Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Adametz und Dr. Sylvia Krieger (beide Arbeitgeber) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friedrich B***, Pensionist, 4020 Linz, Sommerstraße 25, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei S*** DER G***
W***, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Karl Leitner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufrechnung eines Überbezuges infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Juli 1988, GZ 12 Rs 96/88-8, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. April 1988, GZ 15 Cgs 1005/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat: "Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, die Aufrechnung des mit (ihrem) Bescheid vom 4. November 1981 festgestellten Überbezuges an Ausgleichszulage und Zuschlag von S 83.064,50 auf die laufende (Alters-)Pensionsleistung der klagenden Partei zu unterlassen und dieser binnen 14 Tagen S 3.513,10 an zu Unrecht einbehaltenen Pensionszahlungen für die Monate Februar bis April 1988 zu zahlen, wird abgewiesen."
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 18. Oktober 1978 gewährte die beklagte Partei dem Kläger ab 1. März 1974 eine Alterspension im gesetzlichen Ausmaß und dazu ab 1. März 1975 eine Ausgleichszulage.
Mit Bescheid vom 31. Juli 1976 gewährte die
L*** O*** dem Kläger ab 1. Mai 1975 eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die sie mit Bescheid vom 20. Oktober 1976 ab 1. Juni 1975 in ein Altersruhegeld umwandelte und dieses mit Bescheid vom 23. Mai 1981 ab 1. Jänner 1976 neu berechnete. Die sich daraus ergebende Nachzahlung von DM 41.807,40 behielt die L*** O*** vorerst wegen allfälliger
Ersatzansprüche ein.
Wegen der erwähnten Neuberechnung des Altersruhegeldes ab 1. Jänner 1976 entschied die beklagte Partei mit Bescheid vom 4. November 1981, daß die Ausgleichszulage (zur Alterspension) und der Zuschlag nach § 139 Abs. 5 GSVG ab 1. Jänner 1976 nicht gebühren und daß der Überbezug von S 83.064,50 mit der ausländischen Altersruhegeldnachzahlung verrechnet werde. Mit Schreiben vom 20. Oktober 1981 machte die beklagte Partei gegenüber der L*** O*** ihren Ersatzanspruch auf die
von dieser zu erbringende Nachzahlung geltend. Dieser Anspruch konnte jedoch nicht mehr befriedigt werden, weil die L*** O*** die nach Abzug einer Ersatzforderung für Sozialhilfeleistungen des Landratsamtes Traunstein verbleibende Nachzahlung von DM 31.784,80 bereits am 13. August 1981 direkt dem Kläger ausgezahlt hatte. Mit Bescheid vom 7. Jänner 1988 rechnete die beklagte Partei den mit (ihrem) Bescheid vom 4. November 1981 festgestellten Überbezug an Ausgleichszulage (§ 149 GSVG) und Zuschlag (§ 139 Abs. 5 GSVG) für die Zeit vom 1. Jänner 1976 bis 31. Juli 1981 von S 83.064,50 unter Berufung auf § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG auf die laufende Pensionsleistung auf. Sie begründete dies damit, daß der durch die Neuberechnung des deutschen Altersruhegeldes ab 1. Jänner 1976 entstandene Überbezug nach Art. 45 Abs. 1 AbkSozSiBRD mit der für denselben Zeitraum gebührenden Rentennachzahlung zu verrechnen gewesen wäre. Weil diese Nachzahlung nicht der beklagten Partei überwiesen (sondern direkt dem Kläger ausgezahlt) worden sei, werde der Überbezug als Vorschußleistung auf die laufende Pensionsleistung aufgerechnet.
In der gegen den Aufrechnungsbescheid rechtzeitig erhobenen Klage behauptete der Kläger, die L***
O*** habe ihm die Rentennachzahlung nach Abzug eines Ersatzes für deutsche Sozialhilfe aus einem unbekannten Grund ausgezahlt. Daß die im Bescheid der beklagten Partei vom 4. November 1981 angekündigte Verrechnung des darin festgestellten Überbezuges unterblieben sei, sei dem Kläger im Jahre 1981 nicht bekannt geworden, weshalb er die ihm ausgezahlte Nachzahlung im Vertrauen auf deren Rechtmäßigkeit gutgläubig verbraucht habe. Für die nunmehrige Aufrechnung fehle eine Rechtsgrundlage. Der Kläger begehrte, die beklagte Partei zu verurteilen, die Aufrechnung des in ihrem Bescheid vom 4. November 1981 festgestellten Überbezuges an Ausgleichszulage und Zuschlag von S 83.064,50 auf die laufende Pensionsleistung des Klägers zu unterlassen und diesem binnen 14 Tagen die in den Monaten Februar bis April 1988 zu Unrecht einbehaltenen S 3.513,10 zu zahlen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung dieser Begehren. Das Erstgericht gab der Klage statt.
