Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Heinrich Basalka (AG) und Leopold Smrcka (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helga L***, Studentin, Märzstraße 124/39, 1140 Wien, vertreten durch Dr. Johannes Jaksch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER
A***, Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Weitergewährung der Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen, vom 9. September 1988, GZ 32 Rs 81/88-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Dezember 1987, GZ 6 Cgs 1163/87-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 21. August 1961 geborene Klägerin, die damals mit ihren Eltern in Gallneukirchen wohnte, besuchte bis 1975 die Hauptschule und von 1975 bis 1978 die Handelsschule. Anschließend besuchte sie die Krankenpflegeschule, die sie 1981 mit dem Diplom abschloß. Von 1981 bis 1986 war sie als Krankenschwester tätig. Im November 1986 legte sie die Berufsreifeprüfung ab und studiert seither Medizin an der Universität Wien. Die beklagte Partei gewährte der Klägerin ab 1. Oktober 1986 bis 31. August 1987 die Waisenpension nach ihrem am 14. Jänner 1981 verstorbenen Vater und lehnte mit Bescheid vom 9. September 1987 den Antrag der Klägerin, die Waisenpension über das 26.Lebensjahr hinaus auch für die Zeit ab 1. September 1987 zu gewähren, ab.
Die Klägerin begehrt, die beklagte Partei zur Leistung der Waisenpension über das 26.Lebensjahr hinaus zu verpflichten. Ihr Studium habe sich aus verschiedenen Gründen verzögert. Ihr Vater habe nach einem Schlaganfall 1974 die Berufsunfähigkeitspension bezogen. Wegen des chronisch schlechten Gesundheitszustandes ihres Vaters, die Tatsache, daß sie noch zwei jüngere Geschwister gehabt habe und die allgemein schlechte finanzielle Situation der Familie - ihre Mutter sei Hausfrau gewesen - sei ihr der Besuch einer höheren Schule nicht möglich gewesen.
Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Die geltend gemachten Gründe rechtfertigten nicht die Verlängerung der Kindeseigenschaft über das 26.Lebensjahr hinaus.
Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin ab. Die schlechte finanzielle Situation der Familie, die die Klägerin bewogen habe, zunächst die Handelsschule und die Krankenpflegeschule zu besuchen, habe sicher eine beachtliche Erschwernis für die Ausbildung der Klägerin dargestellt, doch komme dem nicht das Gewicht eines unüberwindbaren Hindernisses im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG zu. Auch ein anderer Grund, der im Sinn dieser Gesetzesstelle die Verlängerung der Kindeseigenschaft rechtfertigen könnte, liege nicht vor.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen von Verfahrensmängel und billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, es im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Unter dem Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO macht die Revisionswerberin nur einen schon in der Berufung gerügten Verfahrensmangel - Unterlassung der Parteienvernehmung - geltend, dessen Vorliegen das Berufungsgericht bereits verneint hat. Wie der erkennende Senat in seiner grundsätzlichen Entscheidung SSV-NF 1/32 ausführlich dargelegt hat, hält er auch im Verfahren in Sozialrechtssachen an der seit der Entscheidung SZ 22/106 ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fest, daß Mängel des Verfahrens erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, nicht mit Revision geltend gemacht werden können. Wird in der Berufung ein Mangel des Verfahrens erster Instanz gerügt und die entsprechende Beweisergänzung durch das Berufungsgericht beantragt und lehnt das Berufungsgericht diese Beweisergänzung ab, dann hat es damit den in der Berufung geltend gemachten Verfahrensmangel verneint; ein, ausgehend von den obigen Grundsätzen im Revisionsverfahren bekämpfbarer Mangel des Berufungsgerichtes liegt unter diesen Umständen nicht vor.
Auch die Rechtsrüge ist nicht berechtigt.
Durch das SozRÄG 1988 BGBl 1987/609 wurde die Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG neu gefaßt. Gemäß Art VI Abs 13 SozRÄG 1988 ist § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF des Art IV Z 10 leg cit in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kind das 18.Lebensjahr nach dem 31. Dezember 1987 vollendet hat. Die Klägerin ist am 21. August 1961 geboren und hat damit das 18.Lebensjahr bereits vor dem 31. Dezember 1987 vollendet. Auf den vorliegenden Fall hat daher § 252 Abs 2 Z 1 in der vor dem SozRÄG geltenden Fassung weiterhin Anwendung zu finden.
