TE OGH 1988/11/22 10ObS318/88

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Veröffentlicht am 22.11.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Sylvia Krieger (Arbeitgeber) und Werner Fendrich (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Maria S***, Pensionistin, 1100 Wien, Alpengasse 1/8, vertreten durch Dr.Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A*** (Landesstelle Wien),

1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschusses infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22.August 1988, GZ 32 Rs 127/88-19, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 27. Jänner 1988, GZ 18 Cgs 1150/87-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 12.5.1987 lehnte die beklagte Partei, von der die Klägerin damals eine Witwenpension von 5.861,30 S monatlich und eine Alterspension von 4.888,60 S monatlich, zusammen also Pensionsleistungen von rund 10.750 S monatlich bezog, den Antrag der Klägerin vom 24.4.1987 auf einen Hilflosenzuschuß ab, weil sie nicht hilflos iS des § 105 a ASVG sei.

In der rechtzeitig erhobenen, später präzisierten Klage begehrte die Klägerin einen Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß ab 24.4.1987.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Das Erstgericht wies die Klage ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß die am 19.4.1915 geborene Klägerin wegen ihres (seit der Antragstellung bestehenden,) im einzelnen festgestellten körperlichen und geistigen Zustandes sich zwar allein an- und auskleiden, die Körperpflege vornehmen, einfache Speisen zubereiten und zu sich nehmen, die Notdurft verrichten, die kleine Leibwäsche waschen, oberflächlich aufräumen und das Bett richten, im Nahbereich (ihres Wohnhauses) spazierengehen und einen Ofen warten kann, wenn das Brennmaterial zum Ofen gebracht wird. Sie kann aber Lebensmittel nicht in ausreichenden Mengen heimtragen, die große Wäsche nicht waschen und die Wohnung nicht gründlich reinigen. Die Klägerin wohnt in einer 61 m2 großen Altbauwohnung im Hochparterre, verfügt über eine Waschmaschine und einen Kühlschrank und heizt mit einem Kohlenofen. Die für dessen Betrieb erforderlichen zwei bis drei gefüllten Kohlenkübel pro Tag bringt ihr der Kohlenhändler zum Ofen, wofür sie pro Tag 9 S mehr bezahlen muß.

Die monatlichen Kosten der etwa einmal im Monat vorzunehmenden großen Wäsche und gründlichen Wohnungsreinigung nahm das Erstgericht mit etwa 600 S, die des höchstens zweimal pro Woche erforderlichen Einkaufens mit etwa 800 S und die des Bereitstellens der gefüllten Kohlenkübel mit 270 S, insgesamt daher mit rund 1.670 S und damit weit unter dem Mindesthilflosenzuschuß an.

Deshalb erachtete das Erstgericht die Klägerin unter Berücksichtigung der (seit SSV-NF 1/46) ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates nicht als hilflos iS des § 105 a ASVG. Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der Klägerin nicht Folge.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinne abzuändern oder sie allenfalls aufzuheben.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen nach Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Der erkennende Senat hat es schon in der zit Grundsatzentscheidung als Zweck des Hilflosenzuschusses bezeichnet, dem Pensionisten, der infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen nicht in der Lage ist, die lebensnotwendigen Verrichtungen selbst zu besorgen, den durch die Inanspruchnahme anderer Personen entstehenden Mehraufwand wenigstens teilweise zu ersetzen. Aus den beiden Wörtern "derart hilflos", aber auch aus der beträchtlichen Höhe dieses Zuschusses wurde abgeleitet, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Maß derselben, das im Gesetz mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben wird, Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt. Wegen dieses Zweckes und der Höhe dieses Pensionszuschusses hat der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur angenommen, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nur überschlagsmäßig festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß. Es könne nämlich dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er einem Pensionisten durch die Gewährung eines solchen Zuschusses mehr geben wolle, als für die notwendigen Dienstleistungen erforderlich sei. Der Hilflosenzuschuß soll ja nicht zu einer Erhöhung der Pension führen, sondern nur den erwähnten Mehraufwand wenigstens teilweise abdecken. Da dieser Zuschuß nach § 70 BSVG, aber auch nach § 105 a ASVG und § 74 GSVG - anders als etwa die Hilflosenzulage nach § 27 Pensionsgesetz - keine Abstufungen nach dem Grad der Hilflosigkeit kennt, sondern, falls nicht bestimmte Mindest- und Höchstbeträge unter- bzw überschritten werden, das halbe Pensionsausmaß beträgt, werden die Kosten einer nicht ständigen Wartung und Hilfe ebensowenig abgegolten wie die den Hilflosenzuschuß übersteigenden Kosten einer außergewöhnlichen Wartung und Hilfe.

Kuderna, Der Anspruch auf Hilflosenzuschuß im Wandel der Judikatur DRdA 1988, 293, meint, der Hilflosenzuschuß wäre ein Pauschalbetrag, auf den der Grad der Hilflosigkeit - im Gegensatz zur Höhe der Pension - keinen Einfluß habe. Gerade der Umstand, daß dieser Zuschuß in unveränderbarer Höhe auch dann gebühre, wenn der Betreuungsaufwand diese Höhe weit übersteige, spreche dafür, daß er grundsätzlich auch dann zustehe, wenn der Betreuungsaufwand - von einer geringfügigen Höhe einmal abgesehen - hinter der Höhe des Hilflosenzuschusses zurückbleibe. Darin liege ja gerade der Sinn und das Wesen einer Pauschalierung als einer abgerundeten Gesamtabfindung.