Art. 45 Abs. 1 (des in der Folge nur mehr mit Abk abgekürzten) AbkSozSiBRD sei eine Sonderregelung für das Einbehalten bzw für die Aufrechnung, wenn der Überbezug auf die rückwirkende Herabsetzung der vom österreichischen Versicherungsträger zu erbringenden Leistung wegen der Gewährung einer deutschen Versicherungsleistung zurückzuführen sei. Diese Aufrechnungsmöglichkeit erfasse auch zu österreichischen Pensionen gewährte Ausgleichszulagen. Der genannte Art. ermögliche zwar auch die Hereinbringung von nicht vom Anspruchsberechtigten verschuldeten Überbezügen, bleibe allerdings auf die Aufrechnung mit Nachzahlungen beschränkt und gestatte deshalb keine Aufrechnung auf laufende Leistungen. Diese Sonderregelung gehe auch der allgemeinen Aufrechnungsvorschrift des § 71 GSVG vor, die bei der Rückzahlung von Vorschüssen im Sinne dieses Artikels nicht anzuwenden sei. Auch nach § 153 Abs. 4 GSVG bestehe in ähnlichen Fällen nur die Möglichkeit der Aufrechnung von Überbezügen auf die Pensionsnachzahlung, nicht aber auf die laufende Leistung.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Auch nach seiner Rechtsansicht sieht Art. 45 Abk nur eine Einbehaltung der Nachzahlung vor. Dies bedeute, daß bei als Vorschuß oder bescheidmäßig gewährten Leistungen, die sich nachträglich als Überbezug herausstellen, vom Leistungsempfänger keine eigentliche Rückerstattung verlangt werden könne. Dieser solle durch die Auszahlung lediglich des sich aus dem Mehrbezug und der Nachzahlung ergebenden Differenzbetrages so gestellt werden, als hätte er die ihm gebührende Leistung schon seinerzeit empfangen. Auch im innerstaatlichen Recht bestehe nach § 296 Abs. 4 ASVG oder nach § 153 Abs. 4 GSVG in ähnlichen Fällen nur die Möglichkeit der Aufrechnung von Überbezügen auf die Pensionsnachzahlungen, nicht aber auf die laufende Leistung, wie dies einzig im Anwendungsbereich des § 103 ASVG bwz des § 71 GSVG vorgesehen sei. Abgesehen davon, daß die Sondervorschrift des Art. 45 Abk diesen allgemeinen Aufrechnungsvorschriften vorgehe, sei der Rückforderungsanspruch der beklagten Partei deshalb nicht durch § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG begründet, weil es sich im vorliegenden Fall nicht um einen Vorschuß im Sinne des in der zitierten Gesetzesstelle bezogenen § 368 Abs. 2 ASVG handle. Auf den in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 29. Jänner 1985 SSV 25/17 offenbar in Analogie zu dem mit § 71 Abs. 1 Z 2 GSVG wortidenten § 103 Abs. 1 Z 2 ASVG bejahten Aufrechnungsanspruch, bei dem die Frage der Verjährung eine Rolle spielen würde, sei im vorliegenden Fall nicht näher einzugehen, weil die beklagte Partei ihren Aufrechnungsanspruch im angefochtenen Bescheid ausdrücklich nur auf § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG und auch im erstgerichtlichen Verfahren auf keine andere gesetzliche Bestimmung gegründet habe.
Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das Berufungsurteil durch Abweisung des Klagebegehrens und Verpflichtung des Klägers, der beklagten Partei den Überbezug von S 83.064,50 im Wege der Aufrechnung auf die zu erbringenden Leistungen nach § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG rückzuerstatten, abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.
Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die wegen des S 30.000,-- übersteigenden Streitgegenstandes der berufungsgerichtlichen Entscheidung nach § 46 Abs. 2 ASGG zulässige Revision ist berechtigt.
Der beklagte österreichische Versicherungsträger hat dem Kläger für die Zeit vom 1. Jänner 1976 bis 31. Juli 1981 um S 83.064,50 höhere als die gebührenden Leistungen aus der Pensionsversicherung gezahlt. Für diese Zeit hatte der deutsche Versicherungsträger nachträglich wegen rückwirkender Neuberechnung höhere entsprechende Leistungen aus der Rentenversicherung (Altersruhegeld) von DM 31.784,80 direkt an den Kläger ausgezahlt. Der die Höhe des vom deutschen Versicherungsträger nachzuzahlenden Betrages nicht erreichende, die gebührende österreichische Leistung übersteigende Betrag von S 83.064,50 gilt daher nach Art. 45 Abs. 1 Satz 2 Abk als Vorschuß im Sinne des ersten Satzes dieses Absatzes, nach dem die Nachzahlung einer entsprechenden Leistung auf die nach den Rechtsvorschriften des anderen Vertragsstaates Anspruch besteht, einbehalten werden kann, wenn ein Träger eines Vertragsstaates einen Vorschuß gezahlt hat.
