TE OGH 1988/12/20 11Os142/88 (11Os143/88)

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Veröffentlicht am 20.12.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20.Dezember 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Zeh als Schriftführer in der Strafsache gegen Franz H*** wegen des Verbrechens der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen

I.) über die Nichtigkeitsbeschwerden und Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 1.September 1988, GZ 11 d Vr 329/88-28, sowie

II.) über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 1.September 1988, AZ 11 d Vr 329/88,

nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Strasser und des Verteidigers Dr. Stadler, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil und demgemäß auch der angefochtene Beschluß aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung sowie der Angeklagte mit seiner Berufung und seiner Beschwerde werden auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 11.Juni 1955 geborene Franz H*** 1./ des Vergehens der Unterschlagung nach dem § 134 Abs. 1, erster Fall, StGB und 2./ des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, sowie von der Anklage des Verbrechens der Nötigung zur Unzucht nach dem § 204 Abs. 1 StGB gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Dieses Urteil wird sowohl vom Angeklagten als auch von der Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten, und zwar vom Angeklagten in beiden Schuldsprüchen aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 a, 9 lit. a, lit. b, der Sache nach auch Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO, vom öffentlichen Ankläger nur im Freispruch aus dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 der genannten Gesetzesstelle.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

Dem Angeklagten liegt laut Anklage zur Last, am 7.Mai 1988 in Kleinhadersdorf den Hilfsarbeiter Gerhard H*** mit Gewalt zur Unzucht genötigt zu haben, indem er ihm zunächst in einem Waldstück Schläge ins Gesicht versetzte und ihn zu Boden stieß, später in seiner (des Angeklagten) Wohnung neuerlich auf ihn einschlug, ihn an den Haaren riß und auf ein Bett warf sowie ihn schließlich in ein Kellerabteil zerrte und dort auf eine Bettbank warf, wobei er ihm bei jedem dieser Angriffe gewaltsam die Hose herunterzog und das entblößte Glied in den After einzuführen versuchte, wobei es zur Berührung dieser Körperteile kam.

Der Schöffensenat kommt ungeachtet der mehrmaligen widerspruchsfreien Schilderung der wesentlichen Tatvorgänge durch Gerhard H*** und des Gutachtens des psychiatrischen Sachverständigen, demzufolge die geschilderten Tathandlungen der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten entsprechen, zum Schluß, daß weder H*** zu glauben, noch dem Sachverständigen zu folgen sei und H*** die Anschuldigungen erfunden habe.

Zutreffend macht die Anklagebehörde Begründungsmängel (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) des Freispruches geltend:

Soweit das Gericht bloß deshalb den Angaben des Gerhard H*** den Glauben versagte, weil er nur Sonderschulbildung, sich vor Gericht "nicht ordnungsgemäß" artikuliert sowie langsam und stockend gesprochen habe, liegt eine die Frage der Beweiskraft dieser Zeugenaussage im Kern nicht erfassende, an Willkür grenzende Scheinbegründung vor. Ähnliches gilt für die Erwägung, es werde dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen nicht gefolgt, weil der Angeklagte einen "sehr männlichen Eindruck" erweckt habe. Die weitere Überlegung, "ein Mann könne mit einem Mann keinen Geschlechtsverkehr durchführen", übersieht, daß dem Angeklagten nicht die Nötigung zum Geschlechtsverkehr in Form eines Beischlafes zur Last liegt, sondern die Nötigung zu homosexuellen Unzuchtshandlungen. Daß die in anderem Zusammenhang in den Urteilsgründen (S 5 f der Urteilsausfertigung) enthaltene Annahme der faktischen Unmöglichkeit auch einer solchen Nötigung ("Vergewaltigung") empirisch unhaltbar ist, bedarf keiner näheren Erörterung.

Es fehlt somit an einer zureichenden, im Einklang mit den Denkgesetzen sowie der allgemeinen und forensischen Erfahrung stehenden Begründung für die entscheidungswesentliche Feststellung, daß der Zeuge H*** die dem Anklagevorwurf zugrundeliegenden Angaben erfunden habe. Das Urteil ist daher in seinem freisprechenden Teil nach dem § 281 Abs. 1 Z 5 StPO nichtig.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

Den Urteilsannahmen nach eignete sich der Angeklagte die von H*** während des bloßen Raufhandels im Wald "verlorene" Geldbörse mit einem Betrag von 300 S mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung zu (Schuldspruch 1/ wegen des Vergehens nach dem § 134 Abs. 1 StGB) und unterdrückte den in der Geldbörse befindlichen Personalausweis H*** (Schuldspruch 2/ wegen des Vergehens nach dem § 229 Abs. 1 StGB).

Auch in der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten werden - der Sache nach - Begründungsmängel (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO) zu Recht geltend gemacht:

Unbeschadet des Umstandes, daß die Geldbörse mit einem Geldbetrag von 32,40 S und dem Personalausweis in der Wohnung des Angeklagten sichergestellt wurde (S 10 dA), wären angesichts der Verantwortung des Angeklagten - der behauptet, H*** habe die Geldbörse entweder in der Wohnung vergessen oder absichtlich zurückgelassen (S 171 f, 174 dA), und Zueignungs-, Bereicherungs- (§ 134 StGB) sowie Gebrauchsverhinderungsvorsatz (§ 229 Abs. 1 StGB) bestreitet - Abweichungen in den Aussagen des Zeugen H*** über den Zeitpunkt und den Ort der Entdeckung des Abhandenkommens der Geldbörse sowie über die entsprechende Mitteilung an den Angeklagten zu erörtern gewesen. Gab doch der Zeuge vor der Gendarmerie sinngemäß an, er vermute bloß ("... glaublich ... dürfte ..."), daß er die Geldbörse im Wald verloren habe (S 38 dA), wogegen er vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung deponierte, den Verlust schon im Wald bemerkt zu haben (S 28, 173 ff dA), anderseits aber in der Hauptverhandlung wiederum teils auch nicht ausschloß, die Börse in der Wohnung des Angeklagten "verloren" zu haben (S 174 unten dA: "... Ich weiß es nicht ..."). Seiner Aussage im Vorverfahren nach fragte er den Angeklagten glaublich nicht nach der Geldbörse (S 28). In der Hauptverhandlung gab er an, dem Angeklagten schon im Wald gesagt zu haben, er müsse seine Geldbörse suchen (S 175 dA). In Würdigung dieser Aussagen (§ 258 Abs. 2 StPO) hätte das Erstgericht begründen müssen, warum es ausschließt, daß H*** die Geldbörse erst in der Wohnung des Angeklagten verlor, und der Angeklagte - wie er behauptet - in der Folge bis zur Sicherstellung keinen Vorsatz (§ 5 Abs. 1 StGB) auf Zueignung und unrechtmäßige Bereicherung faßte. Die Urteilsannahme, der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung erwähnt, er hätte die Börse in seine Wohnung gelegt (S 7 unten der Urteilsausfertigung), ist aktenwidrig. Für den sogenannten Gebrauchsverhinderungsvorsatz im Sinn des § 229 Abs. 1 StGB fehlt überhaupt eine Begründung, wobei dem Ersturteil auch nicht zu entnehmen ist, daß der Angeklagte vom gesamten Inhalt der Geldbörse durch eigene Wahrnehmung oder auf sonstige Weise Kenntnis erlangt hatte. Im gegebenen Zusammenhang kann auch die Frage des Verbleibes der Differenz zwischen dem sichergestellten Geldbetrag von 32,40 S und dem nach den (allerdings widersprüchlichen: vgl. einerseits S 28 und 38 dA sowie andererseits S 174 dA) Aussagen H*** in der Geldbörse vorhanden gewesenen und Gegenstand des Schuldspruchs bildenden Betrag von 300 S (an anderer Stelle !S 5 im Gegensatz zu S 3 der Urteilsausfertigung geht das Gericht von einem verlorenen Betrag von bloß 32,30 S aus) nicht unerörtert bleiben, weil ein allfälliges Verbringen des Differenzbetrages durch den Angeklagten die Nachschau in der Börse voraussetzt, woraus auch Schlüsse tatsächlicher Natur auf die Unterdrückung der Urkunde gezogen werden könnten.

Da zufolge der Begründungsmängel entscheidungswesentlicher Tatsachen die Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz unvermeidlich ist, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen des Angeklagten. Lediglich am Rand sei dem die Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit nach dem § 42 StGB reklamierenden Beschwerdevorbringen entgegnet, daß bei der bisherigen Fallgestaltung unter den kumulativen Voraussetzungen des Strafausschließungsgrundes es jedenfalls an der geringen Täterschuld (Z 1) mangelt und nicht gesagt werden kann, daß eine Bestrafung des ua schon zweimal wegen Diebstahls und einmal wegen versuchter Erpressung auch einschlägig vorbestraften Angeklagten (S 15 dA) spezialpräventiv nicht geboten wäre (Z 3).

Aus den dargelegten Erwägungen war beiden Nichtigkeitsbeschwerden Folge zu geben, das angefochtene Urteil samt dem gemäß dem § 494 a Abs. 1 Z 4, Abs. 4 StPO gefaßten - im Hauptverhandlungsprotokoll entgegen der Vorschrift des § 77 Abs. 2 StPO allerdings nicht beurkundeten - Beschluß auf Widerruf der mit dem Beschluß des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17. Februar 1988, GZ 18 c BE 151/88-9, gewährten bedingten Entlassung aufzuheben und die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung an den Gerichtshof erster Instanz zurückzuverweisen. Auf diese Entscheidung waren die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung sowie der Angeklagte mit seiner Berufung und seiner Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß zu verweisen.

Anmerkung

E16110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0110OS00142.88.1220.000

Dokumentnummer

JJT_19881220_OGH0002_0110OS00142_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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