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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AsylG 1997 §10 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der J, geboren 1980, vertreten durch Dr. Peter Heigenhauser, Rechtsanwalt in 4820 Bad Ischl, Wiesingerstraße 3, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 9. Juli 2002, Zl. 309.007/4-III/11/98, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 9. Juli 2002 wurde der Erstantrag der Beschwerdeführerin, einer mazedonischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit" gemäß § 21 Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.
Der gesetzliche Vertreter der Beschwerdeführerin habe für sie am 29. August 1994 (somit vor der Vollendung ihres 15. Lebensjahres) beim Österreichischen Generalkonsulat in München einen Erstantrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz zum Zwecke der Familienzusammenführung mit ihrem Vater gestellt. Die Erstbehörde habe diesen Antrag mit Bescheid vom 7. Dezember 1994 abgewiesen, gegen den die Beschwerdeführerin am 10. Mai 1995 fristgerecht Berufung erhoben habe. Auf Grund der nunmehr geltenden Rechtslage sei ihr Antrag als Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit" zu werten.
Der Vater der Beschwerdeführerin sei unbestritten Fremder, der sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer in Österreich niedergelassen habe. Auf Grund des Lebensalters der Beschwerdeführerin sei die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" in Bezug auf ihre Eltern jedenfalls ausgeschlossen. Diesen Umstand habe man ihr mit Schreiben vom 25. April 2001 vorgehalten und man habe sie gleichzeitig zur Vorlage von Urkunden sowie zur Abgabe einer Stellungnahme aufgefordert. Überdies habe man ihr zur Kenntnis gebracht, dass ihr Antrag nunmehr nicht nur im Licht der Familienzusammenführung, sondern auch dahingehend geprüft werde, ob allenfalls die Voraussetzungen für einen anderen Aufenthaltszweck erfüllt seien. Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin einen Aufenthalt zu privaten Zwecken ohne Erwerbsabsicht anstrebte, habe man sie aufgefordert, ausreichende eigene Mittel zu ihrem Unterhalt, einen Rechtsanspruch auf eine für Inländer ortsübliche Unterkunft und einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz nachzuweisen sowie ferner vollständige beglaubigte Kopien ihres aktuellen und aller früheren Reisepässe vorzulegen.
Dem von der Beschwerdeführerin am 1. Juli 2002 zur Post gegebenen Unterlagenkonvolut sei im Wesentlichen zu entnehmen, dass sie gemeinsam mit ihrem Vater eine Wohnung in M gemietet habe und derzeit auf Grund einer bis 31. Oktober 2002 gültigen Saisonbeschäftigungsbewilligung einer Erwerbstätigkeit als Abwäscherin mit einem monatlichen Nettoverdienst von EUR 756,21 nachgehe. Demnach beziehe sie ihre Unterhaltsmittel gegenwärtig aus einer Erwerbstätigkeit, deren Zulässigkeit mit Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Privat" entfiele, sodass sie diesfalls über keine ausreichenden Unterhaltsmittel mehr verfügte. Überdies wäre selbst im Fall der Zulässigkeit fraglich, ob sie mit ausreichender Regelmäßigkeit saisonale Beschäftigungsbewilligungen erhalten würde. Sie verfüge - abgesehen von den bislang erteilten verschiedenen Saisonbeschäftigungsbewilligungen - über keine arbeitsmarktrechtliche Legitimation.
Gemäß § 3 Abs. 4 Z. 2 der Niederlassungsverordnung 2002 dürften im Jahr 2002 in Oberösterreich höchstens 40 Niederlassungsbewilligungen für Drittstaatsangehörige zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, die - außer in unmittelbarem zeitlichen Anschluss an eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 10 Abs. 4 FrG oder eine Niederlassungsbewilligung für Private - nur in selbstständiger Erwerbstätigkeit bestehen dürfe, sowie für deren Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder erteilt werden. Die Beschwerdeführerin sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels gewesen, sodass die Möglichkeit der Erteilung eines eine unselbstständige Erwerbstätigkeit zulassenden Aufenthaltstitels gemäß § 3 Abs. 4 Z. 2 der Niederlassungsverordnung 2002 ebenfalls ausscheide.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. § 18 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 34/2000 lautete auszugsweise:
"(1) Die Bundesregierung hat im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates mit Verordnung für jeweils ein Jahr die Anzahl der Niederlassungsbewilligungen festzulegen, die
1. Führungs- und Spezialkräften (Abs. 6) und deren Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern,
2. anderen Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit sowie deren Ehegatten und minderjährigen unverheirateten Kindern, sowie
3. Familienangehörigen Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 in Österreich niedergelassen haben,
höchstens erteilt werden dürfen (Niederlassungsverordnung). Die Bundesregierung hat dabei die Entwicklung eines geordneten Arbeitsmarktes sicherzustellen und in der Verordnung die Bewilligungen so auf die Länder aufzuteilen, wie es deren Möglichkeiten und Erfordernissen entspricht."
