TE OGH 1988/12/20 2Ob97/88

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Veröffentlicht am 20.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Vinzenz R***, Angestellter, Hauptstraße 31, 8773 Kammern, vertreten durch Dr.Heinrich Hofrichter und Dr.Enwin Bajc, Rechtsanwälte in Bruck an der Mur, wider die beklagten Parteien 1./ Peter H***, Dienstnehmer, Kapaunplatz 2, 8010 Graz, und 2./ I*** U***- UND

S***-AG, Tegetthoffstaße 7, 1010 Wien, vertreten

durch Dr.Rudolf Wolfgang Volker, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 47.037,33 sA (Revisionsstreitwert S 40.000,--), infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19.Mai 1988, GZ 6 R 78/88-32, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 30.Jänner 1988, GZ 4 Cg 210/86-25, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Ein Zuspruch von Kosten des Revisionsverfahrens findet nicht statt.

Text

Begründung:

Am 9.12.1985 ereignete sich gegen 7,50 Uhr auf der Bundesstraße 113 bei Km 9,0 im Gemeindegebiet von Kammern (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem unter anderen der Kläger als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen St 100.548 und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des PKW mit dem Kennzeichen G 63.816 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Wegen eines vom Erstbeklagten verschuldeten Verkehrsunfalles mußte Dr.G*** den von ihm gelenkten PKW mit dem Kennzeichen S 6.908 anhalten; der Kläger fuhr auf dieses Fahrzeug auf, wobei sein PKW beschädigt wurde. Der Erstbeklagte wurde mit rechtskräftiger Stafverfügung des Bezirksgerichtes Leoben vom 10.1.1986 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt. Darin wurde ihm zur Last gelegt, dadurch, daß er mit seinem Fahrzeug auf die linke Fahrbahnseite geriet und mit dem PKW des Reinhard E*** zusammenstieß, wodurch in der weiteren Folge der PKW des Dr.Hans G*** gegen den PKW E*** geschleudert wurde, fahrlässig Reinhard E*** und Dr.Hans G*** am Körper verletzt zu haben.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 47.037,33 sA, das sind zwei Drittel seines behaupteten Fahrzeugschadens. Der Höhe nach ist der Klagsbetrag nicht mehr strittig. Dem Grunde nach stützte der Kläger sein Begehren im wesentlichen darauf, daß ihn zwar selbst ein mit einem Drittel zu bewertendes Mitverschulden treffe, daß aber der Erstbeklagte ein mit zwei Dritteln zu bewertendes Verschulden zu vertreten habe. Der Erstbeklagte sei infolge Unaufmerksamkeit auf die linke Fahrbahnseite geraten, wo er zunächst den entgegenkommenden PKW der Brigitte H*** seitlich gerammt und in den Straßengraben abgedrängt habe und dann mit dem entgegenkommenden von Reinhard E*** gelenkten PKW mit dem Kennzeichen G 45.464 zusammengestoßen sei. Dr.Hans G*** habe seinen PKW anhalten müssen, um nicht auf den vor ihm fahrenden PKW des E*** aufzufahren. Der hinter dem PKW des Dr.G*** nachfahrende Kläger sei auf dieses Fahrzeug aufgefahren. Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, das Alleinverschulden an dem an seinem PKW entstandenen Schaden treffe den Kläger. Das Fahrzeug des Dr.G*** habe sich bereits einige Zeit im Stillstand befunden, als der Kläger mit seinem PKW zufolge überhöhter Geschwindigkeit, eines zu geringen Tiefenabstandes und erheblicher Reaktionsverspätung auf dieses Fahrzeug aufgefahren sei. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Im Bereich der Unfallstelle ist die Bundesstraße in einer Breite von 8,1 m asphaltiert. Sie verläuft in Richtung Mautern in einer langgezogenen Linkskurve dammartig über dem umliegenden Gelände. Die Fahrbahnmitte ist durch eine gelbe Leitlinie markiert; an beiden Rändern befinden sich weiße Randlinien. Die Unfallstelle liegt im Freilandgebiet; es gilt dort die generelle Geschwindigkeitsbeschränkung von 100 km/h. Bei Annäherung aus Richtung St.Michael ist die Unfallstelle aus einer Entfernung von mehr als 250 m erstmalig einzusehen.

