TE OGH 1988/12/15 6Ob684/88

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Veröffentlicht am 15.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann R***, geboren am 22. April 1939, Bürokaufmann, 9020 Klagenfurt, Ramsauerstraße 13, vertreten durch Dr. Siegfried Rack, Rechtsanwalt in Völkermarkt, wider die beklagte Partei Marianne Elisabeth R***, geboren am 5. März 1955 in Krumpendorf, Hausfrau, 9020 Klagenfurt, Feuerbachgasse 24, vertreten durch Dr. Anton Mikosch, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 8. März 1988, GZ 6 R 14/88-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 4. November 1987, GZ 27 Cg 75/87-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 308,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 21.September 1985 vor dem Standesamt Klagenfurt die für den Kläger zweite, für die Beklagte vierte Ehe geschlossen. Ihr entstammt der am 22.Oktober 1985 geborene Sohn Christian. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz hatten sie in Klagenfurt, Feuerbachgasse 24. Der Kläger verließ die Ehewohnung endgültig am 20. Juli 1987.

Der Kläger begehrte mit der am 26.August 1986 zu Protokoll gegebenen Klage die Scheidung der Ehe aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten. Er brachte vor, die Beklagte behandle ihn lieblos. Sie beschimpfe ihn ständig und demütige ihn wegen des bestehenden Altersunterschiedes sowie wegen seines körperlichen Gebrechens. Außerdem werde er von ihr des öfteren geschlagen und sie habe auch schon Morddrohungen gegen ihn ausgestoßen. Die Beklagte vernachlässige gröblichst die Haushaltsführung. Sie schlafe täglich bis gegen 10 bis 11 Uhr vormittags, gehe abends häufig weg und treibe sich dann in Gasthäusern und Lokalen herum, von wo sie erst nach Mitternacht nach Hause komme. Sie verleumde den Kläger und mache ihn bei seiner Dienststelle schlecht, verbiete ihm den Umgang mit dem Sohn und halte diesen von ihm fern.

Nach zweimaligem Eintritt des Ruhens des Verfahrens am 21. Oktober 1986 und am 15.Mai 1987 hielt der Kläger jeweils die von ihm geltend gemachten Eheverfehlungen der Beklagten mit der Behauptung aufrecht, die Beklagte sei wieder in ihr altes Verhalten zurückgefallen. Schließlich machte er noch geltend, die Beklagte habe in diversen Zeitungen Heiratsannoncen aufgegeben und eine entsprechende Korrespondenz mit fremden Männern geführt (ON 16, AS 53).

Die Beklagte bestritt die ihr zur Last gelegten Eheverfehlungen. Sie brachte vor, der Kläger sei mit finanziellen Zuwendungen ihr gegenüber von allem Anfang an sehr zurückhaltend gewesen. Im August 1986 sei es deswegen zu einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf sie wegen des Hinweises des Klägers, er sei "kein Wettbüro", die Nerven verloren, ihn mit Orangensirup angespritzt und ihm eine Ohrfeige gegeben habe. Im September 1986 habe der Kläger weder für sie noch für den Sohn Unterhalt bezahlt. Er strebe die Ehescheidung nur deshalb an, weil er seinen finanziellen Verpflichtungen nicht nachkommen wolle. Die Beklagte habe ein Inserat zu einem Zeitpunkt aufgegeben, als sie der Kläger verlassen habe, sie habe sich aber mit keinem der Briefschreiber getroffen.

Während das Erstgericht das Scheidungsbegehren des Klägers abwies, gab ihm das Berufungsgericht nach Beweiswiederholung statt und schied die Ehe aus dem Verschulden der Beklagten; zugleich wies es den erstmals im Zuge des Berufungsverfahrens von der Beklagten gestellten Mitschuldantrag zurück. Das Gericht zweiter Instanz ging im angefochtenen Urteil von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:

Die Beklagte hat ihre erste Ehe am 14.Dezember 1974 geschlossen. Ihr entstammt die am 20.November 1975 geborene Tochter Christine O***. Diese Ehe wurde bereits mit Urteil des Erstgerichtes vom 12. Jänner 1976 aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Eheleute geschieden, weil diese einander lieblos behandelten und sich nicht umeinander kümmerten, sondern ihre eigenen Wege gingen. Am 23.Februar 1980 heiratete die Beklagte zum zweiten Mal. Diese Ehe wurde mit Urteil des Erstgerichtes vom 24.März 1981 aus dem beiderseitigen Verschulden mit dem Ausspruch geschieden, daß das Verschulden des Ehemannes überwiege. Dieser hatte mit seiner Scheidungsklage der Beklagten unter anderem vorgeworfen, sie habe sich ihm gegenüber sonderbar benommen. Sie fahre fast täglich mit einem Auto in den Abendstunden weg und kehre erst spät abends oder in den Morgenstunden zurück. Ihrer gewohnheitsmäßigen Korrespondenz mit allen möglichen Leuten sei zu entnehmen, daß sie es mit der ehelichen Treue nicht genau nehme. In der Folge schränkte der Mann die von ihm geltend gemachten Scheidungsgründe auf den Vorwurf des lieblosen Verhaltens der Beklagten ein und diese hielt ihm als Mitschuld entgegen, daß er sie grundlos verlassen habe. In diesem Sinne lauteten schließlich auch die erstgerichtlichen Feststellungen. Am 23.August 1982 schloß die Beklagte ihre dritte Ehe, welche mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 3.August 1984 aus dem gleichteiligen Verschulden beider Eheleute geschieden wurde, nachdem beiderseits die geltend gemachten Eheverfehlungen auf gegenseitige Beschimpfungen und Auseinandersetzungen eingeschränkt und ein Vergleich geschlossen worden war, mit welchem die Beklagte unter anderem auf jeden Unterhalt verzichtet hat. Der dritte Ehemann hatte der Beklagten mit seiner bereits zwei Monate nach der Eheschließung eingebrachten Scheidungsklage unter anderem vorgeworfen, sie habe sich nach der Eheschließung grundlos geändert und sei "einfach wie ausgewechselt". Sie benehme sich immer sonderbarer, lehne geschlechtliche Beziehungen zu ihm ab, schlafe tagsüber stundenlang und sei zur Haushaltsführung nicht mehr bereit. Die Beklagte habe einen weiteren - möglicherweise aber nur

vorgetäuschten - Selbstmordversuch unternommen und dem Kläger ihre bisherigen Aufenthalte in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt vor der Eheschließung verschwiegen. Auch habe sie Heiratsinserate aufgegeben und sich mit fremden Männern getroffen. Sie sei bis in die Morgenstunden in verschiedenen Lokalen unterwegs, manisch und deswegen wiederum in stationärer Behandlung.

Im Zuge jenes Scheidungsverfahrens untersuchte der bestellte Sachverständige Dr. Reinhard H***, ein Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, die Beklagte zur Frage, ob ihr Verhalten etwa als Ausdruck einer Geisteskrankheit oder einer geistigen Störung anzusehen sei, wodurch dieses nicht als schuldhafte Eheverfehlung beurteilt werden könne. In seinem Gutachten vom 12.Juli 1984 gelangte der Sachverständige zum Ergebnis, daß die Verhaltensstörungen bei der Beklagten immer nach einem entsprechenden Anlaß aufträten. Insgesamt bestehe bei ihr eine Charaktervariation im Sinne einer hyperthymen, verstimmbaren, hysteriform reagierenden Persönlichkeit, wobei die Abweichung von der Norm weniger in dem Merkmal an sich, als in dessen Prägnanz und Dominanz bestehe. Die Verhaltensauffälligkeiten der Beklagten seien nicht als Folge einer Geisteskrankheit oder geistigen Störung zu werten; ihr Verhalten müsse vielmehr im Zusammenhang mit ihrer Persönlichkeit und der jeweiligen Konfliktsituation beurteilt werden. Durch ihre Charakterauffälligkeiten sei ihr Verhalten zweifellos begünstigt worden, es sei aber dadurch keineswegs ihre normale Urteilsfähigkeit aufgehoben. Die mehrfachen Selbstmordversuche der Beklagten sowie der Umstand, daß sie trotz aufrechter Ehe Heiratsannoncen aufgegeben und sich auch ansonsten in mehrfacher Weise nicht ehegerecht verhalten habe, könne ihr somit als Verschulden zugerechnet werden, weil diese Verhaltensweisen nicht Einfluß einer Geisteskrankheit oder einer geistigen Störung im eigentlichen Sinne seien.

