TE OGH 1988/10/27 12Os121/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.10.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Oktober 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Hörburger, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärtertin Dr. Knob als Schriftführerin in der Strafsache gegen Hans-Jürgen H*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 5.Juli 1988, GZ 20 Vr 4428/87-78, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Wasserbauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und der Angeklagte zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19.Juni 1953 geborene Hans-Jürgen H*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 17.Dezember 1987 in Innsbruck seine Frau Anna H*** durch einen Stich mit einem Küchenmesser in den Brustkorb vorsätzlich getötet hatte.

Er bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Z 5 und 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die sich in keinem Anfechtungspunkt als begründet erweist.

Der Verteidiger hat in der Hauptverhandlung folgende Beweisanträge gestellt:

1./ Ergänzung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens durch Vornahme von Projektionstests, eines Alkoholspiegeltests sowie der Tests Benton und Kraepoli-Pauli zum Beweis dafür, daß der Angeklagte zur Zeit der Tat wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln (Band II S 143 dA);

2./ Erstellung eines zweiten psychiatrischen Gutachtens und Untersuchung des Angeklagten mit den Tests Benton und Kraepoli-Pauli sowie den hiezu passenden Projektionstests und einem Alkoholspiegeltest zum selben Beweisthema (Band II/S 144 f dA);

3./ "gemäß § 134 Abs. 1 StPO Beiziehung eines zweiten Sachverständigen zur Untersuchung des Geistes- und Gemütszustandes des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat" (Band II/S 165 dA);

4./ "Beiziehung eines zweiten Sachverständigen, in eventu zweier Sachverständiger, zur Überprüfung der Frage der Zurechnungsfähigkeit gemäß § 11 StGB im Sinne der §§ 134 (118 Abs. 1), 126 StPO" (Band II S 167 dA).

Rechtliche Beurteilung

Diese Beweisanträge hat das Gericht abgewiesen. Hiedurch wurden Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt:

Dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. P*** zufolge bestehen unbeschadet des an sich einer starken Berauschung entsprechenden Blutalkoholgehaltes von 2,8 %o, den der Angeklagte zur Tatzeit aufwies, keine Anzeichen für eine volle Berauschung, insbesondere auch nicht für einen pathologischen Rausch oder für eine sonstige Aufhebung der Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit durch eine Geistes- oder Gemütskrankheit oder eine psychiatrische Erkrankung von gleichem Krankheitswert (Band I S 467, 469 in Verbindung mit Band II/S 139 dA). Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen beruhen vor allem auf den detaillierten Vorgangsschilderungen, die der Angeklagte bei sämtlichen Vernehmungen gegeben hat, dem weniger als eine Stunde nach der Tat erhobenen Befund des Polizeiarztes, der das Bestehen der Diskretions-, Dispositions- und Vernehmungsfähigkeit des Angeklagten attestierte (Band I/S 65 dA), und den eigenen Untersuchungen des Sachverständigen, von denen die erste schon rund einen halben Tag nach der Tat stattfand. Hiebei zeigte sich der Angeklagte zeitlich, örtlich und persönlich voll orientiert. Sein Verhalten war geordnet, ruhig und konzentriert sowie sein Gedankenablauf kohärent und geordnet. Der Angeklagte gab die Reihenfolge der Ereignisse chronologisch richtig wieder, war zwar etwas gedrückter, aber gefaßter Stimmung, bot jedoch nicht das Bild einer Depression oder einer heftigen, "erheblichen" affektiven Erregtheit. Anhaltspunkte für Denkstörungen, Wahnbildungen, Sinnestäuschungen oder andersartige psychopathologische Phänomene fehlten (Band I/S 447, 449 in Verbindung mit Band II/S 139 dA). Stichhältige Gründe, aus denen die vom Sachverständigen Prof. Dr. P*** anläßlich der zweiten Explorierung - die keine anderen Ergebnisse als die erste brachte - durchgeführten Tests (Band I S 449 ff dA) zur Beurteilung der Frage der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht ausreichen würden, wurden in den Beweisanträgen und deren Erläuterungen nicht dargetan. Das Begehren auf Vornahme von zusätzlichen Tests lief ersichtlich bloß auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis hinaus. Die Behauptung, der Polizeiarzt Dr. T*** hätte Bedenken an der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten gehabt (Band II/S 145 dA), ist aktenwidrig. Das Gegenteil war der Fall (Band I/S 65, Band II/S 133 f dA). Daß die Prüfung der Alkoholtoleranz und ein sogenannter Alkoholspiegeltest beim Angeklagten, der bis zur Tat jahrelang Alkoholmißbrauch getrieben hatte, zufolge der anschließenden Alkoholentwöhnung durch mehrere Monate keinen rekonstruktiven Wert haben kann, ist für jeden Laien einsichtig. Das in diesem Sinn - nach einer entsprechenden Stellungnahme des psychiatrischen und des gerichtsmedizinischen Sachverständigen - begründete Zwischenerkenntnis des Schwurgerichtshofes trifft daher vollinhaltlich zu (Band II S 144 dA). Im übrigen wäre die Vornahme derartiger Tests, sollte - worauf der Antrag offenbar abzielte (vgl. auch die Beschwerdeausführungen:

"... im Zuge von starkem Alkoholgenuß ... psychische Veränderungen unter Alkoholeinfluß ...") - die Prüfung der Alkoholverträglichkeit bis an die Grenze der Volltrunkenheit führen, für Zwecke des Strafverfahrens unzulässig, weil solcherart die Gefahr einer Aufhebung der freien Willensbildung des Probanden und von ihm nicht mehr kontrollierbarer Verhaltensweisen desselben im Zuge der Befundaufnahme bestünde, was mit den Grundsätzen eines fairen Verfahrens nicht zu vereinbaren wäre.

Der Sachverständige Dr. P*** hat auch die Frage nach der Möglichkeit eines sogenannten "komplizierten" Rausches, dh der Auswirkungen einer zu einer starken Alkoholisierung hinzutretenden starken affektiven Erregung, erörtert, einen Vollrausch des Angeklagten jedoch auch unter diesem Aspekt verneint, weil eine Bewußtseinstrübung bzw. Bewußtseinsbeeinträchtigung gefehlt hat, die sich, wofür in der Hauptverhandlung jedoch nicht die geringsten Indizien hervorkamen, in persönlichkeitsfremden Handlungen manifestiert hätte (Band II/S 163 ff dA). Auch in diesem Punkte sind der Beschwerde zuwider Befund und Gutachten des Sachverständigen Dr. P*** schlüssig und im Einklang mit den erhobenen Tatumständen (§§ 125, 126 StPO). Unter diesen vermögen die Wahrnehmungen des Polizeiarztes über eine "explosive" (impulsive, labile) Affektivität, eine "dysphorisch bis depressive" Stimmungslage mit Suizidtendenz und über eine "schockartige Belastung" (Band I/S 65, Band II S 132 ff dA) sowie des Polizeibeamten P***, wonach der Angeklagte unmittelbar nach der Tat erheblich verstört und weinerlich war, sodaß seine Vernehmung über den Tathergang angeblich sinnlos gewesen wäre (Band II/S 137 dA), nichts am Mangel des vom Sachverständigen beschriebenen Gesamterscheinungsbildes, mit dem ein (erst) durch den Additionseffekt einer heftigen Gemütsbewegung bewirkter Vollrausch einhergehen würde, zu ändern.

Die Beschwerdebehauptung schließlich, das Verhalten des Angeklagten unmittelbar nach der Tat, als er die Rettung herbeirief und dann schluchzend bei seiner Frau kniete, sei atypisch für einen Täter, der vorsätzlich getötet hat, widerspricht einerseits der forensischen Erfahrung und berührt andererseits nicht die Frage der - vorsätzlichen (§ 5 Abs. 1 StGB) - Tatbildverwirklichung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB). Daß die nach der Tat in Erscheinung getretene psychische Ausnahmesituation des Angeklagten keine Rückschlüsse auf ein Fehlen der Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit zuläßt, wurde in dem zu allen wesentlichen Fragen ergänzten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P*** mängelfrei (§§ 125, 126 StPO) und einleuchtend erläutert. Da die von ihm geforderte Befundung und Begutachtung überdies keineswegs als schwierig zu bezeichnen ist (§§ 118 Abs. 2, 134 Abs. 1 StPO), hat der Schwurgerichtshof zu Recht die Beiziehung eines weiteren Sachverständigen abgelehnt.

Somit versagt die Verfahrensrüge (§ 345 Abs. 1 Z 5 StPO). Aber auch mit der Rüge der Fragestellung (§ 345 Abs. 1 Z 6 StPO) vermag der Beschwerdeführer nicht durchzudringen:

Entgegen den Beschwerdeeinwänden war nach den Ergebnissen der Hauptverhandlung weder eine Eventualfrage (§ 314 Abs. 1 StPO) nach dem Verbrechen des Totschlages nach § 76 StGB, noch eine Zusatzfrage (§ 313 StPO) nach dem Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB) indiziert.