§ 22 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, in der hier anzuwendenden Stammfassung lautete:
"§ 22. Eine quotenpflichtige Erstniederlassungsbewilligung darf nur erteilt werden, wenn die für den Fremden samt dem Familiennachzug nach § 21 Abs. 2 erforderlichen Bewilligungen in dem Land der beabsichtigten Niederlassung nach der Niederlassungsverordnung noch zur Verfügung stehen. Wird die Erstniederlassungsbewilligung erteilt, so vermindert sich diese Zahl entsprechend. Ist die Zahl bereits ausgeschöpft, so ist die Entscheidung über die zu diesem Zeitpunkt anhängigen und über die danach einlangenden Anträge, denen im Falle noch zur Verfügung stehender Bewilligungen stattzugeben wäre, so lange aufzuschieben, bis in einer nachfolgenden Niederlassungsverordnung auf sie Bedacht genommen werden kann. § 73 AVG und § 27 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, sind nur insoweit anwendbar, als die Zeit des zulässigen Aufschubes überschritten wird."
§ 21 Abs. 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 134/2000 lautete:
"(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres beschränkt. Dasselbe gilt für den Familiennachzug quotenpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der nicht gemäß Abs. 2 erfolgte."
Der Verfassungsgerichthof hat mit Erkenntnis vom 8. Oktober 2003, G 119/03 ua, SlgNr. 17013/A, festgestellt, dass § 18 Abs. 1 Z. 3 und § 22 FrG (in der Stammfassung) bis zum 31. Dezember 2002 verfassungswidrig waren. Der vorliegende Fall ist nicht Anlassfall des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes. Der Verfassungsgerichthof hat die Anlassfallwirkung seines Erkenntnisses auch nicht nach Art. 140 Abs. 7 zweiter Halbsatz B-VG auf Fälle wie den vorliegenden ausgedehnt. Die angegebenen Gesetzesstellen sind daher hier weiterhin anzuwenden und gegen eine (nochmalige) Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof immunisiert.
2. Die belangte Behörde hat den bereits am 29. August 1994 gestellten Antrag der Beschwerdeführerin mit der wesentlichen Begründung abgewiesen, dass die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Fremden" auf Grund des Lebensalters der Beschwerdeführerin in Bezug auf ihre Eltern jedenfalls ausgeschlossen sei. Dagegen wendet sich die Beschwerde und bringt vor, die Beschwerdeführerin halte sich bereits seit 1993 (seit ihrem 13. Lebensjahr) in Österreich auf und habe ständig bei ihren Eltern gewohnt. Es sei (nach einer Verfahrensdauer von mehr als acht Jahren) auch für volljährige Fremde nicht ausgeschlossen, die Anwesenheit von Familienangehörigen im Bundesgebiet als Grund für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ins Treffen zu führen.
Dies führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu einem Fall, auf den § 21 Abs. 3 FrG (in der Stammfassung) anzuwenden war, im Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, Zl. 99/19/0085, ausgesprochen, dass eine Bewilligung des Familiennachzuges nach § 21 Abs. 3 FrG nur Kindern erteilt werden kann, die zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch unmündig sind. Das Abstellen auf die Sachlage und Rechtslage im Zeitpunkt der Bescheiderlassung sei nicht als unsachlich zu erkennen, weil für die Entscheidung, ob einem Fremden die Zuwanderung zu gestatten ist oder nicht, die persönliche Situation (hier: das Alter) des Fremden im Entscheidungszeitpunkt wichtiger sei als jene im Antragszeitpunkt.