Dem Sachverständigen gegenüber hatte sich die Beklagte als psychisch völlig gesund und ihre verschiedenen Verhaltensstörungen als normale, manchmal allerdings etwas heftig ausgefallene Reaktionen, bezeichnet. Auf ihre Liebesaffären angesprochen, hatte sie gemeint, sie sei immer an die falschen Männer geraten, mit denen sie sich auch sexuell nicht verstanden habe, weshalb sie diese Dinge außerhalb der Ehe gesucht und meist auch gefunden habe. Zu ihren Heiratsannoncen meinte sie, es sei doch ein ganz normales Verhalten, wenn man mit dem Ehemann keine Zukunft mehr sehe und keine andere Möglichkeit habe, Menschen kennenzulernen, daß man dann Heiratsannoncen aufgebe. Ihr (dritter) Ehemann habe sie nie ausgehen lassen, eingesperrt und geschlagen, wenn sie allein ausgegangen sei, sodaß ihr nur dieser Weg übrig geblieben sei. Ihre Selbstmordversuche bezeichnete die Beklagte gegenüber dem Sachverständigen als durchwegs "demonstrativ", sie habe kein einziges Mal wirklich sterben, sondern durch diese Suizidhandlungen bloß den Ehemann zum Nachdenken bringen wollen, also zur Einsicht, daß man keine Frau so - wie er es getan habe - behandeln könne. Ihr Ehemann habe sie nämlich immer gefühllos und kalt, rücksichtslos und sehr demütigend behandelt, weshalb sie sich entschlossen habe, ihn durch einen "Suizidappell wachzurütteln". Für sie sei es besonders wichtig gewesen, die Reaktion ihres (dritten) Ehemannes auf ihre Selbstmordversuche zu beobachten, weshalb sie - um seine Betroffenheit zu verstärken - Abschiedsbriefe und manchmal auch ein Testament hinterlassen habe. Sie habe sich dabei gedacht, daß er dieses lesen und ihm dann alles leid tun werde. Tatsächlich habe sie aber kein einziges Mal wirklich sterben wollen und kein einziges Mal in einem Zustand der Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit oder etwa unter dem Einfluß eines imperativen Suiziddranges gehandelt. Ihre Selbstmordversuche hätten vielmehr den Charakter einer Protesthandlung, aber auch eines Hilfeschreies, gehabt. Nach dieser dritten Ehescheidung lernte die Beklagte anfangs des Jahres 1985 den nahezu um 16 Jahre älteren Kläger kennen, der seit seinem 8. Lebensjahr wegen eines steifen Knies körperbehindert ist. Die Beklagte wurde bald schwanger und drängte auf eine rasche Eheschließung. Sie erklärte dem Kläger gegenüber, daß jeweils ihre früheren Ehemänner an der Scheidung schuld gewesen wären. Die Beklagte zog in die vom Kläger bewohnte Dienstwohnung in der Feuerbachgasse 24 in Klagenfurt ein, wo zunächst ein durchaus harmonisches Leben zwischen den Streitteilen stattfand, sodaß sich der Kläger ca. ein Monat vor der Entbindung der Beklagten zur Ehe mit ihr entschloß, obwohl er wußte, daß sie bereits drei Mal vorher verheiratet gewesen war. Die Beklagte brachte ihre damals 10-jährige Tochter Christine in die Ehe mit.

