Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der Erstantragstellerin Maria R***, Arbeiterin, Gasthaus Weitzbauer, Zeile 10 c, 2640 Gloggnitz, vertreten durch Dr.August Wippel und Dr.Andreas Wippel, Rechtsanwälte in Neunkirchen, und des Zweitantragstellers Bruno R***, Arbeiter, Auf der Wiese 21, 2640 Gloggnitz, vertreten durch Dr.Erich Els, Rechtsanwalt in Stockerau, wegen Ehescheidung nach § 55 a EheG, infolge Revisionsrekurses des Zweitantragstellers gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 12.Oktober 1988, GZ R 97/88-16, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Gloggnitz vom 15.Jänner 1988, GZ C 191/87-4, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Anträge beider Streitteile auf Zuspruch von Kosten des Verfahrens über den Revisionsrekurs werden abgewiesen.
Text
Begründung:
Mit ihrer am 23.12.1987 beim Erstgericht eingebrachten Ehescheidungsklage begehrte die Erstantragstellerin die Scheidung ihrer Ehe mit dem Zweitantragsteller aus dessen Verschulden gemäß § 49 EheG.
In der über diese Scheidungsklage abgehaltenen Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 15.1.1988 beantragten beide Ehegatten übereinstimmend die Scheidung ihrer Ehe nach § 55 a EheG. Sie brachten übereinstimmend vor, daß die eheliche Lebensgemeinschaft seit mehr als sechs Monaten aufgehoben und das eheliche Verhältnis unheilbar zerrüttet sei, schlossen einen Vergleich im Sinne des § 55 a Abs 2 EheG und verzichteten auf Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG. Das Erstgericht unterbrach gemäß § 460 Z 10 ZPO das wegen § 49 EheG anhängige Scheidungsverfahren und schied die Ehe der Streitteile gemäß § 55 a EheG.
Der vom Zweitantragsteller gegen diesen Scheidungsbeschluß erhobene Rekurs wurde vom Rekursgericht mit Beschluß vom 18.4.1988 (ON 11) zurückgewiesen.
Infolge Rekurses des Zweitantragstellers hob der Oberste Gerichtshof mit Beschluß vom 12.7.1988 (ON 15) diesen Beschluß auf und trug dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Zweitantragstellers auf.
Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem Rekurs des Zweitantragstellers keine Folge.
Es führte im wesentlichen aus, der Zweitantragsteller stütze sein Rechtsmittel darauf, daß im Zeitpunkt der Ehescheidung zwischen den Streitteilen kein Einvernehmen über die vermögensrechtliche Aufteilung geherrscht habe und daß er im übrigen zu dem Entschluß gekommen sei, sich nicht scheiden zu lassen, weil ausschließlich die Erstantragstellerin, die die eheliche Gemeinschaft grundlos aufgelöst habe und zu einem anderen Mann gezogen sei, Eheverfehlungen begangen habe. Die Möglichkeit des Vorbringens von Neuerungen im Sinne des § 10 AußStrG gehe nicht so weit, daß es den Beteiligten gestattet wäre, von den bisherigen Behauptungen abweichende oder bisher nicht aufgestellte Behauptungen vorzubringen, die bereits in erster Instanz erstattet hätten werden können. In diesem Sinne verstoße das Rekursvorbringen, der Zweitantragsteller sei zu dem Entschluß gekommen, sich nicht scheiden zu lassen, gegen das Neuerungsverbot. Das gleiche gelte auch für den Einwand, daß im Zeitpunkt der Ehescheidung kein Einvernehmen über die vermögensrechtliche Aufteilung geherrscht habe. Die diesbezüglichen Rekursbehauptungen des Zweitantragstellers seien auch inhaltlich nicht geeignet, seinem Rechtsmittel zum Erfolg zu verhelfen, weil sie lediglich darauf hinausliefen, daß der Zweitantragsteller nun nicht mehr mit den im Scheidungsvergleich getroffenen