TE OGH 1988/12/15 7Ob41/88

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Veröffentlicht am 15.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rosemarie W***, Hausfrau, Thüringen 45, vertreten durch Dr. Michael Konzett, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagte Partei D*** Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Schottenring 15, vertreten durch Dr. Walter Schuppich, Dr. Werner Sporn, Dr. Michael Winischhofer und Dr. Martin Schuppich, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 500.000,-- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 25. Mai 1988, GZ 3 R 142/88-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 20. November 1987, GZ 11 Cg 47/87-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 15.874,65 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.443,15 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Paul W***, der verschiedene Ehemann der Klägerin hatte mit der beklagten Partei eine Familien-Unfallversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfall- und Fluggast-Unfall-Versicherung (U/Flug 1975) zugrundeliegen. Nach Art. 3 II 6 der U/Flug 1975 sind von der Versicherung Unfälle infolge von Schlaganfällen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen (auch durch Alkohol- oder Rauschgifteinfluß) ausgeschlossen, es sei denn, daß diese Anfälle oder Störungen durch ein unter die Versicherung fallendes Ereignis hervorgerufen wurden. Paul W*** wurde am 10. Jänner 1985 in Nüziders beim Überqueren des unbeschrankten Bahnüberganges Kuhbrückenweg mit seinem PKW von einem Schnellzug erfaßt und getötet. Die Klägerin begehrt die für diesen Fall vereinbarte Versicherungsleistung.

Die beklagte Partei beruft sich auf die obgenannte Ausschlußklausel. Bei Paul W*** habe im Zeitpunkt des Unfalls eine Bewußtseinsstörung infolge Alkoholeinflusses vorgelegen; sein Blutalkoholgehalt habe 1,4 %o betragen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seinen Feststellungen sind in beiden Fahrtrichtungen des Kuhbrückenweges die Gefahrenzeichen nach § 50 Z 6 lit. b StVO - Bahnübergang ohne Schranken - angebracht. Die Eisenbahnkreuzung ist durch eine Lichtzeichenanlage nach § 2 Abs. 2 lit. d EisbKrV gesichert und durch Andreaskreuze gemäß § 9 EisbKrV angezeigt. Bei der Lichtzeichenanlage handelt es sich um eine solche, die vom Schienenfahrzeug aus geschaltet wird. In Fahrtrichtung des Paul W*** bestand, nach links, Richtung Bludenz, Sicht auf mehrere hundert Meter. Der aus Bludenz kommende Schnellzug D 546 ("Westkurier") näherte sich der Eisenbahnkreuzung mit ca. 100 km/h und löste beim Passieren der Schaltstrecke bei Kilometer 65.210 auf der Lichtzeichenanlage eine Rotlichtphase von 57 Sekunden aus. Paul W*** hielt zunächst seinen PKW vor der Lichtzeichenanlage, etwa 3 m vom Bahnkörper entfernt, an. Zu diesem Zeitpunkt war der Schnellzug noch etwa 300 bis 350 m von der Kreuzung entfernt. Als die Lokomotive noch etwa 50 m von der Kreuzung entfernt war, setzte Paul W*** seinen PKW plötzlich in Bewegung. Trotz unverzüglicher Vollbremsung konnte der Lokomotivführer die Kollision nicht verhindern. Der Blutalkoholgehalt des Paul W*** betrug im Unfallszeitpunkt 1,4 %o. Paul W*** war infolge dieser Alkoholisierung fahruntüchtig. Seine Alkoholisierung war für den Unfall zumindest mitursächlich. Ohne seine Alkoholisierung hätte der Unfall vermieden werden können.