Umstände, welche darauf hinweisen würden, daß sich der Angeklagte in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung zur Tötung seiner Frau hätte hinreißen lassen, sind nicht hervorgekommen und werden auch in der Beschwerde nicht spezifiziert. Vor allem hat der Angeklagte selbst weder eine heftige Gemütsbewegung, noch irgendwelche für eine solche ursächlichen Ereignisse behauptet, die im Falle ihrer Feststellung einer Bewertung im Sinne des Begriffes einer allgemeinen Begreiflichkeit einer außerordentlichen Gemütsverfassung zugänglich wären. Zwar schließt der Umstand allein, daß ein Sachverständiger in seinem Gutachten das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 StGB verneint, die Stellung einer Zusatzfrage in der Regel nicht aus. Im vorliegenden Fall hat sich der Angeklagte aber in keinem Verfahrensstadium mit Volltrunkenheit oder einer durch sonstige Umstände bedingten Zurechnungsunfähigkeit verantwortet. Er bezeichnete sich in der Hauptverhandlung lediglich als "mittelmäßig betrunken" (Band II/S 118 dA). Die im wesentlichen erhalten gebliebene Erinnerung des Angeklagten an die Ereignisse am Tag der Tat, sein durchaus denkfolgerichtiges und situationsangepaßtes Verhalten nach der Tat, als er Hilfe für das Opfer herbeiholte, und das Erscheinungsbild, das er weniger als eine Stunde nach der Tat unbeschadet einer dysphorisch-depressiven Stimmungslage dem Amtsarzt gegenüber bot - volle Erinnerung für den Deliktszeitraum, gute zeitliche und örtliche Orientierung, klare Bewußtseinslage ohne grobe Störungen des formalen und inhaltlichen Denkens (Band I/S 65 in Verbindung mit Band II/S 133 f dA) - schließen das Fehlen der Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit von vornherein aus. Damit war aber kein in den Ergebnissen der Hauptverhandlung begründetes Tatsachensubstrat (Tatsachenvorbringen: §§ 313, 314 Abs. 1 StPO) gegeben, das die reklamierte Eventual- bzw. Zusatzfrage an die Geschwornen erfordert haben würde. Bloße Mutmaßungen, wie sie teils im Vorbringen und in den Anträgen des Verteidigers zum Ausdruck kommen, reichen für die Erweiterung der Fragestellung nicht aus. Aus den dargelegten Erwägungen war die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren. Bei deren Bemessung waren die einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten erschwerend, mildernd hingegen seine verminderte Zurechnungsfähigkeit auf Grund eines langjährigen Alkoholmißbrauchs sowie die zur Tatzeit gegebene erhebliche Alkoholisierung.

Dagegen richten sich die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten.

Wie der öffentliche Ankläger im Ergebnis zutreffend aufzeigt, hat das Erstgericht bei der Ausmessung der verwirkten Strafe die besondere Schwere der personalen Tatschuld des Angeklagten in Verbindung mit dem objektiven Gewicht der verschuldeten Rechtsgutverletzung, wie sie der vorsätzlichen Tötung eines Menschen unter den Umständen des vorliegenden Falles innewohnt, zu wenig berücksichtigt. Diese - einer "Liquidierung" gleichkommende - Tatbegehung gegenüber einer dem Angeklagten besonders nahestehenden Person, ohne jedes begreifliche Motiv, in Verbindung mit dem eine deutliche Tendenz zu Gewalttätigkeiten zeigenden Vorleben des Angeklagten weist auf eine derart negative Einstellung gegenüber den rechtlich geschützten Werten und damit auf einen so hohen Grad an Schuld hin, daß die Verhängung einer zeitlichen Freiheitsstrafe nach Lage des Falles nicht mehr gerechtfertigt ist. Daß der Angeklagte zur Tatzeit erheblich alkoholisiert war, fällt deshalb nicht sonderlich als mildernder Umstand ins Gewicht - und vermag die übrigen, den Angeklagten belastenden Komponenten seiner Strafzumessungsschuld nicht aufzuwiegen - weil er ein notorischer Trinker ist und ihm, wie sein Vorleben zeigt, bekannt war, daß er in berauschtem Zustand rechtlich geschützte Werte selbst durch Begehung strafbarer Handlungen hintansetzt. Die schuldangemessene Reaktion auf das Tatverhalten des Angeklagten mußte daher in der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe erfolgen.

Mit seiner damit erfolglosen - nicht ausgeführten (sh. ON 84, S 200 dA) - Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E15579

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0120OS00121.88.1027.000

Dokumentnummer

JJT_19881027_OGH0002_0120OS00121_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten