TE OGH 1988/12/20 11Os151/88

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Veröffentlicht am 20.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zeh als Schriftführer in der Strafsache gegen Wolfgang K*** wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 207 Abs. 1 sowie 15 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13.September 1988, GZ 4 a Vr 5.098/88-13, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, des Angeklagten Wolfgang K***, und des Verteidigers Dr. Mühl zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen (nämlich in seinem freisprechenden Teil) unberührt bleibt, im Schuldspruch und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und es wird

I/ gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Wolfgang K*** wird von der Anklage, in der Zeit von Jänner 1987 bis 14.September 1987 in mindestens zwei Angriffen dadurch, daß er der am 3.Dezember 1976 geborenen Alexandra O*** pornographische Hefte vorzeigte und kommentierte, Handlungen, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung unmündiger Personen zu gefährden, vor einer unmündigen Person vorgenommen zu haben, um sich dadurch geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, und hiedurch das Vergehen der sittlichen Gefährdung Unmündiger oder Jugendlicher nach dem § 208 StGB begangen zu haben, gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen;

II/ im übrigen (hinsichtlich der Punkte A/ I/ und II/ des Schuldspruches) die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.September 1956 geborene Wolfgang K*** des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach den §§ 207 Abs. 1 und 15 StGB, des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach den §§ 212 Abs. 1 und 15 StGB und des Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger oder Jugendlicher nach dem § 208 StGB schuldig erkannt. Darnach hatte der Angeklagte seine am 3.Dezember 1976 geborene Stieftochter Alexandra O*** in der Zeit von Jänner 1987 bis 14.September 1987 durch zweimaliges Betasten an der Scheide und durch einmaliges Veranlassen, sein Glied anzugreifen, zur Unzucht mißbraucht, sowie wiederholt durch das Ansinnen, sie an ihrem Geschlechtsteil zu betasten, und durch die Aufforderung, sie möge ihren Rock hochheben, zur Unzucht zu mißbrauchen versucht (A/ I/ und II/). Ferner liegt ihm zur Last, innerhalb dieses Zeitraumes vor Alexandra O*** dadurch, daß er ihr zweimal pornographische Hefte (mit Darstellungen eines Mundverkehrs) zeigte, Handlungen begangen zu haben, die geeignet sind, die sittliche, seelische oder gesundheitliche Entwicklung unmündiger Personen zu gefährden, um dadurch sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen (B/). Hinsichtlich weiterer Unzuchtshandlungen - Betasten der Alexandra O*** an den (nicht entwickelten) Brüsten bzw Ansinnen, sie an den Brüsten zu betasten - erging ein Freispruch gemäß dem § 259 Z 3 StPO. Der Angeklagte Wolfgang K*** bekämpft den Schuldspruch mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 5 a, 8, 9 lit a, 9 lit b und 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Überdies ficht er den Strafausspruch mit Berufung an. Zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, daß das Verfolgungsrecht des öffentlichen Anklägers zu Punkt B/ des Schuldspruches erloschen sei: In der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien am 22.März 1988

(AZ 4 a Vr 13.746/87) wurde der Angeklagte zu der von Ingrid K*** bei der Bundespolizeidirektion Wien erstatteten Anzeige vernommen; hiebei wurden ihm die Angaben der Alexandra O*** (vgl S 41-44 in ON 4 d.A) vorgehalten, denen zufolge er ua seiner Stieftochter zweimal ein pornographisches Heft vorgezeigt haben soll. Darnach dehnte der Staatsanwalt die Anklage gegen den Angeklagten wegen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach dem § 212 Abs. 1 StGB aus, begangen durch wiederholtes Betasten der entblößten Brust seiner Stieftochter und durch Verleitung des Mädchens, sein Glied anzugreifen und zu betasten (vgl S 40, 41 d.A).

Rechtliche Beurteilung

Im Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.März 1988, GZ 4 a Vr 13.746/87-40, mit dem (ua) Wolfgang K*** - im Sinn der ursprünglichen Anklage - des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 und 15 StGB schuldig erkannt wurde, wurde dem öffentlichen Ankläger "wegen des Faktums §§ 207 Abs. 1, 212 Abs. 1 StGB", mithin wegen jener Taten, auf welche die Anklage ausgedehnt worden war, gemäß dem § 263 Abs. 2 StPO die selbständige Verfolgung vorbehalten (vgl S 63 d.A). Demnach war der Tatverdacht wegen des Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger oder Jugendlicher zwar Gegenstand der Erörterung in der Hauptverhandlung, doch wurde vom Staatsanwalt wegen der betreffenden "Beschuldigung" kein Verfolgungsantrag gestellt, sodaß insoweit auch kein Verfolgungsvorbehalt ausgesprochen werden konnte. Das Unterbleiben einer Anklageausdehnung auf dieses Faktum brachte folglich das Verfolgungsrecht des Anklägers hinsichtlich des dem Tatbestand nach § 208 StGB zu unterstellenden Tatvorwurfes zum Erlöschen (§ 263 Abs. 2 StPO). Durch eine nachträgliche Anklageerhebung konnte dieses Verfolgungsrecht nicht wieder aufleben.

Die nunmehrige Verurteilung des Angeklagten wegen Vergehens der sittlichen Gefährdung Unmündiger oder Jugendlicher nach dem § 208 StGB stellt zwar - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - keine Nichtigkeit gemäß der Z 8 des § 281 Abs. 1 StPO dar, weil Anklageüberschreitung einen Schuldspruch wegen einer Tat voraussetzt, welche nicht von der erhobenen Anklage erfaßt ist. Infolge Verlustes des Verfolgungsrechtes des Anklägers, wie dargelegt, stand jedoch einem Schuldspruch wegen jenes Deliktes ein Umstand entgegen, durch den die Verfolgung wegen der dem Punkt B/ der Anklage zugrundeliegenden Tat ausgeschlossen war. Dem Urteil, das sich über dieses Verfolgungshindernis hinwegsetzte, haftet daher insoweit der Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO an (vgl Mayerhofer-Rieder2, I/1, ENr 24 zu § 281 Abs. 1 Z 8 StPO). Begründet ist die Beschwerde des Angeklagten ferner in ihrem gegen die Punkte A/ I/ und II/ des Schuldspruches gerichteten Teil:

Die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, zwar nicht ausschließen zu können, die ihm zur Last gelegten Taten begangen zu haben, zufolge einer jeweils zu den in Betracht kommenden Tatzeiten bestandenen Alkoholisierung sich aber an derartige Handlungen nicht erinnern zu können, wurde vom Erstgericht aufgrund der Zeugenaussage der Alexandra O*** für widerlegt erachtet. Bei der Annahme, daß eine Volltrunkenheit des Angeklagten auch beim letzten inkriminierten (im Versuchsstadium gebliebenen) Vorfall am 14.September 1988 nicht vorgelegen sei, wurden indes die auf eine volle Berauschung hindeutenden Angaben der Ingrid K*** unerörtert gelassen, ihr Gatte sei, als er ihr damals im Wohnhaus begegnete, so betrunken gewesen, daß er sie nicht einmal erkannt habe (vgl S 39 in ON 4 d.A).

Begründet ist darüberhinaus der Hinweis des Beschwerdeführers auf die Darstellung der Alexandra O***, sie habe der Aufforderung ihres Stiefvaters, sein Glied anzugreifen, nur einmal in der Weise entsprochen, daß sie "ganz kurz" hingegriffen und "die Hand wieder weggenommen" habe (vgl S 43 in ON 4). Von einem Mißbrauch zur Unzucht kann nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aber nur gesprochen werden, wenn zur unmittelbaren Geschlechtssphäre gehörende Körperpartien des Opfers oder des Täters mit dem Körper des anderen in eine nicht bloß flüchtige (sexualbezogene) Berührung gebracht werden. Ein Streicheln mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger über das Glied, das nur einen "Augenblick" dauerte, wie vom Tatopfer demonstriert, würde daher den Voraussetzungen einer vollendeten Unzucht im Sinn der §§ 207 Abs. 1, 211 Abs. 1 StGB nicht genügen, sondern wäre, einen auf Anfassen des Gliedes durch das Mädchen gerichteten Tätervorsatz vorausgesetzt, nur als Versuch dieser Delikte zu werten.

Als zutreffend erweist sich schließlich auch der Beschwerdeeinwand, die Annahme zweimaligen Betastens der Scheide des Kindes durch den Angeklagten entbehre einer aktenmäßigen Deckung. Hat doch die Zeugin Alexandra O*** erstmals in der Hauptverhandlung ohne jede nähere Präzisierung behauptet, ihr Stiefvater habe sie an der Scheide angegriffen (vgl S 99 d.A), worauf der Staatsanwalt die Anklage auf derartige Unzuchtshandlungen ausdehnte (vgl S 102 d.A). Dem erstrichterlichen Urteil mangelt es demnach an einer tragfähigen Begründung, aufgrund welcher Beweise angenommen wurde, daß es sich dabei um zwei (zeitlich voneinander getrennte) Unzuchtsakte dieser Art gehandelt habe, und aus welchen Erwägungen der Schöffensenat über den Widerspruch zwischen den Angaben des Tatopfers im Vorverfahren, bei denen von solchen Tathandlungen noch keine Rede war, und ihrer diesbezüglichen (neuen) Beschuldigung in der Hauptverhandlung hinwegkam.

Es zeigt sich sohin, daß auch dem Schuldspruch des Angeklagten wegen des Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten Unzucht mit Unmündigen nach dem § 207 Abs. 1 und 15 StGB und wegen des Vergehens des teils vollendeten, teils versuchten Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach den §§ 212 Abs. 1 und 15 StGB Begründungsmängel im Sinne der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO anhaften. Obwohl diese nur einzelne der inkriminierten Verhaltensweisen betreffen, machen sie wegen des engen beweismäßigen Zusammenhanges eine Urteilsaufhebung in den Punkten A/ I/ und II/ insgesamt erforderlich.

Auf die übrigen Beschwerdeeinwände des Angeklagten muß nur insofern eingegangen werden, als das Vorliegen eines über bloße straflose Vorbereitungshandlungen hinausgehenden strafbaren Versuchs bestritten (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO) und freiwilliger Rücktritt vom Versuch (§ 16 Abs. 1 StGB) reklamiert wird (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO): Der Beschwerdeführer übersieht, daß durch die Aufforderung an eine unmündige Person, sogleich Unzuchtshandlungen zu dulden oder selbst am Täter vorzunehmen, das deliktische Vorhaben durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt wird und daher ein nach seiner aktionsmäßigen Beziehung und zeitlichen Nähe zur Ausführung im unmittelbaren Vorfeld des Tatbildes liegendes Verhalten, wie es dem Angeklagten zur Last fällt, strafbaren Versuch begründet (vgl 14 Os 104/88 ua). Das Unterbleiben von Unzuchtshandlungen, deren Ausführung - wie hier vom Erstgericht angenommen (S 115 d.A) - nach dem Vorhaben des Täters an die Zustimmung eines Unzuchtspartners geknüpft wird, nur wegen der Weigerung des Tatopfers, der Aufforderung des Täters zu entsprechen, stellt hinwieder, weil der Täter nicht aus freien Stücken und bei möglicher tatplangemäßer Deliktsvollendung von der Tatausführung Abstand nimmt, keinen strafaufhebenden (freiwilligen) Rücktritt vom Versuch dar (vgl 11 Os 36/84 uva).

Mithin war über die Nichtigkeitsbeschwerde wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Mit seiner durch die (teilweise) Urteilsaufhebung gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Anmerkung

E16704

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00151.88.1220.000

Dokumentnummer

JJT_19881220_OGH0002_0110OS00151_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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