Regelungen einverstanden sei. Daß vor Erlassung des Scheidungsbeschlusses die entsprechenden im Vergleich festgehaltenen Vereinbarungen nicht getroffen worden seien, behaupte er gar nicht. Soweit er das Vorliegen von Willensmängeln beim Abschluß des Scheidungsvergleiches behaupte, mache er zwar eine im Sinne des § 10 AußStrG zulässige Neuerung geltend, doch müsse auch dieser Einwand erfolglos bleiben. Die Streitteile hätten in der Tagsatzung vom 15.1.1988 einen Vergleich geschlossen, der den zwingenden Erfordernissen des § 55 a Abs 2 EheG entsprochen habe. Selbst wenn dabei tatsächlich ein Willensmangel, nämlich ein Irrtum des Zweitantragstellers über die Bedeutung des Vergleiches, vorgelegen wäre, könnte dies - bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen - nur zur Anfechtbarkeit des Vergleiches führen, aber nichts daran ändern, daß der Vergleich bis zu seiner erfolgreichen Anfechtung weiterbestehe. Eine derartige Anfechtung eines Vergleiches könne aber nicht im Verfahren wegen Ehescheidung nach § 55 a EheG, sondern nur im streitigen Verfahren erfolgen. Da sie bislang nicht erfolgt sei, sei nach wie vor vom Weiterbestehen der am 15.1.1988 geschlossenen Vereinbarung zwischen den Streitteilen auszugehen. Damit erwiesen sich aber alle Einwände des Zweitantragstellers als erfolglos, sodaß seinem Rechtsmittel ein Erfolg versagt bleiben müsse.
Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichtes richtet sich der Rekurs des Zweitantragstellers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, "daß dem Rekurs Folge gegeben wird und der Ehescheidungsbeschluß samt Vergleich aufgehoben werden". Die Erstantragstellerin hat eine Rekursbeantwortung erstattet, die verspätet ist (§ 227 Abs 2 AußStrG).
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist ohne die im § 16 Abs 1 AußStrG normierten Rechtsmittelbeschränkungen zulässig (§ 227 Abs 3 AußStrG), sachlich aber nicht berechtigt.
Der Zweitantragsteller macht nach wie vor geltend, er habe nach der einvernehmlichen Ehescheidung erfahren, daß die Erstantragstellerin eine Lebensgemeinschaft mit einem anderen Mann aufgenommen habe und nicht bereit sei, "bereits in Exekution gezogene Beträge zurückzuzahlen". Der Zweitantragsteller sei nicht anwaltlich vertreten gewesen; es sei ihm nicht klar gewesen, "daß ein Verzicht auf §§ 81 ff EheG ihm die Möglichkeit nehme, ihm zustehende Beträge von der Erstantragstellerin nachträglich zurückzufordern". Er sei auch im Irrtum darüber gewesen, daß zum Zeitpunkt der Ehescheidung die Erstantragstellerin bereits eine Beziehung zu einem anderen Mann aufgenommen gehabt habe, sodaß mit einer Ehescheidung aus dem Alleinverschulden der Erstantragstellerin zu rechnen gewesen wäre. Diese Umstände berechtigten ihn, die Beseitigung des ergangenen Scheidungsbeschlusses zu verlangen. Dem ist nicht zu folgen.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seinem in dieser Rechtssache ergangenen Beschluß vom 12.7.1988, 2 Ob 561/88 (ON 15), ausgeführt, daß der gegen den Scheidungsbeschluß des Erstgerichtes erhobene Rekurs des Zweitantragstellers der Zurücknahme des Scheidungsbegehrens im Sinne des § 224 Abs 1 AußStrG nicht gleichgehalten werden kann (EvBl 1980/207); der Scheidungsbeschluß des Erstgerichtes wurde daher infolge der Einbringung des Rekurses durch den Zweitantragsteller nicht im Sinne des § 224 Abs 2 AußStrG wirkungslos. Die gleichen Erwägungen gelten auch für die Einbringung des vorliegenden Rechtsmittels.