Der Erstbeklagte lenkte seinen PKW bei trotz Hochnebels nicht wesentlich eingeschränkter Sicht auf der Bundesstraße 113 aus Richtung Mautern in Richtung St.Michael (Osten). Die Fahrbahn der Bundesstraße war "salznaß und dadurch etwas schlüpfrig". Ihm kam eine in Richtung Westen (Mautern) fahrende Fahrzeugkolonne mit dem PKW der Brigitte H*** an der Spitze entgegen. Hinter ihr fuhr ein unbekannter PKW-Lenker, dahinter mit einem Tiefenabstand von 105 m zum Fahrzeug der Brigitte H*** Reinhard E*** mit einem PKW und diesem folgte in einem Abstand von mindestens 42 m Dr.Hans G*** mit einem PKW. Der Kläger fuhr mit einem Abstand von 42,4 m hinter den PKW des Dr.G***. Die Fahrzeuge dieser Kolonne fuhren mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h; der bei dieser Geschwindigkeit erforderliche Tiefenabstand beträgt zumindest 22 m. Plötzlich geriet der Erstbeklagte auf die linke Fahrbahnhälfte und streifte dabei den PKW der Brigitte H***, wodurch dieser in den Straßengraben südlich der Fahrbahn geschleudert wurde. Etwa im Zeitpunkt dieser Streifung faßte der Erstbeklagte seinen Bremsentschluß, passierte den unbekannten PKW ohne Berührung und prallte dann mit einer Restgeschwindigkeit von 50 km/h gegen den PKW des E***. E*** hatte auf Grund der Kollision des Erstbeklagten mit H*** einen Bremsentschluß gefaßt; sein PKW hatte im Zeitpunkt der Kollision mit dem Fahrzeug des Erstbeklagten noch eine Geschwindigkeit von 50 km/h. Durch den Anstoß wurden die Fahrzeuge des Erstbeklagten und des E*** verdreht; sie lösten sich und blieben im Bereich der Unfallstelle, ohne daß es vorerst zu einem Kontakt zwischen den Fahrzeugen des E*** und des Dr.G*** kam. Als Dr.G*** die Kollision des Erstbeklagten mit H*** und die Bremslichter am PKW des E*** wahrnahm, faßte er den Bremsentschluß und bremste voll bis zum Stillstand durch, wobei er auf der schlüpfrigen und nassen Fahrbahnoberfläche eine Verzögerung von 5 m/sec2 erreichte. Sein Bremsweg betrug 49,38 m, die Bremszeit 4,44 Sekunden.

Der hinter Dr.G*** fahrende Kläger reagierte nicht sofort auf das Bremsmanöver bzw die aufleuchtenden Bremslichter des vor ihm fahrenden Fahrzeuges des Dr.G***, sondern faßte seinen Bremsentschluß mit einer Reaktionsverspätung von zumindest 1,78 Sekunden. Erst dann bremste er sein Fahrzeug voll ab. Als Dr.G*** gerade zum Stillstand kam oder kurze Zeit (maximal 1 bis 2 Sekunden) stand, prallte der Kläger mit einer Restgeschwindigkeit von 50 km/h gegen das Heck seines Fahrzeuges. Im äußersten Fall, wenn nämlich Dr.G*** bereits volle zwei Sekunden vor dem Kontakt mit dem Kläger gestanden war, betrug die Reaktionsverspätung des Klägers 3,78 Sekunden. Hätte der Kläger prompt auf die aufleuchtenden Bremslichter des vor ihm fahrenden Fahrzeuges reagiert, hätte er anstoßfrei anhalten können. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß der am PKW des Klägers eingetretene Schaden auf das alleinige Verschulden des Klägers zurückzuführen sei; den Erstbeklagten treffe keine Mitverantwortung. Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung des Klägers gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil teilweise Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 40.000,-- sA an den Kläger verurteilte und das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 7.037,33 sA gerichtete Mehrbegehren des Klägers abwies. Das Berufungsgericht sprach aus, daß in Ansehung des abändernden Teiles seiner Entscheidung die Revision nach § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, daß im Sinne der herrschenden Adäquanztheorie die Kausalität zwischen dem Fehlverhalten des Erstbeklagten (Verstoß gegen § 7 StVO) und dem dadurch ausgelösten Primärunfall und der Beschädigung des Fahrzeuges des Klägers zu bejahen sei. Für die vorzunehmende Verschuldensteilung sei maßgebend, daß das Befahren der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahnhälfte als ein derart schwerer Verstoß anzusehen sei, daß es gerechtfertigt erscheine, ihn als doppelt so schwerwiegend zu beurteilen wie die dem Kläger anzulastende Reaktionsverzögerung. Es sei somit eine Schadensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Gunsten des Klägers vorzunehmen. Seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gegen den abändernden Teil seiner Entscheidung begründete das Berufungsgericht damit, daß "zur Ausformung der Adäquanztheorie auf den Einzelfall" eine Judikaturkette des Obersten Gerichtshofes zur Rechtssicherheit und Rechtsfortbildung notwendig erscheine.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie in ihrem klagsstattgebenden Teil aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes, allenfalls dahin abzuändern, daß dem Kläger nur ein Betrag von S 20.000,-- sA zugesprochen, sein auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 27.037,33 sA gerichtetes Mehrbegehren aber abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag. Der Kläger hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist unzulässig.