Nach dieser Bestimmung besteht die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18.Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfungen und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26.Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum. Diese, - abgesehen von einer geringen Modifikation durch Aufnahme des Zivildienstes unter die Änderungsgründe durch die 31. ASVG-Novelle BGBl 1974/775 - durch die 29. ASVG-Novelle BGBl 1973/31 geschaffene Fassung ist der in Anlehnung an § 17 Abs 2 des Pensionsgesetzes in § 56 Abs 3 Z 1 B-KUVG getroffenen Regelung nachgebildet (404 BlgNR 13.GP, 88). Aus den Materialien zu diesen Gesetzen sind zur Auslegung keine Aufschlüsse zu gewinnen. Das Oberlandesgericht Wien als bis 31. Dezember 1986 zuständiges Höchstgericht in Leistungsstreitsachen erachtete in einem Fall (SSV 15/59) die Frage klärungsbedürftig, ob die Aufnahme eines Studiums an einer außerhalb des Wohnortes gelegenen Lehranstalt - in die am Wohnort befindliche Schule wurde die Klägerin dort wegen Platzmangels nicht aufgenommen - im Hinblick auf den Zeit- und Kostenaufwand und die allfällige Internatsunterbringung zumutbar gewesen sei und maß damit der Frage, ob ausreichende Mittel zur Finanzierung des Schulbesuches zur Verfügung gestanden seien, Bedeutung zu. Im weiteren wurde jedoch wiederholt ausgesprochen (SSV 16/47, 20/123, SVSlg 27.434, 27.436, 29.432 ua), daß finanzielle und familiäre Gründe, die eine Waise veranlaßten, vorerst einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und das Studium erst zu einem späteren Zeitpunkt aufzunehmen, nicht als "unüberwindbares Hindernis" zu qualifizieren sei. Diesem Ergebnis kann in dieser allgemeinen Form nicht beigetreten werden. Für den Begriff des unüberwindbaren Hindernisses im Sinn des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG gibt der Gesetzgeber dadurch einen Auslegungshinweis, daß er in der zitierten Gesetzesstelle Wehrpflicht, Zivildienst und Krankheit diesen Umständen gleichstellt. Ein unüberwindbares Hindernis ist jeder Umstand, der verhindert, daß das Kind eine Schul- oder Berufsausbildung rechtzeitig beginnt oder rechtzeitig vollendet und der trotz Aufbietung aller Anstrengungen des Kindes nicht beseitigt werden kann, gleichgültig, worin das Hindernis bestehen mag. Verzögerungen in der Schul- oder Berufsausbildung des Kindes, die ihre Ursache in einer Willensentscheidung des Kindes haben, können nicht unter den Begriff des unüberwindbaren Hindernisses fallen (so auch Rundschreiben des Bundeskanzleramtes vom 31. Juli 1969 Zl 92.202-3/69 zu § 17 Abs 2 Pensionsgesetz in Zach, Pensionsgesetz
16. Ergänzung, FN 20). An das Kriterium der Unüberwindbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen, und es sind nur vom Willen des Betroffenen unabhängige in dessen Person gelegene Hindernisse, die trotz aller Bemühungen nicht hatten beseitigt werden können, als die Kindeseigenschaft verlängernde Umstände anzuerkennen. Als solcher Grund kann unter Umständen auch eine wirtschaftliche Notlage in Frage kommen. Dabei ist jedoch auch auf die gesetzlichen Bestimmungen über die Schul- und Studienförderung Bedacht zu nehmen. §§ 30 a ff FLAG enthält Bestimmungen die sicherstellen, daß eine finanzielle Belastung durch die Fahrt zur Schule nicht eintritt (Schulfahrtbeihilfe, Schülerfreifahrt). Gemäß §§ 31 ff leg cit werden Schulbücher unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Damit ist mit dem Besuch einer höheren Schule eine unmittelbare finanzielle Belastung nicht verbunden, wobei überdies durch das Schülerbeihilfengesetz (BGBl 1971/253 in der jeweils geltenden Fassung, wiederverlautbart BGBl 1983/455 idF BGBl 1986/693) für bedürftige Schüler eine finanzielle Unterstützung bei Gewährung von Beihilfen vorgesehen ist. Das Studienförderungsgesetz BGBl 1969/421 in der jeweils geltenden Fassung wiederverlautbart BGBl 1983/436 in Fassung BGBl 1985/361 räumt unter den dort näher geregelten Voraussetzungen Anspruch auf Studienbeihilfe für die Dauer eines Hochschulstudiums ein; Schulfahrtbeihilfe bzw Schülerfreifahrt sind während des Hochschulstudiums entsprechend den Bestimmungen für die Schüler höherer Schulen vorgesehen.
