Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Jensik, Dr. Zehetner, Dr. Klinger und Dr. Schwarz als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Mag.Arch.Ing. Herbert U***, Architekt, Jägerstraße 33, 1200 Wien, und 2.) Karl S***, Kaufmann, Krottenbachstraße 110/7/12, 1190 Wien, beide vertreten durch Dr. Anton Gradischnig, Dr. Peter Gradischnig und Dr. Gerhard Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, wider die beklagte Partei G*** P*** am Wörthersee, vertreten durch den Bürgermeister Johann P***, dieser vertreten durch Dr. Walter Suppan, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Erteilung einer Zustimmung infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. September 1988, GZ 4 a R 125/88-29, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15. März 1988, GZ 17 Cg 419/86-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 18.823,36 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.711,21 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Kaufvertrag mit 30. November 1979, 12. Februar und 4. März 1980 verkaufte die beklagte Gemeinde die nunmehr die Bezeichnung EZ 895 KG Pörtschach am Wörthersee tragende, aus dem Grundstück 312 Bauarea Tonkino, Haus Nummer 1, Werzer-Promenade bestehende Liegenschaft mit dem darauf befindlichen Gebäude (Kino Pörtschach am Wörthersee) samt Inventar zu gleichen Teilen an Otto R*** und Karl S***, den nunmehrigen Zweitkläger um 2,5 Millionen Schilling. Die Verkäuferin verpflichtete sich als Konzessionsträgerin, die Konzession für dieses Lichtspieltheater zugunsten der beiden Käufer mit Wirksamkeit des Vertrages zurückzulegen; beide Käufer verpflichteten sich, für eine Zeit von 20 Jahren ab Vertragsunterfertigung auf der Liegenschaft einen Kinobetrieb zu führen, und zwar durchlaufend durch mindestens 6 Monate im Jahr. Im Falle des Zuwiderhandelns, insbesondere der Aufgabe des Kinobetriebes, verpflichteten sich die Käufer zur Zahlung einer Konventionalstrafe von 1 Million Schilling. Ausdrücklich als Nichtverletzung der Betriebspflicht wurde ein innerhalb angemessener Frist erfolgender Umbau oder Abbruch mit Neuerrichtung des Gebäudes angesehen (Punkt IX) des Kaufvertrages). Anläßlich dieses Verkaufes der Liegenschaft nahm der damalige Pächter des Kinos von der Fortsetzung des mit ihm abgeschlossenen, bis 31. Dezember 1982 laufenden Unternehmenspachtvertrages Abstand. Dieser Pächter hatte das Unternehmen finanziell positiv geführt und wäre auch zu einer Weiterführung bereit gewesen. Am 27. Juni 1980 verkauften R*** und S*** je 1/6-tel Miteigentumsanteil der Liegenschaft an den Erstkläger. Dieser Verkauf erfolgte mit allen Rechten und Pflichten, wie die Verkäufer die Liegenschaft besessen und benützt hatten bzw. zu besitzen berechtigt gewesen waren. Die Bezahlung des Kaufpreises (S 833.333,-- für beide 1/6-tel Anteile) erfolgte durch Inanspruchnahme eines von sämtlichen Vertragsteilen bei der Gewerbe- und Handelsbank AG Wien aufzunehmenden Darlehens in der Höhe von S 2,5 Millionen, das auf der Gesamtliegenschaft hypothekarisch sichergestellt werden sollte. Der auf die Verkäufer entfallende Darlehensbetrag (S 1,583.334,--) diente zur Entrichtung des von R*** und S*** der Beklagten noch zu leistenden Restkaufpreises (Beilage B). Mit Kaufvertrag vom 29. Mai 1984 verkaufte Otto R*** den ihm verbliebenen 1/3-tel Anteil an der Liegenschaft zu gleichen Teilen an die Kläger, die damit je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft wurden. Der Kaufpreis (S 700.000,--) gelangte dadurch zur Verrechnung, daß die Kläger die Anteile gegen die Kreditverbindlichkeiten des Verkäufers gegenüber der Gewerbe- und Handelsbank AG zur weiteren Rückzahlung übernahmen (Beilage C). Nach Änderung der Eigentumsverhältnisse wurde (1984) das Objekt von den Klägern zur Gänze umgebaut. Anstelle eines großen Kinosaales wurden 2 Kinoräume errichtet, der kleinere davon in der Form eines sogenannten "Video-Kinos". Der Kinobetrieb mit einem dazugehörigen Buffet (Wurstkuchl) und ein neu errichteter Frühstückspensionsbetrieb wurden von den Klägern selbst geführt. Das im Parterre errichtete Gastlokal (Confettis) wurde an Otto R*** verpachtet. Bei dem Kino handelte es sich überwiegend um einen saisonalen Betrieb. Während der Sommermonate werden täglich mehrere Filme vorgeführt; in den Wintermonaten ist das Kino nur ein- bis zweimal monatlich in Betrieb. Ab dem Jahr 1980 war die Frequenz des Kinos stetig rückläufig; diese Tendenz erreichte im Jahr 1986 ihren Tiefpunkt. Erst 1987 war wieder ein leichter Anstieg der Besucherzahlen zu verzeichnen. Die wesentliche Konkurrenz, die den Kinos entstanden war, lag im Video-Filmverleih, dessen Entwicklung zur heutigen Form des sogenannten "Video-Verleihs" etwa um das Jahr 1984 begann. Bei Otto R*** und dem Zweitkläger handelt es sich um Kenner der Unterhaltungsbranche. Otto R*** war zur Zeit des Vertragsabschlusses Filmproduzent, der Zweitkläger ein in der Kinobranche als Fachmann bekannter Kinobesitzer. Ihnen war die Konkurrenz des Fernsehens sehr wohl bekannt. Im Jahr 1980 war die sprunghafte Entwicklung des Video-Filmverleihs noch nicht absehbar. Aus der von einem privaten Wirtschaftsberatungsunternehmen erstellten Rentabilitätsberechnung des Kinos (Beilage D) und der Gewinn- und Verlustrechnung aller drei Unternehmungen für das Jahr 1984 bis 1986 ergibt sich für das Kino - jeweils unter Berücksichtigung der Buffeteinnahmen und der dem prozentuellen Ansatz von 40,6 % am umbauten Raum der Gesamtliegenschaft entsprechenden Zinsenbelastung aus den Liegenschaftankaufskosten und aus den Investitionen in das Gebäude und die Geschäftseinrichtung sowie der Reparaturrücklagen - im Jahre 1984 ein Verlust von S 346.459,21, für 1985 ein solcher von S 440.203,04 und für das Jahr 1986 ein Verlust von S 423.013,41. Unter Einbeziehung dieser Zinsen und Reparaturrücklagen ergeben sich für den gleichen Zeitraum auch aus der Zimmervermietung (40,3 % des umbauten Raumes) ähnlich hohe Verluste (S 580.280,-- für 1984, S 466.877,84 für 1985 und S 33.400,41 für 1986). Für die Jahre 1984 und 1986 zeigt sich auch aus der Verpachtung des Gastlokales "Confettis" (19,1 % des umbauten Raumes) ein Verlust von S 159.819,15 und S 131.552,15; nur im Jahr 1985 wurde ein positives Geschäftsergebnis in der Höhe von S 167.495,60 verzeichnet. Die Zinsen- und Rücklagenbelastung beträgt pro Geschäftsjahr S 1,012.840,--, allein die Zinsenbelastung S 798.660,--. Anhand der von der Wirtschaftstreuhand- und BeratungsgesmbH "Confida" erstellten Bilanz für die Jahre 1983 bis 1985 errechnete der vom Erstgericht dem Verfahren beigezogene Sachverständige Kommerzialrat L. K*** für die Jahre 1983 bis 1985 einen Verlust (aus dem Kinobetrieb) von S 1,502.038,--. Im Jahre 1987 wurde von der beklagten Partei für die Monate Mai und September eine Erleichterung bei der Bezahlung der Vergnügungssteuer gewährt. Die Steuerleistung im Jahr 1987 betrug 70 % jener von 1981. Für die Zukunft wurde den Klägern von der Beklagten der Entfall der Vergnügungssteuer in Aussicht gestellt.
Mit der am 11. November 1986 erhobenen Klage begehren die Kläger, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, in die Aufhebung der Kinobetriebspflicht auf ihrer Liegenschaft einzuwilligen. Der allgemeine und österreichweit vorhandene Trend des Sinkens der Kinobesucherzahl, sei auch beim Pörtschacher Kino wirksam geworden. Um die Betriebspflicht weiter aufrecht erhalten zu können und zur Verhinderung von Verlusten hätten sie im Jahr 1984 das Kino total renoviert und umgebaut. Trotzdem hätten die Einnahmen aus dem Kinobetrieb nicht gehalten werden können. Von 1984 zum Jahr 1985 habe sich z.B. ein Einnahmenrückgang um 20 % ergeben; die Verluste der letzten zwei Jahre hätten zwischen S 425.000,-- und S 578.000,-- geschwankt. Da sie bei diesem wirtschaftlichen Ergebnis nicht in der Lage seien, die Betriebspflicht weiter aufrecht zu erhalten, weil diese sie in den finanziellen Ruin treiben würde, hätten sie der Beklagten mit Schreiben vom 5. August 1986 vorgeschlagen, die Beklagte solle auf die Betriebspflicht verzichten oder sich verpflichten, ihnen den Ausfall aus der Erfüllung dieser Verpflichtung jährlich zu ersetzen oder letztlich das Kino selbst betreiben oder die Liegenschaft zurückkaufen. Die Beklagte habe jedoch keine dieser Lösungsvorschläge akzeptiert sondern erklärt, auf Einhaltung der vereinbarten Betriebspflicht zu bestehen. Da die Erfüllung der Betriebspflicht zu ihrem finanziellen Ruin führen würde, sei das Beharren der Beklagten auf dieser Betriebspflicht sittenwidrig. Sie hätten ein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß die der Beklagten gegenüber eingegangene Betriebspflicht des Kinos in Pörtschach erloschen sei. Schließlich erklärten die Kläger noch, ihr Begehren auf jeden hiefür in Betracht kommenden, erdenklichen Rechtsgrund zu stützen.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ihr Beharren auf Vertragserfüllung sei nicht sittenwidrig. Die Gegenleistung habe einerseits in der Bezahlung des Kaufpreises von S 2,5 Mill. andererseits aber auch in der Kinobetriebspflicht durch 20 Jahre hindurch bestanden. Die Kinobetriebspflicht sei daher wesentlicher Vertragsinhalt gewesen; die Käufer seien sich auch als Experten in der Unterhaltungs- und Kinobranche des mit der Betriebspflicht verbundenen geschäftlichen Risikos bewußt gewesen. Als Fremdenverkehrsgemeinde habe sie auch weiterhin ein öffentliches Interesse am weiteren Kinobetrieb. Die Verluste der Kläger seien auch nicht auf den Besucherschwund, sondern nur auf schlechte Unternehmensführung zurückzuführen; es bestehe daher kein Anlaß zu einer Vertragsaufhebung.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im Rahmen der Beweiswürdigung über den bereits wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch folgende der Sachverhaltsgrundlage zuzuordnende Feststellungen:
Da Pörtschach am Wörthersee ein reiner Fremdenverkehrsort und der Umsatz der Saisonbetriebe hauptsächlich von den Urlaubsgästen abhängig ist, hatte die vom Sachverständigen angeführte Konkurrenz durch den Video-Filmverleih in Pörtschach nicht jene Auswirkungen, wie dies in größeren Städten der Fall ist. Das negative Geschäftsergebnis resultiert noch aus anderen Gründen, die allein von den Klägern zu vertreten sind. Ohne Zinsenbelastung wären die Unternehmungen, die sich auf der Vertragsliegenschaft befinden und als wirtschaftliche Einheit betrachtet werden, finanziell durchaus positiv zu führen. Der von den Klägerin vorgetragene Verlust für das Kino (ca. S 400.000,-- pro Jahr) ergibt sich erst unter Einbeziehung der Zinsenbelastung aus den Liegenschaftsankaufs- und Investitionskosten sowie der Reparaturrücklagen.
Bei der rechtlichen Beurteilung dieses Sachverhaltes ging das Erstgericht davon aus, daß der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Vertrag von den Parteien völlig frei geschlossen worden sei und falsche Vorstellungen über ein in Zukunft zu erwartendes Betriebsergebnis nicht als rechtserheblich betrachtet werden könnten. Nichtig könnte eine Vertragsabrede dann sein, wenn sie auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners abzielte oder auch dann, wenn etwa aus Gründen, die dem Abschluß des Vertrages nicht hätten vorausgesehen werden können, ein Partner unverhältnismäßig bereichert würde. Solche Abreden lägen hier aber nicht vor. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt. Das Gericht zweiter Instanz gab der von den Klägern erhobenen Berufung nicht Folge, wobei es aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 300.000,-- übersteigt. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und erachtete diese auch zur abschließenden rechtlichen Beurteilung der Rechtssache als ausreichend. Von dieser Grundlage ausgehend erkannte das Berufungsgericht auch der Rechtsrüge der Berufung im Ergebnis keine Berechtigung zu.
Die Berufungswerber wendeten sich allerdings vorerst mit Recht gegen die Annahme des Erstgerichtes, daß eine Sittenwidrigkeit des Vertrages nur dann gegeben wäre, wenn die Abrede auf eine Existenzvernichtung abziele oder wenn das Rechtsgeschäft aus nicht vorhersehbaren Gründen bei Vertragsabschluß einen Partner unverhältnismäßig bereichern würde. Die Berufungswerber machten nämlich nicht die Sittenwidrigkeit des Vertrages selbst geltend, sie erblickten vielmehr die Sittenwidrigkeit in der beharrlichen Forderung der Beklagten auf Vertragserfüllung. Es sei im gesamten Verfahren nie strittig gewesen, daß der Vertrag (Vereinbarung der Betriebspflicht) selbst frei von jedem Willensmangel abgeschlossen worden sei. Damit sei aber für den Rechtsstandpunkt der Klägerin nichts zu gewinnen. Nach dem Kaufvertrag von 1979 hätten die beiden Liegenschaftskäufer R*** und S*** die Verpflichtung zur Weiterführung des Kinobetriebes für die Dauer von 20 Jahren ab Vertragsunterfertigung gegen Bezahlung einer Konventionalstrafe von S 1 Million bei Zuwiderhandeln übernommen, eine Verpflichtung, die auch der Erstkläger als Rechtsnachfolger übernommen habe. Der Gemeinde als ursprüngliche Konzessionsinhaberin müsse im Dienste des Fremdenverkehrs ein Interesse an der Aufrechterhaltung dieses Kinobetriebes zugebilligt werden. Bei der von den Erwerbern übernommenen vertraglichen Verpflichtung handle es sich um ein Dauerschuldverhältnis, das die Liegenschaftseigentümer verpflichte, diesen Kinobetrieb in den nächsten 20 Jahren ab Vertragsabschluß aufrecht zu erhalten. Es sei daher zu prüfen, ob ein solches Dauerschuldverhältnis vorzeitig aufgelöst werden könne. Die Judikatur habe dazu unter anderem im Zusammenhang mit langfristigen Bierbezugsverträgen den Grundsatz entwickelt, daß das Beharren auf Vertragserfüllung aus einem solchen langfristigen Vertrag dann als sittenwidrig angesehen werden könne, wenn durch die ausschließliche Bindung und durch die Ausgestaltung im Einzelfall die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit und Selbständigkeit des Gastwirtes in unvertretbarer Weise eingeengt werde, sodaß er in eine mit den Anschauungen des redlichen Geschäftsverkehrs nicht mehr zu vereinbarende Abhängigkeit zur Brauerei gerate. Es seien bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit die beiderseitigen schutzwürdigen Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei das schutzwürdige Interesse der Brauerei umso höher zu veranschlagen sei, je größer das von ihr zur Verfügung gestellte Äquivalent und je geringer die Beschränkung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Gastwirtes sei (EvBl 1983/12). In Analogie zu § 1118 ABGB habe die Rechtsprechung grundsätzlich die Möglichkeit der vorzeitigen Auflösung jedes Dauerschuldverhältnisses bejaht (JBl 1982/142, SZ 31/116; MietSlg 17.202 u.a.)., denn auf Dauer angelegte Rechtsverhältnisse seien im besonderen Maße empfindlich für die Veränderungen der für den Vertrag maßgebenden Verhältnisse, da es auch den sorgfältigsten Vertragsparteien unmöglich sei, für alle künftigen Wechselfälle vertraglich vorzusorgen. Die Auflösung sei daher dann möglich, wenn ein Ereignis eintrete, das die Fortführung des Dauerschuldverhältnisses unzumutbar mache (JBl 1983, 142). Die Kläger stützten ihr Aufhebungsbegehren auf die in den letzten Jahren seit 1984 eingetretenen jährlich steigenden Verluste aus dem Kinobetrieb. Nach den Sachgrundlagen erwirtschafteten sie in den Jahren 1984 bis 1986 allein aus dem Kinobetrieb, somit aus der Vertragserfüllung Verluste in der Größenordnung zwischen rund S 346.000,-- und S 440.000,--. Demgegenüber stünden allerdings, und dies ließen die Berufungswerber unberücksichtigt, jährliche Zinsenbelastungen aus Krediten für den Liegenschaftserwerb, die Investionen und Reparaturrücklagen in der Größenordnung von rund S 1,000.000,--. Die Ziffern bezögen sich aber auf sämtliche Wirtschaftsbetriebe der Kläger. Da es sich schon aus den Kaufverträgen ergäbe, daß die Kläger auch den Liegenschaftserwerb nur mit Hilfe von Fremdkapital finanziert hätten, könne - ohne daß es dazu eingehender Beweisaufnahmen über die gesamte wirtschaftliche Situation der auf der Liegenschaft unterhaltenen Betriebe bedürfe - dem Einwand der Beklagten die Berechtigung nicht abgesprochen werden, daß nicht die Belastung durch die Vertragserfüllung, sondern letztlich eine verfehlte Unternehmenspolitik (hohe Investitionen mit Fremdkapital) die Kläger in diese wirtschaftliche Situation gebracht hätten. Stelle man aber die von den Klägern im Ergebnis nicht durch die Vertragserfüllung herbeigeführte wirtschaftliche Situation dem Interesse der Gemeinde an der Aufrechterhaltung des Kinobetriebes gegenüber, so könne im Beharren auf Vertragserfüllung der behauptete Verstoß gegen die guten Sitten nicht vorliegen. Die falsche Abschätzung einer wirtschaftlichen Situation, mit anderen Worten eine Fehlspekulation, könne nicht zu Lasten des Vertragspartners gehen, wenn die Herbeiführung dieser Situation nicht nur durch die Vertragserfüllung eingetreten sei. Es möge durchaus richtig sein, daß das 1984 aufblühende Geschäft des Videofilmverleihes sich auch auf die Ertragssituation der Kläger aus dem Kinobetrieb negativ ausgewirkt habe, dies erkläre aber nicht die mehr als doppelt so hohe Zinsenbelastung aus den gesamten Betrieben. Entgegen der Meinung der Berufungswerber könne daher in der Erwirtschaftung von Verlusten aus der vertraglichen Pflicht zum Kinobetrieb in den letzten Jahren keine Änderung der Verhältnisse seit Vertragsabschluß erblickt werden, die es den Klägern ermöglichen würde, die Aufhebung des Vertrages zu fordern und wodurch das Beharren auf Vertragserfüllung als sittenwidrig anzusehen wäre.
Gegen diese Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der Kläger mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Hinblick auf den Wert des Streitgegenstandes zulässig, aber nicht berechtigt.
Die "Gute-Sitten-Klausel" (§ 879 ABGB) soll den Richter in Stand setzen, bei dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, d.i. aller billig und gerecht Denkenden, widersprechenden Handlungen helfend einzugreifen (Gschnitzer in Klang2 IV/1, 181; SZ 44/58; JBl 1972, 200; MietSlg 27.002/9; SZ 57/39 ua). Den Klägern ist darin beizupflichten, daß auch ein Beharren auf Vertragserfüllung sittenwidrig sein kann (SZ 44/58; SZ 57/39 ua). Dies wird dann der Fall sein, wenn die bei Prüfung der Sittenwidrigkeit vorzunehmende Interessenabwägung (vgl. in Rummel, ABGB, Rz 55 zu § 879) im Falle einer Interessenkollision ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (Krejci aaO, Rz 55 zu § 879 samt Rechtsprechungsnachweis sowie weiters SZ 57/39). Die Berufung auf den Verstoß gegen die guten Sitten kann u.a. bewirken, daß ein "an sich" gegebenes Recht ignoriert wird (vgl. SZ 57/39 unter Hinweis auf Roth in Münchener Komm Rdz 229 zu § 242 BGB).
Nach den Behauptungen der Kläger soll die geltend gemachte Sittenwidrigkeit deshalb gegeben sein, weil die Beharrung auf Erfüllung der Kinobetriebspflicht durch die Kläger deren finanziellen Ruin zur Folge haben würde. Bei Beurteilung der mit der Unterlassung des Betriebes des Kinos verbundenen Interessenkollision kommt es nicht allein auf die für die Kläger sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Folgen an, es sind dabei vielmehr auch - wie im bisherigen Verfahren bereits geschehen - die Gründe zu berücksichtigen, die für die negative wirtschaftliche Entwicklung maßgeblich waren.
In Ausführung ihrer Rechtsrüge wenden sich die Kläger im wesentlichen gegen die Ansicht der Vorinstanzen, sie wären nicht wegen der auf die Betriebspflicht zurückzuführenden Belastung durch die Vertragserfüllung, sondern letztlich wegen einer verfehlten Unternehmenspolitik (hohe Investitionen mit Fremdkapital) in diese mißliche wirtschaftliche Situation gebracht worden. Insoweit die Revisionswerber aus dem Umstand, daß ihnen die Erfüllung ihrer Verpflichtungen zur Bedienung des aufgenommenen Fremdkapitals bis zum Einbruch der Kinobesucherzahlen im Jahre 1984 durch den Video-Filmverleih aus den Erträgnissen des Kinobetriebes möglich gewesen sei, die Unrichtigkeit der von den Vorinstanzen angenommenen Gründe für ihren wirtschaftlichen Abstieg darzulegen versuchen, ist ihnen zu entgegnen, daß sie dabei nicht von der für die rechtliche Beurteilung allein maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage ausgehen. Sie mißachten dabei nämlich die der Sachverhaltsgrundlage zuzuordnende und damit einer Überprüfung durch das Revisionsgericht unzugängliche, vom Berufungsgericht durch Übernahme der Feststellungen des Erstgerichtes gebilligte Annahme des Erstgerichtes, der nicht vorhersehbare Einbruch im Kinogeschäft durch die Konkurrenz des Video-Verleihs habe in einer Fremdenverkehrsgemeinde nicht so starke Auswirkungen wie in größeren Städten gezeigt, sodaß auch noch vom Vorliegen anderer für das negative Geschäftsergebnis maßgeblicher Gründe ausgegangen werden müsse. Den Feststellungen der Vorinstanzen ist weiters zu entnehmen, daß die jährliche Belastung aus Zinsen und Rücklagen je Geschäftsjahr mehr als S 1 Mill. (die Zinsenbelastung allein nahezu S 800.000,--) beträgt und der von den Klägern vorgetragene Verlust für das Kino sich erst unter Einbeziehung der Zinsenbelastung aus den Liegenschaftskaufs- und Investitionskosten sowie der Reparaturrücklagen ergibt. Wenn die Revisionswerber unter Mißachtung dieser Verfahrensergebnisse die von ihnen erwirtschafteten Verluste allein auf die von ihnen nicht vorhersehbare Konkurrenz durch den Video-Filmverleih zurückführen wollen, bringen sie ihre Rechtsrüge nicht dem Gesetz entsprechend zur Darstellung. Bei Beurteilung der mit der Unterlassung des Betriebes des Kinos verbundenen Interessenkollision ist somit davon auszugehen, daß den Klägern der Nachweis der Richtigkeit der von ihnen bereits in der Klage als Grund für die Verschlechterung des Geschäftsganges des Kinobetriebes angeführten unvorhergesehenen Konkurrenz durch den Video-Filmverleih nicht gelungen ist.
Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der Kaufpreis für die Liegenschaft der beklagten Partei im Betrag von S 2,5 Mill. vom Zweitkläger und R*** im Einvernehmen mit dem Erstkläger zu mehr als 60 % durch ein Bankdarlehen aufgebracht, und haben die Kläger - offenbar wie im Kaufvertrag mit der beklagten Partei auch grundsätzlich vorgesehen - im Jahr 1984 das auf der Liegenschaft befindliche Gebäude mit erheblichem Kostenaufwand grundlegend umgeändert. Die Kläger haben es sich somit selbst zuzuschreiben, wenn sie die von ihnen übernommenen finanziellen Belastungen - der Erstkläger trat ja in die von seinen Rechtsvorgängern vertraglich übernommenen Verpflichtungen ein -, für die die beklagte Partei im Hinblick darauf, daß der Kaufpreis zu 4/5-tel in bar entrichtet werden sollte (vergleiche Punnkt IV. und Nachsatz XVI des Kaufvertrages Beilage A), auch nicht verantwortlich ist, bei einem Geschäftsrückgang von - wie die Kläger selbst behaupten - etwa 20 % aus den Erträgnissen des Kinobetriebes nicht mehr finanzieren konnten und in die Verlustzone gerieten. Dazu kommt noch, daß die Kläger auf der von der beklagten Partei erworbenen Liegenschaft nicht nur einen Kinobetrieb führen, sondern noch zwei weitere Betriebe errichtet haben. Da auch diese Betriebe in den Jahren 1984 bis 1986 Verluste in vergleichbarer Höhe brachten, können die Verluste aus dem Kinobetrieb - wie die Vorinstanzen auch zutreffend feststellten - nicht allein die Folge der Konkurrenz durch Video-Filmverleih, also einer Änderung der Konsumgewohnheiten der Kinobesucher gewesen sein.
Daß das den Bestimmungen des Kaufvertrages Beilage A zu entnehmende Interesse der beklagten Partei als Fremdenverkehrsort am Betrieb eines Kinos im vereinbarten Ausmaß weggefallen wäre, ist von den Klägern nicht behauptet worden und im Verfahren auch nicht hervorgekommen. Unter den gegebenen Umständen kann somit keine Rede davon sein, daß eine Interessenabwägung ein grobes Mißverhältnis zwischen den durch die Unterlassung des Kinobetriebes verletzten fremdenverkehrswirtschaftlichen Interessen der beklagten Partei und den durch den Nichtentfall der Betriebsführungspflicht gefährdenden Interessen der Kläger bestünde. In der Ablehnung der Annahme der Sittenwidrigkeit der Beharrung der beklagten Partei auf der die Kläger vertraglich treffenden Kinobetriebspflicht durch die Vorinstanzen kann somit kein Rechtsirrtum erblickt werden. Da die Kläger ihr Begehren auf jeden möglichen Rechtsgrund gestützt haben, hat das Berufungsgericht die Rechtssache mit Recht auch unter dem Gesichtspunkt der Auflösung der Vereinbarung über die Kinobetriebspflicht als Dauerschuldverhältnis aus wichtigem Grunde geprüft. Als wichtiger Auflösungsgrund kommt nach dem Vorbringen in der Klage ebenfalls die mit der Fortsetzung des Kinobetriebes verbundene Gefahr eines finanziellen Ruins in Betracht. Es entspricht der Lehre und Rechtsprechung, daß eine nachträgliche Erschwerung der Leistung bei Dauerschuldverhältnissen einen wichtigen Grund darstellen kann, der die Lösung des Schuldverhältnisses rechtfertigt, auch wenn die Schwierigkeit nicht so weit geht, daß geradezu von einer Unerschwenglichkeit und damit der rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung gesprochen werden müßte (vgl. Pisko, Gschnitzer in Klang2 VI, 545; Gschnitzer in Klang2 IV/1, 27; HS 6.472; SZ 31/116; SZ 45/20; MietSlg 31.223; 1 Ob 524/85 ua). Eine Aufhebung des Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund ist allerdings dann nicht gerechtfertigt, wenn der die Auflösung anstrebende Vertragsteil die Nichterfüllung oder mangelnde Erfüllbarkeit der übernommenen Verpflichtung selbst zu verantworten hat (vgl. EvBl 1983/12; SZ 56/144 ua). Da die defizitäre Führung des Kinobetriebes der Kläger nicht allein auf die Konkurrenz durch den Video-Filmverleih, also durch außerhalb ihrer Verantwortung liegende Umstände zurückzuführen ist, dafür vielmehr auch die Art ihrer Gestion wesentlich beigetragen hat, kann in der Tatsache, daß der Kinobetrieb in den Jahren 1984 bis 1986 nur mit Verlusten geführt werden konnte, kein zureichender Auflösungsgrund erblickt werden. Nach der hier maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage war im Jahr 1987 wieder ein leichter Anstieg der Kinobesucher zu verzeichnen und können die Kläger zudem mit einem Entgegenkommen der beklagten Partei durch Streichung der Vergnügungssteuer aus dem Kinobetrieb rechnen. Es muß daher gesagt werden, daß den Klägern nach Treu und Glauben die Erfüllung der von ihnen 1980 übernommenen Kinobetriebspflicht zugemutet werden kann.
Insoweit die Revisionswerber letztlich meinen, sie seien im Falle des Eintrittes der Zahlungsunfähigkeit verpflichtet, die Eröffnung des Konkurses oder Ausgleichsverfahrens über ihr Vermögen zu beantragen, durch weitere Verluste trete aber eine solche Zahlungsunfähigkeit ein und könne es nicht Sinn und Zweck des Vorgehens der beklagten Partei sein, ein Konkursverfahren heraufzubeschwören, in dem der Masseverwalter gemäß § 21 KO die Möglichkeit hätte, auch von Dauerschuldverhältnissen zurückzutreten, ist ihnen zu entgegnen, daß sie im Verfahren erster Instanz lediglich ganz allgemein behaupteten, die Betriebspflicht führte zu ihrem finanziellen Ruin, weil sie nicht in der Lage seien die jährlichen Ausfälle zu verkraften, ihre sonstige finanzielle Lage aber nicht offengelegt und auch nicht dargetan haben, daß die Einstellung des Kinobetriebes allein ihren wirtschaftlichen Ruin verhindern könnte.
Die Revision der Kläger erweist sich damit als nicht berechtigt. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E16370European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0050OB00650.88.0110.000Dokumentnummer
JJT_19890110_OGH0002_0050OB00650_8800000_000