der sich an einen Infarkt anschließt, bei den belastungsbedingten Kreislaufverhältnissen tödlich verlief. Die Schwere dieses Schocks ist wesentlich vom allgemeinen Kreislaufgeschehen abhängig. Bedingt durch die besondere Streßsituation und deren Auswirkungen auf das Kreislaufgeschehen wirkte sich der kardiogene Schock wesentlich schwerer aus, während unter gewöhnlichen Verhältnissen nur ein leichter Schock entstanden wäre. Die Belastungen und die außergewöhnliche Streßsituation waren nicht nur der äußere Anlaß für das Hervortreten einer bereits vorhandenen Erkrankung, sondern wesentlicher Umstand für den tödlichen Ausgang des Infarktes. Der Hinterwandinfarkt, der im Vergleich zu einem Vorderwandinfarkt im allgemeinen viel leichter verläuft, wäre unter gewöhnlichen Verhältnissen nach einem etwa dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt vernarbt gewesen, sodaß Josef S*** überlebt hätte.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, bei Herzinfarkt fehlten in aller Regel die für die Annahme eines Arbeitsunfalles notwendigen Voraussetzungen. Sein Auftreten während oder unmittelbar nach einer beruflichen Tätigkeit habe gewöhnlich nur die Bedeutung eines zufälligen Zusammentreffens, es sei denn, daß er zweifelsfrei mit einer außergewöhnlichen deutlichen atypischen Belastung durch die berufliche Tätigkeit erklärt werden könne. Ein solcher Ausnahmefall liege hier vor. Der Unfall mit einem LKW in abgeschiedener Gegend und das dadurch bedingte Zurücklegen eines längeren Fußweges unter widrigsten äußeren Verhältnissen gehöre nicht zu den üblichen Tätigkeiten eines Kraftfahrers. Die außergewöhnliche betriebliche Situation verbunden mit besonderer psychischer und physischer Belastung hätten zwar den Eintritt des Infarktes nicht ausgelöst, ein solcher hätte jederzeit auch während des üblichen Ablaufes des täglichen Lebens auftreten können, doch hätte dessen Verlauf unter anderen Verhältnissen nicht zum plötzlichen Tod geführt. Damit bestehe ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der betrieblichen Tätigkeit und dem tödlichen Ausgang des Infarktes. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab. Unter dem in § 175 Abs. 1 ASVG geforderten ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung sei eine Abfolge von Bedingungen zu verstehen, aus denen ein bestimmter Erfolg hervorgehe, wobei in der Unfallversicherung nur die Bedingungen in Betracht kämen, die beim Eintritt des Erfolges wesentlich mitgewirkt hätten. Von einem Arbeitsunfall könne nur dann gesprochen werden, wenn der Versicherte einer typisch beschäftigungsbedingten Gefahr erlegen sei, worunter auch eine von der üblichen Berufsarbeit deutlich abhebbare außergewöhnliche Belastung zu verstehen sei. Der üblichen beruflichen Tätigkeit komme kein Unfallwert zu, weil es an der haftungsbegründenden Kausalität fehle. Das Auftreten eines Herzinfarktes während oder unmittelbar nach einer beruflichen Betätigung habe die Bedeutung eines zufälligen zeitlichen Zusammentreffens, einer bloßen Gelegenheitsursache, es sei denn, daß er mit einer außergewöhnlichen atypischen beruflichen Belastung erklärt werden könne. Ein Berufskraftfahrer müsse generell vermehrt mit der Möglichkeit von Pannen auch in abgeschiedenen Gegenden bei ungünstiger Witterung rechnen, wobei auch das Herbeiholen von Hilfe erforderlich sein könne. Dies zähle zum normalen Berufsrisiko eines Kraftfahrers. Der Herzinfarkt sei beim prädisponierten Versicherten als Folge eines anlagebedingten Leidens (Koronarsklerose) aufgetreten. Ein Ereignis am Arbeitsplatz, das über eine Aufregung oder Schrecksituation bereits vorhandene Risikofaktoren aktiviere, die ihrerseits zum Tode führten, lösten keinen Arbeitsunfall aus, sondern seien als unspezifischer Sekundärfaktor anzusehen.
