Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 23.November 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Bogensberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Jean Luc G*** wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Strafverfügung des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 18.Februar 1988, GZ 3 U 78/88-3, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kodek, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Die gegen Jean Luc G*** erlassene Strafverfügung des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 18.Februar 1988, GZ 3 U 78/88-3, verletzt das Gesetz in der Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO. Diese Strafverfügung wird aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht Kitzbühel die Einleitung des ordentlichen Verfahrens aufgetragen.
Text
Gründe:
Mit der oben angeführten - in Rechtskraft
erwachsenen - Strafverfügung wurde dem am 7.März 1967 geborenen belgischen Staatsangehörigen Jean Luc G*** angelastet, am 22. Dezember 1987 in Waidring im Schigebiet der Steinplatte auf der Kammerköhrabfahrt durch Außerachtlassen der gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit, wodurch er den "stehenden" Schifahrer Markus P*** anfuhr, und niederstieß, P*** fahrlässig am Körper verletzt zu haben, wobei dieser eine Nasenprellung, eine Prellung des rechten Ober- und Unterschenkels sowie Abschürfungen an der Oberlippe und der Stirn erlitt. Für das hiedurch begangene Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB wurde über G*** - der bei dem Vorfall selbst schwer verletzt worden war (S 19) - eine gemäß § 43 StGB unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehene Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 S (Ersatzfreiheitsstrafe 15 Tage) verhängt. Das Verfahren gegen (den deutschen Staatsangehörigen) Markus P*** wurde über Antrag des Bezirksanwaltes mit Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 15. Februar 1988 gemäß § 90 StPO eingestellt (S 1). Die Strafverfügung stützt sich der Sache nach auf die Angaben des von der Gendarmerie niederschriftlich vernommenen Markus P***, denen allerdings gar nicht entnommen werden kann, daß er zum Zeitpunkt des Zusammenpralls "gestanden" ist. Jean Luc G***, dessen niederschriftliche Einvernahme nach Angaben der Gendarmerie wegen seines Krankenhausaufenthaltes nicht möglich war und der überdies nach dem Vorbringen (seines Vaters) im verspätet erhobenen (als Berufung bezeichneten) Einspruch "kein Deutsch versteht" (S 45), gab (mündlich) an, er sei bei einer Gabelung der Abfahrt gestanden und von P*** niedergestoßen worden (S 14).
Rechtliche Beurteilung
Die Erlassung einer Strafverfügung gegen Jean Luc G*** verstieß unter den gegebenen Umständen gegen die Bestimmung des § 460 Abs. 1 StPO, weil die sachlichen Voraussetzungen für ein Mandatsverfahren nicht gegeben waren. Nach der bezeichneten Verfahrensvorschrift ist die Erlassung einer Strafverfügung nur dann zulässig, wenn (ua) der Beschuldigte von einer Behörde oder von einem Sicherheitsorgan auf Grund eigener dienstlicher Wahrnehmung oder eines Geständnisses angezeigt wird oder die durchgeführten Erhebungen zur Beurteilung aller für die Entscheidung maßgebenden Umstände ausreichen; keine von diesen Voraussetzungen liegt im gegebenen Fall vor. Der gravierendste Mangel liegt in diesem Zusammenhang darin, daß der das ganze Strafverfahren beherrschende Grundsatz des beiderseitigen Gehörs nicht gewahrt und die Strafverfügung erlassen worden war, ohne daß Jean Luc G*** von der Gendarmerie oder vom Gericht einvernommen worden wäre. Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung - die eine notwendige Voraussetzung für die Erlassung einer Strafverfügung betrifft, deren Beurteilung nach einhelliger Rechtsprechung der freien Beweiswürdigung des Gerichtes entrückt ist, sodaß sie einer Anfechtung gemäß § 33 Abs. 2 StPO zugänglich ist (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 § 460 ENr. 9) - dem Jean Luc G*** zum Nachteil gereicht, war in Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E15615European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0140OS00168.88.1123.000Dokumentnummer
JJT_19881123_OGH0002_0140OS00168_8800000_000