Nach der Ansicht des Erstgerichtes sei bei einem Blutalkoholgehalt von 1,4 %o eine Bewußtseinsstörung im Sinne des Art. 3 II 6 U/Flug 1975 gegeben. Nach den Grundsätzen über den Anscheinsbeweis sei auch anzunehmen, daß die bei Paul W*** zur Zeit des Unfalls vorhanden gewesene Bewußtseinsstörung den Unfall verursacht bzw. jedenfalls mitverursacht habe. Eine Entkräftung dieses Anscheinsbeweises sei der Klägerin nicht gelungen. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängeln und übernahm im wesentlichen die Feststellungen des Erstgerichtes, insbesondere über den Blutalkoholgehalt des Paul W***. Es teilte auch die Auffassung des Erstgerichtes, daß bei Paul W*** im Unfallszeitpunkt eine Bewußtseinsstörung durch Alkoholeinfluß gegeben gewesen sei und trat auch der Schlußfolgerung des Erstgerichtes über die Mitursächlichkeit dieser Bewußtseinsstörung für den Unfall bei. Für die Entkräftung dieses Anscheinsbeweises genüge nicht die rein theoretische Möglichkeit, daß auch ein nüchterner Fahrer den Unfall hätte erleiden können. Diese Möglichkeit bestehe fast immer. Es müßten vielmehr Tatsachen dargelegt und bewiesen werden, die eine reale Möglichkeit dafür ergäben, daß der Versicherte die Gefahrenlage auch im nüchternen Zustand nicht gemeistert hätte. In diesem Zusammenhang sei unerheblich, ob der vorgelegte Zeitschreiberstreifen tatsächlich von der Anlage stamme, die im Unfallszeitpunkt an der Unfallskreuzung situiert gewesen sei, ob die Rotlichtphase 57 Sekunden oder weniger betragen habe, ob die Lichtzeichenanlage nicht funktioniert und nur gelb blinkendes Licht gezeigt, der Zeitschreiber aber dennoch keine Störung aufgezeichnet habe sowie schließlich ob die Tachographenzeit von der tatsächlichen Unfallszeit abgewichen habe. Wie auch immer die Dinge in diesem Bereich gelegen haben mögen, nach den Erfahrungen des täglichen Lebens sei dem Paul W*** mit Rücksicht auf die ausreichende Kennzeichnung des unbeschrankten Bahnüberganges und die Wahrnehmbarkeit der Annäherung des Schnellzugs ein Fahrfehler unterlaufen, der für den Unfall jedenfalls mitursächlich gewesen und durch den Alkoholeinfluß bedingt gewesen sei. Dies könne auch durch die obgenannten Umstände nicht in Frage gestellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit liegen nicht vor. Die Beurteilung der Frage, ob das Gericht die bisherigen Beweisergebnisse (hier für den Alkoholisierungsgrad des Paul W***) als ausreichend ansieht, ist ein Akt der Beweiswürdigung. Die Zulassung oder Verweigerung der Parteienvernehmung durch das Erstgericht oder durch das Berufungsgericht ist daher irrevisibel (ZVR 1980/154; SZ 26/273 ua). Von einer weiteren Begründung dafür, daß die bezeichneten Anfechtungsgründe nicht vorliegen, wird gemäß § 510 Abs. 3 ZPO Abstand genommen.

Wie schon das Berufungsgericht zutreffend darlegte, hat der erkennende Senat in jüngster Zeit klargestellt, daß aufgrund der neuesten medizinischen Erkenntnisse eine Bewußtseinsstörung bei einem Blutalkoholwert von 1,3 %o jedenfalls anzunehmen ist. Diese Blutalkoholkonzentration ist eine Höchstgrenze, bei deren Erreichen oder Überschreiten auch der geschickteste, leistungsfähigste und alkoholverträglichste, selbst an ständigen Alkoholgenuß gewöhnte Kraftfahrer eine solche Einbuße seiner gesamten Leistungsfähigkeit erleidet, daß er mit Sicherheit fahruntüchtig ist. Nur wenn dieser Grenzwert nicht erreicht ist, aber ein beträchtlicher Alkoholeinfluß feststeht, können auch Ausfallserscheinungen des Versicherten im Straßenverkehr für das Vorliegen einer Bewußtseinsstörung und deren Unfallsursächlichkeit sprechen (VersR 1988, 531; 7 Ob 25/88). Für die Annahme, daß der obgenannte Wert nur für die überwiegende Anzahl der Autofahrer gelte, bleibt nach dieser Klarstellung kein Raum. Davon abgesehen kann die Revision auch keine Gründe aufzeigen, warum gerade im vorliegenden Fall dieser Grenzwert nicht gelten sollte. Im Sinne der obgenannten Rechtsprechung haben die Vorinstanzen daher zu Recht eine Bewußtseinsstörung des Paul W*** bejaht. Beizupflichten ist ihnen auch darin, daß die Mitursächlichkeit der Bewußtseinsstörung für den Unfall genügt (Prölss-Martin VVG24 1509; VersR 1988, 531). Die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises wird von der Revision ohnehin nicht in Frage gestellt. Die aufgrund von Erfahrungssätzen über einen typischen Geschehensablauf getroffene Feststellung der Ursächlichkeit eines bestimmten Verhaltens gehört ebenso zur unanfechtbaren Beweiswürdigung wie die Frage, ob eine ernstlich in Betracht kommende andere Möglichkeit des Geschehens im Einzelfall gegeben ist (EvBl. 1983/120; 1 Ob 37/83; vgl. auch SZ 56/145). Soweit sich die Revision daher, gleich unter welchem Anfechtungsgrund, dagegen wendet, daß nach der Ansicht des Berufungsgerichtes bestimmte Tatsachen nicht hinreichten, den Anscheinsbeweis zu erschüttern bzw. die Mitursächlichkeit der Bewußtseinsstörung für den Unfall auszuschließen, bekämpft sie nur in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung.

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E16644

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0070OB00041.88.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19881215_OGH0002_0070OB00041_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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