TE OGH 1988/11/22 10ObS264/88

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Veröffentlicht am 22.11.1988
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Sylvia Krieger (Arbeitgeber) und Werner Fendrich (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Friederike R***, Pensionistin, 1060 Wien, Köstlergasse 14/16, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 1988, GZ 33 Rs 59/88-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 4. Dezember 1987, GZ 12 Cgs 1045/87-22, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 15. November 1985 anerkannte die beklagte Partei den Anspruch der Klägerin auf Berufsunfähigkeitspension nach § 271 ASVG ab 1. September 1984 und setzte die Höhe der Leistung mit 11.734,70 S fest. Dieser Bemessung legte sie 135 ASVG - und 259 GSVG -, insgesamt 394 Versicherungsmonate und eine Bemessungsgrundlage von 19.137 S zugrunde, woraus sie den Grundbetrag (30 %) mit 5.741,10 S und den Steigerungsbetrag (31,25 %) mit 5.980,30 S ermittelte, wozu noch ein besonderer Steigerungsbetrag für Beiträge zur Höherversicherung von 13,30 S kam. Mit der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage machte die Klägerin die Zeiten vom 11. Juli 1939 bis 23. Oktober 1942, vom 1. Mai 1945 bis 1. März 1950 und vom 31. März bis 24. November 1951, in denen sie Verkäuferin bei Berta G*** gewesen sei, als weitere ASVG-Zeiten und die Zeit vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955, in der sie den Einzelhandel mit Obst und Gemüse mit dem Standort Wien 4, Naschmarkt Stand 445 geführt und die Gewerbeberechtigung RegZl 1256/Geb 4/5 innegehabt habe, als weitere (GSVG)Zeit geltend. Dieses Unternehmen sei früher von Ludwig R*** (auch R***, in der Folge mit L.R. abgekürzt), geboren 22. August 1899, betrieben worden, der durch die Kriegsereignisse abwesend gewesen sei, weshalb die Klägerin keinen eigenen Gewerbeschein erlangen habe können, sondern mit Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den 4. und 5. Bezirk vom 25. März 1952, RegZl 1256/g/IV/V als Geschäftsführerin für dieses Gewerbe, beschränkt auf den erwähnten Standort, bestellt worden sei. Sie sei in dieser Zeit Kammermitglied gewesen und habe die Kammerbeiträge geleistet, wobei die Grundumlagenvorschreibungen an sie persönlich ergangen seien. Da ihr der erwähnte Naschmarktstand vom Marktamt mit Schreiben vom 27. November 1951 zugewiesen worden sei, sei ihre selbständige Erwerbstätigkeit ab diesem Tag anzunehmen. Die Klägerin begehrte daher, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr gegenüber die vorgenannten Zeiten, insgesamt weitere 114 Monate als weitere Versicherungszeiten anzurechnen und der Pensionsberechnung zugrundezulegen. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Zu den behaupteten Selbständigen-Zeiten wendete sie unter Hinweis auf eine sie bindende Auskunft der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft ein, daß die Klägerin von Juli 1955 bis Dezember 1957 30 Beitragsmonate (Handelskammer-Altersunterstützungsgesetz) und von Jänner 1958 bis Jänner 1977 229 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe. Im Schriftsatz vom 21. Juli 1986 ergänzte die Klägerin, ihr Onkel L.R. sei 1951 als vermißt gemeldet worden, weshalb sie im Einvernehmen mit seinen Erben und ihrer Familie damals den frei gewordenen Naschmarktstand übernommen habe. Dieser Stand sei zunächst für den Abwesenden von ihrer Schwester (?) Maria G*** betrieben worden, die am 26. November 1951 auf das ihr mit Bescheid der MA 59/G 153/1949 zugestandene Recht zum Betrieb dieses Marktstandes unter der Bedingung verzichtet habe, daß dieses der Klägerin zuerkannt werde, und sich unter dieser Bedingung verpflichtet habe, ihr Gewerbe zurückzulegen. Daraufhin habe die Marktamtsleitung der Klägerin diesen Naschmarktstand unter der Bedingung zugewiesen, daß die entsprechende Gewerbeberechtigung und die Zustimmung des zuständigen Kuratorgerichtes nachgewiesen werde. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 27. November 1951, 8 P 457/48, sei die Klägerin anstelle Maria G*** zum Abwesenheitskurator (ihres Onkels) bestellt worden. Auf Grund eingehender Erhebungen sei der Klägerin der Marktstand 445 mit Bescheid vom 10. März 1952, MA 59-R 182/52, zugewiesen worden. Nach der damaligen Rechtslage habe die Klägerin das Gewerberecht nur als Geschäftsführerin ausüben können, da ihr Onkel noch nicht für tot erklärt gewesen sei und zwei Gewerbeberechtigungen für denselben Standort nicht möglich gewesen seien. Mit Bescheid vom 25. März 1952, MBA IV/V-R 80/1952, sei der Klägerin die Nachsicht von der Erbringung des kleinen Befähigungsnachweises erteilt worden. L.R. sei mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 29. April 1955, 48 T 785/54, für tot erklärt und der 31. Juli 1944 als der Tag bestimmt worden, den der Verschollene nicht überlebt habe. Seine Gewerbeberechtigung sei daher rückwirkend mit 31. Juli 1944 erloschen, was auch mit Bescheid vom 15. September 1955, MBA IV/V-Gew 1683/1/55, ausgesprochen worden sei. Damit sei auch die Geschäftsführerstellung der Klägerin weggefallen. Die Grundumlagenvorschreibungen und Zahlungen seien an bzw. durch die Klägerin persönlich vorgenommen worden, die auch beim Finanzamt eine eigene Steuernummer gehabt habe und zur Einkommenssteuer veranlagt gewesen sei.

Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft wies darauf hin, daß die Klägerin erst am 12. Juli 1955 eine eigene Gewerbeberechtigung erworben, bis dahin aber den Naschmarktstand als Abwesenheitskurator für den vermißten L.R. geführt habe. Das Erstgericht wies die Klage ab.

Hinsichtlich der Zeit vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955 traf es folgende Feststellungen:

Die Klägerin war in dieser Zeit selbständig im Einzelhandel mit Obst und Gemüse mit dem Standort Wien 4, Naschmarkt Stand 445, der vorher von ihrem kriegsverschollenen Onkel L.R. geführt worden war. Sie hatte ab 25. März 1952 die Gewerbeberechtigung 1256 g/IV/V als Geschäftsführerin für L.R. inne. Sie hatte den Stand am 24. November 1951 von Maria G***, der Tochter L.R.s, gegen eine Ablöse von 10.000 S übernommen. Ab 1956 besaß die Klägerin eine eigene Gewerbeberechtigung. Die Wiener Handelskammer gewährte ihr für die Zeit vom 1. Dezember 1951 bis 1955 die "faktische" Kammermitgliedschaft, weil dies für sie damals günstig war. Wegen des damals geltenden Untersagungsgesetzes konnte sie für den Stand ihres Onkels keine eigene Gewerbeberechtigung erhalten, solange dieser nicht für tot erklärt war. Die Grundumlagenvorschreibungen ergingen bis 1955 an die Klägerin.

In der rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht für diesen Zeitraum eine selbständige Tätigkeit.

Dagegen erhob die Klägerin Berufung wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung sowie unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, das erstgerichtliche Urteil im klagestattgebenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben. Hinsichtlich des Zeitraumes vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955 wurde nur die Rechtsrüge gesetzgemäß im wesentlichen dahin ausgeführt, daß die Klägerin in dieser Zeit das Gewerbe im eigenen Namen und auf eigene Gefahr und als "faktisches" Kammermitglied geführt habe. Es widerspreche dem Sinn der Sozialversicherung, wenn diese Tätigkeit weder als Versicherungszeit nach dem ASVG noch nach dem GSVG angenommen werden könnte.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Anrechnung der Zeit vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955 als weitere Versicherungszeit mit Teilurteil, hob es aber im übrigen mit Beschluß auf und verwies die Rechtssache insoweit zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Sein Teilurteil begründete es im wesentlichen damit, daß die Klägerin erst ab 1956 eine eigene Gewerbeberechtigung gehabt habe. Die Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Z 1 GSVG sei an die Mitgliedschaft in einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft geknüpft. Nach § 3 Abs 2 HandelskammerG seien alle physischen und juristischen Personen Mitglieder der Kammer der gewerblichen Wirtschaft, die zum selbständigen Betrieb von Unternehmungen des Gewerbes berechtigt seien. Diese Zwangsmitgliedschaft beginne in dem Augenblick, in dem die Berechtigung zur Ausübung des Gewerbes erworben werde, könne aber anders nicht erworben werden.

Gegen dieses Teilurteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, es unter Anerkennung der Zeit vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955 als weiterer Versicherungszeit abzuändern oder es aufzuheben.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt. Nach § 115 Abs 1 Z 2 GSVG sind als Beitragszeiten anzusehen Zeiten, für die Beiträge nach dem Handelskammer-Altersunterstützungsgesetz (HKAUG) BGBl 1953/115 idF BGBl 1955/188 bis 31. Dezember 1959 entrichtet worden sind. Nach § 116 Abs 1 Z 1 GSVG gelten, soweit sie nicht als Beitragszeiten anzusehen sind, als Ersatzzeiten nach Vollendung des 18. Lebensjahres im Gebiet der Republik Österreich zurückgelegte Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs 1 Z 1 und 2 und § 3 Abs 3 und 4, die bei früherem Wirksamkeitsbeginn der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes über die Versicherungspflicht die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz begründet hätte und während derer der Versicherte seinen Lebensunterhalt überwiegend aus dem Ertrag dieser Erwerbstätigkeit bestritten hat ... Für die Bemessung der Leistungen gelten in jedem vollen Kalenderjahr der Ausübung einer derartigen Erwerbstätigkeit bei Versicherten der Geburtsjahrgänge 1917 und später sechs Monate an Ersatzzeit als erworben; ein Rest von weniger als 12 Kalendermonaten der Ausübung einer derartigen Erwerbstätigkeit wird in der Weise berücksichtigt, daß für jeden restlichen Monat ein Zwölftel der für ein volles Kalenderjahr anzurechnenden Monate an Ersatzzeit als erworben gilt; ... Zeiten dieser Art gelten jedoch nach § 116 Abs 3 GSVG nur dann als Ersatzzeiten, wenn sie sich nicht schon im Bestand oder Ausmaß eines Leistungsanspruches aus einer anderen gesetzlichen Pensionsversicherung ausgewirkt haben.

Ersatzzeiten gemäß § 116 Abs 1 GSVG werden nach dessen Abs 5 nur mit vollen Kalendermonaten gezählt. Ist die Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Zeit als Ersatzzeit im Sinne des Abs 1 in einem Kalendermonat nicht während des vollen Monates gegeben, so wird dieser Kalendermonat nicht als Ersatzzeit gezählt. Nach § 2 Abs 1 GSVG sind auf Grund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung pflichtversichert:

1. die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft; 2. die Gesellschafter einer OHG und die persönlich haftenden Gesellschafter einer KG, sofern diese Gesellschaften Mitglied einer der in Z 1 bezeichneten Kammern sind; ...

Die im § 116 Abs 1 Z 1 GSVG bezogenen Bestimmungen des § 3 Abs 3 und 4 leg cit beziehen sich auf die Teilversicherung von Angehörigen verschiedener Berufsgruppen in der Pensionsversicherung, denen die Klägerin in der fraglichen Zeit nicht angehört hat. Nach § 6 Abs 3 Z 1 GSVG beginnt die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bei den im § 2 Abs 1 Z 1 genannten pflichtversicherten Kammermitgliedern mit dem Tag der Erlangung einer die Pflichtversicherung begründenden Berechtigung. Aus der zitierten Gesetzeslage ist für den vorliegenden Fall abzuleiten:

Die Zeit vom 26. November 1951 bis 12. Juli 1955 kann schon deshalb keinerlei Beitragszeit im Sinne des § 115 Abs 1 Z 2 GSVG sein, weil dafür - wie die Klägerin in der Tagsatzung vom 4. Dezember 1987 selbst ausgesagt hat - keine Beiträge entrichtet worden sind (Protokoll-ON 21 Protokoll-Seite 5 AS 75). Die Zeiten vom 26. bis 30. November 1951 sowie vom 1. bis 12. Juli 1955 können schon deshalb nicht als Ersatzzeiten im Sinne des § 116 Abs 1 Z 1 GSVG gelten, weil als solche nur volle Kalendermonate gezählt werden.

Die verbleibende Zeit vom 1. Dezember 1951 bis 30. Juni 1955 könnte nur dann als Ersatzzeit nach § 116 Abs 1 Z 1 GSVG gelten, wenn es sich dabei um die Zeit einer selbständigen Erwerbstätigkeit als Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft gehandelt hätte, während der die Klägerin ihren Lebensunterhalt überwiegend aus dem Ertrag dieser Erwerbstätigkeit bestritten hätte. Selbst wenn man die letztgenannte Voraussetzung annehme, müßten die ersten beiden Voraussetzungen aus folgenden Gründen verneint werden:

Aus dem Bescheid der MA 59-Marktamt im selbständigen Wirkungsbereich vom 10. März 1952, MA 59-R 182/52, und aus dem Bescheid des Magistratischen Bezirksamtes für den IV./V. Bezirk im staatlichen Wirkungsbereich vom 25. März 1952, MBA IV/V-R 80/52, RegZl 1256/g/IV/V, ergibt sich, daß der Klägerin mit dem ersten Bescheid der Marktstand 445 auf dem Naschmarkt zur Ausübung des Kleinhandels mit Obst und Gemüse als Geschäftsführerin für die Dauer der Abwesenheit des L.R. zugewiesen wurde und daß mit dem zweiten Bescheid die Bestellung der Klägerin als Stellvertreter (Geschäftsführer) für das von L.R. im Standort Wien 4 Naschmarktstand 445 betriebene Gewerbe Einzelhandel mit Obst und Gemüse, unter Nachsicht vom Befähigungsnachweis gemäß § 13 d Abs 2 GewO und daher beschränkt auf den genannten Standort gemäß § 3 Abs 1, § 55 GewO zur Kenntnis genommen wurde.

§ 55 der damals geltenden Gewerbeordnung vom 20. Dezember 1859 RGBl 227 lautete in der damaligen Fassung:

"(1) Jeder Gewerbetreibende kann sein Gewerbe auch durch einen Stellvertreter (Geschäftsführer) ausüben oder dasselbe verpachten...

(2) Ein Stellvertreter (Geschäftsführer) oder Pächter muß immer gleich dem Gewerbeinhaber selbst, die für den selbständigen Betrieb des betreffenden Gewerbes erforderlichen Eigenschaften besitzen. Der Wohnsitz des Stellvertreters (Geschäftsführers) muß derart gelegen sein, daß die Möglichkeit der entsprechenden Betätigung im Gewerbebetrieb gesichert ist. Es ist daher bei freien, gebundenen und handwerksmäßigen Gewerben der Stellvertreter (Geschäftsführer) oder Pächter von dem Gewerbeinhaber der Gewerbebehörde anzuzeigen... Wenn es sich um ein an den Befähigungsnachweis gebundenes Gewerbe handelt, gelten sinngemäß die Vorschriften des § 13 c ... Damit ist klargestellt, daß die Klägerin damals keine selbständige Erwerbstätigkeit ausübte, weil sie diese Tätigkeit nicht auf eigene Rechnung und Gefahr ausübte, sondern gewerberechtlich als Stellvertreter (Geschäftsführer), zivilrechtlich als gerichtlich bestellte und daher dem Gericht verantwortliche Abwesenheitskuratorin des verschollenen Gewerbeberechtigten L.R.

Als Abwesenheitskuratorin hatte die Klägerin unter anderem das übernommene Vermögen des Abwesenden mit aller Aufmerksamkeit eines redlichen und fleißigen Hausvaters zu verwalten und für ihr Verschulden zu haften (§ 282 iVm § 228 ABGB aF), in allen Geschäften, welche nicht zu dem ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehörten und welche von größerer Wichtigkeit waren, nichts ohne gerichtliche Einwilligung vorzunehmen, so daß sie unter anderem das Gewerbe ohne gerichtliche Genehmigung weder fortsetzen noch aufheben konnte (§ 282 iVm dem durch Art I Z 40 KindG aufgehobenen § 233 ABGB), und dem Gericht über die ihr anvertraute Verwaltung Rechnung zu legen (§ 282 iVm § 238 ABGB aF).

Deshalb wurde die Klägerin zB im Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 27. November 1951, 8 P 457/48-7, mit dem sie zur Abwesenheitskuratorin bestellt wurde, aufgefordert, binnen vier Monaten über den Geschäftsgang zu berichten.

Deshalb erklärte die Marktamtsleitung Naschmarkt am selben Tag, daß der Klägerin der Naschmarktstand 445 des vermißten L.R. zugewiesen werde, wenn die entsprechende Gewerbeberechtigung und die Zustimmung des zuständigen Kuratorgerichtes erfolge. Die Klägerin war aber in der fraglichen Zeit auch nicht Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft.

Nach § 3 Abs 2 des HandelskammerG (HKG) BGBl 1946/182 in der damals geltenden Fassung waren Mitglieder jeder Kammer der gewerblichen Wirtschaft alle physischen und juristischen Personen sowie offene Handelsgesellschaften (Kommanditgesellschaften), die zum selbständigen Betrieb von Unternehmungen des Gewerbes, der Industrie, des Handels, des Geld-, Kredit- und Versicherungswesens, des Verkehrs und des Fremdenverkehrs berechtigt waren. Es handelte sich daher um eine Zwangsmitgliedschaft, die unabhängig von Erklärungen auch der Kammer nur vorlag, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen gegeben waren. Daß Erklärungen der Kammer keine rechtsbegründende Wirkung hatten, ergibt sich auch aus den Bestimmungen des Handelskammermitgliedergesetzes (HMG) BGBl 1947/161. Nach § 2 Abs 1 Satz 2 leg cit hatten die Landeskammern den Mitgliederkataster zu berichtigen und zu ergänzen. Nach Satz 3 dieser Gesetzesstelle bilden jedoch die Eintragungen des Katasters keinen Beweis über den Rechtsbestand der ausgewiesenen Berechtigung (zur Ausübung der gemeldeten Tätigkeit). Im Sinne dieser gesetzlichen Regelungen war daher in der fraglichen Zeit immer nur der verschollene L.R., aber nicht die Klägerin als seine gewerberechtliche Stellvertreterin (Geschäftsführerin) und zivilrechtliche Abwesenheitskuratorin zum selbständigen Betrieb einer Unternehmung des Handels berechtigt und damit Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft. Weil es nach den zitierten Bestimmungen sowohl für die Begründung der Kammermitgliedschaft als auch der Versicherungspflicht nicht auf den (faktischen) selbständigen Betrieb eines Unternehmens, sondern auf die Berechtigung zum selbständigen Betrieb eines Unternehmens ankommt, wurde die fragliche Zeit vom Berufungsgericht auf Grund des zu dieser Beurteilung ausreichend festgestellten Sachverhaltes ohne Rechtsirrtum nicht als Versicherungszeit nach dem GSVG gewertet. Daß L.R. mit Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 29. April 1955, 48 T 785/54-10, für tot erklärt und der 31. Juli 1944 als der Tag des vermuteten Todes angegeben wurde, begründet zwar nach § 9 Abs 1 und 4 TEG die Vermutung, daß der Verschollene am Ende dieses Tages gestorben ist, ändert aber nichts an den obigen Ausführungen.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Anmerkung

E16460

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00264.88.1122.000

Dokumentnummer

JJT_19881122_OGH0002_010OBS00264_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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