Daß die Nachzahlung des deutschen Versicherungsträgers bis zur Höhe des als Vorschuß geltenden Überbezuges des Klägers von S 83.064,50 nach Art. 45 Abk einbehalten werden hätte können, ist unbestritten.
Die Einbehaltung eines entsprechenden Teiles der Nachzahlung ist jedoch nicht mehr möglich, weil die Nachzahlung von der L*** O*** am 13. August 1981, also mehr
als 3 Monate bevor die beklagte Partei den Überbezug bescheidmäßig festgestellt und ihren Anspruch auf die Nachzahlung beim deutschen Versicherungsträger angemeldet hatte, direkt dem Kläger ausgezahlt wurde.
Wenn in den EB der RV 520 BlgNR 9.GP ausgeführt wird, daß Art. 45 Abs. 1 eine Regelung für die Aufrechnung von Ersatzleistungen bzw die Hereinbringung von Überbezügen treffe, die über das innerstaatliche Recht (§ 103 iVm § 107 ASVG) hinausgehend die Hereinbringung von Überbezügen, an deren Entstehen den Anspruchsberechtigten kein Verschulden treffe, ermöglichen solle (zitiert nach MGA ZwischenstSV 1 a Lfg. 15, 139), dann ist das mit der Klarstellung richtig, daß der genannte Art. die Hereinbringung von echten Vorschüssen oder von zu Unrecht erbrachten Leistungen, die als Vorschüsse gelten, durch Aufrechnung, über die der österreichische Versicherungsträger nach § 367 Abs. 2 ASVG einen Bescheid zu erlasssen hat, erleichtern und daher über die die Aufrechnung regelnden und erschwerenden Bestimmungen des § 103 ASVG, § 44 B-KUVG, § 67 BSVG und § 71 GSVG hinausgehen will. Auch wenn die Nachzahlung zunächst vom deutschen Versicherungsträger und, falls dieser sie nach Art. 12 DV-AbkSozSiBRD im Wege des zuständigen österreichischen Trägers des Wohnortes des Anspruchsberechtigten auszahlen möchte, vom österreichischen Versicherungsträger nicht vorläufig einbehalten, sondern - wie im vorliegenden Fall - direkt dem Anspruchsberechtigten ausgezahlt wurde, so daß der österreichische Versicherungsträger den von ihm gewährten Vorschuß im Sinne des Art. 45 Abs. 1 Abk nicht mehr auf die Nachzahlung aufrechnen kann, ist es dem österreichischen Träger nicht verwehrt, den von ihm gewährten Vorschuß nach dem zitierten Art. iVm § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen aufzurechnen. Auch dann, wenn die Nachzahlung vom deutschen Versicherungsträger dem Anspruchsberechtigten nicht direkt, sondern im Wege des österreichischen Trägers ausgezahlt werden soll und vom letzteren einbehalten wird, darf der österreichische Versicherungsträger den Vorschuß nicht ohne weiteres zur Hereinbringung der zu Unrecht erbrachten Leistungen verwenden, sondern ihn nur nach Art. 45 Abs. 1 Abk iVm mit § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG auf die sonst von ihm auszuzahlende Nachzahlung aufrechnen. Zur Erreichung des mit Art. 45 Abs. 1 Abk beabsichtigten Zweckes, die Hereinbringung von echten Vorschüssen und als Vorschüsse geltenden, von einem Versicherungsträger zu Unrecht erbrachten Leistungen durch Aufrechnung zu erleichtern und daher über die die Aufrechnung regelnden und erschwerenden Bestimmungen der innerstaatlichen Sozialversicherungsgesetze hinauszugehen, ist es daher erforderlich, unter den im § 71 Abs. 1 Z 3 GSVG genannten "von Versicherungsträgern gewährte(n) Vorschüsse(n)" nicht nur die echten Vorschüsse im Sinne des die zitierte Wortfolge erläuternden Klammerausdrucks, nämlich im Sinne des § 368 Abs. 2 ASVG zu verstehen, sondern auch die als Vorschüsse geltenden Nachzahlungen im Sinne des Art. 45 Abs. 1 Abk (ähnlich Oberlandesgericht Wien 29. Jänner 1985 33 R 279/4 SSV 25/17 zu der ähnlichen Regelung des Art. 44 Abs. 2 AbkSozSiJU).
Das angefochtene Urteil war daher wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern. Die Abweisung des auf Unterlassung der Aufrechnung gerichteten Begehrens des Klägers verneint nicht nur seinen behaupteten Unterlassungsanspruch, sondern stellt auch das Aufrechnungsrecht der beklagten Partei als begriffliches Gegenteil fest (vgl. Fasching ZPR Rz 1517), so daß der von der Revisionswerberin gewünschte zusätzliche urteilsmäßige Ausspruch nicht vorzunehmen war.
Anmerkung
E16466European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00311.88.1122.000Dokumentnummer
JJT_19881122_OGH0002_010OBS00311_8800000_000