3.2. Die in § 21 Abs. 3 FrG enthaltene Wortfolge "vor Vollendung des 14. Lebensjahres" wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 2000, SlgNr. 15836/A, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Dezember 2000 in Kraft. Ab dem 1. Jänner 2001 galt § 21 Abs. 3 FrG idF BGBl. I Nr. 134/2000.
3.3. Der Verwaltungsgerichtshof vermag die im genannten Erkenntnis Zl. 99/19/0085 für die alte (als verfassungswidrig aufgehobene) Fassung des § 21 Abs. 3 FrG vertretene Rechtsansicht jedenfalls nicht für die ab dem 1. Jänner 2001 geltende Zwischenrechtslage fortzuschreiben. Aus der Anordnung, dass der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger auf die Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres beschränkt ist, kann nicht zwingend der Schluss gezogen werden, dass es nicht ausreichen würde, wenn bei einer Antragstellung vor Vollendung des 15. Lebensjahres diese Altersgrenze im Entscheidungszeitpunkt bereits überschritten wäre. Der Zweck dieser Bestimmung legt - vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund, eine Familienzusammenführung zu ermöglichen - vielmehr die Auslegung nahe, dass es bei der genannten Altersgrenze auf den Zeitpunkt der Antragstellung ankommt (vgl. die entsprechende Auslegung des § 10 Abs. 2 iVm § 11 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 76/1997 durch das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0429). Dementsprechend lässt es der ab 1. Jänner 2003 geltende § 21 Abs. 3 FrG idF der FrG-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 126, ausreichen, dass ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vor Vollendung des 15. Lebensjahres gestellt wurde.
In der auf den vorliegenden Fall anzuwendenden Zwischenrechtslage in der Zeit vom 1. Jänner 2001 bis zum 31. Dezember 2002 stand dem Fremden - im Unterschied zu der danach geltenden Rechtslage - darüber hinaus aber auch noch nicht die Möglichkeit offen, gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG iVm § 10 Abs. 4 FrG die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen zu beantragen (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes SlgNr. 17013/A). Eine verfassungskonforme Auslegung des § 21 Abs. 3 FrG in der hier anzuwendenden Fassung hat von dem Grundsatz auszugehen, dass es im vorliegenden Fall nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen kann, wenn die Entscheidung über ihren Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß dem (als verfassungswidrig erkannten) § 22 FrG wegen Ausschöpfung der Quote über Jahre hinweg aufgeschoben wird, sodass sie im Entscheidungszeitpunkt bereits die Volljährigkeit erreicht hatte. Dieser Umstand stellt im vorliegenden Fall deshalb kein Bewilligungshindernis dar, weil ihr in diesem Zeitraum - im Unterschied zur später geltenden Rechtslage - keine andere Möglichkeit offen gestanden ist, um ihr Recht auf Familiennachzug durchzusetzen. Dies führt zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführerin - wegen ihres rechtzeitigen, vor Vollendung des 15. Lebensjahres gestellten Antrags und ungeachtet ihrer während der langen Verfahrensdauer erreichten Volljährigkeit - bei Vorliegen der sonstigen damals geltenden Voraussetzungen eine Niederlassungsbewilligung im Rahmen der Quote hätte erteilt werden können. In Verkennung dieser Rechtslage hat die belangte Behörde aber nicht geprüft, ob für die Beschwerdeführerin ein Quotenplatz zur Verfügung gestanden ist.
4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde die ab 1. Jänner 2003 geltende, vom Verfassungsgerichtshof als verfassungskonform angesehene Rechtslage anzuwenden haben (vgl. zu § 18 Abs. 1 Z. 3 und § 22 FrG das Erkenntnis vom 8. Oktober 2003, SlgNr. 17013/A, und zu § 21 Abs. 3 FrG das Erkenntnis vom 8. Oktober 2002, SlgNr. 16672/A).
5. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 13. Oktober 2005
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Allgemein authentische Interpretation VwRallg3/1 Auslegung Gesetzeskonforme Auslegung von Verordnungen Verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen VwRallg3/3 Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2005:2003180173.X00Im RIS seit
14.11.2005