Im Zusammenhang mit der Geburt des Sohnes Christian befand sich die Beklagte in der Zeit vom 19.Oktober bis 30.Oktober 1985 im Krankenhaus. Nach ihrer Rückkehr mußte der Kläger eine auffallende psychische Veränderung an seiner Frau feststellen. Hatte diese bis zur Eheschließung und auch noch bis zu ihrer bald darauf folgenden Entbindung für den Kläger und den Haushalt ordnungsgemäß gesorgt, insbesondere das Essen für den Kläger zubereitet, so tat sie dies in der Folge nur noch sporadisch. Sie verließ abends die Wohnung, kam erst spät in der Nacht nach Hause und verhielt sich dem Kläger gegenüber ausgesprochen lieblos. Dies veranlaßte den Kläger zur Einbringung seiner (ersten) Ehescheidungsklage gegen die Beklagte am 26. November 1985 (27 Cg 382/85 des Erstgerichtes), worauf die Beklagte am 10.Dezember 1985 eine Widerklage erhob (27 Cg 397/85 des Erstgerichtes). Die Streitteile begehrten jeweils die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des anderen Teiles. Der Kläger lastete der Beklagten die Verweigerung der Essenszubereitung und das grundlose Verlassen der Ehewohnung in den Abendstunden an, die Beklagte warf dem Kläger vor, er tue alles, um ihr das Zusammenleben zu verleiden, indem er etwa stets die Heizung abdrehe, ihr und dem gemeinsamen Kind keinen Unterhalt reiche, dem Alkohol zuspreche und sie in Gegenwart ihrer Tochter beschimpfe.

Tatsächlich hatte aber die Beklagte ihr Verhalten seit Allerheiligen 1985 erheblich geändert. Sie fragte den berufstätigen Kläger, warum er nicht für sich selbst koche, begann täglich abends, etwa ab 22 Uhr fortzugehen, um erst gegen 3 Uhr morgens in die Ehewohnung zurückzukehren und den Kläger grundlos - etwa mit dem Ausdruck "Drecksau" - zu beschimpfen, ihn auch öfters mit kaltem Wasser anzuschütten und ihn wegen seiner Körperbehinderung zu demütigen. Im November oder Dezember 1985 richtete die Beklagte zwar eine Schüssel mit Erdäpfeln und Salat für den Kläger auf dem Wohnzimmertisch her, verließ jedoch dann die Wohnung und brachte zuvor an der Türe einen Zettel mit der Aufschrift: "Für das Schwein, das Fressen ist im Wohnzimmer auf dem Tisch" an. Zur selben Zeit bedrohte die Beklagte den Kläger auch mit dem Umbringen. Am Heiligen Abend des Jahres 1985 warf sie den Christbaum, eine Küchenwaage, ihre Schuhe und Kleidungsstücke vom Balkon der Ehewohnung aus hinunter, nachdem sie dort stehend erklärt hatte, sie sehe die Wüstensonne, sie sei die Mutter von Udo J***, der jetzt mit einem Flugzeug herangeflogen komme. Daraufhin verständigte der Kläger die Polizei, welche die Einweisung der Beklagten in die psychiatrische Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt - insgesamt bereits zum vierten Mal in ihrem Leben - veranlaßte.

Bei ihrer Einweisung war die Beklagte unruhig, schwankend, redselig, im Gedankengang zerfahren. Sie meinte etwa, die "K***" habe den Strom abgeschaltet, damit die "Huren" arbeiten könnten. Sie habe ihrem Sohn kein Essen mehr gegeben, weil Opium darin gewesen sei. Sie bediente sich überhaupt ordinärer Ausdrücke, betitelte das Personal mit Schimpfworten und drohte auch, aggressiv zu werden. Die Beklagte zeigte keine Krankheitseinsicht, war abends bettflüchtig und mußte in ein Schutzbett gebracht werden. Sie erklärte, sie sei das dritte Mal verheiratet, ihr Mann - also der Kläger - sei krankhaft eifersüchtig und gegen sie gewalttätig geworden, derzeit sei ein Scheidungsverfahren anhängig. Nach ihren Behauptungen fühlte sie sich geistig gesund. Sie erklärte, sie habe viele Psychiater gekannt, habe auch von Udo J*** eine Tochter gehabt und wisse nicht, warum sie im Krankenhaus sei. Zusammenfassend wies die Beklagte Ende 1985 in der stationären Behandlung ein euphorisches bis gereiztes Zustandsbild auf, war im Gedankengang zerfahren mit paranoiden Bedeutungs-, Beeinträchtigungs-, Beziehungs- und Verfolgungsideen und halluzinierte sichtbar.