Die Ehescheidung nach § 55 a EheG setzt neben den im Abs 1 dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen, deren Vorliegen hier nicht strittig ist, eine Vereinbarung der Ehegatten voraus, die den im Abs 2 dieser Gesetzesstelle aufgestellten Erfordernissen entspricht. Die Streitteile habe in der Tagsatzung vom 15.1.1988 (für den Fall der Scheidung ihrer Ehe) einen gerichtlichen Vergleich geschlossen, mit dem sie zunächst einen gegenseitigen Unterhaltsverzicht vereinbarten (Punkt 1). Sie kamen überein, daß die eheliche Wohnung in Prigglitz, Auf der Wiese 21, samt sämtlichem sich darin befindlichen Mobiliar im Alleineigentum des Zweitantragstellers verbleibt (Punkt 2). Sie hielten fest, daß es keine gemeinsamen Schulden und Ersparnisse gibt mit Ausnahme des Grundstückes EZ 361 KG Prigglitz, das je zur Hälfte in ihrem bücherlichen Eigentum stehe und verbleibe (Punkt 3). Letztlich vereinbarten sie, daß mit diesem Vergleich alle gegenseitigen Ansprüche bereinigt und verglichen seien und daß auf Antragstellung nach den §§ 81 ff EheG beiderseits verzichtet werde (Punkt 4). Dieser Vergleich entsprach durchaus den im § 55 a Abs 2 EheG normierten Anforderungen.
Es trifft sicher zu, daß eine in Form eines gerichtlichen Vergleiches im Sinne des § 55 a Abs 2 EheG geschlossene Vereinbarung eine prozessuale und eine materiellrechtliche Komponente enthält (EvBl 1985/22 ua). Die im Rechtsmittel erhobenen Einwände des Zweitantragstellers gehen sinngemäß dahin, daß er wegen bei Vergleichsabschluß auf seiner Seite vorliegender Willensmängel nicht an die getroffene Vereinbarung gebunden sei und daß daher die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe nach § 55 a EheG nicht gegeben gewesen wären. Dabei übersieht er aber, daß einerseits auch bestehende Willensmängel einen Vertrag nicht ohne weiteres ungültig, sondern nur anfechtbar machen (SZ 52/22 ua) und daß andererseits auch im Sinne des § 10 AußStrG Neuerungen nur so weit zulässig sind, als sie sich auf vor Beschlußfassung eingetretene Tatsachen beziehen (EFSlg 44.516, 52.617 ua). Ein Vergleich über die Scheidungsfolgen nach § 55 a Abs 2 EheG kann durchaus wegen bestehender Willensmängel angefochten werden; dadurch wird aber die Rechtskraft eines ergangenen Scheidungsbeschlusses nicht berührt (SZ 58/43). Es kann im vorliegenden Fall unerörtert bleiben, ob die im Rechtsmittel aufgestellten Behauptungen des Zweitantragstellers die Anfechtung seines mit der Erstantragstellerin am 15.1.1988 geschlossenen Vergleiches wegen bestehender Willensmängel überhaupt rechtfertigen könnten und ob eine derartige Anfechtung im Rahmen des außerstreitigen Verfahrens über die einvernehmliche Ehescheidung oder in einem gesonderten Rechtsstreit zu erfolgen hätte. Entscheidend ist, daß im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes über den Antrag der Streitteile auf Scheidung ihrer Ehe nach § 55 a EheG die in dieser Gesetzesstelle normierten Voraussetzungen vorlagen. Insbesondere lag eine formell einwandfreie und materiell gültige Einigung der Streitteile im Sinne des § 55 a Abs 2 EheG vor, die im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes von keinem von ihnen angefochten war. Eine erst nach der Beschlußfassung des Erstgerichtes erfolgte Änderung der Sachlage - etwa durch eine spätere Anfechtung des geschlossenen Vergleiches durch den Zweitantragsteller - konnte sich nur mehr auf die Gültigkeit des geschlossenen Vergleiches auswirken, aber nichts daran ändern, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichtes die im Gesetz geforderten Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe der Streitteile im Einvernehmen vorlagen.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen entsprechen somit durchaus der Sach- und Rechtslage, sodaß dem Revisionsrekurs des Zweitantragstellers ein Erfolg versagt bleiben muß. Die Anträge beider Streitteile auf Zuspruch von Kosten des Verfahrens über den Revisionsrekurs waren schon deswegen abzuweisen, weil im Verfahren über die Scheidung der Ehe im Einvernehmen nach den §§ 220 ff AußStrG ein Kostenersatz nach den Bestimmungen der ZPO nicht stattfindet (EFSlg 35.135 ua).
Anmerkung
E15930European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00608.88.1220.000Dokumentnummer
JJT_19881220_OGH0002_0020OB00608_8800000_000