Der erkennende Senat verweist diesbezüglich auf seine bereits begründete Rechtsansicht, daß nicht jede Hilflosigkeit, sondern nur ein besonderes Ausmaß derselben Anspruch auf Hilflosenzuschuß gibt, das mit dem Bedarf nach ständiger Wartung und Hilfe umschrieben und dann erreicht wird, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten mindestens so hoch sind wie der begehrte Zuschuß. Nur dann, wenn die Hilflosigkeit dieses besondere Ausmaß erreicht hat, steht der Anspruch zu, auf den dann allerdings der allenfalls höhere Grad der Hilflosigkeit keinen Einfluß hat. Das bedeutet, daß einem Pensionisten, der etwa wegen ständiger Bettlägerigkeit in einem außergewöhnlich hohen Maß der Wartung und Hilfe bedarf, deren Kosten mit demselben Pensionszuschuß abgegolten werden wie einem Pensionisten, der den durch die Hilflosigkeit bedingten Mehraufwand mit dem Hilflosenzuschuß gänzlich abdecken kann.

Daß ein Hilfloser ungeachtet den Hilflosenzuschuß weit übersteigender Mehrkosten keinen höheren Pensionszuschuß erhält, erscheint nicht mehr gerecht, als daß ein Pensionist, solange sein leidensbedingter Mehraufwand noch unter dem Maß des Hilflosenzuschusses bleibt, auf diesen Pensionszuschuß verzichten muß. Da der Gesetzgeber die erstgenannte Folge offensichtlich gewollt hat, kann ihm das auch hinsichtlich der zweitgenannten Konsequenz zugemutet werden (anders Kuderna aaO 300). Denn es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen von Hilfsbedürftigen in der Weise vornehmen wollte, daß er zwar den besonders Hilfsbedürftigen die entstehenden Kosten nur teilweise ersetzt, dafür aber den weniger Hilfsbedürftigen einen ihren Aufwand übersteigenden Betrag zubilligt. Daß in manchen Fällen wegen der Zunahme des Leidenszustandes ein Ausgleich eintreten kann (vgl Kuderna aaO 298), ändert daran nichts.

Daß mit derartigen Unterdeckungen allenfalls, insbesondere für Pensionisten mit geringen Pensionen, große Probleme verbunden sein können, ist bedauerlich. Dieses soziale Problem kann jedoch - jedenfalls nach der derzeitigen Rechtslage - mit dem von den Sozialversicherungsträgern zu gewährenden Hilflosenzuschüssen allein nicht gelöst werden. Das bedeutet aber nicht, daß solche Pensionisten deshalb schon dem "Verkommen" ausgesetzt wären, weil dies durch karitative Maßnahmen und nötigenfalls auch durch solche der Sozialhilfe verhindert werden kann.

Aus den genannten Gründen kann sich der erkennende Senat der Meinung Kudernas, der die Höhe des Betreuungsaufwandes übrigens ebenfalls als geeignetes Indiz für das Vorliegen des Begriffsmerkmals "ständig" ansieht, insoweit nicht anschließen, als er diesbezüglich nicht auf die durch die den Hilflosenzuschuß regelnden gesetzlichen Bestimmungen vorgezeichnete Höhe desselben, sondern auf eine angenommene "Geringfügigkeitsgrenze" von etwa 1.000 S abstellen möchte (aaO 301 f). Dies würde auch zu einem Widerspruch zur Hilflosenzulage nach dem PensionsG führen. Der Hilfsbedürftige würde nämlich nach den Sozialversicherungsgesetzen die Zulage in voller Höhe bereits zu einem Zeitpunkt erhalten, in dem er nach dem PensionsG noch nicht einmal die Stufe 1/ (Wartung und Hilfe zwar ständig, aber nicht täglich erforderlich) im Betrag von 1.704,30 S (ab 1.1.1986) erhalten könnte.

Selbst wenn man mit der Revisionswerberin davon ausginge, daß die gründliche Reinigung ihrer Wohnung nicht einmal pro Monat, sondern einmal pro Woche, das Einkaufen nicht zweimal, sondern dreimal pro Woche und die große Wäsche nicht einmal, sondern zweimal pro Monat zu besorgen wären, würden sich die Kosten der notwendigen Dienstleistungen gegenüber der nicht unrealistischen Schätzung des Erstgerichtes nicht wesentlich erhöhen, weil das dann häufigere Tätigwerden einer Haushaltshilfe zu einer jeweils kürzeren Einsatzzeit führen würde. Wird die gründliche Reinigung einer Wohnung nur einmal pro Monat vorgenommen, so erfordert sie einen größeren Zeitaufwand als die wöchentliche Wohnungsreinigung. Häufigere Einkäufe lassen sich in kürzerer Zeit durchführen als größere Einkäufe, durch die für längere Zeit vorgesorgt werden soll. Hinsichtlich der großen Wäsche ist zu berücksichtigen, daß diese von älteren Menschen insbesondere unter großstädtischen Verhältnissen üblicherweise nicht mehr selbst besorgt, sondern einer Wäscherei übergeben wird, so daß diesbezüglich nur die Zeit zu veranschlagen ist, die für den Transport der Wäsche zur und von der Wäscherei erforderlich ist. Diese Wege werden häufig mit Einkaufswegen verbunden werden können und keinen besonderen Zeitaufwand erfordern. Die Kosten der erforderlichen Dienstleistungen bleiben daher weit unter dem Maß, das auf eine Hilflosigkeit iS des § 105 a ASVG hinweisen würde (so auch 10 Ob S 155/88 und 10 Ob S 171/88). Deshalb war der Revision nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E16106

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00318.88.1122.000

Dokumentnummer

JJT_19881122_OGH0002_010OBS00318_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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