Der Kläger besuchte die Beklagte nach den ersten 10 Tagen ihres Aufenthaltes täglich in der Anstalt. Sie wurde im Februar 1986 am Rosenmontag entlassen und kehrte zu ihm in die Ehewohnung zurück. Dort kam es in der Folge zu einem einigermaßen gedeihlichen Zusammenleben bis zum 20.August 1986. Bereits mit einstweiliger Verfügung vom 17.Dezember 1985 war dem Kläger aufgetragen worden, an die Beklagte einen einstweiligen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 7.000,-- und für den Sohn einen solchen von S 1.500,-- monatlich zu leisten, nachdem es nach der Eheschließung zwischen den Streitteilen diesbezüglich Differenzen gegeben und der Kläger der Beklagten einen zu geringen Unterhaltsbeitrag geleistet hatte. Die Beklagte war nicht berufstätig und verfügte über kein eigenes Einkommen. Sie hatte vom Kläger nur im Dezember 1985 einmal S 6.000,-- erhalten, obwohl dieser damals außer seinem monatlichen Nettoeinkommen von S 16.000,-- (14 x jährlich) auch noch Mieteinnahmen von monatlich S 10.000,-- brutto erzielte. Die Beklagte hatte in die Ehe einen Betrag von S 60.000,-- eingebracht und angesichts der unzureichenden Alimentierung durch den Kläger teilweise schon vorher und am Beginn der Ehe Teile dieses Vermögens zur Abdeckung ihres Lebensbedarfes verwendet. Sie hatte jedoch vor der Eheschließung nicht darauf gedrungen, daß ihr der Kläger anständig Unterhalt leiste. Der Kläger war schon damals Eigentümer eines von ihm mit Hilfe von Krediten errichteten Hauses in der Ramsauerstraße 13, welches er zum Teil vermietet hatte. Als Ausdruck des vorübergehend verbesserten Zusammenlebens der Streitteile ab Mitte Februar 1986 leistete der Kläger den ihm auferlegten Unterhalt und die Streitteile unternahmen im Mai 1986 eine Urlaubsreise nach Monaco. Zwischen dem 16. und 25.Juni 1986 befand sich die Beklagte jedoch wiederum wegen eines Selbstmordversuches in der psychiatrischen Abteilung des Landeskrankenhauses Klagenfurt. Das Eheleben wurde weiters auch durch die immer noch anhängigen beiden Scheidungsverfahren getrübt, in deren Verlauf Verhandlungen - so auch am 11.Juli 1986 mit einer ausführlichen Parteienvernehmung des Klägers - stattfanden. Am 11. Juli 1986 nahm die Beklagte ihre Widerklage und am 17.Juli 1986 nahm der Kläger seine Scheidungsklage zurück, was vom Erstgericht mit Beschluß vom 8.August 1986 zur Kenntnis genommen wurde. Schon Ende Juli 1986 begann aber die Beklagte wiederum fast täglich in den Abendstunden auszugehen, wobei sie dem Kläger erklärte, sie müsse etwas essen gehen oder ihre Schwester besuchen. Zweimal wöchentlich kam die Beklagte erst gegen 2 Uhr morgens in die Ehewohnung zurück. Die Vorhaltungen des Klägers, sie möge doch zu Hause bleiben, waren fruchtlos. Damals erklärte ihm die Beklagte auch, sie nabe nichts zu verlieren, sie werde sich selbst verletzen und dann den Kläger anzeigen, also ihn der Täterschaft beschuldigen. Alle diese Umstände veranlaßten den Kläger schließlich, am 20.August 1986 das erste Mal von der Beklagten wegzuziehen, nachdem sie ihn im Zuge einer wörtlichen Auseinandersetzung, bei der es wiederum um Unterhaltsprobleme gegangen war, mit Orangensirup angespritzt und ihm eine Ohrfeige versetzt hatte.

