Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Warta, Dr. Klinger und Dr. Angst als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Elisabeth H***, Krankenpflegerin, 9601 Arnoldstein 90, vertreten durch Dr. Bruno Pollak, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Wilhelm H***, Pensionist, Nautilusweg 3, 9020 Klagenfurt, vertreten durch Dr. Eduard Wegrostek, Rechtsanwalt in Wien, wegen Leistung des Unterhalts (Streitwert S 244.800,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes vom 20. Mai 1988, GZ 1 R 190, 191/88-20, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 19. Feber 1988, GZ 2 C 103/87-10, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 9.063,45 (darin S 823,95 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin machte ihren Anspruch auf Ehegattenunterhalt mit ihrer am 9. Dezember 1987 erhobenen Klage geltend.
Das Erstgericht verhielt den beklagten Ehemann zur Zahlung einer monatlichen Geldunterhaltsrente von S 5.500,-- und wies das Mehrbegehren der Ehefrau ab.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes im abweisenden Teil über Berufung der Klägerin dahin ab, daß der Beklagte an seine Ehefrau ab dem 9. Dezember 1987 den begehrten Unterhalt von insgesamt S 6.800,-- im Monat zu leisten habe.
Dieser Entscheidung legte das Berufungsgericht die als unbedenklich übernommenen Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes zugrunde. Daraus ergibt sich zum Grund des Anspruches der folgende Sachverhalt:
Die am 19. Dezember 1931 geborene Klägerin und der am 31. Jänner 1915 geborene Beklagte haben am 17. Mai 1979 die Ehe geschlossen. Der Beklagte übergab seine Liegenschaft in Seeboden mit einem Kino- und Caferestaurantunternehmen am 22. Feber 1983 an seinen Sohn Peter gegen Zahlung einer Versorgungsrente auf Lebenszeit, die er aber nicht verlangte, seit der Sohn durch Investitionen im Betrieb in Schulden geriet. Die Klägerin forderte vom Beklagten die Einräumung dinglicher Rechte an seiner zum gemeinsamen Wohnen gewidmeten Eigentumswohnung in Klagenfurt und kam bei jeder Gelegenheit darauf zu sprechen. Es gab darüber Auseinandersetzungen der Eheleute, deren Ehe schon seit längerer Zeit in eine Krise geraten war. Daran sind beide Teile schuld; wer mehr Schuld trägt, ist nicht geklärt. Der Beklagte hegt Mißtrauen. Er warf der Klägerin, die oft außer Haus war, immer wieder vor, sie habe einen Freund und mische ihm etwas ins Essen. Er weigerte sich daher zeitweise, von der Klägerin zubereitete Mahlzeiten einzunehmen, und gab der Klägerin im November und Dezember 1987 kein Wirtschaftsgeld und keinen Unterhalt. Die Klägerin war wegen der vom Beklagten erhobenen Vorwürfe in einer sehr schlechten nervlichen Verfassung, verließ deshalb am 7. Dezember 1987 die Ehewohnung und lebt seither bei ihrer Tochter. Sie will in die Ehewohnung zurückkehren, wenn es ihr gesundheitlich wieder besser geht. Sie hatte als Krankenhelferin gearbeitet und von Feber 1987 bis Jänner 1988 einen Mann betreut, seither ist sie im Krankenstand. Beide Vorinstanzen nahmen Unterhaltsverwirkung nicht an. Da die Klägerin den Beklagten nicht grundlos verlassen habe, sondern die zwischen den Ehegatten bestehenden, auf das Verhalten beider Teile zurückzuführenden Spannungen der Klägerin Anlaß gaben, vorübergehend bis zur Besserung des angegriffenen Gesundheitszustandes gesondert Wohnung zu nehmen, stelle das Verlangen nach Unterhaltsleistung keinen Rechtsmißbrauch dar. Der Ansicht, ein rechtsmißbräuchliches Begehren auf Unterhaltsleistung liege nur vor, wenn es ausschließlich in der Absicht erfolge, den anderen Eheteil zu schädigen, könne allerdings nicht beigepflichtet werden. Nach Erhebung der Revision des Klägers, der eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht darin erblickt, daß die von ihm eingewendete Unterhaltsverwirkung nicht angenommen wurde, ergänzte das Berufungsgericht über den am 7. September 1988 zu 3 Ob 537/88 erteilten Auftrag des Obersten Gerichtshofes sein Urteil durch den Ausspruch, daß die Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei. Die Entscheidung hänge von der Lösung der Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ab, ob die Geltendmachung des Unterhaltsanspruches nur dann rechtsmißbräuchlich erfolge, wenn dem Unterhalt fordernden Teil jedes andere Interesse als das, dem Ehepartner zu schaden, abzusprechen sei. Diese Rechtsansicht habe das Berufungsgericht abgelehnt.