TE OGH 1988/11/8 10ObS184/88

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Veröffentlicht am 08.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Dorner und Hermann Wachtberger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anton M***, Admonter Straße 40, 8940 Liezen, vertreten durch Dr. Erich Holzinger, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagte Partei P*** DER A***

(Landesstelle Graz), Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. März 1988, GZ 8 Rs 42/88-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 10. November 1987, GZ 21 Cgs 26/87-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab 1. Mai 1986 im gesetzlichen Ausmaß ab.

Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Der am 23. November 1934 geborene Kläger trat im Jahre 1957 als Werksarbeiter in das Gußstahlwerk Liezen der V***-A*** AG ein. Er war von 1957 bis 1959 Hilfsarbeiter in der Hüttenkolonne und in der Graugießerei, vom 1. März 1959 bis 20. Oktober 1963 Helfer, vom 21. Oktober 1963 bis 8. November 1963 Anlerner (Schmelzer), vom 9. November 1963 bis 5. April 1970 Helfer in der Graugießerei, vom 6. April 1970 bis 2. Jänner 1977 Schmelzer in der Graugießerei, vom 3. Jänner 1977 bis 31. Jänner 1980 Grubenhelfer im Schmelzbetrieb und vom 1. Feber 1980 bis 3. Feber 1980 Stahlwerksarbeiter. Danach wurde er vom 4. Feber 1980 bis 31. März 1981 in Fohnsdorf als Dreher umgeschult und war sodann vom 1. Feber 1981 bis 15. Jänner 1984 als Dreher im Maschinenbau eingesetzt. Der Kläger war während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag in mehr als der Hälfte der Beitragsmonate als Schmelzer in der Graugießerei eingesetzt. Nach den betriebsinternen Richtlinien der V***-A*** AG werden in der Regel ungelernte Arbeiter zum Schmelzer ausgebildet. Die Ausbildung dauert zwei bis drei Jahre.

Die Arbeit des Klägers als Schmelzer am Kupolofen im Werk Liezen der V***-A*** AG umfaßte die selbständige Bedienung und Überwachung der Heißwindkupolofenanlage. Dazu zählten im einzelnen das Ausstampfen des Ofens und der Syphons, wobei besonders auf die Höhendifferenz der Auslaufkanäle zu achten war, um eine sichere Trennung von Eisen und Schlacke zu erreichen, das Einheizen des Ofens und vor dem Anzünden Kontrolle des gesamten Wasserkreislaufs, einmal je Woche Zustampfen des Einstiegloches, nachdem Füllkoks gleichmäßig durchgebrannt war, danach Einschalten der Brenner und Einstellen der Anlage, vorblasen und anfahren. Der Schmelzer mußte den Eisen- und Schlackenabfluß sowie die gleichmäßige Wasserberieselung und den Meßgeräteschrank ständig überwachen. Er mußte die einzelnen Schieber und den Rekuperatorhut bedienen, bei Normalbetrieb abstellen und wiederanfahren. Der Rekuperator war täglich vor Inbetriebnahme zu reinigen. Zu den weiteren Aufgaben zählten die Kontrolle der Verbrennungsluftdüsen, die wöchentliche Reinigung der Gichtgasleitung vom Ofen zum Rekuperator sowie der Brennkammer, Ergreifen der nötigen Vorkehrungen bei Stromausfall, Zündbrennerausfall und Ausfall der Verbrennungsluftund Kühlluftventilatoren, sowie Probenahmen und Temperaturmessen. Nach den Ausbildungsstatuten der V***-A*** AG für alle Anlernbereiche werden je nach Art und Dauer der Ausbildungszeit acht Gruppen unterschieden. Der Schmelzer fällt in Gruppe VII (systematische Anlernung für besonders qualifizierte Arbeiten mit Anlernzeiten von 2 1/2 Jahren, 3 Jahren und über 3 Jahren), in Gruppe VIII fallen Arbeiter mit Berufslehre von 3 Jahren und darüber (Facharbeiter).

Dem Kläger sind alle leichten und mittelschweren Arbeiten im Sitzen uneingeschränkt zumutbar, Arbeiten im Gehen und Stehen sind um die Hälfte eines Arbeitstages zu verkürzen. Auch Bückund Hebearbeiten sind um die Hälfte eines Arbeitstages einzuschränken und gleichmäßig über den Tag zu verteilen. Alle Arbeiten können nur zu ebener Erde bewältigt werden. Schweren Arbeiten ist der Kläger nicht mehr gewachsen. Er kann nicht unter Akkordbedingungen eingesetzt werden, jedoch sind Arbeiten in Produktions- und Fertigungsbetrieben zumutbar. Verweisungsfähigkeit ist im Rahmen von Tätigkeiten gegeben, die sehr gute Anforderungen an die praktische Intelligenz stellen können.