Nach Einbringung der vorliegenden Ehescheidungsklage kehrte der Kläger im Oktober 1986 zur Beklagten zurück, um nochmals den Versuch zu unternehmen, mit ihr und dem Kind ein gemeinsames Leben zu führen. Die nun folgende Zeit von Oktober 1986 bis Februar 1987 war in der relativ kurzen Ehe der Streitteile die verhältnismäßig harmonischste. Der Kläger hatte sich bereits im Zuge dieses Ehescheidungsverfahrens mit Vergleich vom 9.September 1986 verpflichtet, der Beklagten und seinem Kind für die Dauer des Verfahrens einen Unterhaltsbeitrag von zusammen S 6.500,-- monatlich zu leisten und darüber hinaus auch sämtliche mit dem Betrieb der Ehewohnung verbundenen Kosten zu bezahlen. Mit Rücksicht auf die Besserung der Verhältnisse in der Ehe ab Oktober 1986 trat auch im vorliegenden Rechtsstreit am 21.Oktober 1986 Ruhen des Verfahrens ein.

Im Februar 1987 verschlechterten sich aber wiederum die Beziehungen zwischen den Streitteilen. Die Beklagte begann abermals - anspielend auf den Altersunterschied und sein Körpergebrechen -, den Kläger zu beschimpfen, und zwar mit Ausdrücken wie "altes Schwein", "Krüppel", "Sau", "Hurentreiber". Schließlich zog der Kläger Ende Februar 1987 zum zweiten Mal aus der Ehewohnung aus, weil er es mit der Beklagten micht mehr aushielt und diese insbesondere auch wiederum damit begann, abends allein die Wohnung zu verlassen.

In der Folge versuchte die Beklagte, mit dem Kläger neuerlich Kontakte anzuknüpfen und ihn dazu zu bewegen, doch wieder in die Ehewohnung zu ihr und dem Kind zurückzukehren. Sie entschuldigte sich für ihre Verfehlungen und versprach abermals, sich zu bessern, insbesondere eine ordentliche Hausfrau zu sein. Der Kläger nahm daraufhin im Mai 1987 die Ehegemeinschaft mit der Beklagten wieder auf und schlug ihr vor, das gegenständliche Scheidungsverfahren "vorerst einige Monate bis 1.September 1987 ruhen zu lassen". Die Haushaltsgemeinschaft der Streitteile dauerte aber nur ca. ein Monat. Bereits am 9.Juni 1987 zog der Kläger - somit zum dritten Mal - aus der Ehewohnung aus, weil die Beklagte ihr Verhalten entgegen ihrer Versprechungen nicht geändert, sondern ihn wiederum in der beschriebenen Weise beschimpft hatte.

Ende Juni/Anfang Juli 1987 zog der Kläger noch einmal zur Beklagten, weil er einen letzten Versuch zur Aufnahme und Fortsetzung der Wohngemeinschaft mit ihr unternehmen wollte. Diese währte jedoch nur bis zum 20.Juli 1987, als der Kläger zum vierten Mal - und diesmal endgültig - von der Beklagten fortzog. Anlaß für diese faktisch endgültige Trennung war, daß der Kläger am 19.Juli 1987 die von der Beklagten bereits am 14.März 1986 in der "Kleinen Zeitung" aufgegebene Heiratsannonce mit folgendem Wortlaut vorfand:

"Sehr hübsche Sie, 30/165, mit langem, blondem Haar, elegant-sportlicher Typ, junge Mutti, wünscht gutsituierten Herrn mit größerer Wohnung/Haus kennenzulernen - gerne Akademiker, selbständiger oder vermögender Landwirt. Du sollst treu und kinderliebend sein. Deine ausführliche Zuschrift erreicht mich unter "Nr. 50.582" an Ringwerbung, 9010 Klagenfurt."

