TE OGH 1989/1/17 15Os160/88 (15Os161/88)

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Veröffentlicht am 17.01.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Jänner 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Hon.Prof. Dr. Brustbauer und Dr. Kuch als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Tegischer als Schriftführerin in den Strafsachen gegen Günther T*** wegen (a) des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB und (b) des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1, 129 Z 1 und Z 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen (zu a) das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 19.Mai 1988, GZ U 55/88-9, und (zu b) das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 27.Juli 1988, GZ 3 a Vr 1793/88-19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Erster Generalanwalt Dr. Nurscher, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

Spruch

In den Verfahren

a)

zum AZ U 55/88 des Bezirksgerichtes Hartberg und

b)

zum AZ 3 a Vr 1793/88 (= früher 3 a Vr 1958/85) des Landesgerichtes für Strafsachen Graz

ist das Gesetz

zu a) durch das Urteil vom 19.Mai 1988, ON 9, in den Bestimmungen des § 13 Abs. 2 erster Satz JGG 1961 sowie des § 494 a Abs. 1 Z 3 erster und zweiter Halbsatz StPO; und

zu b) durch das Urteil vom 27.Juli 1988, ON 19, in dem sich aus den Vorschriften des XX. Hauptstückes der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft

verletzt worden.

Gemäß § 292 letzter Satz StPO wird das unter a) bezeichnete Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg, welches in seinem Punkt 1. unberührt bleibt, in seinem Punkt 2. aufgehoben und der (auf § 13 Abs. 2 JGG 1961 gestützte) Antrag des öffentlichen Anklägers auf nachträgliche Festsetzung und Vollziehung einer über Günther T*** im Verfahren zum AZ 3 a Vr 1958/85 (= nunmehr

3 a Vr 1793/88) des Landesgerichtes für Strafsachen Graz wegen seiner neuerlichen Verurteilung laut Punkt 1. zu verhängenden Strafe zurückgewiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

I. Mit dem (seit dem Ablauf des 12.August 1985) rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Jugendschöffengericht vom 9.August 1985, GZ 3 a Vr 1958/85-13, wurde der am 9.März 1970 geborene Günther T*** des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127 Abs. 1, 129 Z 1 und Z 2 StGB schuldig erkannt; gemäß § 13 Abs. 1 JGG 1961 wurden der Ausspruch und die Vollstreckung der wegen der damit abgeurteilten Jugendstraftaten über ihn zu verhängenden Strafe für eine Probezeit von drei Jahren vorläufig aufgeschoben.

Wegen eines innerhalb dieser Probezeit begangenen Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB wurde T*** sodann mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 21.Jänner 1988, GZ U 430/87-11, zu einer (unbedingten) Geldstrafe verurteilt; auch dieses Erkenntnis ist (mit Ablauf des 25. - in der Endverfügung unrichtig: des 21. - Jänner 1988) in Rechtskraft erwachsen. Schon vorher, und zwar in der Zeit zwischen Mitte November und Ende Dezember 1987, hatte der Genannte weitere Diebstähle verübt, derentwegen er in der Folge mit dem (seit dem 25.Mai - in der Endverfügung unrichtig: seit dem 14.Juli - 1988 rechtskräftigen) Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 19.Mai 1988, GZ U 55/88-9, unter Punkt 1. erneut des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB (richtig: § 127 StGB) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das zuvor erwähnte Urteil dieses Gerichtes vom 21.Jänner 1988 zu einer zusätzlichen (unbedingten) Geldstrafe verurteilt wurde.

Mit demselben Urteil (vom 19.Mai 1988) sprach das Bezirksgericht Hartberg über Antrag des Bezirksanwaltes unter Punkt 2. mit Bezug auf § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO über Günther T*** für die mit dem eingangs zitierten Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (vom 9.August 1985) abgeurteilten Jugendstraftaten wegen der ihm im nunmehrigen Verfahren (zu U 55/88) zur Last gelegten neuerlichen Diebstähle gemäß §§ 13 Abs. 2, 46 Abs. 4 JGG 1961 nachträglich eine Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat aus, deren Vollziehung es ihm allerdings gemäß § 43 Abs. 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachsah; die bedingte Nachsicht erachtete es deshalb für gerechtfertigt, weil angesichts der Ausbildung des Beschuldigten als Kochlehrling im Landesjugendheim Hartberg dessen künftiges Wohlverhalten zu erwarten sei, sodaß es des Vollzuges der verhängten Freiheitsstrafe nicht bedürfe, um ihn von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Nachdem das Landesgericht für Strafsachen Graz (zu 3 a Vr 1958/85) durch das Strafregisteramt von der am 21.Jänner 1988 zu U 430/87 des Bezirksgerichtes Hartberg ausgesprochenen neuerlichen Verurteilung des Günther T*** verständigt worden war, setzte es in Unkenntnis dessen, daß dieses Gericht bereits am 19. Mai 1988 zu U 55/88 wegen der dort vom Schuldspruch erfaßten strafbaren Handlungen nachträglich eine Strafe festgesetzt hatte, über Antrag des öffentlichen Anklägers nach Durchführung einer Hauptverhandlung am 27.Juli 1988 wegen der mit dem hier aktuellen Anlaß-Urteil (vom 21.Jänner 1988) abgeurteilten Straftat auch im (unter dem neuen Aktenzeichen 3 a Vr 1793/88 fortgesetzten) eigenen Verfahren zum seinerzeitigen Schuldspruch (vom 9.August 1985) gemäß §§ 13 Abs. 2, 46 Abs. 4 JGG 1961 nachträglich eine Strafe fest, indem es unter Bedachtnahme gemäß §§ 31, 40 StGB auf das in Rede stehende Anlaß-Urteil (vom 21.Jänner 1988) über den Genannten eine zusätzliche (unbedingte) Geldstrafe verhängte (ON 19). Dieses Urteil ist mit Ablauf des 1.August 1988 gleichfalls in Rechtskraft erwachsen.

Rechtliche Beurteilung

II. Die Urteile des Bezirksgerichtes Hartberg vom 19.Mai 1988, GZ U 55/88-9, und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27. Juli 1988, GZ 3 a Vr 1793/88-19, stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1. Das im Verfahren zum AZ U 55/88 nach § 494 a Abs. 1 StPO auch zur Entscheidung über eine nachträgliche Straffestsetzung gemäß § 13 Abs. 2 JGG 1961 zu dem unter dem AZ 3 a Vr 1958/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz ergangenen Schuldspruch vom 9. August 1985 wegen der unter einem abgeurteilten neuerlichen Straftaten zuständige Bezirksgericht Hartberg hat (im Urteil vom 19. Mai 1988) zunächst dadurch, daß es für die vom nunmehrigen (gleichzeitigen) Schuldspruch erfaßten (Punkt 1.) und für die mit dem seinerzeitigen Schuldspruch (des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 9.August 1985) abgeurteilten Straftaten (Punkt 2.) getrennte Strafen verhängte, gegen die Bestimmungen des § 494 a Abs. 1 Z 3 StPO verstoßen. Denn darnach ist im Fall einer neuerlichen Verurteilung wegen einer vor dem Ablauf der Probezeit nach einer bedingten Verurteilung begangenen strafbaren Handlung beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 JGG 1961 (nunmehr § 15 Abs. 1 JGG 1988) die Strafe in einem Ausspruch so zu bemessen, wie wenn die Verurteilung wegen beider strafbarer Handlungen gemeinsam erfolgt wäre (erster Halbsatz).

Zudem ist in einem solchen Fall auch noch auszusprechen, daß in jenem Verfahren, in dem die bedingte Verurteilung ergangen ist, ein nachträglicher Strafausspruch nicht mehr in Betracht kommt (§ 494 a Abs. 1 Z 3 zweiter Halbsatz StPO). Diesen Ausspruch hat das Bezirksgericht ebenfalls unterlassen.

Als Folge der Verhängung getrennter Strafen ist bei deren Ausmessung die Anwendung der für eine gemeinsame Aburteilung mehrerer strafbarer Handlungen geltenden Grundsätze (§ 28 StGB) zum Nachteil des Beschuldigten unterblieben.

Davon abgesehen war aber im vorliegenden Fall vor allem die Begründung für die nachträgliche Festsetzung einer (zugleich bedingt nachgesehenen) Strafe gemäß § 13 Abs. 2 JGG 1961 gar nicht tragfähig: war doch nach dieser (bis Ende 1988 in Geltung gestandenen) Gesetzesstelle ein nachträglicher Strafausspruch nur dann zulässig, wenn sich innerhalb der Probezeit zeigte, daß die Besserung des Rechtsbrechers sonst, also ohne den Ausspruch einer Strafe und ohne deren Vollziehung (vgl EvBl 1987/184), nicht erzielt werden konnte; insoweit ist das Bezirksgericht Hartberg indessen (bei der Begründung der bedingten Nachsicht der nachträglich festgesetzten Freiheitsstrafe) ganz im Gegenteil gerade davon ausgegangen, daß es des Vollzuges der verhängten Strafe nicht bedürfe, um den Beschuldigten vor weiteren strafbaren Handlungen zu bewahren. Damit hat es sohin, rechtsrichtig gesehen, die Voraussetzungen für ein Unterbleiben des nachträglichen Ausspruchs einer Strafe im Sinn des § 494 a Abs. 1 Z 1 StPO als gegeben angenommen (vgl Mayerhofer/Rieder, Nebenstrafrecht2, ENr 17, 19, 21 zu § 13 JGG; für die ab 1.Jänner 1989 geltende Rechtslage ist in diesem Zusammenhang auf § 15 Abs. 1 JGG 1988 zu verweisen). In erster Linie gereichte daher schon die im Hinblick auf die dargestellte Verhaltensprognose rechtlich verfehlte nachträgliche Straffestsetzung dem Beschuldigten zum Nachteil.

2. Zur Entscheidung über eine nachträgliche Straffestsetzung im Verfahren zum AZ 3 a Vr 1958/85 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (zum Schuldspruch vom 9.August 1985) wegen der im Verfahren zum AZ U 430/87 des Bezirksgerichtes Hartberg abgeurteilten Straftat war allerdings entgegen der von der Generalprokuratur vertretenen Ansicht mit Rücksicht darauf, daß die Bestimmungen des § 494 a StPO nur eine Zuständigkeit des jeweils die neuerliche Straftat ahndenden Gerichtes bei der betreffenden Entscheidung statuieren (und zur Zeit jener Urteilsfällung am 21.Jänner 1988 noch nicht in Kraft standen), nicht dieses Bezirksgericht im Verfahren zum AZ U 55/88 (oder zum AZ U 430/87) zuständig, sondern nach § 495 Abs. 1 StPO (nF) sehr wohl das Landesgericht für Strafsachen Graz in seinem in Rede stehenden eigenen Verfahren (= 3 a Vr 1793/88 neu). Da aber insoweit das - nach dem zuvor Gesagten aus einem anderen Grund, und zwar wegen der im Verfahren zum AZ U 55/88 zugleich abgeurteilten Straftaten, gleichfalls zur Entscheidung über eine nachträgliche Straffestsetzung im Verfahren zum AZ 3 a Vr 1793/88 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz zuständig

gewesene - Bezirksgericht Hartberg bereits mit dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil vom 19.Mai 1988 stattgebend erkannt hatte, stand einer neuerlichen nachträglichen Straffestsetzung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz die materielle Rechtskraft jenes Erkenntnisses (und damit dessen Sperrwirkung) entgegen. Das Urteil dieses Gerichtes vom 27.Juli 1988 verstieß daher gegen den sich aus dem XX. Hauptstück der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

III. In (teilweiser) Stattgebung der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war demnach festzustellen, daß das Gesetz durch das Urteil des Bezirksgerichtes Hartberg vom 19.Mai 1988, GZ U 55/88-9, in den Bestimmungen des § 13 Abs 2 JGG 1961 sowie des § 494 a Abs. 1 Z 3 erster und zweiter Halbsatz StPO und durch das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 27.Juli 1988, GZ 3 a Vr 1793/88-19, in dem sich aus den Bestimmungen des XX. Hauptstückes der StPO ergebenden Grundsatz der materiellen Rechtskraft verletzt wurde.

In bezug auf die darüber hinaus begehrte Feststellung hingegen, daß das zuletzt bezeichnete Urteil auch mit der (Zuständigkeits-) Bestimmung des § 494 a Abs. 1 (erster Satz) StPO nicht im Einklang stehe, war die Wahrungsbeschwerde zu verwerfen. Zum Zweck der nach dem letzten Satz des § 292 StPO gebotenen Behebung der dem Verurteilten durch die aufgezeigten Gesetzesverletzungen entstandenen Nachteile war zunächst die (chronologisch erste) nachträgliche Straffestsetzung im Verfahren zum AZ U 55/88 des Bezirksgerichtes Hartberg als rechtsirrig zu kassieren. Damit ist aber zugleich auch der dem (späteren) Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz allein anhaftende Makel einer Doppelverurteilung behoben worden, sodaß sich insoweit eine Korrektur erübrigte. Im Hinblick auf die nunmehrige Sperrwirkung jenes (späteren) Urteils hinwieder kommt eine Erneuerung der aufgehobenen nachträglichen Straffestsetzung im vorerwähnten bezirksgerichtlichen Verfahren nicht mehr in Betracht; der darauf abzielende Antrag des Bezirksanwaltes war dementsprechend schon aus diesem prozessualen Grund sogleich zurückzuweisen.

Anmerkung

E16745

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:0150OS00160.88.0117.000

Dokumentnummer

JJT_19890117_OGH0002_0150OS00160_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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