Gemäß § 508a ZPO ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichtes nach § 500 Abs 3 ZPO nicht gebunden.

Im vorliegenden Fall ergibt die Prüfung der Rechtsmittelzulässigkeit, daß es an der für ihre Bejahung erforderlichen Voraussetzung des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO mangelt, weil die Entscheidung nicht von der Lösung von Rechtsfragen abhängt, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit oder der Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.

Die Beklagten versuchen in ihrer Revision darzutun, daß das Berufungsgericht unter dem Gesichtspunkt der herrschenden Adäquanztheorie zu Unrecht von einer Haftung des Erstbeklagten für jene Schäden ausgegangen sei, die der Kläger infolge des Auffahrens seines Fahrzeuges auf den PKW des Dr.G*** erlitt. Selbst bei Bejahung der Haftung des Erstbeklagten für den Schaden des Klägers sei aber nach Meinung der Beklagten mit einer Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten des Klägers vorzugehen. Die Lösung der ersten Frage durch das Berufungsgericht ist durch die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gedeckt, nach der dann, wenn nach einem Unfall ein am Unfall beteiligtes Fahrzeug den Verkehr auf der Fahrbahn behindert, das Zustandekommen weiterer Auffahrunfälle nicht als atypische Folge anzusehen ist. Daß dazu Aufmerksamkeitsfehler der Lenker auffahrender Fahrzeuge wesentlich mit beitragen, ändert an der grundsätzlichen Verantwortung desjenigen, der den Primärunfall verschuldet hat, nichts. Der adäquate Kausalzusammenhang zwischen der ersten Unfallsursache und dem schließlich eingetretenen Erfolg kann dadurch nicht berührt werden (ZVR 1970/245; ZVR 1977/238; ZVR 1983/19; ZVR 1984/37; ZVR 1984/338 ua). Dies gilt auch für Unfälle durch Auffahren auf Fahrzeuge, die infolge des Hindernisses auf der Fahrbahn zum Anhalten veranlaßt werden (ZVR 1983/19), und in Fällen, in denen zwischen Primär- und Folgeunfall ein Zeitraum von einigen Minuten verging (ZVR 1984/338).

Da sich somit das Berufungsgericht bei Lösung der Frage der adäquaten Kausalität des Fehlverhaltens des Erstbeklagten für den Auffahrunfall des Klägers auf die wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, stützen kann, kommt dieser Rechtsfrage nicht die im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO vorausgesetzte Bedeutung zu.

Die Frage der Verschuldensteilung im vorliegenden Einzelfall ist gleichfalls keine Rechtsfrage der im § 502 Abs 4 Z 1 ZPO beschriebenen Art (8 Ob 224/83 ua). Das Berufungsgericht kam unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles zu dem Ergebnis, daß eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Gunsten des Klägers vorzunehmen sei. Daß dieser auf die Umstände des vorliegenden Einzelfalles abgestellten Verschuldensteilung über diesen hinaus grundsätzliche Bedeutung zukäme, ist ebensowenig erkennbar wie eine in der Frage der Verschuldensteilung dem Berufungsgericht unterlaufene wesentliche Verkennung der Rechtslage. Unter diesen Umständen hat das Berufungsgericht zu Unrecht die Zulässigkeit der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO ausgesprochen. Die vorliegende Revision der Beklagten war daher ungeachtet dieses Ausspruches zurückzuweisen.

Die Beklagten haben keinen Anspruch auf Ersatz der Kosten ihres unzulässigen Rechtsmittels. Da in der vom Kläger erstatteten Revisionsbeantwortung der vorliegende Zurückweisungsgrund nicht geltend gemacht wurde, gebührt auch dem Kläger für diesen Schriftsatz kein Kostenersatz (§§ 40, 41, 50 ZPO).

Anmerkung

E16183

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0020OB00097.88.1220.000

Dokumentnummer

JJT_19881220_OGH0002_0020OB00097_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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