Der Kläger fand bei der Beklagten auch die Korrespondenz von heiratsinteressierten Männern. Insgesamt hatte die Beklagte 70 Zuschriften erhalten. Aus dieser Korrespondenz konnte der Kläger entnehmen, daß die Beklagte in der "Kronen-Zeitung" ein weiteres Heiratsinserat - offenbar vor dem 6.September 1986 - aufgegeben hatte und daß sie zumindest mit einem dieser Männer in Briefwechsel gestanden sein mußte. Insbesondere fand der Kläger auch das Telegramm eines Herrn E*** an die Beklagte vom 2.Juni 1987, in welchem sie dieser auf Grund seiner Annonce in der "Kronen-Zeitung" und unter Bedachtnahme auf ein von ihr an ihn gerichtetes Schreiben vom 30.April 1987 um telefonischen Rückruf bat. Vermerke der Beklagten auf der Rückseite dieses Telegrammes deuteten darauf hin, daß sich die Beklagte an einem "Donnerstag" im Cafe Musil in der 10.-Oktober Straße in Klagenfurt mit einem Mann getroffen hatte. Seit 20.Juli 1987 lebt der Kläger von der Beklagten getrennt in seiner Wohnung im Hause Ramsauerstraße 13. Er hat nicht mehr die Absicht, die eheliche Gemeinschaft mit der Beklagten wieder aufzunehmen. Für ihn ist die Ehe endgültig zerrüttet. Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Beklagte habe durch die wiederholten Beschimpfungen und Verhöhnungen des Klägers, die mangelhafte Haushaltsführung, das abendliche grundlose Verlassen der Ehewohnung, vor allem aber durch die mehrfache Aufgabe von Heiratsannoncen und die Beantwortung von solchen während der aufrechten Ehe, schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG begangen. Diese seien geeignet gewesen, die Ehe unheilbar zu zerrütten. Der Beklagten sei auch ein Verschulden zuzurechnen, weil sie weder geistig krank noch gestört sei. Durch die mangelnde Erfüllung seiner Unterhaltspflicht am Beginn der Ehe habe der Kläger sein Scheidungsrecht nicht gemäß § 49 zweiter Satz EheG verwirkt, weil es sich dabei nur um eine vorübergehende Verfehlung gehandelt habe und diese mit den Eheverfehlungen der Beklagten in den Jahren 1986 und 1987 nicht im Zusammenhang stehe. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteiles im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles.

Der Kläger stellt in der Revisionsbeantwortung den Antrag, dem Rechtsmittel der Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte wendet sich mit ihren Revisionsausführungen ausschließlich gegen die durch das Berufungsgericht erfolgte Verneinung einer Verwirkung des Scheidungsrechtes des Klägers gemäß § 49 zweiter Satz EheG. Sie meint, dabei müßten nämlich die von ihr im Jahre 1987 begangenen Eheverfehlungen außer Betracht bleiben. Ihre zeitlich davor gelegenen Eheverfehlungen stünden aber in einem Zusammenhang mit den mangelhaften Unterhaltsleistungen des Klägers, weil sie eine berechtigte Reaktion auf diese Eheverfehlungen gewesen seien.

Diese Argumente erweisen sich aus nachstehenden Gründen als nicht stichhältig:

Wohl war im Sinne der zutreffenden Rechtsansicht der Revisionswerberin von Amts wegen zu berücksichtigen, ob die Scheidung nach § 49 zweiter Satz EheG ausgeschlossen ist. Es bedurfte daher insoweit keiner besonderen Einwendung der Beklagten (EFSlg 13.854, 43.643). Ob aber der beklagten Ehefrau das Scheidungsbegehren des Mannes rechtfertigende, die nicht mehr behebbare Zerrüttung der Ehe mitbewirkende schwere Eheverfehlungen anzulasten sind, ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes (Schluß der Verhandlung), allenfalls - wie hier im Falle einer Beweiswiederholung durch das Gericht zweiter Instanz - auch noch der des Berufungsgerichtes, zu beurteilen. Dies verkennt die Revisionswerberin, wenn sie meint, die von ihr im Jahre 1987 begangenen und festgestellten Eheverfehlungen hätten bei Beurteilung der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens außer Betracht zu bleiben (EFSlg 46.187). An der sittlichen Rechtfertigung des Scheidungsbegehrens wegen eigenen ehewidrigen Verhaltens mangelt es nur dann, wenn dem beklagten Ehegatten zwar schwere Eheverfehlungen zur Last liegen, die zur Zerrüttung der Ehe führten oder dazu beitrugen, diese Verfehlungen jedoch erst durch schuldhaftes Verhalten des klagenden Teiles hervorgerufen wurden oder ein Zusammenhang zwischen den Verfehlungen des beklagten Gatten mit dem Verhalten des klagenden Teiles besteht und bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe das Scheidungsbegehren wegen dieses Zusammenhanges als nicht zulässig erkannt werden kann, oder selbst ohne Zusammenhang der beiderseitigen Eheverfehlungen die Verfehlungen des klagenden Teiles unverhältnismäßig schwerer wiegen (EFSlg 43.639, 46.182, 48.772, 51.607 uva; 6 Ob 616/87). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes ist es dem Kläger zwar als schwere Eheverfehlung anzulasten, daß er der Beklagten nach der Eheschließung zu geringe Unterhaltsbeiträge geleistet hat, weshalb es auch zu Differenzen zwischen den Streitteilen gekommen ist. Er leistete dann aber ab Mitte Februar 1986 den ihm mit einstweiliger Verfügung vom 17.Dezember 1985 auferlegten Unterhalt und schloß mit der Beklagten im vorliegenden Scheidungsverfahren diesbezüglich auch den Unterhaltsvergleich vom 9.September 1986. Es kann daher zwischen den anfänglich mangelnden Unterhaltsleistungen des Klägers und dem festgestellten Verhalten der Beklagten nur insoweit ein Zusammenhang bestehen, als dies die Vorfälle vom 20. August 1986 betrifft (Anspritzen des Klägers mit Orangensirup und Austeilung einer Ohrfeige im Zuge einer Auseinandersetzung wegen des Unterhaltes). Die Revision geht aber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wenn sie annimmt, daß die übrigen festgestellten Eheverfehlungen der Beklagten, in welche diese nach den zahlreichen Phasen der versuchten Neuaufnahme einer ehelichen Gemeinschaft immer wieder schon nach kurzer Zeit zurückgefallen ist und die vom Kläger im Zuge des erstgerichtlichen Verfahrens stets als weitere Ehescheidungsgründe geltend gemacht worden sind, erst durch ein schuldhaftes Verhalten des Klägers hervorgerufen worden oder im Zusammenhang mit diesen, insbesondere im Sinne einer zulässigen Reaktion darauf, gestanden wären. In dieser Hinsicht hat das Berufungsgericht zutreffend erkannt, daß die Verfehlungen der Beklagten (grundlose Beschimpfungen, Verhöhnungen und Bedrohung des Klägers, mangelhafte Haushaltsführung, abendliches grundloses Verlassen der Ehewohnung, vor allem aber die mehrfache Aufgabe von Heiratsannoncen und die Beantwortung von solchen anderer Männer) keineswegs bloß maßvolle Reaktion auf die anfänglich mangelhaften Unterhaltsleistungen des Klägers waren und damit entschuldigt sind. Nur dann aber wäre das Scheidungsbegehren trotz festgestellter Eheverfehlungen der Beklagten sittlich als nicht gerechtfertigt anzusehen (vgl. Pichler in Rummel, ABGB Rz 5 zu § 49 EheG mwN; 6 Ob 582/88). Bei diesen handelt es sich vielmehr um vom anfänglich ehewidrigen Verhalten des Klägers unabhängige Eheverfehlungen der Beklagten, welche in ihrer Bedeutung keinesfalls unverhältnismäßig leichter wiegen als jene des Klägers. Die Anwendung der Verwirkungsklausel des § 49 zweiter Satz EheG kommt daher nicht in Betracht. Im Hinblick auf das vom Berufungsgericht festgestellte und zutreffend als schwere Eheverfehlung gewertete Verhalten der Beklagten sowie mangels eines rechtzeitig gestellten Antrages ihrerseits, ein Mitverschulden des Klägers festzustellen, wurde die Ehe der Streitteile mit Recht aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten geschieden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E15992

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00684.88.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19881215_OGH0002_0060OB00684_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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