Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Jänner 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Burianek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Erwin S*** und Dr. Robert S*** wegen des Verbrechens des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 StGB sowie einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Schöffengericht vom 16.Mai 1988, GZ 11 e Vr 794/86-200, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Strasser, der Angeklagten Erwin S*** und Dr. Robert S*** und der Verteidiger Dr. Philipp und Dr. Hochhaltinger zu Recht erkannt:
Spruch
Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Kreisgericht Steyr verwiesen.
Text
Gründe:
Die Anklagebehörde legt Erwin S*** und Dr. Robert S*** zur Last, durch die (gemeinsame Erstattung von Anzeigen über zwei fingierte Einbruchsdiebstähle, bei denen Tonstudiogeräte und Musikinstrumente gestohlen worden seien, am 14.Februar 1980 bzw. 20. Februar 1985 (II/1/ der Anklage), Robert S*** überdies durch eine weitere derartige Anzeige vom 21.März 1981 (II/2/ der Anklage) das Vergehen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach dem § 298 Abs. 1 StGB sowie, teils unter Benützung falscher Urkunden, durch die Vortäuschung entsprechender Versicherungsfälle gegenüber der "V*** D*** Ö***
B***" sowie der "D***, Allgemeine Versicherungs-AG", wodurch deren Angestellte zur Auszahlung von 258.790 S (I/1/ der Anklage), 498.765 S (I/2/ der Anklage) und 3,622.937 S (I/3/ der Anklage) verleitet wurden, das Verbrechen des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 StGB begangen zu haben. Mit dem angefochtenen Urteil wurden die beiden Angeklagten von dieser Anklage gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Rechtliche Beurteilung
Die von der Staatsanwaltschaft gegen dieses Urteil nominell aus den Nichtigkeitsgründen der Z 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist aus dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund berechtigt.
Die Anklagebehörde rügt zu allen Fakten formale Begründungsmängel, welche die Nichtigkeit des Urteils bewirken. Das Erstgericht geht bei seiner Beweiswürdigung zusammenfassend davon aus, daß die meisten Verfahrensergebnisse "ambivalent" seien, dh sowohl auf die Schuld wie auf die Unschuld der Angeklagten schließen ließen; alle Beweisergebnisse würden zwar dringenden Tatverdacht rechtfertigen, zu einer für einen Schuldspruch erforderlichen "letzten Gewißheit" aber nicht hinreichen (S 65-67 der Urteilsausfertigung). Die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu den zu Gunsten der Angeklagten angenommenen Sachverhaltsalternativen läßt jedoch nicht die erforderliche (§§ 258 Abs. 2, 270 Abs. 2 Z 5 StPO) sorgfältige Prüfung aller für die entscheidungswesentliche Frage der Vortäuschung von Versicherungsfällen relevanten Beweisergebnisse auf ihre Glaubwürdigkeit und Beweiskraft sowohl einzeln als auch in ihrem inneren Zusammenhang erkennen. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob das Gericht bei Würdigung aller als entscheidend in Betracht zu ziehenden Umstände zu gleichen Schlußfolgerungen gelangt wäre: Die Erörterung der im folgenden zu behandelnden Verfahrensergebnisse, deren Bedeutsamkeit weder bei isolierter Betrachtung noch in der Zusammenschau bezweifelt werden kann, war nach Lage des Falles, insbesondere der vom Erstgericht dargelegten Beweissituation unabdingbar. Der weitaus größte Anteil der Entschädigungsbeträge betraf Geräte, deren angeblicher Erwerb jeweils knapp vor den angezeigten Versicherungsfällen auch nach dem Urteilsinhalt ungewiß ist, weil die Veräußerer nicht ausgeforscht werden konnten, ähnlich wie die Beschaffung der Mittel zur Bezahlung des Kaufpreises zumindest im Fall I/3/ nach wie vor im Dunkeln liegt (vgl. S 7 f, 19, 24 ff, insbes. auch 31 ff der Urteilsausfertigung). Es handelt sich hiebei, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, im Faktum I/1/ um die Hammond-B 3-Orgel im Entschädigungswert von 150.000 S und im Fall I/2/ um Tonstudiogeräte der Marke "T***" im Entschädigungswert von fast 400.000 S sowie im Fall I/3/ um angeblich von einem "Mann, der sich Herbert E*** nannte" erworbene Gegenstände im Entschädigungswert von über 3,000.000 S. Hiezu kommt, daß eine nähere Spezifikation der Sachen durch Geräte- bzw. Seriennummern weitgehend unterblieb und in den Fakten I/1/ und 3/ die Versicherungssummen in zeitlich kurzem Abstand vor den behaupteten Einbruchsdiebstählen erhöht worden waren. Nun berechtigt der Grundsatz freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs. 2 StPO) zu Wahrscheinlichkeitsschlüssen mit entsprechend fallbezogener Wertung der Indizien, wie dies auch im Ersturteil geschah (vgl. insbesondere S 50 der Urteilsausfertigung), doch darf das Gericht hiebei im Verfahren hervorgekommene Umstände, die als Prämissen für die Beurteilung des Grades der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer entscheidenden Tatsache maßgebend sein können, nicht außer Betracht lassen.
Im einzelnen:
Zu den Fakten I/1/, II/1/a/:
Das Gericht stellte zwar fest, daß in der Anzeige der Angeklagten an die Polizei der Wert der angeblich zwischen dem 12. und 14.Februar 1980 gestohlenen Sachen mit insgesamt 122.000 S beziffert, hingegen in der von Erwin S*** sogleich danach telegrafisch erstatteten Versicherungsmeldung ein (voraussichtlicher) Schaden von 200.000 S genannt wurde (S 8 f der Urteilsausfertigung). Dieser Schaden kann begrifflich nicht von vornherein den später in der Höhe von 218.400 S geltend gemachten Kosten der Wiederbeschaffung gleichgesetzt werden. Einer Erörterung der unaufgeklärt gebliebenen erheblichen Betragsdifferenz von 78.000 S sowie der Frage, was unter dem verwendeten Begriff "Schaden" tatsächlich zu verstehen war, hätte es umsomehr bedurft, als nach den weiteren Urteilsfeststellungen der Angeklagte Erwin S*** die B***-V***, von der als Bedingung für
die Auszahlung der gesamten Schadenssumme Belege über die Wiederbeschaffung der angeblich gestohlenen Sachen verlangt worden waren, jedenfalls dadurch täuschte (S 10 f der Urteilsausfertigung), daß er eine inhaltlich falsche Urkunde über den angeblich am 24. März 1980, tatsächlich jedoch schon am 20.Jänner 1980 (Band VI ON 173) S 406 ff dA), also noch vor dem behaupteten Diebstahl stattgefundenen Erwerb einer elektronischen Orgel vorlegte. Hiebei handelte es sich also in Wahrheit und entgegen der ursprünglichen Verantwortung des Erwin S*** um keine Wiederbeschaffung aus der Versicherungssumme (vgl. Band VI ON 173 S 193, 407 f dA). Da dem Urteil nicht zu entnehmen ist, ob und inwieweit das Schöffengericht auch diese Umstände berücksichtigte, wenn es zum Ergebnis gelangte, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Hammond-Orgel in der Zeit von Weihnachten 1979 bis 14.Februar 1980 von Erwin S*** erworben, in das Probelokal in der Camillo-Sitte-Gasse gebracht und dort von unbekannten Tätern durch Einbruch gestohlen wurde (S 13 der Urteilsausfertigung), blieb die Urteilsbegründung mangelhaft iS der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO.
Zu den Fakten I/2/ und II/2/:
Ähnlich wie im vorliegenden Fall differieren die Angaben in der am 21.März 1981 bei der Polizei erstatteten Anzeige über den Wert der gestohlenen Gegenstände, die detailliert bezeichnet wurden, und der in einer telegraphischen Meldung an die
B***-V*** vom selben Tag genannte Schadensbetrag
erheblich. Ergibt sich aus der Anzeige ein Gesamtwert von etwa 135.000 S (Band II, S 273 ff dA), so wird im Telegramm ein Betrag von ca. 350.000 S genannt (Band III, S 149 dA), der von der zwei Tage später geforderten Summe von 424.830 S erneut wesentlich überschritten wird (Band III, S 145 dA). Auch in diesem Fall entbehrt die erstgerichtliche Begründung, in der überdies der Zeitpunkt und der Inhalt des Telegramms nicht wiedergegeben werden, einer Erörterung der unaufgeklärten Betragsdifferenz. Das Gericht stützt seine Überzeugung von der Existenz der als gestohlen angezeigten Gegenstände auf die Angaben der Zeugen Peter T***, Peter P*** und Christine S*** (S 15 der Urteilsausfertigung). Es räumt dabei allerdings ein, daß sich aus der Aussage des Zeugen T***, der sich mit Studiogeräten nicht auskannte und keine Angaben über Marken und Beschaffenheit machen konnte, lediglich ergäbe, daß vor dem Einbruchsdiebstahl im März 1981 im Souterrainlokal in der Camillo-Sitte-Gasse (irgendwelche) Tonbandgeräte vorhanden gewesen wären (S 19 der Urteilausfertigung). Die Angaben der Zeugen S*** und P*** anderseits stimmen bloß insoweit überein, als im Studio der Angeklagten ein Tonbandgerät "stehend montiert" gewesen sein soll. Da den Feststellungen nach ein solches (später in der Wohnung des Dr. S*** sichergestelltes) Tonbandgerät in der Zeit nach dem in Rede stehenden Diebstahl angeschafft wurde (S 19 der Urteilsausfertigung), daher die Möglichkeit einer dem Zeugen unterlaufenen Verwechslung mit der angeblich gestohlenen Sache nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden kann, kommt es entscheidend auf den Zeitpunkt der Wahrnehmungen der Zeugen S*** und P*** an. Insofern werden aber die Angaben der Zeugin S*** nur durch die in der Hauptverhandlung abgelegte Aussage des Zeugen P*** (Band VI ON 173, S 244, 247), nicht aber durch seine (in der Hauptverhandlung verlesene: Band VII ON 199, S 337 dA) Aussage im Vorverfahren (Band V ON 125, S 188 dA) gestützt. Damals konnte der Zeuge nämlich nicht angeben, ob das Tonbandgerät schon vor dem Einbruch im Studio war oder nicht.
Mangels Erörterung auch der erwähnten Widersprüche ist die Urteilsbegründung zu den Fakten I/2/ und II/2/ ebenfalls als unvollständig zu bewerten.
Zu den Fakten I/3/, II/1/b/:
Den Urteilsfeststellungen zufolge erhielten die Angeklagten am 11. Februar 1985 von einem "Mann, der sich Herbert E*** nannte," in mehreren Kartons verpackte Tonstudiogeräte geliefert, bei denen es sich tatsächlich nicht um die in der entsprechenden Kaufvertragsurkunde bezeichneten Markengeräte, sondern um Nachbildungen handelte, "die man bei oberflächlicher Betrachtung und Unkenntnis der Originalgeräte für solche halten konnte" (S 40, 41 der Urteilsausfertigung); auch die Angeklagten hätten diesen falschen Eindruck gehabt. Die Geräte seien zusammen mit weiteren im Tonstudio der Angeklagten vorhandenen in der Zeit vom 19.Februar bis 20. Februar 1985 von unbekannten Tätern gestohlen worden. Die Feststellung, daß es sich bei den Geräten um derartige Nachbildungen handelte, ist für die Klärung der Frage ihres Diebstahls entscheidungswesentlich, zumal das Erstgericht die Möglichkeit eines Erwerbes von Original-Markenware ausschließt (S 50 ff der Urteilsausfertigung). Es begründete jedoch die bezüglichen Feststellungen unvollständig, weil Beweisergebnisse, die gegen die Existenz solcher Nachbildungen sprechen, mit Stillschweigen übergangen wurden:
Sowohl der Zeuge Friedrich Z*** als auch der - vom Erstgericht nur bei Begründung des Ausschlusses des Erwerbes von neuer oder gebrauchter Markenware genannte (S 51 f der Urteilausfertigung) - Zeuge Klaus S*** erlangten trotz ihrer beruflichen Befassung mit dem weltweiten Verkauf von EMT-Geräten bzw. mit dem Handel neuer und gebrauchter Studiogeräte keine Kenntnis vom Nachbau entsprechender Geräte und dem Handel damit (Band VII, ON 196, S 107, 115, 119, 121 iVm ON 199, S 290 ff, 337 dA). Bei Erfüllung seiner Begründungspflicht hätte das Gericht diese Beweisergebnisse unter Einbeziehung auch der Frage der technischen Schwierigkeiten und Kosten eines Nachbaues (vgl. das Gutachten Band VII ON 199 S 309 ff dA) zu würdigen gehabt, gleichgültig, ob es von einer - ebenfalls nicht
begründeten - Erst- und Einmaligkeit von Nachbildungen ausging (S 49 f der Urteilsausfertigung) oder nicht.
Angesichts der dargestellten Begründungsmängel, die den Feststellungen über entscheidungswesentliche Tatsachen anhaften, ist die Aufhebung des Ersturteils und die Durchführung einer neuen Hauptverhandlung unvermeidlich. Es erübrigt sich deshalb ein Eingehen auf das sonstige Beschwerdevorbringen, in welchem zum Teil keine Begründungsmängel formaler Natur in der Bedeutung einer Nichtigkeit nach dem § 281 Abs. 1 Z 5 StPO, sondern - soweit nicht überhaupt nach Art einer Schuldberufung die Beweiswürdigung angefochten wird - Umstände dargetan werden, die (erhebliche) Bedenken gegen die Lösung der Beweisfrage im Sinn des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 a leg. cit. erwecken sollen, welcher Nichtigkeitsgrund aber zum Nachteil der Angeklagten nicht geltend gemacht werden kann (§ 281 Abs. 2 StPO).
Aus den angeführten Erwägungen war somit der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und spruchgemäß zu erkennen.
Anmerkung
E16492European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:0110OS00163.88.0117.000Dokumentnummer
JJT_19890117_OGH0002_0110OS00163_8800000_000