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Beklagten erhobene Revision ist unzulässig. Ihr steht zwar nicht die Rechtsmittelbeschränkung nach § 502 Abs. 2 Z 1 ZPO entgegen, weil der Beklagte nicht die Entscheidung über die Bemessung des gesetzlichen Unterhalts der Klägerin bekämpft sondern geltend macht, der Klägerin stehe dem Grunde nach wegen Rechtsmißbrauches iSd § 94 Abs. 2 Satz 2 ABGB kein Ehegattenunterhalt zu (EFSlg. 44.059 ff; EFSlg. 49.362 uva). Damit ist aber für den Revisionswerber nichts gewonnen. Der Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht insgesamt entschieden hat, liegt mit dem dreifachen Jahresbetrag des Unterhalts (§ 58 Abs. 1 JN) von S 244.800,-- im Bereich der nur unter den Voraussetzungen des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässigen Revision. Der Oberste Gerichtshof ist dabei an den vom Berufungsgericht nach § 500 Abs. 3 ZPO nachgetragenen Ausspruch nicht gebunden (§ 508 a Abs. 1 ZPO). Er hat selbst zu prüfen, ob die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs. 4 Z 1 ZPO).
Dies ist hier aber nicht der Fall, weil das Berufungsgericht im Einklang mit der auch mit der herrschenden Lehre übereinstimmenden gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes entschieden hat. Die den auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts der Ehegatten fortbestehenden Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 2 ABGB beschränkende Rechtsmißbrauchsklausel (Pichler in Rummel, ABGB, Rz 7 zu § 94) bedeutet nach herrschender Ansicht, daß der Unterhaltsanspruch in nur besonders krassen Fällen durch das Verhalten des Unterhalt fordernden Ehegatten verwirkt und dessen Bestehen auf der Unterhaltsforderung als Rechtsmißbrauch anzusehen ist (vgl. Schwind, EheR2 66 f; Ehrenzweig-Schwind, Familienrecht, 80; Migsch in Floretta, Das neue Ehe- und Kindschaftsrecht, 33 mit Hinweis auf die Ausführungen des JA 1662 BlgNR 13.GP; EFSlg. 35.189;
EFSlg. 37.541 ff; EFSlg. 44.851; EFSlg. 47.438 ff;
EFSlg. 50.180 uva). Bei der Beurteilung, ob Unterhaltsverwirkung vorliegt, ist stets auf die Umstände des Einzelfalles Bedacht zu nehmen (EFSlg. 47.441). Der die erwähnten Grundsätze beachtenden Beurteilung, ob es grob unbillig wäre, dem Unterhaltsbegehren stattzugeben, etwa deshalb, weil für den auf seinen Unterhaltsanspruch beharrenden Teil kein Grund bestand, die Ehewohnung zu verlassen und anderswo Unterkunft zu suchen, kommt daher im Regelfall nicht die im § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO umschriebene Bedeutung für die Rechtsordnung zu.
Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, daß der Unterhaltsanspruch von der Klägerin nicht rechtsmißbräuchlich geltend gemacht wurde, weil auch der Beklagte das Zusammenwohnen verleidete und nicht allein die Klägerin ein zur Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft führendes ehewidriges Verhalten zu vertreten hat, hält sich im Rahmen der gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Diese Entscheidung unterliegt daher nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof.
Die vom Berufungsgericht für die Zulässigkeit der Revision angeführte Begründung trifft nicht zu. Die zweite Instanz hat eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht etwa aus dem Grund verneint, daß ein Verlust des Anspruchs nur im Fall ausschließlicher Schädigungsabsicht iS des § 1295 Abs. 2 ABGB eintrete, sondern eine solche Ansicht abgelehnt. Es ist im Sinn der gefestigten Rechtsprechung ohnehin davon ausgegangen, daß der Anspruch auf Ehegattenunterhalt auch bei krassen Verfehlungen enden kann, und hat bloß die der Klägerin vorwerfbaren Verfehlungen im konkreten Falle für nicht so schwerwiegend angesehen, daß der Verlust jedes Unterhaltsanspruches zu rechtfertigen wäre.
Der Kläger hat der Beklagten die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen, in der auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen und deren Zurückweisung beantragt wurde (§§ 41 und 50 ZPO).
Anmerkung
E15697European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0030OB00548.88.1116.000Dokumentnummer
JJT_19881116_OGH0002_0030OB00548_8800000_000