Da der Eintritt des Herzinfarktes des Josef S*** als Folge eines anlagebedingten Leidens, also nicht durch ein Unfallereignis ausgelöst worden sei, könne der weitere Verlauf des Infarktes für die Qualifikation als Arbeitsunfall kein entscheidendes Kriterium sein. Eine mögliche Beeinflussung des Krankheitsverlaufes durch die Berufsarbeit sei ohne Bedeutung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag es dahin abzuändern, daß das Ersturteil wiederhergestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision kommt keine Berechtigung zu.
Zunächst ist abzugrenzen, ob im vorliegenden Fall überhaupt von einem Unfall gesprochen werden kann. Der Gesetzgeber hat den Unfallbegriff als bekannt vorausgesetzt, diesen nicht definiert und es damit Rechtsanwendung und Lehre überlassen, die Leistungsbegrenzung in der Unfallversicherung vorzunehmen. Die neuere Lehre und Rechtsprechung definieren den Unfall für den Bereich der Unfallversicherung als ein zeitlich begrenztes Ereignis - eine Einwirkung von außen, ein abweichendes Verhalten, eine außergewöhnliche Belastung -, das zu einer Körperschädigung geführt hat (Tomandl System 270 mwN; Brackmann Handbuch 479 mwN). Legt man diese Begriffsbestimmung zugrunde, so kann ein Herzinfarkt grundsätzlich als Unfall angesehen werden, wenn er anläßlich eines zeitlich begrenzten Ereignisses eintritt. Als Arbeitsunfall ist er jedoch nur dann zu qualifizieren, wenn er sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet hat. In der Unfallversicherung wurde zur Kausalität die Theorie der wesentlichen Bedingung entwickelt. Eine Ursache muß für die Verletzung wesentlich sein. Dies ist sie dann, wenn sie nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung. "Gelegenheitsursachen" scheiden damit aus (10 Ob S 3/88, 10 Ob S 101/88).
Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Herzinfarkt des verstorbenen Ehemannes der Klägerin Folge der anlagebedingten Koronarsklerose war und nur bei Gelegenheit der beruflichen Tätigkeit hervorgetreten ist, nach medizinischen Erkenntnissen aber auch bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlaß außerhalb der Tätigkeit oder ohne besonderen Anlaß zum Ausbruch gekommen wäre. Damit aber war die berufliche Tätigkeit für den Eintritt des Infarktes nur Gelegenheitsursache, sodaß die haftungsbegründende Kausalität zu verneinen ist.
Davon muß die haftungsausfüllende Kausalität - der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Umfang der eingetretenen Körperschädigung unterschieden werden. Auch dieser ist nach den Grundsätzen der wesentlichen Bedingung zu beurteilen. Es steht hier zwar fest, daß die außergewöhnlichen Verhältnisse bei der Berufsausübung für die tödlichen Folgen des Herzinfarktes wesentliche Bedingung waren, ohne deren Mitwirkung der Erfolg nur in einem geringeren Umfang eingetreten wäre. Diese haftungsausfüllende Kausalität setzt aber den haftungsbegründenden Ursachenzusammenhang voraus, kann also nur dann zum Tragen kommen, wenn nicht schon der Kausalzusammenhang zwischen Unfall und beruflicher Tätigkeit als erstem Glied in der Kausalkette zu verneinen ist (vgl. Brackmann aaO 479 e, f).
Da somit kein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs. 1 ASVG vorlag, hat das Berufungsgericht zu Recht das Klagebegehren abgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG. Da die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 46 Abs. 2 Z 1 ASGG abhing, konnten der Klägerin die nicht in voller Höhe verzeichneten Kosten nach Billigkeit zugesprochen werden.
Anmerkung
E15867European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00123.88.1025.000Dokumentnummer
JJT_19881025_OGH0002_010OBS00123_8800000_000