Aus diesem Sachverhalt folgerte das Erstgericht rechtlich, bei der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit als Schmelzer in der Graugießerei, welche das medizinische Leistungskalkül überschreite, handle es sich nicht um einen angelernten Beruf im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG, weil der Kläger durch praktische Arbeit nicht jenen Erfahrungsstand erreicht habe, der einem Lehrberuf entspreche. Seine Invalidität sei daher nach § 255 Abs. 3 ASVG zu beurteilen. Da der Kläger noch auf die Tätigkeiten eines Fertigungskontrollors, Abgraters, Justierers oder Portiers verwiesen werden könne, seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension nicht gegeben.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Auch das Berufungsgericht wertete die Tätigkeit eines Schmelzers nicht als angelernten Beruf. Ein Schmelzer könne am ehesten mit dem Lehrberuf des Hüttenwerkers, aus welchem sich der Lehrberuf des Hüttenschlossers entwickelt habe, oder jenem eines Formers oder Gießers verglichen werden. Für beide Lehrberufe seien wesentlich umfangreichere Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich, als sie der Kläger durch seine praktische Arbeit erworben habe. Daß der Kläger einen Facharbeiterlohn bezogen habe, sei für die rechtliche Qualifikation nicht entscheidend. Gegen die Annahme einer Facharbeitertätigkeit spreche auch, daß der Kläger nach dem Einstellen der Schmelztätigkeit bei seinem Arbeitgeber wieder als Hilfsarbeiter beschäftigt worden sei.

In seiner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision bekämpft der Kläger ausschließlich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, seine in den letzten 15 Jahren überwiegend ausgeübte Tätigkeit als Schmelzer in der Graugießerei sei kein angelernter Beruf im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Zutreffend verweist der Kläger in seiner Revision darauf, daß der erkennende Senat in seiner Entscheidung vom 15. Dezember 1987, 10 Ob S 131/87 (SSV-NF 1/70), ausgeführt hat, nach § 255 Abs. 2 ASVG liege ein angelernter Beruf im Sinne des Abs. 1 vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind, daher die in der Praxis erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nicht jenen eines bestimmten gesetzlich geregelten Lehrberufes sein, sondern diesen nur an Qualität und Umfang entsprechen müssen, auch wenn es keinen gleichartigen, gesetzlich geregelten Lehrberuf gibt. Die Bestimmung des § 255 Abs. 2 soll es gerade ermöglichen, der raschen wirtschaftlichen Entwicklung und insbesondere Spezialisierung in Großunternehmen, die ihre Fachkräfte vielfach selbst ausbilden, weil die durch die herkömmlichen Lehrberufe vermittelte Ausbildung für die besonderen Aufgaben einerseits nicht genügt, andererseits in der Praxis entbehrlich ist, Rechnung zu tragen. Dies bedeutet aber nicht, daß nicht bestehende Lehrberufe, insbesondere solche, die eine Ausbildung für ähnliche, artverwandte Tätigkeiten vermitteln, zur Beurteilung herangezogen werden dürften, ob die konkret durch die praktische Arbeit erworbenen besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten an Qualität und Umfang jenen in einem Lehrberuf gleichzuhalten sind. In der zitierten Entscheidung war die Tätigkeit eines Springer-Ablösers zu beurteilen, die nach den Feststellungen vollständige Kenntnisse eines Ersten Walzers, eines Zweiten Walzers, eines Rollgangfahrers und eines Schraubers umfaßte, eine Ausbildungszeit von 5 Jahren erforderte und nach der analytischen Arbeitsplatzbeschreibung der V***-A*** AG jener eines Facharbeiters der Gruppen I, II und III gleichzusetzen ist. Demgegenüber war die Tätigkeit des Klägers als Schmelzer ausschließlich in der Graußgießerei, auch wenn sie eine systematische Anlernung und längere Erfahrung erforderte, doch auf verhältnismäßig wenige, immer wiederkehrende und schematisch ablaufende Arbeitsvorgänge so spezialisiert, daß die dafür erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten - überwiegend schwere manuelle Arbeit und bestimmte beschränkte Überwachungsaufgaben - nicht jenen vielfältigen praktischen und auch theoretischen Kenntnissen, wie sie in einem Lehrberuf vermittelt werden, gleichgehalten werden können.

Daß die erworbenen Fähigkeiten des Klägers sich nur auf ein eng begrenztes Aufgabengebiet bezogen, zeigt auch die Tatsache, daß sie nach Auflösung der Graugießerei nicht anderweitig verwertet werden konnten und eine Umschulung erforderlich war.

Da eine angelernte Tätigkeit im Sinne des § 255 Abs. 2 ASVG nicht vorliegt, mußte die Revision erfolglos bleiben. Die Entscheidung über die Kosten der Revision beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

Anmerkung

E15876

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00184.88.1108.000

Dokumentnummer

JJT_19881108_OGH0002_010OBS00184_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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