Die Klägerin, die mit ihren Eltern in Gallneukirchen wohnte, macht geltend, daß ihr Vater wegen eines Schlaganfalles die Frühpension habe in Anspruch nehmen müssen; ihre Mutter sei immer Hausfrau gewesen. Die Pflege des erkrankten Vaters und der jüngeren Geschwister war damit durch die Mutter gewährleistet. Daß die Klägerin durch eine persönliche Inanspruchnahme für Aufgaben in diesem Zusammenhang so belastet gewesen wäre, daß ihr der Besuch einer höheren Schule nicht möglich gewesen wäre, wurde nicht behauptet. Dagegen spricht auch die Tatsache, daß sie laufend in Schulausbildung stand; sie hat nach Beendigung der Hauptschule die Handelsschule und im Anschluß daran die Krankenpflegeschule absolviert. Finanzielle Gründe können aber nach dem vorliegenden Ergebnis die Verlängerung der Kindeseigenschaft nicht rechtfertigen. Der Vater der Klägerin verfügte über ein Pensionseinkommen. Mag dieses auch gering gewesen sein, so wurde hiedurch jedenfalls die Lebensgrundlage (§§ 292 ff ASVG) gesichert, wobei der Belastung durch die Unterhaltspflicht für die Klägerin durch einen Kinderzuschuß Rechnung getragen wurde. Gleiches gilt für die Einkommenssituation der Mutter nach Tod des Vaters. Der Wohnort der Klägerin lag nur in geringer Entfernung von Linz, wo die Möglichkeit des Besuches einer höheren Schule bestand, wobei im Hinblick auf die Entfernung eine tägliche Fahrt zur Schule, die wie erwähnt mit keinem Kostenaufwand verbunden gewesen wäre - möglich war. für die Lehrmittel wäre durch die Zurverfügungstellung der Schulbücher Vorsorge getroffen gewesen. Damit bildete die, wenn auch angespannte finanzielle Lage der Familie der Klägerin kein unüberwindbares Hindernis für den Besuch einer höheren Schule, zumal durch eine Schulbeihilfe eine weitere finanzielle Unterstützung gesichert gewesen wäre. Im übrigen hat die Klägerin ja drei Jahre hindurch die Handelsschule besucht; der Besuch einer höheren Schule hätte keinen höheren Kostenaufwand verursacht. Auch der Besuch einer Hochschule wäre der Klägerin nicht verschlossen gewesen. Wohl besteht in Linz keine medizinische Fakultät, so daß die Klägerin bei Wahl dieses Studiums an einem Hochschulort oder in dessen Nähe hätte Aufenthalt nehmen müssen. Unter Berücksichtigung der Unterhaltsbeträge, die von ihren Eltern zu leisten waren, bzw in der Folge der Waisenpension, sowie mit Rücksicht auf die Studienbeihilfe, auf die unter diesen Umständen Anspruch bestand, hätte auch für die mit einer bescheidenen Lebensführung am Studienort verbundenen Kosten in einem Maß Deckung bestanden, das die Annahme ausschließt, daß einem früheren Studienbeginn ein unüberwindbares Hindernis entgegengestanden wäre. Zutreffend sind damit die Vorinstanzen zum Ergebnis gelangt, daß die Voraussetzungen des § 252 Abs 2 Z 1 letzter Fall ASVG nicht gegeben sind.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Anmerkung
E16449European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00003.89.0110.000Dokumentnummer
JJT_19890110_OGH0002_010OBS00003_8900000_000